Unternehmen NEU denken, um den digitalen Wandel erfolgreich zu gestalten

Für Menschen, die lieber hören als lesen, eine kleine Information vorab. Den Inhalt dieses Blogposts habe ich in ein wenig abgewandelter Form in diesem Podcast meiner Serie #connysgedanken reflektiert.

Welchen Denkrahmen schlägt die BWL vor und warum?

Es gibt viele Sichten und Modelle, über die wir Unternehmen denken können, nicht nur die eine, die uns die BWL vorgibt. Und diese unzähligen Modelle sind an sich weder gut noch schlecht, sondern bezogen auf den gültigen Marktbedingungen jeweils passfähig oder eben nicht.

Wie sieht der Denkrahmen aus, den die BWL uns lehrt und welchen Prämissen liegt diesem Rahmen zu Grunde? Die BWL hat jahrzehntelang genau eine Sicht geprägt, nämlich den funktionalen Aufbau von Unternehmen in Einkauf, Vertrieb, Produktion, Controlling, Logistik, Service, HR etc. Die Grundbedingung, die diesem Aufbau zu Grunde liegt, ist, dass die lokalen Optima in den funktionalen Bereichen stets zu einem globalen Optimum aus Unternehmenssicht führen. Diese Prämisse war für damalige Marktverhältnisse der Industrialisierung passfähig. Um das zu verstehen, sollte man sich den Markt zu dieser Zeit anschauen.

Anfang des 19. Jahrhunderts, kommend aus der Manufaktur auf dem Weg zur Industrialisierung, begann der Markt sich zu einem Verkäufermarkt zu entwickeln. Unternehmen konnten unabhängig der Kundenwünsche und -bedürfnisse produzieren und haben sich erst nachträglich um den Absatz der Produkte kümmern müssen. Hergestellte Produkte und Services wurden schon irgendwie verkauft. Das war nicht das Problem. Es war klar, was hergestellt werden musste, es musste nur schnell und kostengünstig geschehen. Effizienz war Trumpf. Kundenbedürfnisse standen hinten an. Taylor hat diese Art, Unternehmen zu denken, geprägt und zur Perfektion getrieben (Taylorismus).

Man sollte nun nicht den Fehler begehen, welchen auch ich manchmal in der Vergangenheit begangen habe, diesen Denkrahmen schlecht zu reden. Für damalige Marktbedingungen war dieses Modell, Unternehmen zu denken, erfolgreich, sonst hätte es sich auch niemals durchgesetzt. Mit der Digitalisierung haben sich aber nun die Umweltbedingungen für Unternehmen massiv geändert und in diesem Zuge sollte man auch den Denkrahmen von Taylor auf die Probe stellen und ggf. durch einen neuen und passfähigeren ersetzen. Genau dieses Überprüfen und Justieren des Denkrahmens ist in meinen Augen der Hebel für viele derzeitige Transformationsinitiativen in Unternehmen. Es kommt darauf an, das vorhandene Potential in den Unternehmen passfähig zu lenken. Und das geschieht durch einen neuen Denkrahmen, also durch eine neue Art Unternehmen zu denken.

Warum ist dieser Denkrahmen in Zeiten der Digitalisierung nicht mehr passfähig zum Markt?

Durch die Digitalisierung hat sich der Markt vom Verkäufer- hin zum Käufermarkt entwickelt. Menschen haben jetzt viel mehr Möglichkeiten ihre Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen. Darauf sollten Unternehmen reagieren, wollen sie nicht „sterben“. Nun ist es also nicht mehr so einfach, die erzeugten Produkte und Services beim Kunden zu platzieren. Kunden rücken notgedrungen in den Mittelpunkt des Interesses der Unternehmen. Effektivität wird wichtiger, also die Frage danach, was produziert werden soll, nicht nur wie es getan werden soll. Das bedeutet auch, dass man zu Gunsten der Problemlösung für den Kunden das Heben von Synergien im Unternehmen hinten an stellen sollte, was mit dem Fokus auf Effizienz undenkbar wäre. Diese neue Fokussierung sollte natürlich nicht in Verschwendung ausarten.

Die funktionale Sicht auf ein Unternehmen lässt solch eine Neujustierung nicht zu, denn in den einzelnen funktionalen Bereichen an sich kann man den Kunden nicht bedienen, sondern nur im Zusammenspiel dieser. Lokale Optima in den funktionalen Bereichen führen nun nicht mehr zum globalen Optimum im Unternehmen.

An der obigen Darstellung erkennt man relativ leicht diese beschriebene fehlende Passfähigkeit des funktionalen Schnittes, da dieser Sollbruchstellen im Wertstrom definiert. Dieser Umstand war in den Zeiten der Industrialisierung nicht hinderlich, da der Markt noch nicht so komplex war. Das bedeutet, der Handlungsraum der Kunden war gering, was letztendlich dazu führte, dass die Erwartungen der Kunden an Services und Produkte der Unternehmen noch nicht so groß war. Unternehmen mussten gar nicht kundenzentriert agieren, um einen Wert für Kunden zu generieren. In Zeiten der Digitalisierung hat sich der Markt geändert, was nun zu einer Behinderung des Wertstromflusses führt. Unternehmen müssen kundenzentriert agieren, was die Notwendigkeit einer neuen primären Organisationsform offenbar werden lässt, die nämlich den Wertstrom, über den Kunden glücklich gemacht werden, unterstützt und nicht durchtrennt.

Welcher Denkrahmen wäre passfähiger zum Markt?

Um diese Frage zu beantworten, möchte ich eine grundsätzliche Sicht einnehmen. Die Daseinsberechtigung von Unternehmen ist es, Probleme von Kunden zu lösen und Wünsche der Kunden zu befriedigen. Nur wenn Kunden merken, dass Unternehmen ihnen helfen, ihre Probleme zu lösen und zwar besser als andere es können oder wenn sie es alleine täten, kommen sie wieder. Denn sie erkennen den Wert, den das Unternehmen ihnen stiftet und dafür sind sie dann auch bereit Geld zu bezahlen.

Dafür führe ich nun den Begriff des Kontextes der Interaktion zwischen Unternehmen und Kunde ein. Je Kontext ist es Aufgabe des Unternehmens Kunden glücklich zu machen. Dabei kann ein Unternehmen mehrere Kontexte bedienen. Im Beispiel eines Handelsunternehmens könnte das zum Beispiel „Shopping“ sein. Kontexte sollten abhängig der notwendigen Aktivitäten und der Erwartungen der Kunden in puncto der jeweiligen Problemlösung gesetzt werden. Denn aus diesen unterschiedlichen Tätigkeiten und Erwartungen leiten sich auch unterschiedliche Handlungen ab, die innerhalb des Unternehmens orchestriert werden müssen.

Das Definieren dieser Kontexte geht nicht rezeptartig, auch gibt es dafür kein richtig oder falsch. Es ist und bleibt eine unternehmerische Entscheidung. Beispielsweise könnte man den Kontext „Shopping“ noch weiter unterteilen in „Shopping Fashion“ und „Shopping Möbel“. Warum? Weil der Kunde beispielsweise unterschiedliche Erwartungen je dieser beiden Kontexte hat und im Unternehmen darauf unterschiedlich reagiert werden sollte. Des Weiteren könnte man definieren, dass „Einrichten“ etwas anderes ist als „Shopping“ und man deshalb noch einen weiteren Kontext, nämlich „Einrichten“ definiert. Wie gesagt, die Definition der Kontexte ist Definitionssache und damit Teil des Definierens des USPs eines Unternehmens: Wo und warum möchte man als Unternehmen mit Kunden in Interaktion treten und ihnen einen Wert generieren und sich damit von anderen Unternehmen unterscheiden?

Je definiertem Kontext existiert dann genau ein Wertstrom, über den Kundenprobleme gelöst werden. Sind im Unternehmen 3 Kontexte definiert, dann existieren also auch 3 dieser Wertströme. Diese Wertströme befinden sich in der Wertstromebene 1 und sind oft auch unter dem Begriff „Customer Journey“ bekannt. Die folgende Abbildung stellt diese These schematisch mit 2 Kontexten dar. Die 3 Punkte auf der rechten Seite deuten an, dass es noch mehrere Kontexte geben kann.

Im Rahmen dieser jeweiligen Customer Journeys befinden sich

  • Aktivitäten des Kunden (Suchen von Produkten, Lesen von Produktbeschreibungen, Vergleichen von Produkten etc.),
  • Aktivitäten von OTTO Mitarbeiter (Mitarbeiter im Relation Center beantworten Fragen zu Bestellungen und geben Produktberatung, Pakete werden nach Hause zugestellt etc.),
  • Aktivitäten, die automatisiert ausgeführt werden (Suchalgorithmus auf otto.de, etc.).

Weil diese Aktivitäten sich je Kontext unterscheiden, muss es je Kontext eine eigene Customer Journey und damit einen eigenen Wertstrom erster Ebene geben. Allerdings sollte man sich diese Aktivitäten nicht standardisiert und linear auf einer Kette aufgezogen vorstellen. Es ist gar nicht machbar, alle möglichen Aktivitäten auf dieser Wertstromebene in eine richtige Reihenfolge zu bringen, abgesehen davon, dass dies aufgrund der Optionsvielfalt gar nicht möglich ist. In erster Linie dienen sie als Denkrahmen, der es erlaubt gemeinsam im Unternehmen in eine Richtung zu denken, nicht als standardisiertes Prozessmodell, dass man 1:1 bedienen kann und muss.

Je Kontext und damit je Customer Journey in der Wertstromebene 1 besteht nun die Aufgabe, im Unternehmen die dort gelagerten Fähigkeiten so zu verbessern, dass die Kunden ihre Probleme stetig besser lösen können. Diese Sicht ist dann Ausgangspunkt für eine unternehmensübergreifende Priorisierung. Diese gefundenen Fähigkeiten werden dann innerhalb des Unternehmens in Wertströmen der Ebene 2 neu erstellt oder angepasst. Stellt man beispielsweise fest, dass die Produktberatung innerhalb einer Customer Journey ein Engpass ist, dann sollten Mitarbeiter des Relation Centers in puncto Produktberatung geschult werden. Stellt man fest, dass die Suche im Onlineshop der Engpass ist, dann sollte der Suchalgorithmus angepasst werden.

In der Wertstromebene 2 werden Fähigkeiten ausgebildet, die in der Wertstromebene 1, den Customer Journeys zum produktiven Einsatz kommen. Um die Schwachstellen oder Engpässe in den Wertströmen erster Ebene zu finden verweise ich gerne auf die Methodik der Theory of Constraints (ToC). In diesem Beitrag meiner Serie Business Systemics finden Sie gerne mehr dazu. Das Suchen und Finden und das anschließende Verbessern der Fähigkeiten sollte nach einem gemeinsam vereinbarten zeitlichen Zyklus geschehen, also beispielsweise alle x Monate, in dem dann der Backlog aktualisiert wird.

An dieser Stelle reiche ich gerne ein Analogon zum Fußball an. Die Wertstromebene 1 bilden die jeweiligen Punktspiele in den jeweiligen Wettbewerben ab, die Wertstromebene 2 das Training, wo Fähigkeiten wie Passspiel, Zweikampf, Standards etc. verbessert werden. Der Unterschied zwischen Wirtschaft und Fußball ist allerdings, dass beim Fußball Wettkampf und Training niemals zeitlich parallel ablaufen. In der Wirtschaft laufen Wertstromebene 1 und 2 zeitlich parallel, was die Komplexität der Interaktion zwischen den beiden Wertstromebenen innerhalb der Wirtschaft erhöht.

Zwei andere bekannte Begriffe kann man auch noch gegen das Modell der Wertstromebenen spiegeln und einzuordnen: Run und Change. Wertstromebene 1 ist Run. Wertstromebene 2 ist Change.

Start des gemeinsamen Denkprozesses für Verbesserungen im Unternehmen ist damit stets der Kunde innerhalb der Customer Journeys (Wertströme erster Ebene)mit der Frage, was man für ihn verbessern kann und sollte. Erst das ist für mich echte gelebte Kundenzentrierung. Produkte und Services, die in den Wertströmen erster Ebene produktiv zum Einsatz kommen und damit dort die Fähigkeiten im Kontext Problemlösung für den Kunden verbessern, werden in den internen Wertströmen der 2. Ebene erstellt. Der Prozess der Erstellung und Livesetzung dieser Produkte und Services endet dann wieder bei den Customer Journeys, denn ohne Einsatz der Produkte und Services werden die Fähigkeiten in der Wertstromebene 1 nicht erhöht und damit kein Nutzen für den Kunden generiert. Damit schließt sich der Kreis der steten Verbesserung, der sich niemals aufhört zu drehen, es sei denn im Unternehmen wird entschieden, diesen jeweiligen Kontext der Kundeninteraktion nicht mehr zu bedienen und vielleicht einen neuen aufzumachen.

In diesem Fall betritt man dann das Feld der Innovation. Bislang waren wir also im Bereich der Operation, wo Fähigkeiten zu bestehenden Kontexten der Kundeninteraktion (z.B. Shopping) verbessert werden. Im Rahmen der Innovation werden neue Kontexte erschlossen, da Probleme generiert werden, die die Menschen bislang noch gar nicht für sich erkannt und angenommen haben.

Nehmen wir das Beispiel Apple. Apple hat nicht einfach so das iPhone auf den Markt „geschmissen“. Nein, Apple hat den Menschen suggeriert, dass sie doch eigentlich ständig mit Welt verbunden sein wollen, was sie auch irgendwann geglaubt haben und dieses Problem für sich gelöst haben wollten. Und erst jetzt kommt das iPhone ins Spiel, über welches sie genau das erreichen konnten und zwar nun über eine neue Customer Journey, in welcher das iPhone eine besondere Rolle spielt. Denn wir wissen ja, mit jedem neuen Kontext gibt es eine neue Customer Journey, die dann mit Fähigkeiten vom Unternehmen bedient werden muss, womit wir dann wieder bei der Operation wären.

Hat man diese neue Sicht auf Unternehmen verinnerlicht, lassen sich darüber viele Fragen im Kontext Steuerung und Regelung von Unternehmen neu beantworten.

  • Wie verteilen wir unsere Investitionen?
  • Wie verteilen wir die Teams?
  • Worauf fokussieren wir uns in der Operation, sprich welche Fähigkeiten in den Customer Journeys müssen in welcher Reihenfolge verbessert werden?
  • Bedienen wir eigentlich noch die richtigen Kontexte der Kunden oder müssen wir neue generieren, sprich müssen wir innovieren und in welche Richtung?

Zwischenfazit

Ich hoffe, ich habe mit diesem Beitrag einige Impulse gesetzt, über unseren bisherigen funktionalen Denkrahmen zu reflektieren. Mich treibt der unbedingte Glaube an, dass genügend intelligente Menschen in den Unternehmen vorhanden sind. Diese bestehende Intelligenz und Kreativität sollte eben nur passfähig geleitet werden. Das geschieht durch einen Denkrahmen, also der Art und Weise wie wir Unternehmen betrachten und welche Prämissen wir unserem Denken zu Grunde legen. Dieses Hinterfragen ist in meinen Augen Basis für den digitalen Wandel in den Unternehmen. Erst dann kann man sich über Führungsprinzipien, -leitlinien etc. unterhalten, da diese Ergebnisse dann im neuen Denkrahmen überhaupt erst passfähig werden.

Ein weiterer Punkt ist für mich total klar. Möchte man Themen erledigt bekommen, sollte man Menschen für diese in Verantwortung bringen. Wie wird in Unternehmen nach dem funktionalen Denkrahmen Verantwortung verteilt, also wer entscheidet beispielsweise über Vergabe von Budget? Oder wie macht man Karriere und erlangt formale Macht? Richtig, Menschen in funktionaler Verantwortung. Wie wird im Unternehmen Wert für den Kunden generiert? Richtig, cross-funktional. Das passt nicht. Das sollten wir ändern, und zwar über einen neuen passfähigen Denkrahmen. Unternehmen, die primär funktional organisiert sind und dementsprechend in funktionaler Richtung Verantwortung und damit formale Macht vergeben, können per Definition nicht kundenzentriert sein. Aus Kundensicht generiert diese Struktur organisierte Verantwortungslosigkeit.

Weiterhin ist mir wichtig anzumerken, dass es keine Selbstverständlichkeit sein darf, dass Menschen sich nur ungenügend qua ihrer Talente im Unternehmen einbringen können. Das ist immer noch sehr häufig der Fall. Dafür muss man die Menschen nur fragen. Dieser Fakt liegt ebenfalls an der Art und Weise, wie Menschen zusammen denken und handeln. Und das können wir Menschen ändern, sollten es sogar falls diese Art nicht passfähig zum Markt ist. Diese Wirkung liegt kein Naturgesetz zu Grunde.
Und zum Ende wiederhole ich es gerne noch einmal. Der funktionale Denkrahmen in den Unternehmen war früher erfolgreich. Nun hat sich der Markt aber geändert, was dazu führt, dass diese Art des Denkens nicht mehr passfähig zum Markt ist.

Auch hier wieder ein Vergleich zum Sport, genauer zum Football und Fußball, der belegt, dass andere Umweltbedingungen, in diesem Fall Regeln, andere Organisationsformen bedingen. Beim Football ist Offense und Defense im Wettkampf stets getrennt auf dem Spielfeld. Während des Spiels können beim Football Spielzüge detailliert besprochen werden. Versucht eine Mannschaft diese Art und Weise des Zusammenspiels beim Fußball einzusetzen, wird sie wohl schnell dafür bestraft werden. Im Fußball würde ein Trainer nicht ansatzweise auf die Idee kommen, Sturm und Abwehr getrennt aufs Spielfeld zu schicken. Aber deshalb ist die Organisationsform beim Football nicht gleich schlechter als die beim Fußball oder umgekehrt. Sie ist angepasst an den Regeln. Das müssen Unternehmen adaptieren, abhängig von den vorliegenden Marktbedingungen.

Ansatzpunkte für einen digitalen Wandel in den Unternehmen

Was sind nach diesen Erkenntnissen in meinen Augen die ersten Schritte in einem Unternehmen, um den digitalen Wandel wirklich zu treiben?
Im ersten Schritt sollten die Kontexte der Interaktion mit dem Markt definiert werden. Dabei helfen Methoden wie das Business Model Canvas (BMC) und Value Proposition Canvas (VPC) weiter. Hier finden Sie gerne mehr dazu.

Im zweiten Schritt sollten dann auf genau diese Kontexte respektive Wertströme erster Ebene (Customer Journeys) formale Verantwortung gesetzt werden.

Das Definieren der internen Wertströme und das Zusammenspiel dieser, um die jeweiligen Fähigkeiten in den Wertströmen erster Ebene zu verbessern, ist dann der dritte Schritt. In diesem Schritt betreibt man dedizierte Organisationsentwicklung. Die letzte Abbildung dieses Beitrages stellt kein Organisationsmodell dar, sondern soll die Interaktion beider Wertstromebenen verdeutlichen. Das Herleiten passfähiger Organisationsmodelle im Kontext der beiden Denkmodelle Viable System Model (VSM) und Theory of Constraints (ToC) würde diesen Beitrag im Umfang sprengen, weshalb ich gerne auf die Beiträge 3 bis 6 meiner Serie Business Systemics verweise.

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Hierarchie und Selbstorganisation passt sehr gut zusammen

Häufig von mir gehörte Forderungen, wie

  1. Wir müssen Hierarchien abschaffen!
  2. Wir müssen Selbstorganisation etablieren!

inspirieren mich zu diesem kurzen Blogpost. Ich möchte nämlich motivieren, rund um diese Begriffe ein wenig differenzierter zu diskutieren.

Hierarchien an sich sind weder gut noch schlecht für Wertgenerierung. Funktional aufgestellte Hierarchien stehen einer Wertgenerierung im Wege, da die Marktbedingungen komplexer geworden sind, weil Menschen heute mehr Möglichkeiten haben als früher, ihre Wünsche zu befriedigen. Das führt dazu, dass Effizienz nicht mehr Trumpf ist. Effektivität sollte mehr im Fokus stehen. Funktionale Hierarchien befeuern aber Effizienz und vernachlässigen Effektivität. Man könnte auch sagen, die funktionalen Hierarchien sind in puncto Wertgenerierung kontextlos, da sie den Kunden aus dem Blick verlieren. Wertgenerierung geschieht stets cross-funktional. Also sollte man Hierarchien in diesem Sinne sich ausbilden lassen. Ohne gänzlich Hierarchien zu haben gibt es keine Wertgenerierung, da dann Chaos herrscht.

Hierarchien existieren immer. Stets dann, wenn Menschen miteinander agieren, entstehen Hierarchien. Das kann man gar nicht verhindern, sollte man auch gar nicht. Denn, wann immer der Mensch, der zu einem Thema das größte Talent hat, führt, ist das gut und gewollt. Die Herausforderung ist eben nur, diese Hierarchien kontextabhängig entstehen und wieder zerfallen zu lassen, je nach zu bearbeitendem Problem. Diese Fähigkeit nenne ich passfähige Selbstorganisation. Ähnlich wie man Hierarchien nicht verhindern kann, lässt sich Selbstorganisation nicht verhindern. Sie ist stets präsent, wenn Menschen miteinander denken und handeln. 

Möchte man Themen erledigt bekommen, sollte man Menschen für diese Themen in Verantwortung bringen. Das geschieht über Hierarchien. Wie wird in Unternehmen heute aber immer noch primär Verantwortung verteilt, also wer entscheidet beispielsweise über die Verteilung von Budget? Menschen in funktionaler Verantwortung. Wie wird aber Wert generiert? Crossfunktional. Diesen Missmatch darf man nicht Hierarchien an sich anlasten oder fehlender Selbstorganisation, sondern nur unserem nicht passfähigen Denkrahmen, wie Verantwortung verteilt werden sollte.

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Meine Impulsgeber

Oft werde ich nach den Impulsgebern meiner Erkenntnisse und Ideen zu den Themen Agil, Lean, Leadership, New Work etc. gefragt. Dieser Foliensatz fasst diese zusammen und erklärt, welche Ideen ich welchen Primärliteraten entnommen habe.

Auf meiner Reise des Verstehens, für die der Startschuss im Jahre 2006 fiel, habe ich begonnen, mich hauptsächlich auf Primärliteraten als Impulsgeber zu beziehen und diese versucht, in ihren Gedankengängen zu verstehen, um für mich Erkenntnis zu generieren.

Warum?

Viele Bücher, Beiträge, Vorträge etc., die ich heute unter dem Deckmantel Führung, Agilität, Lean, New Work etc. lese bzw. höre, wurden in meinen Augen falsch da zu einfach und trivial aus dem Original übersetzt.

Ein Beispiel gefällig?

Lese oder höre ich Sätze wie

„Wir müssen Hierarchien abschaffen!“

oder

„Wir müssen Selbstorganisation stärken!“

weiß ich, dass die Primärliteraten eben nicht richtig verstanden wurden, denn, wann immer Menschen zusammen kommen existieren Hierarchien und Selbstorganisation, ob man will oder nicht. Man bekommt sie nicht weg. Auf Passfähigkeit dieser Strukturen zur Umwelt sollte geachtet werden, aber nicht darauf diese einführen oder löschen zu wollen.

Eine Anmerkung ist mir sehr wichtig. Wenn ich schreibe, dass ich meine Ideen von den hier aufgeführten Primärliteraten habe, muss ich eine Ausnahme setzen, nämlich bei Stafford Beer. Beer hat in meinen Augen zu schwierig geschrieben. Seine Ideen habe ich durch meinen guten Freund Mark Lambertz erst verstehen und dann vertiefen können, weshalb ich sein initiales Buch zum VSM auf der Seite von Beer auch aufgeführt habe. Danke Mark.

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Das VSM in Wertstromebene 1 und 2 modelliert

Ich beschreibe im Rahmen meines Projektes “Business Systemics” sehr ausführlich, wie man Unternehmen mit Hilfe des Viable System Models (VSM) von Stafford Beer aufbauen und strukturieren sollte, jedenfalls so wie ich das VSM verstehe. In diesem Zuge wurde ich des Öfteren gefragt, ob ich das Geschriebene nicht einmal auf der Tonspur und auf die wichtigen Essenzen kondensiert veröffentlichen könnte. Diesem Wunsch komme ich nun heute mit diesem Post nach.

Teil 1

Ich modelliere die Wertstromebene 1 und beziehe mich dabei konkret auf das Unternehmen OTTO, in dem ich denke und wirke, um dem Gesagten einen Kontext zu geben. Der diesbezügliche Beitrag im Rahmen meines angesprochenen Projektes “Business Systemics” ist dieser hier. Das Video können Sie hier einsehen.

Teil 2

Im Teil 2 modelliere ich ausgehend von der ersten die zweite Wertstromebene mit BI als Beispiel für einen Wertstrombereich in dieser Ebene. Der zugehörige Beitrag im Rahmen meines angesprochenen Projektes “Business Systemics” ist dieser hier. Das Video können Sie hier einsehen.

Das Zusammenspiel zwischen Wertstromebene 1 und 2 beschreibe ich in diesem Beitrag.

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Analytik zerstört Komplexität zerstört Lebendigkeit

In vielen Situationen, in denen Menschen komplexe Probleme lösen sollen oder wollen, nehme ich einen zu ausgeprägten Hang zur Analytik wahr. Warum das so ist und warum diese Vorgehensweise fatal ist, erkläre ich aus meiner Sicht mit den kommenden Zeilen.

Komplexität vs. Kompliziertheit

In vielen meiner Beiträge habe ich bereits erläutert, wie ich Komplexität, vor allem auch im Einklang mit Kompliziertheit, definiere. Jedes Problem, in welchem ein Mensch involviert ist, und sei es nur als Beobachter, hat Anteile, die klar und reduktionsfrei beschreibbar sind, und welche, wo diese Beschreibung nicht gegeben werden kann. Dabei ist zu erwähnen, dass in allen Problemen, die wir denken können, ein Mensch involviert ist. Denn Probleme, in denen ein Mensch weder handelt noch beobachtet, sind quasi nicht existent für uns. Die beschreibbaren Anteile sind kompliziert, die nicht beschreibbaren komplex. In diesem Beitrag gehe ich auf meine Interpretation von Komplexität im Zusammenspiel mit Kompliziertheit detailliert ein.

Jedes Thema oder Problem besitzt stets beide Anteile, komplexe (nicht beschreibbare) und komplizierte (beschreibbare). Es gibt keine Probleme, die 100% komplex oder 100% kompliziert sind. Jedes Problem lässt sich auf dem unten abgebildeten Strahl zwischen den beiden extremen Polen platzieren.

Und diese Einordnung ist höchst subjektiv, da sie abhängig ist von der jeweiligen Verfügbarkeit von sprachlichen Mitteln. Das folgende Beispiel, welches, wie auch die Abbildung, aus dem obigen Beitrag entnommen ist, stellt dieses klar.

Stellen Sie sich einen Ihnen gänzlich unbekannten Raum vor. Dieser ist stockfinster und da dieser Raum unbekannt für Sie ist, wissen Sie nicht, ob und wenn ja welche Möbel wo platziert sind. Sie kennen auch die Größe des Raumes nicht. Sie haben die Aufgabe, von der Tür zur gegenüberliegenden Seite des Raumes zu gelangen. Sie besitzen kein Wissen über den Raum und damit keine Möglichkeit zur Beschreibung. Das Problem ist für Sie also eines mit einem hohen Anteil an Komplexität und Sie würden das Problem weit links auf dem Strahl einordnen.

Nun stellen Sie sich bitte einen Menschen vor, der von Geburt an blind ist, der den Raum aber ebenfalls nicht kennt. Dieser Mensch würde wahrscheinlich das Problem weiter rechts auf dem Strahl einordnen. Ihm stehen aufgrund seiner anders ausgebildeten Sinnesorgane andere Mittel zur Verfügung. Dieser Mensch kann den Raum also besser beschreiben als Sie. Damit sinken die komplexen Anteile des Problems für diesen Menschen.

Stellen Sie sich bitte weiterhin vor, dass Sie diese Übung stetig wiederholen müssen. Der Raum bleibt aber stockduster. Mit jedem Mal der Wiederholung gelangen Sie zu mehr Mitteln, um den Raum zu beschreiben. Ihre Erfahrung wächst. Das Problem wandert also auf dem Strahl nach rechts. Vorausgesetzt natürlich, dass im Raum nichts geändert wird, weil sonst die vorhandenen sprachlichen Mittel zur Beschreibung korrigiert werden müssen. Das Problem wandert dann wieder ein Stück nach links. Ihre Erfahrung ist nicht mehr so viel wert.

Jetzt stellen Sie sich bitte zusätzlich vor, dass mit jedem Mal der Wiederholung der Übung nach und nach der Raum immer mehr erhellt wird. Dieser Fakt führt dazu, dass Sie Ihre sprachlichen Mittel, um den Raum zu beschreiben, schneller ausarbeiten können. Das Problem wandert damit schneller von links nach rechts.

Weitere Attribute von Komplexität

Leiten wir daraus nun weitere Attribute, zusätzlich zur Nichtbeschreibbarkeit, von Komplexität ab.

Je komplexer ein Problem, desto emergenter ist dieses, das bedeutet, desto weniger lässt sich dieses Problem in Einzelprobleme zerlegen, diese lösen und die Einzellösungen zu einer Gesamtlösung zusammen setzen. Je komplexer also ein Problem ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man dieses Problem durch Zerlegen zerstört und man es deshalb auch nicht mehr lösen kann. Es ist ja im Denkraum nicht mehr existent. Emergenz bedeutet in diesem Fall, dass das Ganze nicht gleich der Summe der Einzelteile entspricht. Diesen Fakt erkennt man unter anderem im Mannschaftssport sehr eindrucksvoll. Die besten Einzelspieler auf jeder Position machen noch lange nicht das beste Team aus.

Was machen wir Menschen aber, wenn wir analytisch vorgehen? Wir zerlegen das Problem. Aua. Aber dazu kommen wir später noch einmal zurück.

Je komplexer ein Problem ist, desto weniger Wissen liegt vor dieses zu lösen. Na klar, Wissen hängt von der Beschreibung ab. Und wenn wir ein Problem weniger beschreiben können, dann deshalb, weil wir weniger Wissen darüber vorliegen haben. Wissen wird durch Beschreibung expliziert. Im Komplexen hilft eher Talent weiter. Das bedeutet, je komplexer ein Problem ist, desto weniger klar ist die Lösung VOR dem Handeln. Im Komplizierten ist diese klar. Das notwendige Wissen, um die komplexen Anteile eines Problems zu lösen, kann nicht durch alleiniges Denken ohne Handeln inkl. des Reflektierens und Lernens der Ergebnisse der Handlungen erworben werden. Hat man Wissen zu einer dedizierten Situation erworben, kommt genau diese Situation in der Zukunft nie wieder (Heraklit: “Alles fließt.”). Es reicht schon, dass nur einige Parameter sich ändern und schon ist die Situation eine völlig andere und das erworbene Wissen ist dann nicht mehr passfähig. Hier kommt ein weiteres Attribut von Komplexität zum Tragen, dass nämlich kleine Ursachen große Wirkungen haben können. Dieses Phänomen ist auch als Schmetterlingseffekt bekannt.

Daraus folgt, dass, je komplexer ein Problem ist, desto länger sollte man den Lösungsraum offen und groß halten. Denn es gibt viele verschiedene mögliche Lösungen vor dem Handeln. Hier referenziere ich gerne auf den Ethischen Imperativ von Heinz von Förster

Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!

Je komplizierter ein Problem ist, desto eher sollte man den Lösungsraum verkleinern, denn es gibt genau eine beste Lösung, die man vor dem Handeln auch kennen sollte. Das Wissen darüber liegt ja vor. Und das bedeutet wiederum, dass, je komplexer ein Problem ist, desto andere Fragen muss man sich als Problemlöser stellen und beantworten, wie zum Beispiel: “Was spricht GEGEN diese Lösung”. Diese Frage kennt man aus Konsentverfahren. Je komplizierter ein Problem ist, desto eher sollte man fragen, was FÜR eine Lösung spricht. Diese Frage kommt aus der Konsensfindung. Das Suchen nach Konsens ist also bei Problemen mit je höher werdenden komplexen Anteilen eher kontraproduktiv und nicht passfähig.

Was passiert aber, wenn man sich den Fakt, dass, je komplexer ein Problem ist, vor dem Handeln viele gute Lösungen vorliegen, durchdenkt? Eine analytische Vorgehensweise führt in Beliebigkeit und damit in eine Handlungsstarre. In diesen Momenten werden dann Themen “zerredet”. Warum? Man verstrickt sich in Pro-Contra Diskussionen der Lösungsoptionen. Streng analytisch sprechen viele Punkte für und viele gegen die vielen vorliegenden Lösungsoptionen. Und nun? Um in je komplexer werdenden Situationen ins Handeln zu kommen, muss der Lösungsraum an bestimmten Zeitpunkten vom Lösungssuchenden klein gemacht werden, um diesen nach einigen Handlungsschritten zum Reflektieren über die Ergebnisse aus den Handlungen wieder groß zu machen. Das ist übrigens der ganze Zauber hinter Scrum, denn im Übergang von einem zum nächsten Sprint inkl. der Retrospektiven (bzgl. der Strukturen) und der Reviews (bzgl. der Inhalte) passiert genau das.

Und für genau dieses Kleinmachen des Lösungsraumes ist strenge Analytik eher nicht passfähig, da es keinen rational-logischen Nachweis geben kann. Hier hilft Glaube und Bauchgefühl eher weiter.

Wir erkennen schon jetzt, dass sich Problemlösung im Komplexen und im Komplizierten grundlegend unterscheiden. Nur, so jedenfalls meine Beobachtung und Wahrnehmung, haben wir im Rahmen unserer Sozialisierung Problemlösung ausschließlich im Komplizierten gelernt. Den Mythos, es gibt zu jedem Problem stets den einen besten Weg (Kompliziertheit), erkennt man als Resultat an viele Muster unserer Gesellschaft, beispielsweise daran, wie Unternehmen in der Regel aufgebaut sind (Taylorismus), oder wie unsere Bildungsinstitute aufgebaut sind, nämlich nach Fächern. Dieser Mythos basiert auf unserem Denkrahmen, also der Art und Weise WIE, nicht WAS, wir denken.

Unser Denkrahmen

Zu unserem Denkrahmen habe ich in der Vergangenheit bereits einige Beiträge verfasst, zwei möchte ich hier exemplarisch nennen, nämlich Vernetztes Denken ist (noch?) eine Illusion und Unser Denkrahmen hat sich seit dem Mittelalter nicht weiter entwickelt. Aber auch einige meiner Gefährten auf meiner Reise des Verstehens beschäftigen sich mit unserem Denken, wie beispielsweise Stefan Hagen in seinem Beitrag Mechanistisches vs. ganzheitliches Denken und Handeln. Aus diesem Beitrag habe ich auch die 4 Säulen unseres Zweiwertigen Denkrahmens extrahiert.

  1. Alles, was messbar ist, soll gemessen werden.
    Komplexe Probleme sind genau deshalb komplex, weil sie für uns nicht vollständig beschreibbar sind. Und was wir nicht beschreiben können, können wir auch nicht messen. Machen wir komplexe Probleme messbar, zerstören wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht lösbar. Wir lösen stattdessen Scheinprobleme.
  2. Alles in kleinste Teile zerlegen.
    Komplexe Probleme sind emergent. Das bedeutet das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelteile. Zerlegen wir komplexe Probleme zerstören wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht lösbar. Wir lösen stattdessen Scheinprobleme.
  3. Entweder – Oder.
    Komplexe Probleme sind in sich widersprüchlich und sind damit also “Sowohl-Als-Auch”, nicht “Entweder-Oder”. Trennen wir komplexe Probleme in Entweder-Oder zerstören wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht lösbar. Wir lösen stattdessen Scheinprobleme.
  4. Ursache – Wirkung.
    Ursache und Wirkung von komplexen Problemen sind in Ort und Zeit versetzt. Dazu kommt das aufgrund von Rückkopplungen Ursache zu Wirkung und Wirkung zu Ursache wird. Trennen wir komplexe Probleme in Ursache-Wirkung zerstören wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht lösbar. Wir lösen stattdessen Scheinprobleme.

Hier kommt unter anderem auch die Kausalität ins Spiel. Kausalität ist in meinen Augen Bestandteil der uns zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel, die wir nutzen, um Dinge zu verstehen. Kausalität kommt in der Umwelt, die wir beschreiben wollen, nicht vor. Hier herrscht Korrelation. Wir denken um zu verstehen, also um Korrelation (WAS fand in der Umwelt statt?) in Kausalität (WARUM fand genau das in der Umwelt statt und nichts anderes?) zu transformieren. Mit dem Verstehen verbinden wir, dass wir von den Dingen, die wir verstehen wollen, ein mechanistisches Modell im Kopf bauen. Diese Vorgehensweise resultiert aus unserem oben aufgeführten Denkrahmen. Gelingt es uns nicht, dieses mechanistische Abbild zu bauen, dann können wir Dinge nicht verstehen. Komplexität können wir also in dem oben aufgeführten Denkrahmen nicht verstehen und damit auch nicht in diesem Rahmen managen. Dieses Dilemma ist sehr schön in dem Beitrag Stephen Hawking: eine Abreibung beschrieben.

Ein Ausweg

Herbert Pietschmann beschreibt in faszinierenden 45 Minuten unseren Denkrahmen in diesem Podcast und setzt ihn in Beziehung zum ostasiatischen. Denn das ist für mich das Faszinierende. Man kann auch anders denken. Es gibt nicht nur diese eine Art des Denkens, wie wir es kennen. Hier liegt damit auch ein Ausweg aus der Falle des Denkens, welches uns jedesmal Komplexität und damit Lebendigkeit zerstören lässt, womit wir beim Titel dieses Beitrages wären.

Unter anderem ist das auch ein Grund, warum ich mich seit mehreren Jahren mit der Kybernetik zweiter Ordnung beschäftige. Denn erst dadurch konnte ich mich selbst in die Lage versetzen, mich mehr und mehr zu hinterfragen, mir also Fragen zu stellen, wie beispielsweise “Warum denke ich so wie ich denke?” oder “Warum fühle ich so wie ich fühle?” Näheres dazu finden Sie in diesem Podcastinterview, in dem ich mit Daniela Bessen über Brückenbauer, fehlende Rollenprofile in Unternehmen und das implizite Suchen von Menschen für Unternehmen spreche.

Und dann gibt es seit Ende September des letzten Jahres ja auch noch das Projekt Komplexität und Methoden. In diesem diskutiere und debattiere ich mit einigen meiner Gefährten auf meiner Reise des Verstehens, was Komplexität für uns Menschen bedeutet und welche Hilfsmittel und Werkzeuge uns zur Verfügung stehen, um diese zu handhaben. Denn mehr als Handhaben, wie beispielsweise Steuern oder Kontrollieren, von Komplexität ist nicht möglich. Das konnte ich hoffentlich mit diesem Beitrag untermauern.

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CLDs ohne Differenzierung in Bestand und Fluss sind gefährlich

Peter Addor, ein jahrelanger Begleiter auf meiner Reise des Verstehens, hat auf meinen Beitrag Drei Stolperfallen der qualitativen Modellierung referenziert und meine dort formulierte These, dass qualitative Ursache-Wirkungsmodellierung ohne Differenzierung in Bestand und Fluss in die Irre führen kann und oft auch führt, kritisiert. Er ist anderer Meinung, die er passend zum Osterfest in diesem Beitrag auch formuliert.

Da hat er mich natürlich herausgefordert. 😉 Da ich aber auf dieser Plattform nicht direkt meine Sicht erläutern kann, ohne mich anzumelden, verfasse ich hier in meinem Logbuch eben meine Replik.

Vielleicht ganz kurz noch zur Überschrift. CLD steht für Causal Loop Diagram. In die Deutsche Sprache übersetzt würde ich hier von Ursache-Wirkungsmodell sprechen.

Hier noch einmal meine These

In einem CLD sollte man in Bestand und Fluss denken, da man sonst zu falschen Erkenntnissen kommen kann.

Die obige Graphik erkläre ich kurz in meiner Argumentationskette. Ich habe das Beispiel der Hühnerfarm, welches Peter in seinem Beitrag modelliert, vereinfacht. Beispielsweise habe ich die Verzögerungen entfernt, genauer habe ich nur die inkludiert, die automatisch durch die Bestandsfaktoren in Form von einer Zeiteinheit (hier 1 Tag) hinein modelliert werden. Warum? Um auf den Kern der These zu kommen.

Stellen wir uns Paul vor. Er hat Hühner bei sich zu Hause. Seit geraumer Zeit realisiert er beim morgendlichen Gang in den Hühnerstall, dass zu viele Eier da sind. Alleine hier müsste man schon genauer sein in der Definition seines Problems. Dazu aber gleich mehr.

Nun hat er ja ein CLD erstellt und erkennt: Mehr Hühner ergeben mehr Eier und weniger Hühner ergeben weniger Eier. Aha denkt er, ganz einfach. Dann verkaufe ich jeden Tag ein Huhn und gut ist es. Nach ein paar Tagen stellt er was fest? Die Eier im Stall werden nicht weniger, sie werden mehr und das trotz Verkaufs der Hühner. Wie kann das sein?

Gehen wir dazu mal in die Analyse. Jedes Huhn legt pro Tag 2 Eier. 15 Hühner sind auf der Farm. Das macht also pro Tag 30 Eier. Pro Tag werden 5 Eier von der Familie verzehrt. Es kommen also pro Tag 25 Eier (30 Eier gelegt und 5 Eier verzehrt) hinzu. Das ist die Ausgangssituation.

Nun verkauft Paul ab dem Tag 2 1 Huhn pro Tag. Ab Tag 3 werden dann die Hühner pro Tag immer um 1 weniger. Es sind nur noch 14 Hühner am Tag 3 auf der Farm, und am Tag 4 nur noch 13 usw usf. Diese 14 Hühner legen am Tag 3 zusammen 28 Eier, die abzüglich der 5 verzehrten Eier, also 23, zu den schon bestehenden Eiern hinzukommen. Das bedeutet also, dass nun am Tag 3 23 Eier zu den bereits bestehenden Eiern hinzukommen und damit am Tag 4 98 Eier im Stall sind (75+23). Paul hat weniger Hühner, trotzdem verringern sich die Eier im Stall nicht. Es kommen zwar pro Tag stets weniger hinzu, nämlich jeweils 2, aber die Anzahl an Eiern in Summe wird größer.

Die weiteren Tage sind oben in der Tabelle dargestellt. Und an dieser Tabelle erkennt man die Notwendigkeit der Differenzierung bei der Problemlösung. Wollte Paul nun den Gesamtbestand an Eier verringern, hat die Maßnahme, Hühner zu verkaufen nicht geholfen. Wollte Paul das Hinzukommen an neuen Eiern pro Tag reduzieren, hat die Maßnahme, Hühner zu verkaufen, geholfen.

Warum poche ich so auf diese Differenzierung in Bestand und Fluss herum? Weil ich beobachte, dass viele Menschen beim Problemlösen genau an dieser Stelle zu undifferenziert sind und die CLD Modellierung hier helfen kann. Das eine zu undifferenzierte Herangehensweise gefährlich sein kann, habe ich an dem kleinen obigen Beispiel dargestellt. Das Missinterpretieren des Eierproblems ist vielleicht nicht so schlimm, da die Auswirkungen nicht so groß sind. Man adaptiere dieses Problem gerne auf den Umweltschutz, wo diesmal nicht der Eierbestand verringert werden soll, sondern der Bestand an Schadstoffen in der Umwelt. Dann wird ein falsches Interpretieren schon brenzliger.

Und noch einmal sehr deutlich meine Sicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass CLDs ohne Betrachtung der Faktoren in Bestand und Fluss nicht zum Erkenntnisgewinn herangezogen werden dürfen. Man probiere doch gerne einmal Paul zu erklären, warum aus dem CLD heraus extrahiert werden kann, dass weniger Hühner zu weniger Eiern führt, er aber tagtäglich im Hühnerstall etwas Anderes wahrnimmt? Wenn Jemand das ohne die Verwendung, explizit oder implizit, von Bestand und Fluss erklären kann, bin ich bei ihm. Dann bin ich überzeugt, dass ein CLD auch ohne die Unterscheidung in Bestand und Fluss erkenntnisgenerierend sein kann.

Aber nun kommt es. Meine Hypothese ist nämlich, dass Peter und ich gar nicht so weit von einander entfernt sind. Peter ist nämlich ein sehr erfahrener System Dynamics Modellierer und in diesem Kontext ist ihm das Denken in Bestand und Fluss in Fleisch und Blut übergegangen, so jedenfalls meine subjektive Sicht. Damit erkenne ich in seiner Argumentation, dass er intuitiv Dinge in ein CLD hinein denkt, die andere Menschen, denen das Denken in Bestand und Fluss eher fremd ist, nicht tun. Beispielsweise schreibt Peter in seinem Beitrag am Ende selbst, dass sein CLD aus den beiden Bestandsfaktoren „Hühner“ und „Eier“ besteht.

Das CLD enthält keine Flüsse und keine weiteren Variablen, als bloß die beiden Bestände “Hühner” und “Eier”.

Wenn er doch aber gar keine Unterscheidung der Faktoren vornimmt, darf das doch gar nicht sein. Die Faktoren in einem CLD müssten dann in seinem Sinne undefiniert sein, weder Bestand noch Fluss. Und wenn man von Beständen spricht, spricht man implizit und automatisch auch von Flüssen, auch wenn diese nicht Teil des CLDs sind. Es geht gar nicht anders. Thematisiert man Bestände, thematisiert man gleichzeitig Flüsse. Bestände ohne Flüsse lassen sich nicht denken. Und schon hat man die Differenzierung in Bestand und Fluss, die eigentlich nicht vollzogen wird.

Und auch wenn die beiden Faktoren “Hühner” und “Eier” in dem CLD Bestände wären, wie erklärt man dann, dass die Erkenntnis „Weniger Hühner führt zu weniger Eiern“ oder “Je weniger Hühner desto weniger Eier” mit der tagtäglichen Beobachtung, die in der Tabelle ab Tag 3 dokumentiert ist, nicht stimmt? Stattdessen sollte man genauer formulieren.

Eine Vermehrung (oder Verminderung) von Hühnern führt zu einer Eieranzahl, die größer (oder kleiner) ist, als die Anzahl an Eier, wenn die Anzahl an Hühner nicht geändert worden wäre.

Diese Aussage kann man aber nur tätigen oder interpretieren, wenn man eine Differenzierung in Bestand und Fluss vornimmt. Wie ich es drehe oder wende. Ich komme immer wieder auf die Notwendigkeit, CLDs in Bestände und Flüsse zu differenzieren, zurück.

Peter und ich werden wahrscheinlich weiter diskutieren. 🙂

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Kommunikation ist Er-, Be-, Ver- und Entsetzung

In meinem ersten Beitrag zum Thema Kommunikation habe ich das Gelingen von Kommunikation in einem Team in puncto Verbindungen und Wahrscheinlichkeit der Verständigung untersucht. Auf dieser Basis habe ich die Vermutung angestellt, dass eine Anzahl von 5 Menschen im Team optimal für Kommunikation sei.

Diese Vermutung möchte ich nun erhärten, in dem ich die Wahrscheinlichkeit, dass im Rahmen der Kommunikation Neues entsteht, ins Spiel bringe. In diesem Kontext gehe ich die Hypothese ein, dass je mehr Kommunikationswege in einem Team möglich sind, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass nachhaltig Neues entstehen kann. Und genau diesen Fakt der Kommunikationswege möchte ich nun modellieren. Dabei möchte ich nicht verschweigen, dass mich Claus Baldus mit seiner im Beitrag Morgen und Morgen vorgestellten Modellierung mittels qualitativer Zahlen inspiriert hat.

Ersetzung

Anhand der obigen Abbildung erkläre ich die Art und Weise dieser Modellierung. Das Neue im Rahmen einer Kommunikation ist hier über Zahlen dargestellt. Der Einfachheit halber nehme ich für die Modellierung an, dass jeder Mensch mit seiner ihm eigenen Meinung und seinen Ideen an der Kommunikation teilnimmt. Jede zusätzliche Teilnahme eines Menschen ist also gleichbedeutend mit dem Inkludieren von etwas Neuem in der Kommunikation. Mensch „1“ hat seine neue Idee „1“, Mensch „2“ hat seine neue Idee „2“ usw. usf. Das Hinzukommen von Neuem im Rahmen der Kommunikation ist in der obigen und in den noch folgenden Abbildungen mit einem dicken vertikalen Strich dargestellt, also hier beispielsweise beim Übergang von (1,1,2,3) zu (1,2,3,4).

Jeweils ganz links in vertikaler Richtung sind die rein quantitativen Zahlen dargestellt, (1,1)=2, (1,1,1)=3, (1,1,1,1)=4 etc. Diese Zahlen enthalten keine Differenzen, also keine Qualitäten und damit immer genau einen Menschen, der aber noch nicht mit anderen Menschen kommunizieren kann, auch noch nicht mit sich selbst. Diesen Fakt modellieren wir später hinzu. Die Qualitäten und damit auch die Menschen werden schrittweise in horizontaler Richtung nach rechts hinein modelliert. Beispielsweise ist (1,2) genauso wie (1,1) quantitativ gesehen gleich 2, stellt aber nun, da es eine neue Qualität hinzugewonnen hat, eine Kommunikation mit 2 Menschen dar. (1,1,2,3) ist quantitativ gesehen gleich 4, jedoch noch mit einer fehlenden Qualität zur maximal möglichen, also einem fehlenden Menschen in puncto Kommunikation. Diese Konstellation stellt also eine Kommunikation mit 3 Menschen dar, da die (4) noch fehlt.

Es sind 4 Optionen modelliert. Ganz oben sind 2 Menschen in einem Team, dann 3 Menschen bis hin zu 5 Menschen im Team. Neues oder Differenzen im Rahmen der Kommunikation kommen jeweils durch das Hinzuziehen von neuen Menschen ins Spiel. Ganz oben, wo 2 Menschen im Team sind, wird die untere „1“ in genau einem Schritt durch eine „2“ ersetzt. Neues wird durch Kommunikation ohne Bremse und ohne Unterschiede der beteiligten Menschen durch die Kommunikation getragen. Es wird immer nur ein Schritt benötigt, um etwas Neues ins Spiel zu bringen. Wiederholungen sind nicht notwendig, um Neues zu etablieren. Deshalb reden wir hier auch von Ersetzungskommunikation.

Die Funktion, um die möglichen Kommunikationswege zu errechnen ist relativ einfach. Bei x Menschen im Team gibt es x verschiedene Kommunikationswege um Neues zu erzeugen, nämlich einfach durch Hinzunahme des jeweiligen neuen Menschen in die Kommunikation.

Aus Erfahrung wissen wir aber, dass sich Neues nicht immer so einfach durch einmalige Nennung im System etablieren kann. Neues kann das Alte nicht immer so einfach ersetzen. Deshalb gibt es weitere Arten der Kommunikation, eine davon ist die Besetzung, zu der wir nun kommen.

Besetzung

Neues wird ebenfalls durch die Kommunikation getragen, diesmal aber mit Bremse, also mit einer Hinderung, und abhängig der verschiedenen Gruppen von Teilnehmern. Wir erkennen beispielsweise, dass bei einem Team mit 4 Menschen, das Neue „2“ 2 Schritte benötigt, das System zu besetzen, bevor das Neue „3“ durch Mensch „3“ inkludiert wird, und nicht nur 1 Schritt wie bei der Ersetzung [(1,1,1,2) → (1,1,2,2) → (1,1,2,3)].

Das Neue in der Kommunikation bleibt also nun, wie noch bei der Ersetzung der Fall, kein einmaliges Ereignis. Es bleiben also keine sporadischen Interventionen. Es erfolgen Wiederholungen des Neuen in der Kommunikation. Es wird bekräftigt und damit Anspruch auf das Neue erhoben. Das Neue beginnt Raum zu erobern und damit das Alte zu besetzen. Das Neue wird mutiger kommuniziert, allerdings immer noch in Grenzen.
Denn das Neue wird nur ein einziges Mal in einer dedizierten Konstellation erwähnt und Anspruch darauf erhoben. Wiederholung findet ausschließlich in voneinander verschiedenen Kontexten statt, nicht in gleichen. Das erkennt man daran, dass sich hinsichtlich der Lage des Neuen zum Alten keine neuen Konstellationen (Vertikale Stäbe in horizontaler Richtung gezählt) entstehen. Beispiel: (1,1,1,2)=(1,2,2,2).

Die Ideenvielfalt wird im Rahmen der Kommunikation trotzdem größer, jedenfalls in Bezug zur Kommunikation, die nach Ersetzung verläuft. Denn es entstehen mehr Kommunikationswege. Das erkennt man beispielsweise daran, dass bei einem Team aus 5 Menschen bereits 7 Schritte notwendig sind, um das Neue „5“ ins Spiel zu bringen, nicht mehr nur 5 Schritte wie bei der Ersetzung.

Kommen wir nun zur Berechnungsvorschrift der möglichen Kommunikationswege. Hier kommen wir zur Partitionsfunktion, genauer zur ungeordneten Partition. Die Partitionsfunktion gibt die Anzahl der Möglichkeiten an, positive, ganze Zahlen in positive, ganze Summanden zu zerlegen. Am oben angegebenen Beispiel kommen wir leicht auf diese Erkenntnis: (1,1,1,2)=(1,2,2,2), denn für die Zerlegung der positiven ganzen Zahl 4 in „3+1“ ist die Zerlegung „1+3“ keine neue Möglichkeit der Zerlegung.

Wir kommen mit der Partitionsfunktion aber auch zu einem lange ungelösten Problem der Mathematik, nämlich eine explizite Berechnungsvorschrift für diese Funktion zu ermitteln. Ich habe gelesen, dass dieses Problem mittlerweile gelöst sein soll. Sei`s d`rum. Das soll uns hier und heute nicht weiter interessieren. Ich habe hier eine Wertetabelle bis 49, als bis 49 Menschen (=Neues) in einem Team, gefunden, die ich später in diesem Beitrag für die graphische Darstellung der Anzahl der möglichen Kommunikationswege für die Besetzung genutzt habe.

Versetzung

Kommen wir nun zur dritten möglichen Option der Kommunikation im Kontext des Entstehen Lassens von Neuen, der Versetzung. Bereits schnell und auf dem ersten Blick erkennt man, dass nun die Kommunikationswege zunehmen. Waren bei der Besetzung bei einem Team von 4 Menschen noch 5 Schritte notwendig, um das letzte Neue „5“ zu etablieren, sind es nun 15 Schritte.

Warum dieses notwendige Mehr an Schritten? Es ist als wollte das Neue zunächst alle vorherigen Positionen, die das Alte vorher inne hatte probieren, bevor das Alte versetzt wird und bevor dann wiederum etwas Neues in der Kommunikation zugelassen wird. Das Neue möchte sich gegenüber dem Alten nicht nur behaupten, wie noch bei der Besetzung der Fall, sondern sich mit dem Neuen auch vertraut machen.

Das erkennt man daran, dass nun (1,1,1,2) nicht gleich (1,1,2,1) oder (1,2,1,1) oder (2,1,1,1) ist. Allerdings werden hier strukturgleiche Konstellationen immer noch als gleich angesehen: (1,1,2,2)=(2,2,1,1), weshalb (2,2,1,1) keine gültige Konstellation ist und deshalb nicht hinein modelliert wird.
Im Vergleich zur Besetzung wird das Neue also noch häufiger und in verschiedenen Kontexten im Rahmen der Kommunikation wiederholt, bevor es sich mit dem Alten vertraut macht und damit etwas noch Neueres zugelassen wird. Die Bremse und damit das Hindernis Neues zu etablieren wird also erhöht.

Damit wird von der Ersetzung über die Besetzung und die Versetzung der uns wohl allen bekannte Fakt modelliert, dass wir nicht alles Bestehende gleich über den Haufen werfen, wenn neue Wünsche, Bedürfnisse und Ideen in uns hochkommen. Man sagt ja auch immer so schön, dass der Mensch ein Gewohnheitstier sei und Wandel nicht unbedingt unsere Lieblingsbeschäftigung ist.

Ich habe bislang noch keine explizite Berechnungsvorschrift für die Versetzung finden können. Hier bin ich noch dran. Vielleicht fällt Ihnen eine ein. Das wäre fein. 🙂 

Entsetzung

Bei der vierten und damit letzten Möglichkeit, im Rahmen von Kommunikation Neues entstehen zu lassen, kommen wir zur Entsetzung. Nun werden erstmalig das Neue mit sich selbst verglichen und reflexiv behandelt. Das erkennt man daran, dass es nun erstmalig Kombinationen wie (2,2) oder (3,3,3) geben darf. Damit sind alle möglichen Kombinationen das Neue dem Alten gegenüberzustellen erlaubt. Der kombinatorische Spielraum wird quasi entsetzt.

Nun liegen quasi alle möglichen „Welten“ vor uns. Alles ist denkbar, Man muss nur wählen. In der Praxis kommen alle 4 möglichen Optionen natürlich in gemischter Form vor, also nicht so rein. Ich habe diese nur Übersichtlichkeit halber hier so rein und streng getrennt modelliert.

Explizit kann man hier die möglichen Wege der Kommunikation durch die Variation mit Wiederholung errechnen. Damit werden natürlich die Möglichkeiten wahnsinnig schnell sehr groß. Hat man bei 3 Teilnehmern 27 Wege vorliegen, sind es bei 4 schon 256 und bei 5 bereits 3125.

Erfolg von Kommunikation

Folgende Erkenntnis haben wir in diesem Beitrag errechnet.

Wie am Anfang bereits angedeutet möchte ich nun den in diesem Beitrag errechneten Möglichkeitsraum für Neues im Rahmen von Kommunikation mit den im ersten Beitrag errechneten Wahrscheinlichkeiten für Verständigung in Verbindung bringen. Die untere Abbildung stellt die Werte in Abhängigkeit der beteiligten Menschen im Team dar.

Ich habe die durchschnittliche Anzahl an Wegen im Rahmen der Kommunikation aus den 3 Optionen Ersetzung, Besetzung und Entsetzung berechnet. Da mir bei der Versetzung noch die explizite Berechnungsvorschrift fehlt, habe ich diese aus dem Berechnen des Durchschnitts entfernt.

Dann habe ich diesen Wert mit der Wahrscheinlichkeit für Verständigung im Rahmen der Kommunikation multipliziert und erhalte die Erfolgswahrscheinlichkeit von Kommunikation in Abhängigkeit der Anzahl der Menschen in einem Team. Man erkennt bei einer Anzahl von 5 Menschen im Team, dass die Aussicht auf Erfolg im Rahmen der Kommunikation, sich zu verständigen und dabei Neues und damit Wert zu generieren, am höchsten ist, nämlich ca. 10%. Erfolg habe ich hier wie gesagt auf Basis der Wahrscheinlichkeit der Verständigung und der Aussicht, dass über Kommunikation etwas Neues etabliert wird, berechnet.

Die Exceldatei, in der ich die Berechnungen durchgeführt habe, finden Sie hier. Diese Datei ist eine Erweiterung der Exceldatei aus dem ersten Beitrag.

Einen Nachtrag möchte ich noch anbringen. Dem Thema Kommunikation wollte ich mich mit diesen Beiträgen mathematisch nähern, um Kommunikation greifbarer zu machen. Mein Anliegen ist es definitiv nicht, den Menschen zu trivialisieren. Um den Menschen komplett beschreiben zu können ist die mathematische Sprache nicht mächtig genug. Das können Sie gerne in einigen meiner Beiträge aus meinem Logbuch nachlesen. Beispielhaft reiche ich Ihnen zwei an (hier und hier).

Trotz, dass es der mathematischen Sprache an Mächtigkeit fehlt, kann man sich über diese dem Thema Kommunikation nähern, um sie ein wenig greifbarer zu machen. In diesem Falle habe ich, inspiriert von Claus Baldus mit seinem am Anfang genannten Beitrag, mit qualitativen Zahlen gearbeitet, um Kommunikationswege zu modellieren.

Deshalb will ich gar nicht den Anspruch erheben, dass die Herleitung der optimalen Teamgröße sauber und exakt im naturwissenschaftlichen Sinne mit diesem Beitrag bewiesen ist. Der Mensch entzieht sich der Mathematik und Kommunikation ist etwas Urmenschliches.

Und noch einmal Dankeschön Björn. Ohne unseren Dialog kurz vor Weihnachten wäre ich wohl nicht auf diese Gedankengänge gekommen.

Ausblick auf weitere Untersuchungen

Lässt sich die hier gewonnene Erkenntnis skalieren auf Bereichs- oder sogar Unternehmensebene? Oder vielleicht noch weiter? Ich denke ja, denn ich habe mich hier der Frage genähert, wie eine Gruppe von Individuen auf der einen Seite so viel Individualismus zulassen muss, um Neues und damit Wert zu generieren, auf der anderen Seite aber auch diesen Individualismus beschränken muss, um als Gemeinsames nicht zu zerfasern und dann auseinanderzufallen.

In diesem Rahmen sind Björn und ich auf die Zahl 5, also 5 “Individuen” gestoßen. Als “Individuum” sind nun nicht immer nur Menschen gemeint, sondern es können auch Teams, Bereiche oder Unternehmen sein. Warum? Auch auf dieser Ebene spricht man immer wieder von Identität.

Lebensfähige Systeme sind fraktal aufgebaut. Damit meine ich nicht den Aufbau eines Unternehmens in Teams → Bereiche → Unternehmen. Das ist ein funktionaler und damit linearer Aufbau. Ich schiele hier in Richtung Viable System Model (VSM), wo es auf verschiedenen Wertstromebenen stets VSM Systeme 1 gibt, die einen Wert am “Markt” generieren und auf dieser gleichen Wertstromebene dann noch VSM Systeme 2 bis 5, die die jeweiligen VSM Systeme 1 unterstützen. Jedes dieser VSM Systeme 1 enthält dann auf einer weiteren Wertstromebene nach innen gerichtet wiederum alle VSM Systeme 1 bis 5. Details zu diesen fraktalen Verschachtelungen eines Unternehmens in Wertstromebenen können Sie hier erfahren.

Ich bin der festen Überzeugung, dass auf jeder Wertstromebene optimaler Weise 5 VSM Systeme 1 existieren sollten. Als Beispiel. Auf Wertstromebene 1, hier betrachten wir das Unternehmen in Richtung des externen Marktes, bietet das Unternehmen beispielsweise 5 verschiedene Produktgruppen an oder 5 verschiedene Servicedienstleistungen.

Diesen Aspekt der Skalierung werde ich weiter durchdenken und dann in einem kommenden Beitrag ausführen, vielleicht auf der Lean Knowledge Base, wo ich derzeit eine Beitragsserie zu Business Systemics verfasse.

Ich bin gespannt auf Ihr Feedback.

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Danke Björn – Oder warum Kommunikation im Team Glückssache ist!

Immer wieder gibt es Diskussionen darüber, wie viel Menschen in einem Team formiert sein sollten, um ein bestmögliches Ergebnis bringen zu können. Ideen dazu gibt es auch zu Hauf, wie beispielsweise von Jeff Bezos, der von two-pizza-teams redet und damit der Meinung ist, dass ein Team nur so groß sein darf, dass man es mit 2 Pizzen satt bekommt.

Ich habe hier mal ein bisschen tiefer gedacht. Warum? Björn Czybik hat mich in dieser Fragestellung heraus gefordert.

Okay, los geht es.

Woraus besteht ein Team? Aus Menschen und deren Kommunikation untereinander. Meine Erfahrung lehrt mich, dass die Fähigkeit zur Verständigung in einem Team der entscheidende Faktor ist, wie erfolgreich dieses Team agiert. Also stürzen wir uns auf Kommunikation.

Die folgende Abbildung stellt Teamkonstellationen mit einer verschiedenen Anzahl an Mitgliedern dar.

Besteht ein Team aus 2 Menschen existiert eine Verbindung, über die kommuniziert werden kann. Bei 3 Menschen gibt es 3 Verbindungen, bei 4 Menschen 6 Verbindungen usw. usf. Es gibt hier eine Formel, um aus der Anzahl der Menschen in einem Team die Anzahl der möglichen Verbindungen zu errechnen: Anzahl Verbindungen = (Anzahl Menschen * (Anzahl Menschen – 1))/2.

Eine Verbindung zwischen 2 Menschen im Kontext Kommunikation kann 2 Zustände besitzen. Entweder die beiden Menschen verstehen sich oder sie verstehen sich nicht. Unabhängig der Fragestellung, ob der Zustand zwischen den beiden Menschen jemals ermittelt werden kann, ich glaube nämlich nicht daran, kann man mit diesem Fakt weiter rechnen. Man kann nämlich die Frage beantworten, wieviel verschiedene Zustände es in einem gesamten Kommunikationsnetzwerk gibt. Auch hier gibt es wieder eine Formel, nämlich: Anzahl Zustände = 2 Anzahl der Verbindungen.

Damit ist klar, dass, wenn 2 Menschen in einem Team vorhanden sind, es 1 Verbindung gibt und damit auch 2 verschiedene Zustände, Bei 3 Menschen sind es schon 8 und bei 4 Menschen bereits 64 mögliche Zustände. Die folgende Abbildung stellt die 3 Faktoren dar.

Die Anzahl der Verbindungen als auch die Anzahl der Zustände wachsen in Abhängigkeit der Menschen im Team exponentiell. Bei 6 Menschen hat man bereits 32.768 und bei 7 Menschen knappe 2,1 Mio. mögliche Zustände (!!!).

Nun kommen wir zum nächsten Rechenschritt. Wir schauen uns an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Verständigung im Team in Abhängigkeit der Anzahl der Menschen im Team ist. Die folgende Abbildung stellt diese Beziehung dar.

Auch hier existiert wieder eine relativ einfache Formel. Wenn wir davon ausgehen, dass die Menschen im Team sich verstehen, dann müssen alle Verbindungen zwischen den Menschen im Rahmen der Kommunikation genau einen gleichen Zustand besitzen. Also müssen wir uns die folgende Formal anschauen: Wahrscheinlichkeit der Verständigung = (Anzahl Verbindungen / Anzahl Zustände) * 100.

Unglaublicher Weise, jedenfalls für mich, besteht bereits ab 6 Menschen in einem Team eine Wahrscheinlichkeit von nur 0,05%, dass die Menschen sich via Kommunikation verstehen. Ist das der Grund, warum Maria Pruckner in ihrem Buch Komplexität im Management – InFormation ausführt, dass misslungene Kommunikation normal sei und gelungene ein Grund zum Feiern? Ich glaube ja.

Hier finden Sie meine Exceldatei, in welcher ich die Rechnungen und die Graphiken erstellt habe.

In der obigen Tabelle habe ich bei einer Anzahl von 5 Menschen in einem Team die Zeile grün markiert, Hier besteht eine Wahrscheinlichkeit von ca. 1%, dass die Menschen sich verständigen können. Ich glaube 5 Menschen in einem Team ist die optimale Anzahl für Wertgenerierung im Team.

Da stimme ich Björn also zu, der dies ebenfalls annimmt. Allerdings fehlt hier noch etwas in meinem Gedankengang. Denn warum gerade 5 und nicht 4? Ich suche hier noch nach einem Ansatz, in dem ich die Möglichkeit des Entstehen Lassens von neuem in einem Team ins Verhältnis setze zur Wahrscheinlichkeit der Verständigung im Team. Je mehr Menschen in einem Team sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für Neues, damit förderlich für Weiterentwicklung und damit dann wieder förderlich für Wertgenerierung. Je weniger Menschen in einem Team sind, desto größer ist die Chance auf Verständigung. Das habe ich in diesem Beitrag gezeigt.

Ich werde weiter mit Björn in einen Diskurs gehen. Er bezieht sich in seinem Gedankengang auf die Fibonacci-Zahlenreihe und dem Goldenen Schnitt. Schauen wir mal. Björn, was meinst Du? Was meinen meine anderen Reisegefährten dazu? Sollten es etwa statt weiße Weihnachten, denkerische Weihnachten werden?

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Komplexität und Sprache: Der Versuch einer Definition

Ich möchte heute in diesem Beitrag den Versuch einer Begriffsdefinition von “Komplexität” vornehmen und dabei gleichzeitig erörtern, warum das Fühlen und Erfahren von Komplexität ganz eng mit unseren sprachlichen Mitteln zu tun hat und damit etwas rein Subjektives ist. Dabei möchte ich nicht thematisieren, wie Komplexität entsteht, sondern unter welchen Umständen wir Menschen wie Komplexität fühlen.

Die Realität an sich ist für uns nicht wahrnehmbar. Wir benutzen zur Wahrnehmung der Umwelt stets Modelle. Ohne Modelle kann kein Leben existieren. Die sensorischen Rezeptoren des Menschen – egal ob sie Druck, Geschmack, Licht, Wärme, Klänge, Geräusche etc. absorbieren – nehmen ausschließlich die Intensität, nicht aber die Natur der Erregungsursache auf. Das bedeutet, die Nervenzellen des Menschen – übrigens aller anderen Lebewesen auch – kodieren die Quantität der Erregung (stark, mittel, schwach, …), aber nicht die Qualität. Eingängiger als Heinz von Foerster es in seinem Buch Wissen und Gewissen formuliert hat, geht es meines Erachtens nicht. Deshalb möchte ich Ihn zitieren.

…da draußen gibt es nämlich in der Tat weder Licht noch Farben, sondern lediglich elektromagnetische Wellen; da draußen gibt es weder Klänge noch Musik, sondern lediglich periodische Druckwellen der Luft; da draußen gibt es keine Wärme und keine Kälte, sondern nur bewegte Moleküle mit größerer oder geringerer durchschnittlicher kinetischer Energie usw.

Jeder Mensch entdeckt die Welt aus seiner subjektiven Sicht. Statt “Entdecken” möchte ich eigentlich genauer “Konstruieren” sagen. Dinge wie der Tisch oder der Stuhl sind in der Umwelt vorhanden. Das kann man natürlich nicht absprechen, was die Konstruktivisten auch nicht tun. Wir geben diesen Dingen aber erst eine Bedeutung, die aus unserer Erziehung, Bildung, Kultur etc. resultiert und verknüpfen diese Bedeutung mit Symbolen, nämlich der Sprache, um uns mit anderen Subjekten, die ebenfalls in der Umwelt existieren, auszutauschen. Durch das Zuschreiben der Bedeutung, konstruieren wir unsere Umwelt. Wir schreiben den Dingen (Objekten) und auch den anderen Menschen (Subjekten) unserer Umwelt eine Bedeutung zu. Das ist wichtig, um die Umwelt überhaupt wahrzunehmen. Das bedeutet, das Wahrnehmen hängt essentiell von der von uns verwendeten Sprache ab. Deshalb kann man auch nicht die Frage beantworten, ob wir unsere Umwelt eigentlich real und vollständig wahrnehmen können. Wir beschreiben nämlich immer nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist für uns unfassbar, da diese nicht beschreibbar und somit nicht wahrnehmbar ist. Das bedeutet, die Sprache bestimmt zu einem großen Bestandteil unseren Wahrnehmungs- und damit auch Denkprozess. Objektivität gibt es nicht. Details können Sie gerne in meinem Aufsatz Ist Objektivität eine Illusion? nachlesen.

Es ist ja noch vertrackter, denn es ist ja nicht nur so, dass wir die Signale , die wir aus der Umwelt empfangen, auf Basis unserer internen Modelle transformieren. Nein, wir können physiologisch gesehen gar nicht alle Signale der Umwelt aufnehmen. Das für Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich der elektromagnetischen Strahlung von 380−780 nm Wellenlänge. Menschen hören Schwingungen zwischen 20 und 20000 Hz. Das menschliche Auge nimmt pro Sekunde 10 Mio. Bits Daten auf, davon werden nur 40 Bits vom Gehirn für den Menschen unbewusst verarbeitet. Das menschliche Ohr nimmt pro Sekunde 100 Tsd. Bits Daten auf, davon werden nur 30 Bits vom Gehirn für den Menschen unbewusst verarbeitet.

Bestimmt Sprache also auch die Art und Weise, wie und ob wir Probleme und Themen als komplex einstufen? Klar. Geht ja gar nicht anders, wenn wir den ersten Sätzen dieses Beitrages Glauben schenken. Dementsprechend interessant wäre es dann ja, Komplexität über die Verfügbarkeit von sprachlichen Mitteln zu definieren. Dazu kommen wir gleich.

Wir können also nicht die komplette Umwelt, die um uns umgibt, erkennen. Und den Bereich, den wir erkennen, transformieren wir auch noch über unsere internen Modelle. Und genau diese internen Modelle sind essentiell im Umgang mit Komplexität, denn diese internen Modelle sind verantwortlich für Möglichkeiten der Beschreibung unserer Umwelt. Also sollten wir auch vorsichtig sein mit dem Satz: “Dieses Thema ist komplex.” Wir sollten eher formulieren “Ich empfinde dieses Thema als komplex.” In diesem Falle ist es dann wohl so, dass mir nicht die notwendigen sprachlichen Mittel zur Verfügung stehen, um beispielsweise ein Thema zu beschreiben. Oder diese gibt es schlicht weg noch gar nicht. Denn wenn ich etwas beschreiben kann, kann ich es auch lösen.

Kommen wir also zu den sprachlichen Mittel. Damit meine ich nicht nur unsere natürlich Sprache, sondern beispielsweise auch die mathematische Sprache. Und in diesem Kontext möchte ich den Begriff Komplexität definieren. Beziehen möchte ich mich hier wieder auf Heinz von Förster. Er definiert in diesem Kontext drei Kennzahlen.

  1. L(A): Länge der Anzahl der Elemente innerhalb einer Anordnung A, die mit einer Berechnungsvorschrift beschrieben werden sollen. Beispiel: Alle geraden Zahlen 0, 2, 4, 6, …
  2. L(B): Länge der Beschreibung B von A, die benötigt wird um die Anordnung der Elemente A vollständig explizit zu beschreiben. Beispiel für alle geraden Zahlen: Dn+1 = 2∗Dn für n = 0, 1, 2, … mit D0 = 0
  3. N: Anzahl der Zyklen, die benötigt werden um die Anordnung der Elemente A aus ihrer Beschreibung B zu berechnen.

Mit Hilfe dieser Kennzahlen definiert von Förster drei Begriffe. Als erstes die Ordnung. Gilt L(A) > L(B), also die Beschreibung der Anordnung der Elemente A ist viel kleiner als die Anordnung der Elemente A selber, dann sprechen wir von Ordnung. Im oben aufgeführten Beispiel mit den geraden Zahlen ist das der Fall. Von Förster sprocht deshalb von Ordnung, weil wir ein gewisses Wohlsein verspüren, da wir recht einfach wahrgeneommene Erfahrungen der Umwelt beschreiben und deshalb auch beherrschen können. Als zweites definiert von Förster das Gegenstück von Ordnung, nämlich Unordnung. Von Unordnung sprechen wir, wenn die Länge der Beschreibung L(B) sich der Länge der Anordnung der Elemente L(A) annähert, also L(A) ≈ L(B). Ist man beispielsweise mit der Mathematik nicht so vertraut, würde das obige Beispiel der geraden Zahlen “unordentlich” erscheinen. Denn man würde die folgende Beschreibung B definieren: “Schreibe erst die 0, dann die 2, dann die 4 usw. usf.”. L(B) wäre sehr groß und würde sich L(A) von der Mächtigkeit her angleichen. Als letztes kommen wir zum Begriff der Komplexität.

N gibt ja die Anzahl der Zyklen, die benötigt werden, um die Anordnung der Elemente A mithilfe der Beschreibung B zu berechnen, wieder, ist also ein Maß für die Kompliziertheit und Komplexität. Bei meiner Interpretation weiche ich ein wenig von der von Försters ab. Ist N endlich spreche ich von Kompliziertheit, die mit steigendem N größer wird. Ist N unendlich spreche ich von Komplexität. Von Förster beispielsweise definiert den Begriff Kompliziertheit nicht. Wie wir am obigen Beispiel der geraden Zahlen gesehen haben, ist Ordnung und Unordnung, und damit auch die Einstufung in komplex und kompliziert, abhängig von der Sprache, die uns zur Verfügung steht. Komplexität ist nichts Gott Gegebenes. Menschen drücken ihre Wahrnehmungen durch Sprache aus. Sprache ist ein von Menschen kreiertes Konstrukt. Komplexität wird durch den Menschen in der Beschreibung einer Situation erst erzeugt und ist immer im Kontext zu den Problemen und Situationen und zu den benutzten Sprachmitteln zu sehen.

Das sollte man sich noch einmal langsam und genüsslich auf der Zunge zergehen lassen. Komplexität wird von Menschen erfunden. Falls Sie diesen Fakt noch nicht so ganz glauben möchten, gebe ich Ihnen einige weitere Beispiele dazu.

  1. Für Schüler der dritten Klasse ist die Aufgabe “4 geteilt durch 3” in der Regel nicht lösbar. Erst mit der Einführung der rationalen Zahlen, also dem Erweitern des Raumes der sprachlichen Mittel, verlässt diese Aufgabe die Ebene der Komplexität.
  2. Ähnlich verhält es sich mit der Einführung der komplexen Zahlen. Ab diesem Zeitpunkt lassen sich aus negativen Zahlen die Quadratwurzel ziehen.

Kompliziertheit und Komplexität bilden auf einem gedachten Strahl ein Kontinuum ab. Verweisen möchte ich in diesem Kontext auf Gerhard Wohland, der Kompliziertheit und Komplexität ebenfalls in Beziehung setzt. Jedes Thema oder Problem hat stets beide Anteile, komplexe und komplizierte. Es gilt also die zu lösenden Aufgaben und Probleme in komplizierte und in komplexe Anteile zu zerlegen. Für die komplizierten Anteile gibt es, da man diese Anteile sprachlich beschreiben kann, Rezepte für eine Lösung. Die Lösung lässt sich programmieren und an Maschinen vermitteln. Für die komplexen Anteile gibt es eben keine Rezepte, da man keine Beschreibung findet. Die Lösung lässt sich nicht programmieren und damit auch nicht auf Maschinen verteilen. Hier ist der Mensch gefragt. Deshalb tituliert Wohland die komplexen Anteile auch als “lebendig” und die komplizierten als “tot”. Dieses Interview mit Wohland zu diesem Thema kann ich Ihnen wärmstens empfehlen.

Des Weiteren möchte ich auf die von mir immer wieder wahrgenommenen Kategorienfehler hinweisen, die im Kontext von komplex und kompliziert geschehen. Für diese Reflektion möchte ich auf das bekannte Cynefin-Modell verweisen und dieses aus meiner Sicht notwendigerweise erweitern, da es zu Kategorienfehler zwischen Kompliziertheit und Komplexität verleitet. Nach diesem Modell werden die Kategorien “einfach”, “kompliziert” und “komplex” auf eine Ebene platziert. Das ist aus meiner Sicht nicht passfähig. Die Einstufung “einfach” und damit auch “schwierig”, die es im ursprünglichen Modell nicht gibt, existiert eine Ebene höher in beiden Kategorien, “kompliziert” und “komplex”. “Einfach” ist also nicht gleich “einfach”.

“Einfach” in der Kategorie “kompliziert” bedeutet, dass die Kennzahl N, siehe oben, relativ klein ist. Je größer N wird, desto “schwieriger” wird das komplizierte Problem. Für “komplexe” Fragestellungen ist die Kennzahl N, wie oben ausgeführt, unendlich. Es liegt keine Beschreibung im Raum der zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel vor. Es kann damit auch kein Wissen existieren, welches in Form eines Rezeptes zu einem Lösungsweg geformt werden kann. Denn Wissen zu einem Thema kann nur existieren, wenn wir etwas Beschreibbares zu diesem Thema vorliegen haben. Hier sind Erfahrung und Talent essentiell. Je größer oder kleiner Erfahrung und Talent sind, desto eher ziehe ich dann die Einwertungen “einfach”, “schwierig” oder “chaotisch” in der Kategorie komplex heran. Details zu der von mir vorgenommenen Erweiterung des Cynefin Modells können Sie in diesem Beitrag nachlesen.

Man erkennt also, dass die Sprache, also wie wir Probleme oder Situationen beschreiben, extremen Einfluss auf die Lösung des Problems hat. Diese Reflektion möchte ich zum Abschluss auf den derzeitig in vielen Unternehmen stattfindenden digitalen Wandel spiegeln. Eine Herausforderung besteht nämlich darin, dass Begriffe für das Beschreiben des Neuen verwendet werden, die noch mit einer Bedeutung aus dem Bestehenden belegt sind. Möchte man einen Wandel forcieren, sollte man entweder Begriffe verwenden, die es im Bestehenden noch gar nicht gibt, und die man dann natürlich neu definieren muss. Oder man verwendet die bereits bekannten Begriffe, die dann allerdings in der Bedeutung umdefiniert oder erweitert werden müssen. Gute Beispiele sind hier die Begriffe “Planung” oder “Konzept”. Egal welchen Weg man geht, aufmerksame und empfängerorientierte Kommunikation ist essentiell. Dafür ist der Umgang mit den sprachlichen Mitteln extrem erfolgskritisch. Beachtet man den Fakt nicht und benutzt Begriffe aus dem Bestehenden ohne Reframing, kann es passieren, dass sinnvolle Aktivitäten wie Planung oder Konzeptionierung im Neuen verpöhnt und damit verbannt werden, was fatal wäre. Wie wichtig Sprache für das Denken für uns Menschen ist habe ich in diesem Beitrag gezeigt.

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Entscheiden geht nur im paradoxen Zustand

Vom 07. bis zum 09. September findet in Berlin wieder das alljährliche PM Camp statt. Zu diesem Event wurde eine Blogparade gestartet, an der ich mit diesem Beitrag gerne teilnehme. Es geht um Vielfalt.

Wer mich seit Jahren hier beim Füllen meines Logbuches verfolgt, der weiß, dass das “Entscheiden” einen besonderen Reiz für mich hat. Deshalb möchte im Rahmen dieser Blogparade eine Verbindung zwischen Vielfalt und Entscheiden setzen. Warum ist Entscheiden grundsätzlich wichtig? Jeder Mensch trifft tagtäglich Entscheidungen. Selbst wenn man glaubt Entscheidungen aufzuschieben entscheidet man sich, nämlich für das Aufschieben. Nichtentscheiden geht also nicht, oder besser, nur im Tod muss oder kann man nicht mehr entscheiden. Lebendigkeit bedeutet stetes Entscheiden.

Entscheiden ist das Suchen nach “richtig” und “falsch”. Für den “richtigen” Weg entscheiden wir uns, den “falschen” Weg lassen wir links liegen. Das ist aber zu kurz gedacht, denn diese Suche bleibt zum Zeitpunkt der Entscheidung stets erfolglos. Trotzdem muss ich als Entscheider diese Suche eingehen wollen. Entscheiden geht ja grundsätzlich nur, wenn keine guten Gründe vorliegen. Dazu ein kleines Beispiel. Die Antwort “3” auf die Frage “Was ergibt 1+2?” ist keine Entscheidung. Die Entscheidung wurde vorher bereits im Rahmen der mathematischen Rechenregeln getroffen. Bei der Suche nach der Antwort muss diese Regel nur noch angewendet werden.

Entscheidungen vergrößern Vielfalt

Hier beziehe ich mich auf den Kybernetiker Heinz von Förster, der im Rahmen seines Ethischen Imperativs Folgendes formuliert hat.

Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!

Eine Entscheidung ist dann “gut”, wenn sie den Raum der Wahlmöglichkeiten vergrößert. Warum ist das so? Jedes lebendige System, egal ob es sich um einen Menschen oder um ein Unternehmen handelt, bildet mit seiner Umwelt einen geschlossenen Regelkreis (Closed Loop), der wie folgt ausschaut: Entscheiden → Reaktion der Umwelt wahrnehmen → Erkenntnisse generieren und Lernen → Entscheiden usw. usf. Entscheiden geht dabei nur über Hypothesen, da die Unsicherheit der Umwelt nicht absorbiert werden kann. Hypothesen sind aber nur dann gut, wenn sie auch widerlegbar sind, wenn die Entscheidung sich später also als nicht passfähig herausstellt. Und wenn man dann seinen Handlungsspielraum im Rahmen einer Entscheidung einschränkt, gefährdet man seine Lebensfähigkeit. Man endet in einer “Sackgasse”.

Entscheidungen verringern Vielfalt

Hier beziehe ich mich auf Dan Ariely, dem prominenten Verhaltensökonom, der in einem Interview mit dem Stern sinngemäß formuliert

Entscheidungen müssen getroffen werden, wenn Vielfalt zu groß ist!

In dem Moment also wenn der Optionsraum an möglichen Handlungen zu groß wird, muss eine Entscheidung getroffen werden. In dem Moment werden dann viele andere mögliche Optionen negiert. Um diesen Fakt verstehen zu können, kann man sich wiederum auf den oben angesprochenen geschlossenen Regelkreis beziehen. Da wir zum Zeitpunkt einer Entscheidung niemals wissen können, ob diese “richtig” oder “falsch” ist, geht man als Entscheider im Rahmen einer Entscheidung eine Wette ein. Diese muss man auch eingehen, da man Stabilität benötigt, um handlungs- und damit lebensfähig zu sein. Ohne diese Stabilität würden wir aus dem Zweifeln nicht herauskommen und immer wieder Optionen gegeneinander abwägen. Im Entscheiden tun wir so als wäre die Zukunft sicher. Allerdings darf man nie vergessen, dass diese Stabilität intern im lebensfähigen System (Mensch, Unternehmen etc.) künstlich erzeugt wird. Die Umwelt gibt dafür in der Regel keinen Anlass.

Entscheiden geht nur im paradoxen Zustand

Vielleicht erkennen Sie nun warum das Entscheiden uns Menschen manchmal so wahnsinnig schwer fällt. Man muss beim Entscheiden Widersprüchlichkeiten aushalten und handhaben. Im Rahmen einer Entscheidung muss gleichzeitig Vielfalt vergrößert und verringert werden. Entscheidungen lassen sich also nicht rein im Zweiwertig logischen Denkraum erfassen, da dieser Widersprüche ausschließt. Entscheidungen sind damit Menschen vorbehalten, denn Widersprüchlichkeit bedeutet gleich Lebendigkeit. Maschinen führen nur von Menschen definierte Regeln aus. Sie können nicht entscheiden.

Ich hoffe wir finden auf dem PM Camp in Berlin Raum und Zeit über “Entscheiden” zu diskutieren.

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