Für Menschen, die lieber hören als lesen, eine kleine Information vorab. Den Inhalt dieses Blogposts habe ich in ein wenig abgewandelter Form in diesem Podcast meiner Serie #connysgedanken reflektiert.
Welchen Denkrahmen schlägt die BWL vor und warum?
Es gibt viele Sichten und Modelle, über die wir Unternehmen denken können, nicht nur die eine, die uns die BWL vorgibt. Und diese unzähligen Modelle sind an sich weder gut noch schlecht, sondern bezogen auf den gültigen Marktbedingungen jeweils passfähig oder eben nicht.
Wie sieht der Denkrahmen aus, den die BWL uns lehrt und welchen Prämissen liegt diesem Rahmen zu Grunde? Die BWL hat jahrzehntelang genau eine Sicht geprägt, nämlich den funktionalen Aufbau von Unternehmen in Einkauf, Vertrieb, Produktion, Controlling, Logistik, Service, HR etc. Die Grundbedingung, die diesem Aufbau zu Grunde liegt, ist, dass die lokalen Optima in den funktionalen Bereichen stets zu einem globalen Optimum aus Unternehmenssicht führen. Diese Prämisse war für damalige Marktverhältnisse der Industrialisierung passfähig. Um das zu verstehen, sollte man sich den Markt zu dieser Zeit anschauen.
Anfang des 19. Jahrhunderts, kommend aus der Manufaktur auf dem Weg zur Industrialisierung, begann der Markt sich zu einem Verkäufermarkt zu entwickeln. Unternehmen konnten unabhängig der Kundenwünsche und -bedürfnisse produzieren und haben sich erst nachträglich um den Absatz der Produkte kümmern müssen. Hergestellte Produkte und Services wurden schon irgendwie verkauft. Das war nicht das Problem. Es war klar, was hergestellt werden musste, es musste nur schnell und kostengünstig geschehen. Effizienz war Trumpf. Kundenbedürfnisse standen hinten an. Taylor hat diese Art, Unternehmen zu denken, geprägt und zur Perfektion getrieben (Taylorismus).
Man sollte nun nicht den Fehler begehen, welchen auch ich manchmal in der Vergangenheit begangen habe, diesen Denkrahmen schlecht zu reden. Für damalige Marktbedingungen war dieses Modell, Unternehmen zu denken, erfolgreich, sonst hätte es sich auch niemals durchgesetzt. Mit der Digitalisierung haben sich aber nun die Umweltbedingungen für Unternehmen massiv geändert und in diesem Zuge sollte man auch den Denkrahmen von Taylor auf die Probe stellen und ggf. durch einen neuen und passfähigeren ersetzen. Genau dieses Überprüfen und Justieren des Denkrahmens ist in meinen Augen der Hebel für viele derzeitige Transformationsinitiativen in Unternehmen. Es kommt darauf an, das vorhandene Potential in den Unternehmen passfähig zu lenken. Und das geschieht durch einen neuen Denkrahmen, also durch eine neue Art Unternehmen zu denken.
Warum ist dieser Denkrahmen in Zeiten der Digitalisierung nicht mehr passfähig zum Markt?
Durch die Digitalisierung hat sich der Markt vom Verkäufer- hin zum Käufermarkt entwickelt. Menschen haben jetzt viel mehr Möglichkeiten ihre Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen. Darauf sollten Unternehmen reagieren, wollen sie nicht „sterben“. Nun ist es also nicht mehr so einfach, die erzeugten Produkte und Services beim Kunden zu platzieren. Kunden rücken notgedrungen in den Mittelpunkt des Interesses der Unternehmen. Effektivität wird wichtiger, also die Frage danach, was produziert werden soll, nicht nur wie es getan werden soll. Das bedeutet auch, dass man zu Gunsten der Problemlösung für den Kunden das Heben von Synergien im Unternehmen hinten an stellen sollte, was mit dem Fokus auf Effizienz undenkbar wäre. Diese neue Fokussierung sollte natürlich nicht in Verschwendung ausarten.
Die funktionale Sicht auf ein Unternehmen lässt solch eine Neujustierung nicht zu, denn in den einzelnen funktionalen Bereichen an sich kann man den Kunden nicht bedienen, sondern nur im Zusammenspiel dieser. Lokale Optima in den funktionalen Bereichen führen nun nicht mehr zum globalen Optimum im Unternehmen.
An der obigen Darstellung erkennt man relativ leicht diese beschriebene fehlende Passfähigkeit des funktionalen Schnittes, da dieser Sollbruchstellen im Wertstrom definiert. Dieser Umstand war in den Zeiten der Industrialisierung nicht hinderlich, da der Markt noch nicht so komplex war. Das bedeutet, der Handlungsraum der Kunden war gering, was letztendlich dazu führte, dass die Erwartungen der Kunden an Services und Produkte der Unternehmen noch nicht so groß war. Unternehmen mussten gar nicht kundenzentriert agieren, um einen Wert für Kunden zu generieren. In Zeiten der Digitalisierung hat sich der Markt geändert, was nun zu einer Behinderung des Wertstromflusses führt. Unternehmen müssen kundenzentriert agieren, was die Notwendigkeit einer neuen primären Organisationsform offenbar werden lässt, die nämlich den Wertstrom, über den Kunden glücklich gemacht werden, unterstützt und nicht durchtrennt.
Welcher Denkrahmen wäre passfähiger zum Markt?
Um diese Frage zu beantworten, möchte ich eine grundsätzliche Sicht einnehmen. Die Daseinsberechtigung von Unternehmen ist es, Probleme von Kunden zu lösen und Wünsche der Kunden zu befriedigen. Nur wenn Kunden merken, dass Unternehmen ihnen helfen, ihre Probleme zu lösen und zwar besser als andere es können oder wenn sie es alleine täten, kommen sie wieder. Denn sie erkennen den Wert, den das Unternehmen ihnen stiftet und dafür sind sie dann auch bereit Geld zu bezahlen.
Dafür führe ich nun den Begriff des Kontextes der Interaktion zwischen Unternehmen und Kunde ein. Je Kontext ist es Aufgabe des Unternehmens Kunden glücklich zu machen. Dabei kann ein Unternehmen mehrere Kontexte bedienen. Im Beispiel eines Handelsunternehmens könnte das zum Beispiel „Shopping“ sein. Kontexte sollten abhängig der notwendigen Aktivitäten und der Erwartungen der Kunden in puncto der jeweiligen Problemlösung gesetzt werden. Denn aus diesen unterschiedlichen Tätigkeiten und Erwartungen leiten sich auch unterschiedliche Handlungen ab, die innerhalb des Unternehmens orchestriert werden müssen.
Das Definieren dieser Kontexte geht nicht rezeptartig, auch gibt es dafür kein richtig oder falsch. Es ist und bleibt eine unternehmerische Entscheidung. Beispielsweise könnte man den Kontext „Shopping“ noch weiter unterteilen in „Shopping Fashion“ und „Shopping Möbel“. Warum? Weil der Kunde beispielsweise unterschiedliche Erwartungen je dieser beiden Kontexte hat und im Unternehmen darauf unterschiedlich reagiert werden sollte. Des Weiteren könnte man definieren, dass „Einrichten“ etwas anderes ist als „Shopping“ und man deshalb noch einen weiteren Kontext, nämlich „Einrichten“ definiert. Wie gesagt, die Definition der Kontexte ist Definitionssache und damit Teil des Definierens des USPs eines Unternehmens: Wo und warum möchte man als Unternehmen mit Kunden in Interaktion treten und ihnen einen Wert generieren und sich damit von anderen Unternehmen unterscheiden?
Je definiertem Kontext existiert dann genau ein Wertstrom, über den Kundenprobleme gelöst werden. Sind im Unternehmen 3 Kontexte definiert, dann existieren also auch 3 dieser Wertströme. Diese Wertströme befinden sich in der Wertstromebene 1 und sind oft auch unter dem Begriff „Customer Journey“ bekannt. Die folgende Abbildung stellt diese These schematisch mit 2 Kontexten dar. Die 3 Punkte auf der rechten Seite deuten an, dass es noch mehrere Kontexte geben kann.
Im Rahmen dieser jeweiligen Customer Journeys befinden sich
- Aktivitäten des Kunden (Suchen von Produkten, Lesen von Produktbeschreibungen, Vergleichen von Produkten etc.),
- Aktivitäten von OTTO Mitarbeiter (Mitarbeiter im Relation Center beantworten Fragen zu Bestellungen und geben Produktberatung, Pakete werden nach Hause zugestellt etc.),
- Aktivitäten, die automatisiert ausgeführt werden (Suchalgorithmus auf otto.de, etc.).
Weil diese Aktivitäten sich je Kontext unterscheiden, muss es je Kontext eine eigene Customer Journey und damit einen eigenen Wertstrom erster Ebene geben. Allerdings sollte man sich diese Aktivitäten nicht standardisiert und linear auf einer Kette aufgezogen vorstellen. Es ist gar nicht machbar, alle möglichen Aktivitäten auf dieser Wertstromebene in eine richtige Reihenfolge zu bringen, abgesehen davon, dass dies aufgrund der Optionsvielfalt gar nicht möglich ist. In erster Linie dienen sie als Denkrahmen, der es erlaubt gemeinsam im Unternehmen in eine Richtung zu denken, nicht als standardisiertes Prozessmodell, dass man 1:1 bedienen kann und muss.
Je Kontext und damit je Customer Journey in der Wertstromebene 1 besteht nun die Aufgabe, im Unternehmen die dort gelagerten Fähigkeiten so zu verbessern, dass die Kunden ihre Probleme stetig besser lösen können. Diese Sicht ist dann Ausgangspunkt für eine unternehmensübergreifende Priorisierung. Diese gefundenen Fähigkeiten werden dann innerhalb des Unternehmens in Wertströmen der Ebene 2 neu erstellt oder angepasst. Stellt man beispielsweise fest, dass die Produktberatung innerhalb einer Customer Journey ein Engpass ist, dann sollten Mitarbeiter des Relation Centers in puncto Produktberatung geschult werden. Stellt man fest, dass die Suche im Onlineshop der Engpass ist, dann sollte der Suchalgorithmus angepasst werden.
In der Wertstromebene 2 werden Fähigkeiten ausgebildet, die in der Wertstromebene 1, den Customer Journeys zum produktiven Einsatz kommen. Um die Schwachstellen oder Engpässe in den Wertströmen erster Ebene zu finden verweise ich gerne auf die Methodik der Theory of Constraints (ToC). In diesem Beitrag meiner Serie Business Systemics finden Sie gerne mehr dazu. Das Suchen und Finden und das anschließende Verbessern der Fähigkeiten sollte nach einem gemeinsam vereinbarten zeitlichen Zyklus geschehen, also beispielsweise alle x Monate, in dem dann der Backlog aktualisiert wird.
An dieser Stelle reiche ich gerne ein Analogon zum Fußball an. Die Wertstromebene 1 bilden die jeweiligen Punktspiele in den jeweiligen Wettbewerben ab, die Wertstromebene 2 das Training, wo Fähigkeiten wie Passspiel, Zweikampf, Standards etc. verbessert werden. Der Unterschied zwischen Wirtschaft und Fußball ist allerdings, dass beim Fußball Wettkampf und Training niemals zeitlich parallel ablaufen. In der Wirtschaft laufen Wertstromebene 1 und 2 zeitlich parallel, was die Komplexität der Interaktion zwischen den beiden Wertstromebenen innerhalb der Wirtschaft erhöht.
Zwei andere bekannte Begriffe kann man auch noch gegen das Modell der Wertstromebenen spiegeln und einzuordnen: Run und Change. Wertstromebene 1 ist Run. Wertstromebene 2 ist Change.
Start des gemeinsamen Denkprozesses für Verbesserungen im Unternehmen ist damit stets der Kunde innerhalb der Customer Journeys (Wertströme erster Ebene)mit der Frage, was man für ihn verbessern kann und sollte. Erst das ist für mich echte gelebte Kundenzentrierung. Produkte und Services, die in den Wertströmen erster Ebene produktiv zum Einsatz kommen und damit dort die Fähigkeiten im Kontext Problemlösung für den Kunden verbessern, werden in den internen Wertströmen der 2. Ebene erstellt. Der Prozess der Erstellung und Livesetzung dieser Produkte und Services endet dann wieder bei den Customer Journeys, denn ohne Einsatz der Produkte und Services werden die Fähigkeiten in der Wertstromebene 1 nicht erhöht und damit kein Nutzen für den Kunden generiert. Damit schließt sich der Kreis der steten Verbesserung, der sich niemals aufhört zu drehen, es sei denn im Unternehmen wird entschieden, diesen jeweiligen Kontext der Kundeninteraktion nicht mehr zu bedienen und vielleicht einen neuen aufzumachen.
In diesem Fall betritt man dann das Feld der Innovation. Bislang waren wir also im Bereich der Operation, wo Fähigkeiten zu bestehenden Kontexten der Kundeninteraktion (z.B. Shopping) verbessert werden. Im Rahmen der Innovation werden neue Kontexte erschlossen, da Probleme generiert werden, die die Menschen bislang noch gar nicht für sich erkannt und angenommen haben.
Nehmen wir das Beispiel Apple. Apple hat nicht einfach so das iPhone auf den Markt „geschmissen“. Nein, Apple hat den Menschen suggeriert, dass sie doch eigentlich ständig mit Welt verbunden sein wollen, was sie auch irgendwann geglaubt haben und dieses Problem für sich gelöst haben wollten. Und erst jetzt kommt das iPhone ins Spiel, über welches sie genau das erreichen konnten und zwar nun über eine neue Customer Journey, in welcher das iPhone eine besondere Rolle spielt. Denn wir wissen ja, mit jedem neuen Kontext gibt es eine neue Customer Journey, die dann mit Fähigkeiten vom Unternehmen bedient werden muss, womit wir dann wieder bei der Operation wären.
Hat man diese neue Sicht auf Unternehmen verinnerlicht, lassen sich darüber viele Fragen im Kontext Steuerung und Regelung von Unternehmen neu beantworten.
- Wie verteilen wir unsere Investitionen?
- Wie verteilen wir die Teams?
- Worauf fokussieren wir uns in der Operation, sprich welche Fähigkeiten in den Customer Journeys müssen in welcher Reihenfolge verbessert werden?
- Bedienen wir eigentlich noch die richtigen Kontexte der Kunden oder müssen wir neue generieren, sprich müssen wir innovieren und in welche Richtung?
- …
Zwischenfazit
Ich hoffe, ich habe mit diesem Beitrag einige Impulse gesetzt, über unseren bisherigen funktionalen Denkrahmen zu reflektieren. Mich treibt der unbedingte Glaube an, dass genügend intelligente Menschen in den Unternehmen vorhanden sind. Diese bestehende Intelligenz und Kreativität sollte eben nur passfähig geleitet werden. Das geschieht durch einen Denkrahmen, also der Art und Weise wie wir Unternehmen betrachten und welche Prämissen wir unserem Denken zu Grunde legen. Dieses Hinterfragen ist in meinen Augen Basis für den digitalen Wandel in den Unternehmen. Erst dann kann man sich über Führungsprinzipien, -leitlinien etc. unterhalten, da diese Ergebnisse dann im neuen Denkrahmen überhaupt erst passfähig werden.
Ein weiterer Punkt ist für mich total klar. Möchte man Themen erledigt bekommen, sollte man Menschen für diese in Verantwortung bringen. Wie wird in Unternehmen nach dem funktionalen Denkrahmen Verantwortung verteilt, also wer entscheidet beispielsweise über Vergabe von Budget? Oder wie macht man Karriere und erlangt formale Macht? Richtig, Menschen in funktionaler Verantwortung. Wie wird im Unternehmen Wert für den Kunden generiert? Richtig, cross-funktional. Das passt nicht. Das sollten wir ändern, und zwar über einen neuen passfähigen Denkrahmen. Unternehmen, die primär funktional organisiert sind und dementsprechend in funktionaler Richtung Verantwortung und damit formale Macht vergeben, können per Definition nicht kundenzentriert sein. Aus Kundensicht generiert diese Struktur organisierte Verantwortungslosigkeit.
Weiterhin ist mir wichtig anzumerken, dass es keine Selbstverständlichkeit sein darf, dass Menschen sich nur ungenügend qua ihrer Talente im Unternehmen einbringen können. Das ist immer noch sehr häufig der Fall. Dafür muss man die Menschen nur fragen. Dieser Fakt liegt ebenfalls an der Art und Weise, wie Menschen zusammen denken und handeln. Und das können wir Menschen ändern, sollten es sogar falls diese Art nicht passfähig zum Markt ist. Diese Wirkung liegt kein Naturgesetz zu Grunde.
Und zum Ende wiederhole ich es gerne noch einmal. Der funktionale Denkrahmen in den Unternehmen war früher erfolgreich. Nun hat sich der Markt aber geändert, was dazu führt, dass diese Art des Denkens nicht mehr passfähig zum Markt ist.
Auch hier wieder ein Vergleich zum Sport, genauer zum Football und Fußball, der belegt, dass andere Umweltbedingungen, in diesem Fall Regeln, andere Organisationsformen bedingen. Beim Football ist Offense und Defense im Wettkampf stets getrennt auf dem Spielfeld. Während des Spiels können beim Football Spielzüge detailliert besprochen werden. Versucht eine Mannschaft diese Art und Weise des Zusammenspiels beim Fußball einzusetzen, wird sie wohl schnell dafür bestraft werden. Im Fußball würde ein Trainer nicht ansatzweise auf die Idee kommen, Sturm und Abwehr getrennt aufs Spielfeld zu schicken. Aber deshalb ist die Organisationsform beim Football nicht gleich schlechter als die beim Fußball oder umgekehrt. Sie ist angepasst an den Regeln. Das müssen Unternehmen adaptieren, abhängig von den vorliegenden Marktbedingungen.
Ansatzpunkte für einen digitalen Wandel in den Unternehmen
Was sind nach diesen Erkenntnissen in meinen Augen die ersten Schritte in einem Unternehmen, um den digitalen Wandel wirklich zu treiben?
Im ersten Schritt sollten die Kontexte der Interaktion mit dem Markt definiert werden. Dabei helfen Methoden wie das Business Model Canvas (BMC) und Value Proposition Canvas (VPC) weiter. Hier finden Sie gerne mehr dazu.
Im zweiten Schritt sollten dann auf genau diese Kontexte respektive Wertströme erster Ebene (Customer Journeys) formale Verantwortung gesetzt werden.
Das Definieren der internen Wertströme und das Zusammenspiel dieser, um die jeweiligen Fähigkeiten in den Wertströmen erster Ebene zu verbessern, ist dann der dritte Schritt. In diesem Schritt betreibt man dedizierte Organisationsentwicklung. Die letzte Abbildung dieses Beitrages stellt kein Organisationsmodell dar, sondern soll die Interaktion beider Wertstromebenen verdeutlichen. Das Herleiten passfähiger Organisationsmodelle im Kontext der beiden Denkmodelle Viable System Model (VSM) und Theory of Constraints (ToC) würde diesen Beitrag im Umfang sprengen, weshalb ich gerne auf die Beiträge 3 bis 6 meiner Serie Business Systemics verweise.
Die Organisationsform bis in die Digitalisierung scheint mir älter zu sein als das Aufkommen der Manufakturen. Die funktionale Partitionierung ist für mich ein skaliertes Ergebnis von Autorität und Koordination.
Autorität führt. Sie steht an der Spitze einer Organisation, weil sie dort natur- oder gottgegeben hingehört. Der Vater in der Familie, der König, der Offizier, der Handwerksmeister. Persönliche Macht ist ein eigener Antrieb für die hierarchische Organisation und hält sich, solange sie einen evolutionären Vorteil gegenüber Alternativen hat (oder der Evolution zumindest nicht im Wege steht). Die Legitimität ergibt sich aus der Tradition bzw dem Weltbild.
Effizienz und Effektivität sind bei kleinen Organisationen durch Hierarchie auch gegeben. Solange Bildung wenigen vorbehalten war und solange Überblick bei simplen Tätigkeiten einfach zu behalten war und solange Variation nicht der Rede wer war, solange war fachgerechte Autorität ausreichend bis gut.
Religion und Militär und Bauprojekte scheinen mir Blaupausen geliefert zu haben für die wachsenden Unternehmungen im späten Mittelalter und der Renaissance. Erstmal kopieren, was an Mustern woanders schon funktioniert hat… Und das hat ja auch lange funktioniert
Dass die Digitalisierung nun den Wechsel herbeiruft, glaube ich nicht. Industrialisierung war ein Mittel, Digitalisierung auch. Ein Werkzeug zur Antwort auf eine Welt (das sich mit ihr zusammen entwickelt).
Es sieht mir so aus, dass immer steigende Komplexität der Auslöser war. Sozusagen ein complexity arms race
Die Gloablisierung hat spätestens 1492 begonnen und die Händler als Treiber des Konsums endgültig auf den Plan gerufen. Die Welt war nun rund und alles sollte miteinander verbunden werden. Das hört sich nach steigender Komplexität an: mehr Verbindungen, mehr Optionen.
Und ab den 1970/80ern kam die Sättigung hinzu: gesättigte Globalität (im Westen) ist eine neue Herausforderung, weil die Komplexität damit ins Chaos zu fallen droht. Denn in der Sättigung löst sich die Ordnung des bis dahin herrschenden Mangels auf. Mangel bietet Klarheit, da weiß man, was gebraucht wird.
Damit ist eine neue Entwicklung in den überlebenswilligen Organisationen nötig: Führung hin zu neuer Ordnung. Werte und Strategien werden wichtig. Überkommenes reicht nicht mehr, weil die alte Mangelordnung verdunstet.
Da kann man noch eine Zeit lang versuchen, Mangel künstlich herzustellen (zb indem man Menschen in Schulden treibt und sie abhängig macht; auch ein Krieg hilft hier und da) – doch ultimativ müssen Organisationen lernen (!), das Chaos neu zu ordnen. Und nicht nur einmal, sondern ständig. Die Sättigung geht nicht mehr weg. Wir sind an der Grenze zwischen Komplexität angekommen. Es ist aktiv eine Ordnungsbalance zu finden. Change Management wird zur Grundfertigkeit; Unternehmen insgesamt sind Entwicklungslabore.
Danke Ralf, für Deine Argumentationskette, an der mir vor allem die Hinzunahme des Faktors “Sättigung des Marktes” gefällt.