Kommunikation ist Er-, Be-, Ver- und Entsetzung

In meinem ersten Beitrag zum Thema Kommunikation habe ich das Gelingen von Kommunikation in einem Team in puncto Verbindungen und Wahrscheinlichkeit der Verständigung untersucht. Auf dieser Basis habe ich die Vermutung angestellt, dass eine Anzahl von 5 Menschen im Team optimal für Kommunikation sei.

Diese Vermutung möchte ich nun erhärten, in dem ich die Wahrscheinlichkeit, dass im Rahmen der Kommunikation Neues entsteht, ins Spiel bringe. In diesem Kontext gehe ich die Hypothese ein, dass je mehr Kommunikationswege in einem Team möglich sind, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass nachhaltig Neues entstehen kann. Und genau diesen Fakt der Kommunikationswege möchte ich nun modellieren. Dabei möchte ich nicht verschweigen, dass mich Claus Baldus mit seiner im Beitrag Morgen und Morgen vorgestellten Modellierung mittels qualitativer Zahlen inspiriert hat.

Ersetzung

Anhand der obigen Abbildung erkläre ich die Art und Weise dieser Modellierung. Das Neue im Rahmen einer Kommunikation ist hier über Zahlen dargestellt. Der Einfachheit halber nehme ich für die Modellierung an, dass jeder Mensch mit seiner ihm eigenen Meinung und seinen Ideen an der Kommunikation teilnimmt. Jede zusätzliche Teilnahme eines Menschen ist also gleichbedeutend mit dem Inkludieren von etwas Neuem in der Kommunikation. Mensch „1“ hat seine neue Idee „1“, Mensch „2“ hat seine neue Idee „2“ usw. usf. Das Hinzukommen von Neuem im Rahmen der Kommunikation ist in der obigen und in den noch folgenden Abbildungen mit einem dicken vertikalen Strich dargestellt, also hier beispielsweise beim Übergang von (1,1,2,3) zu (1,2,3,4).

Jeweils ganz links in vertikaler Richtung sind die rein quantitativen Zahlen dargestellt, (1,1)=2, (1,1,1)=3, (1,1,1,1)=4 etc. Diese Zahlen enthalten keine Differenzen, also keine Qualitäten und damit immer genau einen Menschen, der aber noch nicht mit anderen Menschen kommunizieren kann, auch noch nicht mit sich selbst. Diesen Fakt modellieren wir später hinzu. Die Qualitäten und damit auch die Menschen werden schrittweise in horizontaler Richtung nach rechts hinein modelliert. Beispielsweise ist (1,2) genauso wie (1,1) quantitativ gesehen gleich 2, stellt aber nun, da es eine neue Qualität hinzugewonnen hat, eine Kommunikation mit 2 Menschen dar. (1,1,2,3) ist quantitativ gesehen gleich 4, jedoch noch mit einer fehlenden Qualität zur maximal möglichen, also einem fehlenden Menschen in puncto Kommunikation. Diese Konstellation stellt also eine Kommunikation mit 3 Menschen dar, da die (4) noch fehlt.

Es sind 4 Optionen modelliert. Ganz oben sind 2 Menschen in einem Team, dann 3 Menschen bis hin zu 5 Menschen im Team. Neues oder Differenzen im Rahmen der Kommunikation kommen jeweils durch das Hinzuziehen von neuen Menschen ins Spiel. Ganz oben, wo 2 Menschen im Team sind, wird die untere „1“ in genau einem Schritt durch eine „2“ ersetzt. Neues wird durch Kommunikation ohne Bremse und ohne Unterschiede der beteiligten Menschen durch die Kommunikation getragen. Es wird immer nur ein Schritt benötigt, um etwas Neues ins Spiel zu bringen. Wiederholungen sind nicht notwendig, um Neues zu etablieren. Deshalb reden wir hier auch von Ersetzungskommunikation.

Die Funktion, um die möglichen Kommunikationswege zu errechnen ist relativ einfach. Bei x Menschen im Team gibt es x verschiedene Kommunikationswege um Neues zu erzeugen, nämlich einfach durch Hinzunahme des jeweiligen neuen Menschen in die Kommunikation.

Aus Erfahrung wissen wir aber, dass sich Neues nicht immer so einfach durch einmalige Nennung im System etablieren kann. Neues kann das Alte nicht immer so einfach ersetzen. Deshalb gibt es weitere Arten der Kommunikation, eine davon ist die Besetzung, zu der wir nun kommen.

Besetzung

Neues wird ebenfalls durch die Kommunikation getragen, diesmal aber mit Bremse, also mit einer Hinderung, und abhängig der verschiedenen Gruppen von Teilnehmern. Wir erkennen beispielsweise, dass bei einem Team mit 4 Menschen, das Neue „2“ 2 Schritte benötigt, das System zu besetzen, bevor das Neue „3“ durch Mensch „3“ inkludiert wird, und nicht nur 1 Schritt wie bei der Ersetzung [(1,1,1,2) → (1,1,2,2) → (1,1,2,3)].

Das Neue in der Kommunikation bleibt also nun, wie noch bei der Ersetzung der Fall, kein einmaliges Ereignis. Es bleiben also keine sporadischen Interventionen. Es erfolgen Wiederholungen des Neuen in der Kommunikation. Es wird bekräftigt und damit Anspruch auf das Neue erhoben. Das Neue beginnt Raum zu erobern und damit das Alte zu besetzen. Das Neue wird mutiger kommuniziert, allerdings immer noch in Grenzen.
Denn das Neue wird nur ein einziges Mal in einer dedizierten Konstellation erwähnt und Anspruch darauf erhoben. Wiederholung findet ausschließlich in voneinander verschiedenen Kontexten statt, nicht in gleichen. Das erkennt man daran, dass sich hinsichtlich der Lage des Neuen zum Alten keine neuen Konstellationen (Vertikale Stäbe in horizontaler Richtung gezählt) entstehen. Beispiel: (1,1,1,2)=(1,2,2,2).

Die Ideenvielfalt wird im Rahmen der Kommunikation trotzdem größer, jedenfalls in Bezug zur Kommunikation, die nach Ersetzung verläuft. Denn es entstehen mehr Kommunikationswege. Das erkennt man beispielsweise daran, dass bei einem Team aus 5 Menschen bereits 7 Schritte notwendig sind, um das Neue „5“ ins Spiel zu bringen, nicht mehr nur 5 Schritte wie bei der Ersetzung.

Kommen wir nun zur Berechnungsvorschrift der möglichen Kommunikationswege. Hier kommen wir zur Partitionsfunktion, genauer zur ungeordneten Partition. Die Partitionsfunktion gibt die Anzahl der Möglichkeiten an, positive, ganze Zahlen in positive, ganze Summanden zu zerlegen. Am oben angegebenen Beispiel kommen wir leicht auf diese Erkenntnis: (1,1,1,2)=(1,2,2,2), denn für die Zerlegung der positiven ganzen Zahl 4 in „3+1“ ist die Zerlegung „1+3“ keine neue Möglichkeit der Zerlegung.

Wir kommen mit der Partitionsfunktion aber auch zu einem lange ungelösten Problem der Mathematik, nämlich eine explizite Berechnungsvorschrift für diese Funktion zu ermitteln. Ich habe gelesen, dass dieses Problem mittlerweile gelöst sein soll. Sei`s d`rum. Das soll uns hier und heute nicht weiter interessieren. Ich habe hier eine Wertetabelle bis 49, als bis 49 Menschen (=Neues) in einem Team, gefunden, die ich später in diesem Beitrag für die graphische Darstellung der Anzahl der möglichen Kommunikationswege für die Besetzung genutzt habe.

Versetzung

Kommen wir nun zur dritten möglichen Option der Kommunikation im Kontext des Entstehen Lassens von Neuen, der Versetzung. Bereits schnell und auf dem ersten Blick erkennt man, dass nun die Kommunikationswege zunehmen. Waren bei der Besetzung bei einem Team von 4 Menschen noch 5 Schritte notwendig, um das letzte Neue „5“ zu etablieren, sind es nun 15 Schritte.

Warum dieses notwendige Mehr an Schritten? Es ist als wollte das Neue zunächst alle vorherigen Positionen, die das Alte vorher inne hatte probieren, bevor das Alte versetzt wird und bevor dann wiederum etwas Neues in der Kommunikation zugelassen wird. Das Neue möchte sich gegenüber dem Alten nicht nur behaupten, wie noch bei der Besetzung der Fall, sondern sich mit dem Neuen auch vertraut machen.

Das erkennt man daran, dass nun (1,1,1,2) nicht gleich (1,1,2,1) oder (1,2,1,1) oder (2,1,1,1) ist. Allerdings werden hier strukturgleiche Konstellationen immer noch als gleich angesehen: (1,1,2,2)=(2,2,1,1), weshalb (2,2,1,1) keine gültige Konstellation ist und deshalb nicht hinein modelliert wird.
Im Vergleich zur Besetzung wird das Neue also noch häufiger und in verschiedenen Kontexten im Rahmen der Kommunikation wiederholt, bevor es sich mit dem Alten vertraut macht und damit etwas noch Neueres zugelassen wird. Die Bremse und damit das Hindernis Neues zu etablieren wird also erhöht.

Damit wird von der Ersetzung über die Besetzung und die Versetzung der uns wohl allen bekannte Fakt modelliert, dass wir nicht alles Bestehende gleich über den Haufen werfen, wenn neue Wünsche, Bedürfnisse und Ideen in uns hochkommen. Man sagt ja auch immer so schön, dass der Mensch ein Gewohnheitstier sei und Wandel nicht unbedingt unsere Lieblingsbeschäftigung ist.

Ich habe bislang noch keine explizite Berechnungsvorschrift für die Versetzung finden können. Hier bin ich noch dran. Vielleicht fällt Ihnen eine ein. Das wäre fein. 🙂 

Entsetzung

Bei der vierten und damit letzten Möglichkeit, im Rahmen von Kommunikation Neues entstehen zu lassen, kommen wir zur Entsetzung. Nun werden erstmalig das Neue mit sich selbst verglichen und reflexiv behandelt. Das erkennt man daran, dass es nun erstmalig Kombinationen wie (2,2) oder (3,3,3) geben darf. Damit sind alle möglichen Kombinationen das Neue dem Alten gegenüberzustellen erlaubt. Der kombinatorische Spielraum wird quasi entsetzt.

Nun liegen quasi alle möglichen „Welten“ vor uns. Alles ist denkbar, Man muss nur wählen. In der Praxis kommen alle 4 möglichen Optionen natürlich in gemischter Form vor, also nicht so rein. Ich habe diese nur Übersichtlichkeit halber hier so rein und streng getrennt modelliert.

Explizit kann man hier die möglichen Wege der Kommunikation durch die Variation mit Wiederholung errechnen. Damit werden natürlich die Möglichkeiten wahnsinnig schnell sehr groß. Hat man bei 3 Teilnehmern 27 Wege vorliegen, sind es bei 4 schon 256 und bei 5 bereits 3125.

Erfolg von Kommunikation

Folgende Erkenntnis haben wir in diesem Beitrag errechnet.

Wie am Anfang bereits angedeutet möchte ich nun den in diesem Beitrag errechneten Möglichkeitsraum für Neues im Rahmen von Kommunikation mit den im ersten Beitrag errechneten Wahrscheinlichkeiten für Verständigung in Verbindung bringen. Die untere Abbildung stellt die Werte in Abhängigkeit der beteiligten Menschen im Team dar.

Ich habe die durchschnittliche Anzahl an Wegen im Rahmen der Kommunikation aus den 3 Optionen Ersetzung, Besetzung und Entsetzung berechnet. Da mir bei der Versetzung noch die explizite Berechnungsvorschrift fehlt, habe ich diese aus dem Berechnen des Durchschnitts entfernt.

Dann habe ich diesen Wert mit der Wahrscheinlichkeit für Verständigung im Rahmen der Kommunikation multipliziert und erhalte die Erfolgswahrscheinlichkeit von Kommunikation in Abhängigkeit der Anzahl der Menschen in einem Team. Man erkennt bei einer Anzahl von 5 Menschen im Team, dass die Aussicht auf Erfolg im Rahmen der Kommunikation, sich zu verständigen und dabei Neues und damit Wert zu generieren, am höchsten ist, nämlich ca. 10%. Erfolg habe ich hier wie gesagt auf Basis der Wahrscheinlichkeit der Verständigung und der Aussicht, dass über Kommunikation etwas Neues etabliert wird, berechnet.

Die Exceldatei, in der ich die Berechnungen durchgeführt habe, finden Sie hier. Diese Datei ist eine Erweiterung der Exceldatei aus dem ersten Beitrag.

Einen Nachtrag möchte ich noch anbringen. Dem Thema Kommunikation wollte ich mich mit diesen Beiträgen mathematisch nähern, um Kommunikation greifbarer zu machen. Mein Anliegen ist es definitiv nicht, den Menschen zu trivialisieren. Um den Menschen komplett beschreiben zu können ist die mathematische Sprache nicht mächtig genug. Das können Sie gerne in einigen meiner Beiträge aus meinem Logbuch nachlesen. Beispielhaft reiche ich Ihnen zwei an (hier und hier).

Trotz, dass es der mathematischen Sprache an Mächtigkeit fehlt, kann man sich über diese dem Thema Kommunikation nähern, um sie ein wenig greifbarer zu machen. In diesem Falle habe ich, inspiriert von Claus Baldus mit seinem am Anfang genannten Beitrag, mit qualitativen Zahlen gearbeitet, um Kommunikationswege zu modellieren.

Deshalb will ich gar nicht den Anspruch erheben, dass die Herleitung der optimalen Teamgröße sauber und exakt im naturwissenschaftlichen Sinne mit diesem Beitrag bewiesen ist. Der Mensch entzieht sich der Mathematik und Kommunikation ist etwas Urmenschliches.

Und noch einmal Dankeschön Björn. Ohne unseren Dialog kurz vor Weihnachten wäre ich wohl nicht auf diese Gedankengänge gekommen.

Ausblick auf weitere Untersuchungen

Lässt sich die hier gewonnene Erkenntnis skalieren auf Bereichs- oder sogar Unternehmensebene? Oder vielleicht noch weiter? Ich denke ja, denn ich habe mich hier der Frage genähert, wie eine Gruppe von Individuen auf der einen Seite so viel Individualismus zulassen muss, um Neues und damit Wert zu generieren, auf der anderen Seite aber auch diesen Individualismus beschränken muss, um als Gemeinsames nicht zu zerfasern und dann auseinanderzufallen.

In diesem Rahmen sind Björn und ich auf die Zahl 5, also 5 “Individuen” gestoßen. Als “Individuum” sind nun nicht immer nur Menschen gemeint, sondern es können auch Teams, Bereiche oder Unternehmen sein. Warum? Auch auf dieser Ebene spricht man immer wieder von Identität.

Lebensfähige Systeme sind fraktal aufgebaut. Damit meine ich nicht den Aufbau eines Unternehmens in Teams → Bereiche → Unternehmen. Das ist ein funktionaler und damit linearer Aufbau. Ich schiele hier in Richtung Viable System Model (VSM), wo es auf verschiedenen Wertstromebenen stets VSM Systeme 1 gibt, die einen Wert am “Markt” generieren und auf dieser gleichen Wertstromebene dann noch VSM Systeme 2 bis 5, die die jeweiligen VSM Systeme 1 unterstützen. Jedes dieser VSM Systeme 1 enthält dann auf einer weiteren Wertstromebene nach innen gerichtet wiederum alle VSM Systeme 1 bis 5. Details zu diesen fraktalen Verschachtelungen eines Unternehmens in Wertstromebenen können Sie hier erfahren.

Ich bin der festen Überzeugung, dass auf jeder Wertstromebene optimaler Weise 5 VSM Systeme 1 existieren sollten. Als Beispiel. Auf Wertstromebene 1, hier betrachten wir das Unternehmen in Richtung des externen Marktes, bietet das Unternehmen beispielsweise 5 verschiedene Produktgruppen an oder 5 verschiedene Servicedienstleistungen.

Diesen Aspekt der Skalierung werde ich weiter durchdenken und dann in einem kommenden Beitrag ausführen, vielleicht auf der Lean Knowledge Base, wo ich derzeit eine Beitragsserie zu Business Systemics verfasse.

Ich bin gespannt auf Ihr Feedback.

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5 Responses to Kommunikation ist Er-, Be-, Ver- und Entsetzung

  1. Björn Czybik says:

    Moin Moin,
    sehr cool. Habe dazu nun auch einen Beitrag: Ob Kommunikation doch keine Glückssache ist und sie Naturprinzipien folgt?
    https://agilezummitnehmen.wordpress.com/2018/01/05/ob-kommunikation-doch-keine-glueckssache-ist-und-sie-naturprinzipien-folgt/

    • Moin Moin Björn, ja genau, die Naturprinzipien.

      Wir vergessen den Blick in die Natur, wenn wir uns Menschen Organisationsstrukturen auferlegen wollen, mit dem Zwecke zusammen zu denken und zu handeln.

      Die derzeit vorherrschende Struktur in unseren Unternehmen ist ja die “kontextlose Hierarchie”. Auf Basis vergangener Leistungen werden Menschen “nach oben” befördert und dann sind sie ab sofort entscheidungsbefugt, und zwar unabhängig der zu lösenden Aufgaben und Probleme.

      So ist aber die Natur nicht aufgebaut. So ist auch unser menschlicher Körper nicht aufgebaut. Stafford Beer hat diesen Blick in die Natur gewagt und hat dabei nicht nur das Viable System Model (VSM), worüber in diesem Logbuch eine Menge zu finden ist, erfunden. Er hat mit Team Syntegrity ein Modell kreiert, über welches eine Gruppe von Menschen optimal über Themen diskutieren und abstimmen können. Dazu findet man beispielsweise hier eine kleine Einführung.

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