Wasserfall ist weder “agil” noch “nicht agil”

Immer wieder höre ich davon, dass die Wasserfall-Methode nicht agil ist. Mit diesem Beitrag möchte ich meine Sicht auf diese Aussage spiegeln. Dabei möchte ich auf zwei Dinge eingehen. Zum einen kann eine Methode an sich, also ohne Kontext, niemals “etwas sein” oder “etwas nicht sein”. Zum anderen sollte für einen erfolgreichen Einsatz einer Methode immer Derjenige die Verantwortung übernehmen, der diese auswählt und anwendet, niemals die Methode an sich.

Wasserfall ist weder “agil” noch “nicht agil” …,

… genauso wie übrigens Scrum als Methode weder “agil” noch “nicht agil” sein kann. Erst einmal müssen wir natürlich klären was man mit dem Begriff “agil” im Unternehmenskontext eigentlich verbindet. In meinem Beitrag Agilität ist in aller Munde, aber auch im Kopfe? habe ich bereits die folgende Definition angebracht.

Agil sein oder Agilität bedeutet nicht nur Wandel zu akzeptieren. Agilität geht einen Schritt weiter und fordert Wandel, wenn dies sinnvoll erscheint. Demnach müssen zwei Bedingungen erfüllt sein, damit eine Organisation als agil bezeichnet werden kann:

  • Die Organisation akzeptiert und bewältigt Wandel.
  • Die Organisation nutzt und löst Wandel zum eigenen Vorteil aus.

Alleine, wenn man sich diese Definition zu Herzen nimmt, ist es mir unerklärlich, einer Methode die Bewertung “agil” oder “nicht agil” zuzuschreiben. Aber dazu komme ich erst im zweiten Teil meines Beitrages. Denn unabhängig von der Definition zu “agil” möchte ich anmerken, dass eine Bewertung über Adjektive ohne Kontext, in diesem Fall die Bewertung einer Methode, sinnentkoppelt ist. Inspiriert für diesen Beitrag wurde ich übrigens durch diese Diskussion auf Twitter.

Kontextlos gibt es keinen Unterschied zwischen “agil” und “nicht agil”. Dazu ein Beispiel. Ein Turner ist beweglich. Ergibt es deshalb Sinn, jeden Fußballer, nur weil er nicht so beweglich ist wie ein Turner, als nicht beweglich zu titulieren? Nein, natürlich nicht. Denn es ist essentiell, wie viel Beweglichkeit überhaupt sein muss, um erfolgreich in der jeweiligen Sportart zu sein. Und das ist der Kontext, den ich hier ins Spiel bringe.

Daraufhin wurde mir entgegnet, in der obigen Twitter Diskussion nachzulesen, dass die Benutzung von Adjektiven, also Eigenschaftsbeschreibungen wie “agil”, auch ohne Kontext Sinn machen. Dafür wurde folgendes Beispiel heran gezogen. Wasser ist flüssig, wäre es fest, würde man Eis dazu sagen. Hierbei wurde aber ungeachtet gelassen, dass auch hier ein Kontext verwendet wurde, nämlich der Vergleich der Festigkeit zwischen Eis und Wasser. Setze ich andere Kontexte an, bekomme ich andere Wertungen der Festigkeit von Eis und Wasser. Denn Wasser kann auch fest sein. Im Turmspringen beispielsweise wird die Wasseroberfläche aufgewirbelt, da diese sonst bei einem fehlerhaften Eintauchen der Springer zu fest wäre und so zu Verletzungen dieser führen könnte. Für den Bau einer Brücke beispielsweise ist Eis eben nicht fest und daher nicht tauglich für eine Verwendung.

Das trifft übrigens auf jede Bewertung über Adjektive zu. Ohne Kontext bleibt diese Bewertung ohne Bedeutung, da erst der Kontext den Bezugsrahmen für eine Bewertung darstellt, wie Marcus Raitner, ebenfalls in der obigen Twitter Diskussion nachzulesen, anführt. Das glauben Sie nicht? Okay, hier weitere Beispiele.

Usain Bolt wurde gerade Olympiasieger in Rio im 100m Sprint. Man kann ihn also als “schnell” bezeichnen. Ist deshalb jeder andere Sportler einer anderen Sportart nicht schnell, nur weil er nicht ansatzweise so schnell wie Bolt ist? Natürlich nicht. Auch hier ist wieder das Heranziehen des Kontextes entscheidend, der angibt, wie schnell man sein muss, um in der jeweiligen Sportart erfolgreich sein zu können. Ohne diesen Kontext würde man jeden Handballer als langsam einstufen. Ihnen fallen bestimmt viele weitere Beispiele ein. Oder?

Haben wir die erste Stufe also genommen. Es macht keinen Sinn eine Methode wie Wasserfall oder Scrum als “agil” oder “nicht agil” zu bezeichnen, wenn man nicht dazu angibt, was man überhaupt erreichen möchte. Ich werde jetzt nicht darauf eingehen, dass man hier einen Kategorienfehler begeht, da es sich bei “Wasserfall” um eine Methode und bei “Agil” um eine Haltung handelt. Im Rahmen einer agilen Haltung lassen sich logischerweise auch Wasserfall-Methoden sehr gut anwenden, ähnlich wie man bei Wasserfall-Methoden von einer agilen Einstellung reden kann, aber nicht muss. Warum denn eigentlich auch nicht? Man muss sich bei der Befriedigung von Kundenbedürfnissen, und darum geht es ja im Unternehmenskontext, eben nur die Frage beantworten, wie klar eine umzusetzende Anforderung seitens des Kunden verstanden und abgestimmt und wie zeitbeständig diese ist. Abhängig von dieser Antwort, müssen dann die Feedbackschleifen zum Kunden schneller oder langsamer drehen und der Kunde mehr oder weniger eingebunden werden. Abhängig von der Beantwortung dieser Fragen wählt man die passende Methode aus.

Verantwortung für Erfolg bleibt immer beim Anwender einer Methode, niemals bei der Methode

Ich habe es eben bereits angesprochen. Es geht um das Auswählen einer passenden Methode. Ein Hammer ist ja auch nicht deshalb als Werkzeug grundsätzlich unbrauchbar, nur weil ich mit diesem keine Schrauben in die Wand drehen kann. Und genau für das Wählen dieser Methode ist der Mensch verantwortlich. Um es klar zu sagen. Nur weil man im Projekt oder übergreifend im Unternehmen feststellt, dass man nicht agil genug ist, sollte man niemals der Methode, wie beispielsweise “Wasserfall” dafür verantwortlich machen. Denn wir wissen ja, auch mit dieser Methode kann man agil sein. Lesen Sie sich gerne die an den Anfang dieses Beitrages gestellte Definition durch, um sich diesen Fakt zu vergewissern.

“Agil sein” reicht als Kontext nicht aus. Hier muss man genauer werden, wie zum Ende des ersten Abschnittes angedeutet. Agil muss ein Unternehmen immer sein. Das ist essentiell für die Überlebensfähigkeit. Dazu ein Analogon, wieder mal aus der Welt des Sports. Würden Sie einen Sportler nach der Ursache seines Erfolges fragen und er würde entgegnen, dass es die Fähigkeit wäre zu atmen, würden Sie wohl schmal schauen. Ähnlich verhält es sich mit der Durchführung eines Projektes, ob dieses denn nun agil zu geschehen hat oder nicht. Diese Frage ist irrelevant. Klar muss es agil durchgeführt werden. IMMER. Nur ist damit der Fakt nicht einhergehend gefestigt, die Wasserfall-Methode nicht einsetzen zu dürfen.

Wir sollten sehr schnell weg kommen von der Vorstellung, dass weil die Wasserfall-Methode nicht agil ist, diese immer schlecht ist. Es wird aber leider in vielen Beiträgen zur Agilität im Netz häufig so dargestellt. Warum ist das wohl so? Meine These ist, dass dies mit der Methodenhörigkeit zu tun hat, der wir oft erlegen sind. Wir sollten uns und unseren Fähigkeiten wieder mehr vertrauen und diese nicht auf Methoden projizieren. Während Denken und Wahrnehmen eine hohe Priorität darauf legen, auf veränderte Anforderungen reagieren zu können, was in einer sehr flexiblen Vorgehensweise resultiert, ist das Ziel von Methoden, die Prozesse möglichst zu standardisieren und so weit zu vereinfachen, bis nur noch die Elemente übrig bleiben, die wesentlich zur Wertschöpfung beitragen. An dieser Stelle besteht die Gefahr, die Prozesse als kontextlos enden zu lassen.

Verfolgt man eine Strategie, die auf einem Kostenvorteil gegenüber dem Wettbewerb basiert, sind diese kontextlosen Methoden der richtige Ansatz. Die Vermeidung von Verschwendung führt auch zur Vermeidung von Kosten und schließlich zu der Möglichkeit, dem Kunden einen geringeren Preis anzubieten. Aber was ist das Optimum der Vermeidung von Kosten? Null Kosten. Und was bedeutet das für Unternehmen? Tod.

Auf der anderen Seite eignen sich Vorgehensweisen, die auf Denken basieren, für Differenzierungsstrategien. Wenn der Wettbewerbsvorteil darin bestehen soll, die Bedürfnisse der Kunden besser zu kennen, zu verstehen, um sie besser befriedigen zu können, heißt das auch, dass “Prozesse” benötigt werden, die ein ständiges Analysieren des Marktes ermöglichen und viele Gelegenheiten bieten, auf diese Erkenntnisse zu reagieren. Also Denken und Wahrnehmen. Diese Prozesse, deshalb auch in Anführungsstriche geschrieben, bezeichne ich als kontextbasiert.

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Steuerung und Regelung von Unternehmen mit dem Viable System Model

Dieser Beitrag ist der letzte meiner Serie, in welcher ich die Organisation und das Führen von Unternehmen in einer höchst komplexen Welt, im digitalen Zeitalter, beleuchte.

Im ersten und zweiten Artikel habe ich meine Ideen und Gedanken zu einer marktorientierten und kundenzentrierten Organisation von Unternehmen dargelegt und diese am Beispiel eines Handelsunternehmens untermauert. Im dritten Artikel habe ich den Unterschied zwischen Kompliziertheit und Komplexität aufgezeigt, worauf ich dann im vierten und fünften Beitrag aufbauend die Potentiale und Grenzen von Big Data und damit einhergehend von automatisierten Entscheidungsalgorithmen via Data Science thematisiert habe. Im sechsten Beitrag habe ich dann die Erkenntnisse genutzt, um Kennzahlen und deren Bedeutung für das Steuern und Regeln von Unternehmen aufzuzeigen.

Beiträge zur Reihe “End-to-End Organisation und Steuerung/ Regelung von Unternehmen” Link
Ist bei End-to-End Prozessen auch immer wirklich End-to-End drin? link
Eine konkrete End-to-End Prozessbetrachtung am Beispiel eines Handelsunternehmens link
Methoden passen immer, … link
Die Big Data Analytics Matrix link
Maschinen kennen nur das “WAS”, niemals das “WARUM” link
Unreflektierte KPI Orientierung in Unternehmen ist wie “Malen nach Zahlen” link
Steuerung und Regelung von Unternehmen mit dem Viable System Model Dieser Beitrag

In diesem letzten Beitrag dieser Reihe schließe ich die Feedbackschleife, ganz im Sinne der Kybernetik, zurück zur End-to-End Organisation von Unternehmen und beziehe dabei das Viable System Model, welches Stafford Beer erfunden hat, mit ein.

Das Viable System Model

Die ersten grundlegenden Überlegungen, die man aus Unternehmenssicht stets anstellen sollte, sind die Folgenden.

  1. Wer sind meine Kunden?
  2. Welches Problem oder Bedürfnis haben meine Kunden?
  3. Mit welchen Leistungen löse ich das Problem oder Bedürfnis meiner Kunden?
  4. Warum kann kein Anderer ähnlich gut wie ich dieses Problem oder Bedürfnis meiner Kunden lösen (USP)?

Mit der Antwort auf die oben gestellten Fragen geht man dann in die Beantwortung weiterer Fragen, wie.

  1. Was sind meine Waren- und Dienstleistungsströme (externe und interne Mehrwertströme) im Unternehmen?
  2. Wie kann im Unternehmen ein maximaler Durchsatz entlang der Mehrwertströme gewährleistet werden?
  3. Wie können die Waren- und Dienstleistungsströme gesteuert und geregelt werden?
  4. Wie wird dabei Erkenntnis über die Datenströme generiert und genutzt?
  5. Was ist Erfolg und wie wird dieser gemessen?

Mehrwertströme in Unternehmen

Die angesprochenen Ströme erkennen Sie in der obig dargestellten Abbildung. Vor allem erkennen Sie in dieser Abbildung auch die End-to-End Sicht (E2E) eines Unternehmens zum Markt. Über die Waren- und Dienstleistungsströme werden direkt die Bedürfnisse der Kunden befriedigt. Die Datenströme dienen dazu, Erkenntnisse zu generieren, um die Waren- und Dienstleistungsströme effektiver und effizienter am Markt ausgerichtet gestalten zu können. Beide Ströme bilden einen geschlossenen Regelkreislauf des Unternehmens mit dem Markt.

Für die weiteren Erklärungen beziehe ich mich nun auf Ideen und Überlegungen zum Viable System Models (VSM), welches der Kybernetiker Stafford Beer das erste mal 1959 in seinem Buch Kybernetik und Management erwähnt hat. Impuls für Stafford Beer, Überlegungen in diese Richtung zu unternehmen, war das Suchen nach einem Funktionsmuster für lebensfähige Systeme. Was bedeutet denn nun Lebensfähigkeit im Unternehmenskontext? Darüber kann man sicher lange streiten. Ich gebe hier einige Impulse, die ich dann weiter verarbeiten werde.

Lebensfähig ist ein Unternehmen aus meiner Sicht, wenn in diesem die oben angerissenen Fragen beantwortet und auf dieser Basis interne und externe Mehrwertströme E2E aufgebaut wurden. Es müssen also Kunden E2E bedient werden (siehe obige Abbildung). Natürlich bin ich mir bewusst, dass ich hier den Begriff “Lebensfähigkeit” sehr stark trivialisiere. Möchten Sie in diesem Kontext mehr Einblicke gewinnen, empfehle ich Ihnen diesen frei verfügbaren Kurs im Netz Maturana: Der biologische Ursprung von Wahrnehmung und Erkenntnis.

Ein Unternehmen, welches lebensfähig ist, kann aus mehreren lebensfähigen System bestehen, die im Sinne eines Ganzen, nämlich des Unternehmens, interagieren und kooperieren. Hier kann man ein Analogon zum Menschen ziehen. Das lebensfähige System “Mensch” besteht aus vielen lebensfähigen Systemen. Das sind die “Zellen”, die miteinander interagieren. Im Gegensatz dazu können Bereiche in einem Unternehmen aber auch wie Organe im menschlichen Körper agieren. Sie sind selber nicht eigenständig lebensfähig, dienen dem Gesamten aber zum Erhalt der Lebensfähigkeit (z.B. die Lunge).

Mit diesem Wissen gilt es ein Unternehmen strukturell und prozessual aufzubauen. In diesem Kontext muss die Frage beantwortet werden, welche lebensfähigen Systeme ein Unternehmen besitzen muss, damit es im Ganzen lebensfähig ist. An dieser Stelle möchte ich noch einmal als Indikator anbringen, dass sich lebensfähige Systeme eines Unternehmens 1:1 herauslösen und operativ am Markt platzieren lassen. Diese Systeme könnten dann im Sinne der oben dargestellten Abbildung einen externen E2E Mehrwertstrom am Markt bedienen, bilden also ein Unternehmen.

Wie im ersten Beitrag dieser Reihe Ist bei End-to-End Prozessen auch immer wirklich End-to-End drin? bereits ausgeführt, zählen die bekannten funktionalen Bereiche wie zum Beispiel Vertrieb, Einkauf oder Logistik eines Unternehmens nicht zur Gattung “lebensfähig”. Warum? Sie bedienen keinen E2E Mehrwertstrom. Sie haben keinen “Kunden” der am Anfang und am Ende der Leistungserbringung steht. Das habe ich in dem Beitrag detailliert begründet.

Kommen wir nun zu den in der obigen Abbildung dargestellten internen Mehrwertströme, die von den internen lebensfähigen Systemen eines Unternehmens bedient werden. An dieser Stelle ist Vorsicht geboten. Wir haben es hier mit Rekursionen zu tun. Die einzelnen lebensfähigen Systeme eines Unternehmens interagieren rekursiv miteinander. Die untere Abbildung, die die etablierte BI Organisation bei OTTO zeigt, stellt diese Interaktion exemplarisch dar.

Mehrwertströme - rekursiv

Ganz oben erkennen Sie den externen Mehrwertstrom, sprich die Interaktion des Unternehmens OTTO mit dem Markt. Eine Ebene darunter, in der Abbildung in der Mitte, sind die internen Mehrwertströme (BI Business Services) dargestellt, die seitens des BI Bereiches bedient werden. Der BI Bereich versteht sich als interner Dienstleister, welcher BI Produkte für die Fachbereiche bei OTTO erstellt, mit denen Entscheidungen in den operativen Prozessen (externer Mehrwertstrom mit dem Markt) besser gefällt werden können. Der Kunde des BI Bereiches sind also die jeweiligen Fachbereiche bei OTTO. Die dritte Ebene stellt letztendlich den internen Mehrwertstrom dar, den die “Community of Practices” des BI Bereiches bei OTTO bedienen. Im Rahmen dieses Systems werden hauptsächlich BI Werkzeuge in den Themen Daten Management, Data Science und Reporting weiterentwickelt, die letztendlich zur Erstellung der BI Produkte in den Business Services benutzt werden. Hier werden aber auch “politische” und prozessuale Probleme der BI Produkterstellung behoben, wenn diese nicht in den Business Services geklärt werden können. Die Kunden dieses Mehrwertstromes sind die BI Business Services, die die BI Produkte für die Fachbereiche erstellen.

Sie erkennen sicherlich den fraktalen Aufbau dieser gesamten Struktur. Auf jeder Ebene (Rekursionsstufe) gibt es Mehrwertströme inklusive der Kunden, was nicht immer die Endkunden im Markt sein müssen. Jeder dieser 3 Systeme ist für sich lebensfähig. Das jeweils unterliegende System ist mit verantwortlich, den Mehrwertstrom des jeweils überliegenden Systems zu optimieren, also Engpässe zu lokalisieren und zu beheben. Die BI Business Services müssen den Mehrwertstrom der OTTO Fachbereiche im Kontext Entscheidungen besser machen. Die Community of Practices müssen den Mehrwertstrom der BI Business Services besser machen. Jedes dieser 3 dargestellten lebensfähigen Systeme des Unternehmens OTTO (ein externes und zwei interne) besitzen nach Nomenklatur des VSMs 5 Systeme, die ich nun erklären möchte. Die untere Abbildung habe ich einem Vortrag von Mark Lambertz entnommen, den er vor geraumer zum VSM bei OTTO in Hamburg gehalten hat.

VSM

  • System 1 (Produktion): Aufgaben müssen erledigt werden, deren Ergebnis letztendlich einen Mehrwert für einen “Kunden” auf der jeweiligen Rekursionsstufe darstellen.
  • System 2 (Regulation): Aufwand und Nutzen müssen stetig gegenüber gestellt werden. Abgeleitet aus diesen Überlegungen können entweder gesetzte Ziele oder auch definierte Aufgaben im Hier und Jetzt validiert werden. Hier erfolgt eine Vermittlung zwischen System 1 und 3.
  • System 3 (Senior Management): Innerhalb des jeweiligen lebensfähigen Systems muss klar geregelt sein, welche Ziele über den Mehrwertstrom verfolgt werden sollen. Dieser Rahmen ist Basis für eine Priorisierung der Aufgaben, die durch System 2 übernommen wird.
  • System 4 (Seher und Strategen): Die Ausrichtung der derzeitigen Aufgaben und Tätigkeiten wird auf Nachhaltigkeit validiert. Es wird überprüft, ob mit der derzeitigen Ausrichtung auch in Zukunft noch Mehrwert geschaffen werden kann.
  • System 5 (Richtlinien und Ethos): Die (neue) Ausrichtung, wird stetig gegen das eigentlich ausgelobte Ideal und Identität validiert. Beispiel: Wir müssen auf Datenschutz achten und vertrauensvoll mit Kundendaten umgehen!

VSM Systeme 1 bis 3 kümmern sich um das “Innen” und “Heute”, VSM Systeme 4 und 5 um das “Außen” und “Morgen”. Nur das Zusammenspiel aller 5 VSM Systeme macht Lebensfähigkeit aus. Das Fehlen eines dieser VSM Systeme inkl. der darin ablaufenden Funktionen führt zum Verlust der Lebensfähigkeit.

Die Interaktionen zwischen den oben angesprochenen 3 lebensfähigen Systemen bei OTTO kommt dadurch zu Stande, dass das jeweilige VSM System 1 wiederum aus den angesprochenen 5 VSM Systemen besteht, diese allerdings auf einer anderen Rekursionsstufe platziert sind. Auf der ersten Rekursionsstufe, also auf der Ebene “Unternehmen OTTO”, ist das interne lebensfähige System “BI Business Services” vollständig enthalten im VSM System 1 von “Unternehmen OTTO”. Es trägt also dazu bei, dass die “Produktion” über Bereitstellung von BI Produkten verbessert wird. Geht man aber auf die zweite Rekursionsstufe, dann erkennt man, dass das interne lebensfähige System “BI Business Services” wiederum aus 5 VSM Systemen besteht. Beispielsweise gibt es auch auf dieser Stufe das VSM System 4, in welchem strategische Festlegungen für das interne lebensfähige System “BI Business Services” getroffen werden. Es gibt also beispielsweise in einem Unternehmen immer nur dann genau einen Strategiebereich, wenn es auch nur ein lebensfähiges System im Unternehmen gibt.

Es gibt noch ganz viel über das VSM an sich zu sagen, was aber den Inhalt dieses Beitrages massiv sprengen würde. Ich verweise Sie in diesem Kontext an das am 01. April erschienene absolut lesenswerte Buch von Mark Lambertz Freiheit und Verantwortung für intelligente Organisationen.

Theory of Constraints (ToC)

Ich habe in diesem Beitrag des Öfteren angesprochen, dass es um Mehrwertströme und um das Optimieren dieser geht. Auch in diesem Kontext kann man sich auf ein bereits sehr lange vorliegendes Theoriegebäude stützen, nämlich der Theory of Constraints. Übersetzen kann man Theory of Constraints, ab sofort mit ToC abgekürzt, mit der Theorie der Engpässe. Eliyahu Goldratt, ein israelischer Physiker, hat diese Methode 1984 im Rahmen von Untersuchungen zu Abläufen in Unternehmen entlang einer Supply Chain erfunden. Er deckte mit dieser Methode einen Lösungsweg auf, wie Prozesse jeglicher Art, egal ob in der Produktion, im Marketing, in Projekten etc., die in abhängige Teilprozesse auf verschiedene Ressourcen verteilt sind, optimal gestaltet und durchführt werden sollten. Wie die Methode schon ausdrückt, geht es nämlich darum sich auf das Wesentliche der Ablaufkette zu konzentrieren und das ist der Engpass oder auch anders ausgedrückt, das schwächste Glied in der Kette.

Das folgende Video stellt die Grundideen von ToC sehr anschaulich dar.

Das Ziel, welches es im Kontext der Optimierung eines jeden Mehrwertstromes, egal ob interner oder externer, zu verfolgen gilt, ist die Erhöhung des Durchsatzes bei Minimierung des Bestandes und der Betriebskosten. Es sind also genau 3 KPIs je Mehrwertstrom zu messen, um diese zu steuern. Es obliegt also den Verantwortlichen der jeweiligen lebensfähigen Systeme, intern als auch extern, auf dieser Basis notwendige Kennzahlen zu definieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel für den KPI Durchsatz anhand der oben aufgezeigten 3 lebensfähigen Systeme.

  1. Unternehmen OTTO: Durchsatz ist die Menge aller befriedigten Bedürfnisse der Endkunden über die Bereitstellung von verkauften Produkten und Dienstleistungen.
  2. BI Business Services: Durchsatz ist die Menge aller befriedigten Bedürfnisse der OTTO Fachbereiche über die Bereitstellung von BI Produkten, die Entscheidungen in den externen Mehrwertströmen besser machen.
  3. BI Community of Practices: Durchsatz ist die Menge aller befriedigten Bedürfnisse der BI Business Services über das Beheben von Problemen (Impediments im agilen Kontext) bei der internen Zusammenarbeit und über die Bereitstellung von Budget und Ressourcen.

Diskussionen “Hierarchie” vs. “Netzwerk”

Ist Ihnen aufgefallen, dass ich bislang nicht einmal die Begriffe “Hierarchie” oder “Netzwerk” erwähnt habe? Es ist nämlich gar nicht notwendig sich auf diese Begriffe zu stützen. Das VSM versöhnt die dahinter liegenden Ideen sehr charmant miteinander. Hierarchie und Netzwerk sind nicht gegensätzlich zu betrachten. Ganz im Gegenteil. Eine Gruppe von Menschen ist erst dann ein Team, bedient also einen Mehrwertstrom, wenn Beides enthalten ist: Netzwerk UND Hierarchie. Nur rede ich hier an dieser Stelle von kontextbasierten Hierarchien. Diese Hierarchien haben die Eigenart, dass sie je nach zu bewältigender Aufgabe (Kontext) selbstorganisiert im Team entstehen und auch wieder zerfallen.

Die entscheidende Frage ist also nicht, ob es Hierarchien überhaupt geben sollte oder wie flach diese sein sollten. Die entscheidende Frage ist, wie Hierarchien entstehen und wie lange sie eine Relevanz für die Optimierung eines Mehrwertstromes haben. Die formalen Hierarchien in den heutigen Unternehmen erfüllen diese Kriterien zur Optimierung nicht. Deshalb nenne ich diese auch kontextlos, da sie quasi “per Gesetz” erlassen werden und für jegliche Art von Aufgaben Relevanz haben sollen (“Der Chef muss immer entscheiden”), was niemals der Fall sein kann.

In diesem Kontext habe ich in der vergangenen Woche Niels Pfläging, der aus meiner Sicht, wie Viele andere auch, die Dichotomie zwischen Hierarchie und Netzwerk propagiert, zu einem Dialog eingeladen. Leider ist er nicht darauf eingegangen. Schade. Vielleicht tut er es ja nach dem Lesen dieses Beitrages.

Ein neuer Denkrahmen ist notwendig

Wir denken in Dichotomien, was letztendlich unserem Zweiwertigen Denkrahmen geschuldet ist. Netzwerke ohne Hierarchien funktionieren nicht. Hier ist eine Versöhnung angesagt, die aber im “Entweder-Oder-Denken” schwierig bis unmöglich ist. Wir haben es hier mit Feinddenken zu tun. Das erkennt man sehr schön in den laufenden Diskussionen. Details zum angesprochenen Denkrahmen können Sie meinem Beitrag Wir haben uns nicht für Digitalisierung entschieden, … entnehmen.

Auch das von John P. Kotter propagierte Duale System ist keine Lösung. Warum? Weil diese dem derzeitigen Zweiwertigen Denkrahmen entsprungen ist, wo Hierarchie und Netzwerk unvereinbar gegenüber stehen. Wie gesagt, das VSM setzt nicht auf Zweiwertigkeit auf und negiert deshalb auch nicht die Lebendigkeit, was es für mich persönlich als so wahnsinnig wertvoll erscheinen lässt.

Zum Schluss möchte ich noch kurz anmerken, dass diese dichotome Diskussion auch im Kontext “Wasserfall vs. Agil” zu finden ist. Ich möchte jetzt nicht darauf eingehen, dass man hier einen Kategorienfehler begeht, da es sich bei “Wasserfall” um eine Methode und bei “Agil” um eine Haltung handelt. Ähnlich wie bei der Gegenüberstellung zwischen Hierarchie und Netzwerk erkennt man in diesem Kontext keine Gemeinsamkeiten. Im Rahmen einer agilen Haltung lassen sich aber auch Wasserfall-Methoden sehr gut platzieren, ähnlich wie man bei Wasserfall-Methoden von einer agilen Einstellung reden kann. Man muss sich bei der Befriedigung von Kundenbedürfnissen eben nur die Frage beantworten, wie klar eine umzusetzende Anforderung seitens des Kunden verstanden und abgestimmt und wie zeitbeständig diese ist. Abhängig von dieser Antwort, müssen dann die Feedbackschleifen zum Kunden schneller oder langsamer drehen und der Kunde mehr oder weniger eingebunden werden. Also auch hier keine Dichotomie, sondern Versöhnung.

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Blogparade: Welchen Mehrwert bringen externe Berater für den Wandel in Unternehmen?

In der vergangenen Woche wurde auf Twitter eine Diskussion angefacht, in welchem externe Berater thematisiert wurden und welchen Mehrwert diese für den Wandel in Unternehmen bringen. Den Impuls dafür hat Gerhard Wohland gesetzt, in dem er postulierte.

Ein Manager, der einen Berater frägt was er tun soll, ist keiner.

Den kompletten Thread dazu können Sie über den unten stehenden Link einsehen.

Diese Diskussion ist für mich der Impuls, eine Blogparade in diesem Kontext zu starten. Als Anhaltspunkt für alle Teilgeber möchte ich einige Fragen in den Raum stellen, die im Rahmen der Twitter-Diskussion teilweise angerissen wurden.

  1. Was können externe Berater für den Wandel in Unternehmen einbringen, was von innen heraus schwer bis gar nicht möglich ist?
  2. Lassen sich Unternehmen nur von innen heraus ändern (operationale Geschlossenheit)?
  3. Wie wichtig ist heute noch das Referenzieren auf Best Practice? Hat sich dieser Fakt im Laufe der Zeit geändert?
  4. Welche Erfahrung haben Sie mit Beratern im Kontext Wandel gemacht?
  5. Können Sie Ihre Erfahrung, positiv oder negativ, begründen, sprich lassen sich die Ursachen verallgemeinern?

Selbstverständlich können Sie weitere Fragen reflektieren.

Wie kann man an der Blogparade teilnehmen?

Grundsätzlich kann Jeder mitmachen. Wenn Sie einen eigenen Blog haben, können Sie Ihren Beitrag dort veröffentlichen, im Text auf diese Blogparade referenzieren und dann Ihren Beitrag hier als Kommentar verlinken. Gerne können Sie mir auch eine E-Mail mit dem Link zu Ihrem Artikel senden. Podcasts, Videos oder andere Formate sind natürlich ebenfalls möglich.

Wenn Sie keinen eigenen Blog haben, können Sie mir Ihren Beitrag auch gerne per Mail senden. Ich werde dann den Beitrag hier im Logbuch als Gastbeitrag veröffentlichen und zu dieser Blogparade verlinken. Dazu wären ein paar Angaben und Links zu Ihnen, gerne mit einem oder mehreren Fotos sehr cool, aber nicht unbedingt notwendig.

Ich freue mich auf spannende Beiträge. Die angefangene Diskussion auf Twitter war bereits vielversprechend.

Es wäre toll, wenn Sie diese Blogparade – und natürlich auch die einzelnen Beiträge – mit Ihren Netzwerken teilen: via Twitter, Facebook, Google+, XING, LinkedIn etc.

Wie lange ist die Blogparade aktiv?

Bis zum 30. September 2016 können Beiträge eingereicht werden. Danach werde ich einen zusammenfassenden Beitrag verfassen. Mein eigener Beitrag wird in den kommenden Wochen folgen.

Eingereichte Beiträge

  1. Walter Haselsteiner mit diesem Kommentar
  2. Olaf Hinz mit Bleib mir weg mit Beratern
  3. Peter Addor mit Von einem guten Rat zu profitieren, erfordert mehr Weisheit, als ihn zu geben
  4. Ralf Westphal mit Beraten lassen hilft
  5. Ute Schulze mit diesem Kommentar
  6. Mark Lambertz mit In welchem der fünf Systeme des Viable System Model können Berater am besten wirken?
  7. Gerhard Wohland mit diesem Kommentar
  8. Ardalan Ibrahim mit If business consulting commercials were honest
  9. Jenny Meyer mit Warum externe Beratung noch lange nicht ausgedient hat!
  10. Christoph Schlachte mit Bieten externe Berater einen Mehrwert?
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Wir haben uns nicht für Digitalisierung entschieden, …

Im Rahmen des PM Camps in Berlin, welches vom 29.09. bis 01.10.2016 stattfindet, wurde eine Blogparade mit dem Titel DIGITALISIERUNG – in Projekten und darüber hinaus … gestartet. Ich zitiere aus der Einladung zu dieser Blogparade.

Beim PM Camp Berlin 4.0 geht es um DIGITALISIERUNG – in Projekten, durch Projekte, aber auch darüber hinaus. Das ist natürlich noch einigermaßen abstrakt. Lasst es uns doch schon einmal etwas konkretisieren: Was also bedeutet DIGITALISIERUNG für Dich persönlich? Wir sind gespannt auf Eure Beiträge – macht mit bei unserer Blogparade!

Cool, genau mein Thema derzeit. Also bin ich natürlich mit einem Beitrag am Start. Da möchte ich doch am Anfang meines Beitrages gleich den Satz, den ich im Titel dieses Beitrags angefangen habe, vervollständigen.

Wir haben uns nicht für Digitalisierung entschieden, sondern nur die Entwicklung im Kontext unseres Denkrahmens, den wir mit dem Beginn der Naturwissenschaften geschaffen haben, konsequent fortgeführt. Die Entscheidung über Digitalisierung ist viel früher, genauer im 17. Jahrhundert, gefällt worden.

Dann ist das Thema Digitalisierung also bereits relativ alt und gar kein so junges Thema? Genau, das ist meine Meinung, welche ich jetzt kurz ausführen möchte.

Was hat Digitalisierung mit Naturwissenschaft zu tun?

Den Startschuss für die Digitalisierung haben wir mit dem Beginn unserer Naturwissenschaften im 17. Jahrhundert gegeben. Zur Zeit des 30-jährigen Krieges, in welchem sich die Menschen gegenseitig um der Wahrheit Willen getötet haben, hat sich Rene Descartes, französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler, die Frage gestellt, ob es keine andere Art und Weise geben kann, über Wahrheit zu “streiten”?

Das war der Impuls für den Beginn der Naturwissenschaften. Es wurde also ein Denkrahmen geschaffen, der es erlaubt, über Themen und Sachverhalte zu diskutieren. Francis Bacon, englischer Philosoph und Wegbereiter des Empirismus, hat als erster formuliert, dass der Sinn der Naturwissenschaften darin besteht, die Natur zu beherrschen. Descartes hat dieser Forderung Leben eingehaucht, in dem er die Methode von Galileo Galilei fortgeführt hat, die aussagt, wie Problemstellungen wissenschaftlich untersucht werden sollten. Diese Methode beruht auf den folgenden Säulen.

  1. Gefundene Erkenntnisse müssen reproduzierbar sein.
  2. Gefundene Erkenntnisse müssen objektivierbar sein. Egal wer ein Experiment ausführt, es kommt stets das gleiche Ergebnis heraus.
  3. Gefundene Erkenntnisse müssen quantitativ abgelegt sein, sonst sind diese nicht ernst zu nehmen, da zu schwammig.
  4. Gefundene Erkenntnisse müssen kausal über Ursache-Wirkung-Denken hergeleitet sein.

Es ist leicht einzusehen, dass diese Methode eine Trennung zwischen Geist und Materie voraussetzt und nur für die Materie gilt. Grundsätzlich ist diese Methode aufgebaut auf den Axiomen der Aristotelischen Zweiwertigen Logik, die da heißen.

  1. Satz der Identität: Alles ist identisch mit sich selbst und verschieden von anderen.
  2. Satz vom Widerspruch: Von zwei sich widersprechenden Aussagen können nicht beide gleichzeitig richtig sein.
  3. Satz vom ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur): Für eine beliebige Aussage muss mindestens die Aussage selbst oder ihr Gegenteil gelten. Eine dritte Möglichkeit ist ausgeschlossen.

Spätestens seit dem 12. Jahrhundert haben wir uns in unserem Abendländischen Kulturraum auf diesen Aristotelischen Denkrahmen festgelegt. Details dazu finden Sie in meinem Beitrag Unser Denkrahmen hat sich seit dem Mittelalter nicht weiter entwickelt. Übrigens sind die Menschen im asiatischen Kulturraum diesem Denkrahmen, auch oft als Entweder-Oder-Denken bezeichnet, nicht “per Gesetz” aufgesessen. Sie kennen im Gegensatz zu den Menschen im Abendländischen Kulturraum noch weitere, wie beispielsweise das Buddhistische Denken. Sie haben sich nur teilweise für diesen Denkrahmen entschieden, da sie anschlussfähig sein mussten für unser Wissenschafts- und Wirtschaftssystem.

Erkennen Sie jetzt bereits den Zusammenhang zwischen dem Beginn der Naturwissenschaft und der Digitalisierung? Unternehmen Sie gerne den Versuch und “googeln” Sie den Begriff “Digitalisierung” und setzen Sie die Beiträge, in denen es um Technologie (Materie) geht, mit denen, die den Menschen (Geist und Materie) reflektieren, ins Verhältnis.

Wir identifizieren Digitalisierung viel zu häufig mit der Weiterentwicklung von Technologie. Alle Probleme und Herausforderungen versuchen wir über Technologie zu lösen. Nehmen Sie nur als Beispiel die Kommunikation in Unternehmen. Stellen wir fest, dass diese nicht gut genug ist, stellen wir gleich die Toolfrage: Welches Tool nutzen wir zukünftig, um vernetzter zu agieren? Das Kommunikation eine zu tiefst menschliche Angelegenheit ist, wird außer Acht gelassen. Sie finden sicherlich weitere Beispiele, die diesen Fakt belegen. Übrigens ist unser gesamtes Managementsystem in Unternehmen auf dem Aristotelischen Denkrahmen aufgebaut. Das können Sie sicherlich in Ihrem täglichen Berufsalltag leicht nachprüfen.

Ray Kurzweil, der “Technologie-Papst” im Kontext Digitalisierung, sagte beispielsweise, dass es unabdingbar wäre, intelligente Maschinen zu entwickeln, da nur diese alle Probleme unserer heutigen Zeit lösen könnten. Alleine beim Schreiben dieses Satzes verspüre ich wahnsinnige Schmerzen. Aber diese Aussage ist absolut konsequent, da zu unserem Denkrahmen passfähig. Warum die Schmerzen in mir? Das behandele ich nun.

Wir entmenschlichen im derzeitigen Denkrahmen unsere Gesellschaft

Natürlich, und das möchte ich vorweg schicken, haben wir im Rahmen des Aristotelischen Denkrahmens enorme und für uns auch wichtige Fortschritte erlangt, aber eben nur im technologischen Bereich. Das ist unbestritten und auch gut so. Allerdings fehlt dabei stets eine Komponente, und das ist die Lebendigkeit. Lebendigkeit ist durchzogen von Widersprüchen. Ohne Widersprüche gibt es keine Lebendigkeit. Aber unser Aristotelischer Denkrahmen schließt nun einmal Widersprüche aus. Erinnern sie sich gerne an den oben dargestellten Satz vom Widerspruch. Lebendigkeit können wir in unserem Denkrahmen nicht behandeln, also schließen wir sie aus und damit den Menschen. Dadurch geht Menschlichkeit in unserer Gesellschaft verloren. Und das ist mein Schmerz.

Diese Entmenschlichung erkannt man auch leicht an Handlungsmuster, die für uns im Alltag total normal geworden sind. Wenn wir uns beispielsweise krank fühlen, greifen wir sofort zum Thermometer, um Fieber zu messen. Wir trauen unserem Gefühl nicht, sondern müssen dieses technologisch nachweisen. Das mag banal klingen. Für mich allerdings ist das ein Indiz dafür, wie sehr wir uns nicht nur von unseren Mitmenschen entfremden, sondern sogar auch von uns selbst.

Häufig reicht es uns aus, dass wir Sachverhalte messen können, da wir glauben, dass damit das Verständnis über diesen Sachverhalt einhergeht. Welche Ausmaße das annehmen kann, sehen wir beispielsweise in der Psychologie. Der brand eins Artikel Wir wissen nicht, was es ist. Aber wir können es messen. behandelt dieses Thema sehr anschaulich. Ich zitiere kurz als Appetithäppchen.

Mittlerweile sind allein im deutschsprachigen Raum mehrere Tausend Tests für alle denkbaren Fragestellungen auf dem Markt. Dazu zählen Persönlichkeitstests für Schüler – damit die auf ihrem Lebensweg auch ja keine Zeit verlieren. Einer der Anbieter ist die Gesellschaft für psychologische Eignungsdiagnostik und Unternehmensberatung (Gepedu) aus Egmating bei München, die mit ihren “wissenschaftlich fundierten Verfahren” wirbt. Dazu zählt unter anderem ein Berufsorientierungstest für Schüler, der online absolviert werden kann. Eine ausführliche Auswertung kostet 23,80 Euro. Dieses maschinell erzeugte Ferngutachten enthält Prozentangaben darüber, inwieweit Frustrationstoleranz, Belastbarkeit, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, Teamfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Konfliktstärke, Kritikfähigkeit und Begeisterungsfähigkeit über- oder unterdurchschnittlich ausgeprägt sind.

Alleine dieses Zitat macht nachdenklich, oder? Aber lesen Sie gerne den ganzen Artikel. Des Weiteren finden Sie in meinem Zettelkasten eine Reihe weiterer Links zu Beiträgen, in denen Phänomene dieser Art aufgedeckt werden.

Wie bekommen wir wieder Menschlichkeit in unsere Gesellschaft?

In diesem Kontext möchte ich, da gar nicht möglich, keine Rezepte liefern, sondern eher Impulse setzen, die es erlauben, unseren derzeitigen Aristotelischen Denkrahmen zu erweitern, damit wir wieder Menschlichkeit zulassen.

Als erstes möchte ich auf Heinz von Foerster eingehen, der die Kybernetik zweiter Ordnung geprägt hat wie kein Zweiter. Im Rahmen der Kybernetik erster Ordnung werden beobachtete Systeme behandelt, wohingegen im Rahmen der Kybernetik zweiter Ordnung beobachtende Systeme betrachtet werden. In diesem Kontext wird also der Mensch, der Experimente durchführt, der denkt, der wahrnimmt, der fühlt etc. um Erkenntnisse zu generieren, in die Betrachtung mit einbezogen. Mit dieser Erweiterung des Denkrahmens kommt dann Heinz von Foerster zu einer differenzierten Betrachtung der Wahrheit. Vorher wäre dies gar nicht möglich gewesen.

Er hinterfragt also die Basis, auf der unser Aristotelischer Denkrahmen entstanden ist, und hat so erst die Chance diesen Denkrahmen zu erweitern. Cool. Aus seiner Sicht bedingen sich Wahrheit und Lüge gegenseitig. Wer von Wahrheit spricht, macht seinen Gegenüber direkt oder indirekt zu einem Lügner. Sie erinnern sich sicherlich an die oben aufgezeigten Axiome unseres Denkrahmens. Die beiden Begriffe “Wahrheit” und “Lüge” gehören also zu einer Kategorie des Denkens, die wir erweitern sollten, um neue Erkenntnisse zu ermöglichen. Nach seiner Auffassung hat die Thematisierung von der Wahrheit katastrophale Folgen und zerstört die Einheit der Menschheit. Ich denke ein Blick in die heutige Nachrichtenwelt kann diese These nicht entkräften, oder?

Näheres dazu finden Sie in diesem Interview mit Heinz von Foerster sowie ausführlicher dann im Buch Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners

Als nächstes komme ich zu Prof. Dr. Arno Gruen. Auch er hinterfragt, ähnlich wie Heinz von Foerster, die Basis unseres derzeitigen Denkrahmens, nämlich die Aussage von Francis Bacon, dass wir Menschen die Natur beherrschen sollten, was ja Aufgabe der Naturwissenschaften an sich sein soll. Seiner Meinung nach sollten wir Menschen eher demütig mit uns und der Natur umgehen, uns im Einklang mit dieser sehen. Das kognitive und abstrakte Denken, also unser existierender Denkrahmen, ersetzt das Empathische in uns. Ohne Empathie aber erzeugen wir eine Scheinwelt, die befreit ist von Mitgefühl und damit von Verbundenheit zueinander. Auch er spricht von fehlender Menschlichkeit. Unser Denkrahmen basiert auf ein “Feinddenken”, da es auf Dichotomien aufgebaut ist. Heinz von Foerster hat diesen Fakt an der Dichotomie “Lüge-Wahrheit” aufgezeigt.

Details dazu können Sie sich gerne in seinem Vortrag “Gespaltenes Bewusstsein. Empathie versus Kognition” anhören.

https://www.youtube.com/watch?v=hHI1jm3uwwo

Interessant ist auch, dass er einen Vergleich zu den Naturvölkern zieht, die wir gerne als primitiv einstufen. Warum? Weil sie unseren Aristotelischen Denkrahmen nicht einnehmen und dadurch unseren technologischen Fortschritt nicht teilen. Was sie sich aber erhalten haben ist die Zuwendung zur Natur und damit auch das Bewahren des Miteinander. Vielleicht sollten wir unsere Wertung über diese Menschen noch einmal überdenken, oder?

Die Naturwissenschaften haben uns den Respekt vor den Kräften der Natur genommen. Wir sollten unser Beobachten und unser Wahrnehmen wiederentdecken. Denn, die Naturwissenschaftler schauen schon lange nicht mehr mit dem bloßen Auge, riechen nicht mehr mit der Nase und hören nicht mehr mit den Ohren. Elektronische Sensoren, raffinierte chemische Analyseinstrumente und Gensequenzierungsapparate haben die von der menschlichen Natur gesetzten Grenzen unserer Sinne weit hinter sich gelassen. Die Augen der Wissenschaft sind heute Mikroskope wachsender technischer Raffinesse. Und diese Sensoren basieren eben auf den Erkenntnissen und Errungenschaften unserer Naturwissenschaften. Ein Teufelskreis? Ja, dem wir entrinnen sollten. Mehr dazu gerne hier.

Anknüpfend daran komme ich zu einem dritten Vertreter, den ich in diesem Zuge nennen möchte. Vielleicht für Einige überraschend handelt es sich hier um Johann Wolfgang von Goethe. Er war eben nicht nur Dichter, auch wenn Wikipedia genau dies ausweist, sondern auch Denker. Er hat zu seiner Zeit ebenfalls den hier oft angesprochenen Aristotelischen Denkrahmen kritisiert und zu erweitern versucht. Kurz, in meinen Worten zusammengefasst, kritisiert er, dass wir in unserem derzeitigen Denkrahmen viel zu früh und unreflektiert von Modellen ausgehen, auf deren Basis wir dann Erklärungen generieren. Wir trivialisieren einen “Untersuchungsgegenstand” zu früh in Form von Modelle, untersuchen dann die Modelle, gewinnen Erkenntnis auf Basis dieser Modelle und stülpen diese Erkenntnisse dann den “originalen Untersuchungsgegenständen” über.

Im toten Bereich kann man diesen Vorgang ja gerne durchführen, aber eben nicht im Bereich der Lebendigkeit. Ein Beispiel dafür gefällig? Nehmen Sie gerne die bekannten Methoden und Tools im Bereich Personalmanagement in Unternehmen.

Goethe reflektiert ähnlich wie Gruen den Fakt, dass wir Denken erst dann als Denken ansehen, wenn dieses abstrakt ist und damit weit entfernt ist von dem, worüber nachgedacht wird. Im Bereich der Lebendigkeit bedeutet diese Prämisse natürlich Entmenschlichung. Logisch, oder?

Ein gutes Beispiel sind hier die Forschungen rund um Künstliche Intelligenz. Irgendwann einmal hatten wir den Drang über Intelligenz mehr zu erfahren. Dann haben wir diese objektiviert und damit trivialisiert, womit wir ab diesem Zeitpunkt nur noch über dieses abstrakte Ding von Intelligenz nachdenken. Wir können Intelligenz ja messen. Dafür haben wir verschiedene Tests entwickelt. Wir haben aber noch nicht verstanden, was Intelligenz überhaupt bedeutet und wie diese entsteht, wollen diese aber nachbauen. Egal, wir können sie ja messen. Schlimmer noch. Wir glauben, und das sagen viele KI-Forscher, dass wir auf Basis der von uns erschaffenen künstlichen Intelligenz, die menschliche Intelligenz besser verstehen werden. Durchdenkt man diese Worte sehr tiefgründig, kommt man schnell auf den Fehler, oder? Vor allem aber erkennt man den Teufelskreis, dem wir in unserem derzeitigen Denkrahmen erlegen sind.

Falls Sie mehr zu den Ideen und Gedanken von Goethe erfahren möchten, die er sich im Kontext Erweiterung des Aristotelischen Denkrahmens gemacht hat, können Sie gerne hier nachforschen.

Ergebnis dieser Gedanken war ja unter anderem auch die Auseinandersetzung, die er mit Newton im Bereich der Optik hatte. Klar, weil sie in unterschiedlichen Denkrahmen agierten, kamen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen, die nicht miteinander vereinbar waren.

Ich habe Ihnen in diesem letzten Abschnitt einige Beispiele und Links zu weiterführender Lektüre angereicht, da ich denke, dass man sich dem Thema “Denkrahmen” aus vielen verschiedenen Richtungen nähern sollte. Logisch, denn wir denken über diese geschriebenen Zeilen ja auch in unserem derzeitig vorherrschenden Aristotelischen Denkrahmen nach. Hier muss man also den blinden Fleck beachten, dem man sich ganz behutsam nähern sollte.

Ich hätte an dieser Stelle auch viele andere Vertreter, wie Gerald Hüther, Gotthard Guenther, Stafford Beer, Hans-Peter Dürr u.a., nennen können, die mich in diesem Zusammenhang immer wieder zum Denken und Reflektieren anregen. Das würde diesen Beitrag aber in Länge und Inhalt sprengen.

Fazit

Ich verteufele die Digitalisierung nicht an sich. Ich bin nur der festen Überzeugung, dass wir auf der digitalen Reise einen Irrweg eingeschlagen haben, den wir nur verlassen können, wenn wir unseren Aristotelischen Denkrahmen erweitern.

Maschinen konstruieren und entwerfen wir im Aristotelischen Denkrahmen. Das geht auch nicht anders, da so nun einmal unsere Computer funktionieren, “0” oder “1”. Wir Menschen sind aber zu viel mehr im Stande als der Aristotelische Denkrahmen zulässt. Wie gesagt, dieser funktioniert ausschließlich in der materiellen Welt, nicht in der geistigen. Wir konditionieren uns im Rahmen der Digitalisierung aber wie ausgeführt auf den Aristotelischen Denkrahmen und minimieren damit unseren Potentialraum, was dazu führt, dass wir abstumpfen und uns den Maschinen “nach unten” annähern. Nicht die Maschinen nähern sich den Menschen “nach oben an”.

Wollen wir das zulassen?

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Agilität – Eine Ode an die Begriffsfummelei

Häufig bin ich in der nahen Vergangenheit an Diskussionen beteiligt, in denen der Satz fällt “Wir müssen agiler werden!” Frage ich dann nach, was das genau bedeuten soll, ist die Antwort von vielen Fachbegriffen, wie “Scrum”, “Retrospektive” oder “Product Backlog Refinement” geprägt.

Heute möchte ich eine kurze und prägnante Beschreibung für Agiles Denken und Arbeiten finden, die keinerlei Fachbegriffe enthält, die also selbst meine 12-jährige Tochter verstehen kann, denn

Schaffen wir das nicht, wissen wir auch nicht wirklich was wir mit “Agil” eigentlich meinen. Wie Einstein schon sagte: “Du hast nicht wirklich etwas verstanden, solange Du nicht in der Lage bist, es Deiner Großmutter zu erklären.”

Für mich besteht Agiles Denken und Arbeiten aus zwei Phasen, die ich aber nur für die Beschreibung hier trennen möchte. In der praktischen Umsetzung ist diese Trennung aus meiner Sicht fatal. Es bestehen fließende Übergänge.

Die Fragen zur Identität und Daseinsberechtigung

Ich muss die Frage zu meiner Identität und Daseinsberechtigung stellen und beantworten, die da wäre: “Für wen stelle ich eine Leistung parat, die einen Bedarf desjenigen deckt und warum ist das so?” Herunter gebrochen muss ich also folgende Fragen beantworten.

  1. Wer hat einen Bedarf, der gedeckt werden soll?
  2. Worin besteht dieser Bedarf?
  3. Was wird für Denjenigen besser, wenn dieser Bedarf dann gedeckt ist?
  4. Mit welchen eigenen Leistungen kann ich diesen Bedarf decken?

Die Beantwortung dieser Fragen hängt ganz entscheidend vom Standpunkt ab. Das möchte ich an zwei Beispielen näher darlegen.

Ich arbeite bei OTTO im BI Bereich. Nehme ich diesen Standpunkt, dann beantworte ich die oben gestellten Fragen beispielsweise in dieser Art. Die Fachbereiche bei OTTO haben den Bedarf, in ihren Geschäftsprozessen stetig bessere Entscheidungen treffen zu müssen, damit die Handlungen besser am Markt ausgerichtet sind, wir den Markt aber auch gestalten können. Bessere Entscheidungen können wir über bessere BI Produkte (Reporting und analytische Modelle) erzielen, die ihrerseits auf relevantere Daten, als heute noch der Fall, basieren. Also erstellen wir genau diese BI Produkte, damit wir zukünftig bessere Entscheidungen treffen können.

Beantworte ich die oben gestellten Fragen aus der Sicht von OTTO als Unternehmen, dann könnte ich diese so beantworten. Das Bedürfnis der Menschen Produkte zu kaufen, um ihren Bedarf zu befrieden, wird wohl auch in Zukunft noch präsent sein. Wir als OTTO sind Händler und möchten unseren Kunden in diesem Kontext ein unvergessenes Einkaufserlebnis bieten, inklusive dem Service. In diesem Sinne müssen wir unseren Kunden auf für den Kunden einfache und intuitive Art und Weise Produkte anreichen, die er sucht und nirgendwo anders in der gleichen Art und Weise findet.

Es ist also ganz wichtig, als erstes den Standpunkt oder anders gesagt den Kontext zu bestimmen, aus dem man heraus agil denken und arbeiten möchte. Die Antworten zu den Fragen bestimmen dann nämlich maßgeblich die Aktivitäten, die durchzuführen sind.

Des Weiteren liegt es in erster Linie an der Änderungsgeschwindigkeit des Umfeldes (OTTO als Umwelt von BI und der Markt als Umwelt von OTTO), in welchen Zeitintervallen diese Fragen immer wieder neu beantwortet und damit die Antworten validiert werden müssen. Dafür gibt es kein Rezept, ist also eine unternehmerische Entscheidung.

Das Operationalisieren der eigenen Identität

Habe ich die oben genannten Fragen beantwortet, kann ich die Mehrwertströme evaluieren, entlang dieser die Leistungen erstellt werden müssen. An den Beispielen oben erkennt man also relativ einfach, dass es in einem Unternehmen stets mehrere Mehrwertströme gibt. Entlang dieser Mehrwertströme müssen Aktivitäten definiert werden, die den Durchsatz an Leistungen direkt erhöhen und solche, die als Support für diese Aktivitäten dienen. Diese Supportaktivitäten haben die Aufgabe, Engpässe im Mehrwertstrom aufzudecken und diese zu beseitigen. Das Management gehört übrigens ebenfalls zum Support in diesem Sinne. Sie haben also einen ganzheitlichen Charakter und finden nie ein Ende, denn, wenn in einem Mehrwertstrom an einer Stelle ein Engpass eliminiert wurde, taucht an anderer Stelle ein neuer auf, der dann wieder beseitigt werden muss. Genau genommen geht es an dieser Stelle um die Theory of Constraints (ToC) von Eliyahu Goldratt.

Alle Aktivitäten, die weder direkt zum Mehrwertstrom gehören, noch zu den Supportaktivitäten zuzurechnen sind, sollte man sein lassen. Das Finden der relevanten Handlungen findet man durch das Stellen von Fragen, wie.

  1. Wer genau benötigt diese Aktivität in welchem Mehrwertstrom im Unternehmen?
  2. Was genau wird dann in welchem Mehrwertstrom besser im Gegensatz zu heute?
  3. Und warum ist diese Verbesserung wichtig?

Diejenigen, die beispielsweise eine Feinkonzeption zu einer umzusetzenden Anforderung einfordern, kann man mit solcher Art von Fragen herausfordern konkret zu werden. Sie kommen dann nämlich von ganz alleine darauf, dass beispielsweise für Leistungen, die man noch nie erstellt hat, auch keine Aktivitäten definiert werden können, die zum Erhalt dieser Leistungen erforderlich sind, und man deshalb weg kommen sollte, alles vorher auf Papier zu konzipieren, sondern eher in ein Test-Lern-Zyklus übergehen sollte. Ähnlich verhält es sich hier mit der Forderung nach langfristiger Planung.

Wie gesagt, ich würde niemals sagen, dass man diese Aktivitäten grundsätzlich in Unternehmen nicht mehr benötigt. Sie müssen eben nur einen Mehrwert generieren, entweder direkt im Mehrwertstrom oder eben als Support für den Mehrwertstrom. Und genau das bekommt man heraus, wenn man die 3 oben aufgeführten Fragen beantwortet.

Und was bedeutet nun “Agil”?

Oft bekomme ich als Reaktion auf meine Begriffsklärung von “Agil” die Antwort, dass ich diese mit “Lean” und “xyz” vermische, woraufhin ich dann entgegne, was denn besser werden würde, wenn wir den Aufwand spendieren, über diese Begriffsklärung zu diskutieren. Die Antwort ist dann meist ein Bestandteil der leeren Menge.

Für mich bedeutet “Agilität” also nicht das Geben von Antworten, sondern eher das Stellen relevanter Fragen, die, wie man oben sieht, einen relativ generischen Charakter haben. Je nach Kontext, fallen dann aber natürlich die Antworten spezifisch aus. Diese Antworten müssen dann immer noch die Menschen finden. Maschinen können das nicht, da Maschinen keinen Kontext ermitteln können. Den Maschinen wird der Kontext stets per Programmcode einfiltriert. Mehr dazu gerne hier. Deshalb hat Agilität auch wenig mit Methode zu tun, sondern eher mit Haltung und Einstellung, womit wir auch schon zu den Herausforderungen überleiten können.

Aber vorher möchte ich die in fett gestellte Frage beantworten. Ganz ehrlich? Mir ist vollkommen egal was “Agil” bedeutet, so lange wir uns in den Unternehmen die Fragen zur eigenen Identität und zur Operationalisierung dieser immer wieder in regelmäßigen Abständen beantworten. Wir vergeuden, so meine Wahrnehmung, viel zu viel Zeit damit Begriffsklärungen vorzunehmen, als uns die eigentlich relevanten Fragen zu beantworten. Dementsprechend klinke ich mich häufig aus diesen Diskussionen aus oder versuche die Diskussion in Richtung der wichtigen Fragen zu lenken.

Warum fällt es uns so schwer, die oben dargelegten Fragen zu stellen und zu beantworten?

Die Themen, die ich nun aufliste, sollen weder den Anspruch auf Vollständigkeit erheben, noch sollen sie die allgemeingültige Wahrheit spiegeln. Sie basieren auf Basis meiner Wahrnehmung der letzten Jahre.

Das Reflektieren der oben aufgestellten Fragen hat eher etwas mit einer notwendigen Einstellung, denn mit einer Methodik zu tun. Das habe ich oben bereits kurz angerissen. Darin sind wir Menschen aber nicht mehr so geübt. Wir fragen bei Problemstellungen viel zu häufig nach Best Practice und suchen Hilfe im Außen, als dass wir uns auf uns besinnen und denken wollen.

Des Weiteren müssen die Fragen stets von einem klar definierten Standpunkt her gestellt und beantwortet werden. Bezogen auf die obigen Beispiele “BI bei OTTO” und “OTTO als Unternehmen” kann man das sehr schön erkennen. Unsere westliche Gesellschaft, die wir natürlich selbst erschaffen haben, hat uns aber zu “Egoisten” werden lassen. Das macht es uns immer wieder schwer, Sachverhalte mit den Augen anderer zu beschreiben, Adressatengerechte Kommunikation fällt uns schwer. Diesen Fakt kann man hier sehr eindrucksvoll untermauert nachlesen.

Einen letzten Fakt möchte ich in diesem Kontext anreißen, nämlich die Notwendigkeit, dass wir einen neuen Denkrahmen benötigen, der unter anderem wieder mehr Menschlichkeit in der Wirtschaft zulässt. Unser jetziger, der auf der Zweiwertigen Aristotelischen Logik aufgebaut ist, sperrt nämlich unsere Lebendigkeit aus, weil er Widersprüche exkludiert. Uns ist es im jetzigen Denkrahmen nicht geläufig in Kreisläufen zu denken. Statt dessen suchen wir stets nach einem Anfang und einem Ende. Dies beinhaltet die Schwierigkeit in uns bergend prozessual und zirkulär zu denken. Uns ist es angenehmer statisch und linear zu denken, was nicht nur darin resultiert, dass wir unsere Unternehmen funktional in beispielsweise “Vertrieb”, “Einkauf”, “Logistik” aufbauen und eben nicht entlang der Mehrwertströme. Wir suchen noch nicht einmal nach diesen Mehrwertströmen. Möchten Sie mehr im Kontext Denkrahmen erfahren gerne hier nachlesen.

Zum Schluss eine Rückkopplung zum Anfang meines Posts. Meine Tochter versteht das Konzept hinter Agilität, wahrscheinlich besser als manch hoch bezahlter Manager der Wirtschaft. Sie war in dieser Woche beim “Boys & Girls Day” bei uns in der Firma. In diesem Kontext habe ich mit ihr diese Gedanken besprochen. Sie sagte dann im Laufe des Gesprächs, dass es klar ist im Unternehmen genau so zu agieren. Sie ist wohl noch nicht so sehr im alten Denkrahmen verhaftet wie wir es sind. Unser westliches Bildungswesen zeigt also noch keine so massiven Wirkungen.

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Unreflektierte KPI Orientierung in Unternehmen ist wie “Malen nach Zahlen”

Dieser Beitrag ist der nun mittlerweile 6. meiner Serie, in welcher ich die Organisation und das Führen von Unternehmen in einer höchst komplexen Welt, sprich im digitalen Zeitalter, beleuchte.

Im ersten und zweiten Artikel habe ich meine Ideen und Gedanken zu einer marktorientierten und kundenzentrierten Organisation von Unternehmen dargelegt und diese am Beispiel eines Handelsunternehmens untermauert. Im dritten Artikel habe ich den Unterschied zwischen Kompliziertheit und Komplexität aufgezeigt, worauf ich dann im vierten und fünften Beitrag aufbauend die Potentiale und Grenzen von Big Data und damit einhergehend von automatisierten Entscheidungsalgorithmen via Data Science thematisiert habe.

Diese Gedanken möchte ich nun aufgreifen, um Ihnen Ansatzpunkte für ein Regeln und Steuern von Unternehmen anzureichen.

Beiträge zur Reihe “End-to-End Organisation und Steuerung/ Regelung von Unternehmen” Link
Ist bei End-to-End Prozessen auch immer wirklich End-to-End drin? link
Eine konkrete End-to-End Prozessbetrachtung am Beispiel eines Handelsunternehmens link
Methoden passen immer, … link
Die Big Data Analytics Matrix link
Maschinen kennen nur das “WAS”, niemals das “WARUM” link
Unreflektierte KPI Orientierung in Unternehmen ist wie “Malen nach Zahlen” Dieser Beitrag
Steuerung und Regelung von Unternehmen mit dem Viable System Model link

Ich habe des Öfteren in dieser Beitragsserie die Begriffe Steuern und Regeln verwendet. Da ich 2 Begriffe verwende muss es einen Unterschied zwischen Beiden geben. Gibt es auch, und welchen?

Steuern vs. Regeln

Beiden Vorgängen, Steuern als auch Regeln, ist gemein, dass ein Unternehmen einen bestimmten Zweck erfüllen soll, wodurch sich bestimmte dafür ausgelobte Kennzahlen in gewünschter Weise verhalten sollen. Das bedeutet, es wird in das System “Unternehmen” eingegriffen. Der große Unterschied zwischen Steuerung und Regelung besteht nun darin, dass bei der Steuerung eine lineare Ursache-Wirkungsbeziehung vorliegt, was dazu führt, dass im Rahmen von Steuerung der erreichte Endzustand der zu steuernden Kennzahl selbst bei starken Abweichungen vom gewünschten Verhalten oder Kennzahlenwert ein endgültiger ist, also nicht mehr geändert wird. Es gibt also keinen regulierenden Mechanismus hinsichtlich der Abweichungen des Istwertes vom Sollwert. Der angesprochene regulierende Mechanismus wird auch als negative Rückkopplung bezeichnet.

Steuerung_Regelung

In der obigen Abbildung erkennt man den Unterschied zwischen Steuerung und Regelung sehr deutlich. Bei einer Steuerung existiert keine Rückkopplung auf den Sollwert. Ich möchte die Funktionsweise einer Regelung kurz an einem Beispiel erklären.

Nehmen Sie Ihre Heizungsanlage zu Hause. Die eingestellte Solltemperatur für die einzelnen Zimmer ist die Führungsgröße. Die Regelgröße ist die derzeitige Zimmertemperatur, die vom Fühler, in diesem Fall vom Thermostat, gemessen wird. Stellt der Fühler eine Abweichung der derzeitigen Temperatur zur Solltemperatur fest, so wirkt der Regler, in diesem Falle wieder der Thermostat, dem entgegen. Bei zu niedriger Isttemperatur gegenüber der Solltemperatur wird die Isttemperatur erhöht und vice versa. Dieses Entgegenwirken wird durch die negative Rückkopplung erreicht. Störfaktoren könnten in diesem Fall offene Fenster sein, welche die Isttemperatur in der Regel senken, oder viele Menschen im Raum, welche die Isttemperatur in der Regel erhöhen.

Aufgrund der fehlenden Justierung auf einen Zielwert ist es ersichtlich, dass ein irgendwie funktionierendes System nicht auf negative Rückkopplungen verzichten kann. Einige Teilsysteme eines Systems können vielleicht ausschließlich gesteuert werden. Dieser Fakt ist für Unternehmensführung immens wichtig. Es muss also gesteuert und geregelt werden. Steuern geht stets vom Input aus, sprich es wird etwas mit einer bestimmen Absicht getan, ohne die Wirkung zu überprüfen. Hier geht es also statt um Wirkung um die Ursache. Beim Regeln wird vom Output her gedacht, sprich von der Wirkung, und dann bei Abweichung zum Sollwert am Input nachjustiert, eben geregelt. Regeln ist also ein zirkulärer Vorgang. Sie erkennen den Bezug zum Geschlossenen Regelkreis eines Unternehmens mit dem Markt, den ich im ersten Beitrag dieser Serie angerissen habe. Beim Regeln erkennt man Fehler als Chance zu lernen und besser zu werden. Beim Steuern kann man dem Reflex verfallen, Fehler zu hassen. Man neigt dann dazu nicht zuzuhören und wahrzunehmen, sondern sein Ding einfach durchzuziehen. Mehr dazu können Sie in dem sehr lesenswerten Buch Komplexität im Management – InFormation von Maria Pruckner erforschen.

Nun erkennen Sie wahrscheinlich auch den Bezug von Kennzahlen und KPIs zum Steuern und Regeln von Unternehmen. Ich muss diese nämlich messen, um festzustellen, wo ich mich befinde und ob ich ggf. im Falle von Regeln justieren muss oder nicht. Um dies aber entscheiden zu können, muss ich vorher definieren, wo ich mit meinem Unternehmen eigentlich hin möchte, sprich es müssen Ziele ausgelobt werden, die als Rahmenbedingungen für Handlungen gelten.

Das Setzen von Zielen in Unternehmen muss auf verschiedenen Detailstufen Top-Down geschehen.

Auch in diesem Kontext wage ich wieder ein Analogon, nämlich zum Autofahren. Stellen Sie sich vor ich möchte von Rostock nach Hamburg fahren und ich bekomme dafür die folgenden Ziele gesetzt.

  1. Du musst vor 20 Uhr in Hamburg sein und
  2. Du darfst nicht mehr als 8 Liter Diesel auf 100 km Fahrstrecke verbrauchen.

Hinter dieser Zielsetzung muss sich natürlich ein gewisser Zweck verbergen, den man verfolgen möchte. Dementsprechend sollte die Erreichung der Ziele auch überprüfbar sein. Dafür werden dann Kennzahlen verwendet. In diesem Fall eben die Ankunftszeit und der Durchschnittsverbrauch an Diesel. Nun kann es aber ja auch sein, dass ich ein weiteres Ziel als Rahmen mit auf dem Weg bekomme, wie zum Beispiel.

  1. Deine Höchstgeschwindigkeit darf nicht höher als 130 Kilometer pro Stunde betragen.

Diese zusätzliche Zielsetzung muss natürlich ebenfalls wieder durch einen Zweck untermauert sein, denn hier wird eine weitere Kennzahl benötigt, die gemessen und auf die reagiert werden muss. Das kostet Aufwand, dem ein Nutzen gegenüberstehen sollte. Die Frage, wie viele KPIs denn nun notwendig sind, um ein Unternehmen zu steuern und zu regeln, kann man ohne definierten Kontext, der eigentlichen Zielsetzung im Unternehmen einhergehend mit einer ausgelobten Identität, die im Unternehmen verfolgt werden soll, nicht beantwortet werden. Hat man diese Zielsetzung aber gegeben, sollten KPIs auf jeden Fall einfach verständlich, interpretationsfrei, handlungsleitend und fokussiert sein.

Im Zuge dieser Definition muss dann auch erhoben werden, wie oft (Realtime, Täglich, Wöchenlich, …) und auf welcher Ebene im Unternehmen Kennzahlen und KPIs gemessen und dementsprechend diskutiert werden müssen. Dabei wird es höchst wahrscheinlich so sein, dass je weiter Entscheider vom Markt entfernt sind, in vielen Unternehmen also je “weiter oben” die Entscheider im Organigramm lokalisiert sind, desto weniger frequentiert ist das Messen.

Welche Ziele sollten denn nun von einem Unternehmen verfolgt werden?

Alleine hinter dieser Fragestellung steckt die Hypothese, dass auf genereller Ebene, Ziele, die Unternehmen verfolgen sollten, ähnlich sind. Das möchte ich nun untermauern und stütze mich dabei auf den Rahmen von Direttissima. Jedes Unternehmen sollte genau ein grundsätzliches Ziel verfolgen, und zwar das Sichern der eigenen Überlebensfähigkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, benötigen Unternehmen eine ausgewogene Balance in zwei Dimensionen,

  1. in der räumlichen: Eigenes Unternehmen (Innen) vs. Markt (Außen) und
  2. in der zeitlichen: Gegenwart vs. Zukunft.

Unternehmen müssen heute erfolgreich sein, sollten aber natürlich heute schon dafür sorgen, auch morgen noch erfolgreich sein zu können. Es wird eine Kurz- als auch eine Langfristsicht benötigt. Es muss “heute” in Tätigkeiten investiert werden, die noch nicht gleich eine Wirkung zeigen. Das ist die zeitliche Dimension. In Bezug zur räumlichen Dimension stellt man die eigene Leistung in Ratio zu den Potentialen, die der Markt hergibt. Ist das Ergebnis eines Unternehmens beispielsweise um 8% gestiegen und das des Marktes um das Dreifache, ist diese Aussage anders zu bewerten, als wenn der Markt geschrumpft wäre.

Daraus ergeben sich dann 6 Zielgruppen, die den jeweiligen 4 Quadranten (Innen vs. Außen – Gegenwart vs. Zukunft) zugeordnet werden können.

  1. Marktstellung (Außen-Gegenwart)
  2. Innovationsleistung (Außen-Zukunft)
  3. Produktivität (Innen-Gegenwart)
  4. Attraktivität für gute Leute (Außen-Zukunft)
  5. Liquidität (Innen-Gegenwart)
  6. Ertragskraft (Innen-Gegenwart)

Unternehmensführung bedeutet im Kern, sich die relevanten Fragen zu stellen und diese dann zu beantworten. Hat man also die für das jeweilige Unternehmen relevanten Fragen entlang der oben dargestellten 6 Zielgruppen definiert, muss man im nächsten Schritt KPIs definieren, mit deren Hilfe die Fragen beantwortet werden. Damit baut man sich Indikatoren auf, um festzustellen ob gehandelt werden muss oder nicht. Diese KPIs messen in Gesamtheit das oberste Ziel eines Unternehmens, die Überlebensfähigkeit. Die folgende Abbildung zeigt beispielhaft relevante Fragen inkl. den dazu gehörigen KPIs.

KPI Fragen_1

KPI Fragen_2

Um dann in einem weiteren Schritt diesen KPIs Lebendigkeit einzuhauchen, sollten diese über einen so genannten Werttreiberbaum in alle Bereiche und Abteilungen des jeweiligen Unternehmens herunter modelliert werden. So stellt man eine gemeinsame Kommunikationsbasis für Handlungen im gesamten Unternehmen sicher.

Was gibt es im Umgang mit KPIs zu beachten?

KPIs und damit Daten sind wichtig, um Unternehmen zu steuern und zu regeln. Ohne Frage. Allerdings gibt es im Kontext Daten auch Herausforderungen zu meistern, um nicht wie im Titel dieses Beitrags erwähnt, Unternehmensführung wie ein “Malen nach Zahlen” auszuführen. Darauf möchte ich nun eingehen.

Kennzahlen und Ziele konditionieren das Verhalten von Menschen. Sie kennen sicherlich den Spruch “Sage mir woran Du mich misst und ich sage Dir was ich tue.” Auf der einen Seite ist es natürlich genau das was wir im Umgang mit Kennzahlen verfolgen, sonst wären sie sinnentkoppelt. Auf der anderen Seite kann dieser Fakt auch Gefahren mit sich bringen, wenn man sich nicht ausreichend mit der Bedeutung und Wirkung der jeweiligen Kennzahl befasst. Ich habe dies am Beispiel der Renditemaximierung in Unternehmen mal getan. In dem ein Unternehmen Renditeziele auslobt, verliert dieses Unternehmen den Blick auf den Markt. Es wird sich dann im Unternehmen nur noch “mit sich selbst befasst”.

Mittels Daten lässt sich das “Was”, nicht das “Warum”, direkt erkennen. Das habe ich im vorigen Beitrag dieser Serie erörtert. Daten bilden auch nur die Vergangenheit ab. Eine zu stark ausgeprägte Datenhörigkeit befeuert also den Teufelskreis des Bewahrens. Diesen muss man zu bestimmten Zeitpunkten durchbrechen, in dem man mal anders handelt als man es in der Vergangenheit getan hat. Dafür ist dann Mut und Innovationsfreude notwendig, die nicht auf Daten basieren, sondern eher auf Intuition und Bauchgefühl. Die folgenden Sätze habe ich in dem brand eins Artikel Maßstabsgerecht von Wolf Lotter gefunden. Sie passen wunderbar in dieses Muster.

Wir versuchen eine neue Welt mit alten Methoden zu bewerten. Das wird immer irrealer. Es ist Zeit für eine Neubewertung.

Ihre alten Maßstäbe werden der neuen Welt nicht mehr gerecht. Doch das alte Bewertungsregime gibt so leicht nicht auf, es hat die Gewöhnung, die Routine, die Scheinsicherheit auf seiner Seite. Daran muss man sich messen lassen. Auf Veränderer, Innovatoren wartet doppelte Arbeit: Sie müssen sich nach den alten Bewertungsmethoden ihr Zeugnis ausstellen lassen, gleichsam aber nach neuen, praktikablen Wegen suchen. Die Klausur wird nach alten Regeln geschrieben.

Jede Bewertung, die die Folge einer Messung ist, hat ihre Fehlerquote. Das Ergebnis ist gegenüber der Wirklichkeit immer ein wenig verzerrt.

In der Wissensgesellschaft bewertet man das völlig anders, denn hier geht es gerade darum, Varianten zu betonen. Die Abweichung von der Norm kann der Schlüssel zu Innovation und Verbesserung sein. In der alten Welt darf der Schüler nicht schlauer sein als der Lehrer, sonst geht alles schief. In der neuen Welt ist der richtige Lehrer der, der den Schüler zum eigenständigen Denken bringt – ihn selbstständig macht, ihn dazu ermuntert, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Das ist nicht nur das Ideal in den neuen Wissensberufen und hippen Digitalbuden, sondern auch in der innovativen Industrie – und die Erfolgsbasis des “Kaizen”-Prinzips, was übersetzt so viel bedeutet wie “Veränderung zum Besseren”. Jeder Arbeiter kann jederzeit beim Management intervenieren, wenn er im Produktionsprozess einen Fehler erkennt – oder eine Verbesserungsidee hat. Bewertung ist keine Einbahnstraße mehr.

Etwas zu messen bedeutet, dass man ein Feedback der Wirklichkeit bekommt. Dahinter steckt der große Entwicklungssprung, den die Menschheit seit der Aufklärung getan hat. Der Aufstieg der Naturwissenschaften, die “Vermessung der Welt”, hat unsere Vorstellungen von allem gründlich verändert. Man muss sich das Messen, Zählen und Wägen von allem und jedem auch so vorstellen: als ständiger Versuch, mit der Realität ins Gespräch zu kommen, ihr Wesen zu verstehen. Um nichts anderes geht es. Das Feedback ist nicht bloß ein Signal, es ändert die Sicht auf die Welt und auf das, was wir tun.

Nicht die Zahlen sind schlecht, sondern ihre einseitige Interpretation. Wer nüchtern und ohne Vorurteile misst, bemüht sich, die Welt im Realitätsmaßstab eins zu eins zu sehen: Man nimmt die Zahlen und Fakten und vergleicht sie mit dem, was man vorfindet. Und zwar nicht im eigenen Kopf, sondern in der wirklichen Welt. Das führt nicht nur zu einer genaueren Beurteilung der Wirklichkeit, sondern auch zu besserer Laune.

Nur was man messen kann, kann man auch kontrollieren. Richtig. Muss ich deshalb Alles messbar machen wollen. Nein. Warum? Weil es nicht funktioniert. Kennzahlen sind gut und wichtig, aber nur dann wirklich erfolgsversprechend, wenn man um die Grenzen dieser weiß. Kennzahlen sollten immer bewusst eingesetzt und manchmal eben NICHT eingesetzt werden. Nicht alles ist messbar, auch wenn wir es gerne so hätten. Dazu ein Interview wiederum aus der brand eins mit dem Titel Wer viel misst, misst Mist!

Ich halte die allgemeine Daten-Sammelei für dumm: Wer viel misst, misst Mist. Für das Marketing mag die Methode geeignet sein, für den Prozess der Wissensaneignung eher nicht. Denn man kann durch den Blick in den Rückspiegel nicht in die Zukunft schauen. Das zeigt unter anderem die desaströse Bilanz der Geheimdienste in den USA, die in jüngerer Vergangenheit sehr oft falsch lagen, trotz – oder vielmehr wegen – Big Data. Selbstverständlich ist die Vorstellung reizvoll, man könnte so wie in dem Film “Minority Report” mithilfe moderner Überwachungstechnik etwa einen Amokläufer identifizieren, bevor der seinen Plan umsetzt. Aber das funktioniert in der Wirklichkeit so nicht.

Der Schlüssel ist und bleibt die menschliche Interaktion. Man kann Menschen nur einschätzen, indem man sie kennenlernt, ein Gefühl für sie entwickelt. Jeder ist einmalig, die Big-Data-Mode verstellt den Blick darauf.

Da die Komplexität das Marktes seitens der Unternehmen niemals kontrollierbar ist, muss nicht alles in Form von Kennzahlen messbar gemacht werden. In komplexen Umgebungen sollte man erst gar nicht anfangen, stets und immer kontrollieren zu wollen, denn diese Geisteshaltung ist die Basis für Misserfolg. Stafford Beer hat diese Erkenntnis als grundlegende Basis in seinen Überlegungen zum Viable System Model verarbeitet. Ich werde im kommenden und letzten Beitrag dieser Serie detailliert darauf eingehen.

In unserem psychischen Bereich sollten wir langsam ähnlich viel Demut entwickeln, wie wir es in unserem physischen Bereich bereits tun. Niemand würde sich hinstellen und versuchen ein Haus umzukippen. Oder? Aber wir versuchen tagtäglich Komplexität steuern und managen zu wollen. Diejenigen Menschen, die viel und intensiv nachdenken, wissen, dass wir Menschen nicht alles über das Mittel des Denkens und unserer vorherrschenden zweiwertigen Logik kontrollieren können. Die anderen Menschen denken eben zu wenig, glauben aber mit dem Denken Alles erreichen zu können.

Wir steuern und regeln stets gegen ein Modell. Es geht gar nicht anders. Wir steuern niemals gegen die “Realität an sich”, da wir diese ohne Modelle gar nicht wahrnehmen können. Modelle und Zahlen sind also essentiell. Allerdings können wir auch im Kontext der Steuerung und Regelung von Unternehmen viel mehr fühlen und wahrnehmen als wir in Zahlen stecken können. Kennzahlen und KPIs sinnvoll einsetzen bedeutet eben auch sie in bestimmten Kontexten eben nicht einzusetzen.

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Maschinen kennen nur das “WAS”, niemals das “WARUM”

Ich habe im letzten Post Die Big Data Analytics Matrix der Artikelserie zu End-to-End Organisation von Unternehmen und der damit einhergehenden Kennzahlenorientierung und Steuerung bzw. Regelung, dargelegt, dass einzig und allein über Daten und Algorithmen, also ohne dass der Mensch über seine Kognition eingreift, niemals Erkenntnisse über Beweggründe für bestimmte Handlungen eines Menschen eruiert werden können. Damit habe ich den roten Bereich der Big Data Analytics Matrix aufgespannt. Ich habe in einigen nachgelagerten Gesprächen dazu festgestellt, dass ich diese Hypothese aus meiner Sicht noch weiter beleuchten sollte. Das möchte ich mit diesem Post tun.

Beiträge zur Reihe “End-to-End Organisation und Steuerung/ Regelung von Unternehmen” Link
Ist bei End-to-End Prozessen auch immer wirklich End-to-End drin? link
Eine konkrete End-to-End Prozessbetrachtung am Beispiel eines Handelsunternehmens link
Methoden passen immer, … link
Die Big Data Analytics Matrix link
Maschinen kennen nur das “WAS”, niemals das “WARUM” Dieser Beitrag
Unreflektierte KPI Orientierung in Unternehmen ist wie “Malen nach Zahlen” link
Steuerung und Regelung von Unternehmen mit dem Viable System Model link

Stimmt man mit der oben genannten These nicht überein, dann glaubt man an die folgende.

Führen 2 Menschen identische Handlungen aus (materielle Welt), dann basieren diese Handlungen auch auf den identischen Beweggründen (seelische Welt).

Ich negiere diese Hypothese ganz klar, was ich nachgelagert belegen möchte. Warum? Weil ich an dieser Stelle keinem Kategorienfehler zwischen Komplexität und Kompliziertheit erlegen sein möchte. Hier passt der blinde Fleck der Hirnwissenschaft.

Aus dem reinen Feuern von Neuronen im Gehirn des Menschen (Quantitäten), können wir Stand heute, trotz aller technologischer und wissenschaftlicher Fortschritte, noch keine Gefühlszustände (Qualitäten), wie “Ich liebe” oder “Ich habe Heimweh”, ableiten.

Oder wie es Heinz von Förster in seinem lesenswerten Buch Wissen und Gewissen sehr schön beschreibt.

… da draußen gibt es nämlich in der Tat weder Licht noch Farben, sondern lediglich elektromagnetische Wellen; da draußen gibt es weder Klänge noch Musik, sondern lediglich periodische Druckwellen der Luft; da draußen gibt es keine Wärme und keine Kälte, sondern nur bewegte Moleküle mit größerer oder geringerer durchschnittlicher kinetischer Energie usw.

Die Schnittstelle zwischen der materiellen und der seelischen Welt ist bislang nicht ergründet. Diese Schnittstelle müsste aus Quantitäten Qualitäten erzeugen. Unsere Mathematik kann aber genau das nicht, da sie auf Monokontexturalität basiert. Die folgende Abbildung stellt diese Beziehung dar.

Schnittstelle zwischen materieller und seelischer Welt

Bei Maschinen existiert diese Konstellation nicht. Klar, dort fehlt die seelische Welt. Wenn also 2 Maschinen das gleiche tun, dann “fühlen” diese auch gleich, da sie den gleichen Kontext haben. Sie haben ja nur einen, nämlich im Sinne dessen wofür sie geschaffen wurden. Natürlich hat beispielsweise ein Schachcomputer niemals den gleichen Kontext wie ein Parkassistent im Auto. Obwohl jeder der beiden Maschinen genau einen hat: Monokontexturalität. Daher würden wir auch nie auf die Idee kommen zu meinen, dass der Parkassistent und der Schachcomputer sich gleich verhalten.

Mit Big Data und den darauf aufsetzenden Algorithmen kann man Aktionen von Menschen aus der Vergangenheit beobachten, allerdings ohne diese zu werten. Es wird also ausschließlich gemessen. Die materielle Welt kann also komplett abgebildet werden. Das “Was” (Korrelation) wird beantwortet. Diese Beobachtungen lassen sich aber nicht bewerten, da der Kontext, also die seelische Welt der Menschen, unsichtbar bleibt. Das “Warum” (Kausalität) bleibt im Verborgenen. Dementsprechend lassen sich auch über Algorithmen keine Erkenntnisse generieren. Für das “Warum” benötigt man den Menschen. Und nur wenn man das “Warum” beantwortet, kann man Erkenntnisse aus Daten gewinnen.

Sie können an der obigen Abbildung auch sehr schön den Bezug zum Kompl-IZ-EX Modell herstellen. Jetzt verstehen Sie vielleicht auch noch mehr, warum ich Kompliziertheit und Komplexität nicht wie im Cynefin-Modell auf einer Kategorienebene dargestellt habe.

Wie gesagt, die Schnittstelle zwischen der materiellen und seelischen Welt ist nicht ergründet. Setzen wir Algorithmen, die einzig und allein in der materiellen Welt ihre uneingeschränkte Daseinsberechtigung haben, zum Abbilden dieser Schnittstelle ein, begehen wir einen Kategorienfehler. Versuchen wir mit unserer heutigen Zweiwertigen Mathematik Verhalten des Menschen zu ergründen und Erkenntnisse zu generieren, befinden wir uns also bestenfalls im gelben Bereich, da wir in Summe Mittel der komplizierten Welt nutzen. Heuristiken sind hier Hilfsmittel, da unsere Mathematik derzeit nichts anderes bietet. Ist der Mensch aus dem Spiel, landen wir, wenn wir die richtigen Algorithmen wählen, im grünen Bereich. Das können Sie an der Big Data Analytics Matrix abgebildet erkennen.

Nutzt man für die Schnittstelle von der materiellen in die seelische Welt einen Algorithmus, dann muss dieser natürlich den Menschen trivialisieren. Er muss ganz stark verallgemeinern. Die oben abgebildeten “m:n Beziehungen” lassen sich nicht programmieren, da die Konditionen für die Verzweigungen unbekannt sind. Sie sind abhängig vom jeweiligen Kontext des Menschen, der aber erst einmal wahrgenommen werden muss, um dann darauf reagieren zu können. Jeder Algorithmus ist auf Monokontexturalität aufgebaut, das heißt, die Kontexte und damit die Verzweigungen müssen dem Algorithmus ex ante mitgeteilt werden.

Beschreiben geht nur im Rahmen eines vorher gesetzten Kontextes. Das ist dann Messen. Das kann man mit Maschinen automatisch auf einer Datenbasis gestalten. Wahrnehmen bedeutet aber gleichzeitig das Setzen eines Kontextes, der nicht gegeben ist. Das kann eine Maschine nicht. 2 Beispiele dazu.

Was Menschen in einem Onlineshop tun, kann man tracken. Die Daten kann man erheben und speichern. Man kann aber nicht tracken, warum sie genau das tun, wie also die Gefühle hinter diesen Taten waren. Es kann also sein, sogar sehr wahrscheinlich, das zwei Menschen auf dem Onlineshop genau das Gleiche tun, aber unterschiedliche Beweggründe dafür haben.

Stellen sie sich eine Frau vor, die sich mit ihrem Mann streitet. Sie ist frustriert und kauft deshalb ein (Frustkäufe). In dem Kontext des “Kaufens” ist sie nicht frustriert. Sie will ja gerade ihren Frust mit dem Kaufen besiegen. Im Kontext ihres “Mannes” ist sie aber frustriert. Sie ist also beides gleichzeitig “frustriert” und “nicht frustriert”. Eine Maschine würde hier einen Fehler melden: Widerspruch. Wir Menschen können damit umgehen, da wir polykontextural denken und agieren, es aber nicht in Logik und damit Algorithmen verorten können.

An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal auf das Lernen eingehen. Grundsätzlich sollte man Lernen in einen differenzierten Kontext setzen, was ich in meinem Artikel Können Maschinen entscheiden? auf der Plattform der Unternehmensdemokraten versucht habe. Dort spreche ich 3 verschiedene Lernarten an. Maschinen können nur Lernen_1. Lernen_1 funktioniert ausschließlich in genau einem vorher gesetzten bestimmten Kontext. Ein Parkassistent wird niemals Schach lernen, umgekehrt ein Schachcomputer niemals das Einparken eines Autos. Der Parkassistent hat den Kontext “Parke das Auto in die Parklücke ein.” Der Schachcomputer hat den Kontext: “Gewinne das Schachspiel unter Einhaltung der Regeln.”

Das Setzen des Kontextes geschieht durch den Menschen und zwar durch vorher bestimmte Eingangsparameter, auf deren Basis die Maschine einen bestimmten Output in dem gegebenem Kontext errechnen soll. Kontextwechsel bedeutet das Hinzunehmen neuer Eingangsparameter, die die Maschine nun wieder neu messen muss. Wahrnehmen funktioniert ja nicht, da die Sensoren der Maschine auf genau diese Daten justiert werden müssen und der Programmcode der Maschine geändert werden muss, um diese neuen Parameter zu verarbeiten um einen Output zu errechnen. Nach diesem Setzen der neuen Parameter inkl. der Anpassung der Sensoren der Maschine und des Programmcodes ist also der genau eine Kontext der Maschine erweitert worden. Damit agiert die Maschine natürlich weiterhin monokontextural. Da der Mensch durch seine Wahrnehmungs- und Denkprozesse das Ändern und Erweitern eines Kontextes von sich heraus alleine bewerkstelligen kann, spricht man davon, dass er polykontextural agiert.

Nun verliere ich noch ein paar Worte zu Heuristiken, um klarer zu machen, wo die Unterschiede zu Algorithmen liegen.

Heuristiken basieren niemals auf dem “WARUM”, sondern nur auf dem “WAS”, weil die Schnittstelle zwischen der materiellen und der seelischen Welt nicht beschreibbar ist. Wenn man beispielsweise erkennt, dass ein Kunde auf Newsletter nicht reagiert, sprich diese Mails niemals oder sehr selten öffnet (“WAS”), kann ich die Entscheidung treffen, diesem Kunden keine Newsletter mehr zu senden. Die hinter liegenden Gründe, “WARUM” der Kunde die Newsletter nicht oder selten öffnet, bleiben im Verborgenen, spielen für das Setzen der Heuristik “Kunden, die selten oder gar nicht auf Newsletter reagieren, bekommen keine Newsletter mehr” auch keine große Rolle.

Heuristiken basieren immer nur auf “Viele” und niemals auf einzelne Individuen, da sie stets auf Daten der Vergangenheit basieren. Hier wieder das Beispiel mit den Newslettern. Nur weil ich, Conny Dethloff, früher selten oder gar nicht auf Newsletter reagiert habe, bedeutet das nicht automatisch, dass ich auch in Zukunft niemals auf Newsletter reagieren werde. Wenn man diese Erkenntnis aber auf einer Basis von vielen Kunden gewinnen kann, ist die Vermutung groß, dass die vorher gesetzte Heuristik viabel ist, auch wenn sie für einzelne wenige Kunden nicht stimmen mag.

Entscheidungen, die also auf einem “WARUM” basieren, basieren nicht auf Heuristiken und unterliegen deshalb einem Kategorienfehler, da sie versuchen die Schnittstelle zwischen der materiellen und der seelischen Welt nachzubilden. Auch dazu wieder ein Beispiel. Ich referenziere auf die im letzten Post dargestellte Sales Attribution im Handel. Wir sind nicht im Stande, die gesamten Aktivitäten eines Kunden im Netz auf einen dedizierten Kauf eines Artikels zu mappen. An dieser Stelle verlasse ich das “WAS” und gehe in die seelische Welt über, versuche also das “WARUM” zu beantworten. Das ist nicht zulässig. Hier muss ich nach Heuristiken suchen, die einzig und allein auf dem “WAS” basieren. Lösungsmöglichkeiten habe ich für diesen Anwendungsfall im voran gegangenen Post gegeben.

Eines noch zum Schluss. Man könnte nun natürlich argumentieren.

Ja, okay. Auf Individuenebene kann ich das “WARUM” über Daten und Algorithmen automatisch ohne Zutun des Menschen nicht erkennen. Aber wenn ich diese Erkenntnisse gar nicht auf Individuenebene anwenden möchte (Quadrant IV der Big Data Anlytics Matrix), sondern auf “Viele” (Quadrant I der Big Data Anlytics Matrix), dann aggregiere ich ja diese Erkenntnisse. Damit bilde ich dann einen Durchschnitt und dann passt es wieder.

Stimmt das? Welche Mittel nutzen wir denn für das Aggregieren der Erkenntnisse? Richtig, Mittel der Zweiwertigen Mathematik. Passt also nicht. Ich habe im vorangegangenen Post Lösungsmöglichkeiten für solche Art von Anwendungsfälle gegeben. Das verbindende Element aller dieser Optionen ist der Einsatz von Heuristiken, die aber wie gesagt auch nur eine Annäherung ermöglichen.

Nun werde ich im kommenden Post dieser Reihe zum Thema Kennzahlen und Steuerung überleiten.

Eines nur schon mal vorweg. Mit dem bisher Gesagten wird auch meine These, dass der Mensch im Zuge der Digitalisierung immer mehr an Bedeutung gewinnt, deutlicher. Wir müssen keine Angst vor Maschinen haben. Sie helfen uns, aber nur in den Bereichen, wo wir bereits genügend Expertise und Wissen erlangt haben, und wo auch gar nicht mehr gefordert ist, bei Routinetätigkeiten. Wenn es um Erkenntnisgewinn und Innovation geht, dann können wir uns nur selber helfen. Wir müssen denken, denn Maschinen erkennen niemals das “WARUM”, nur das “WAS”.

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Die Big Data Analytics Matrix

Dies ist der mittlerweile vierte Post in der Reihe um End-to-End Organisation von Unternehmen und der damit einhergehenden Kennzahlenorientierung und Steuerung bzw. Regelung, den Unterschied werde ich im letzten Beitrag zu dieser Postreihe darlegen, von Unternehmen.

Im ersten Post habe ich ein paar grundlegende Fragestellungen zum Thema End-to-End Prozessbetrachtung in Unternehmen beantwortet, die ich dann im zweiten Post am Beispiel eines Handelsunternehmens konkretisiert habe. Dann habe ich im dritten Artikel einen kleinen gedanklichen Sprung vollzogen. Ich habe dort eingehend meine Sicht auf die Kategorien Kompliziertheit und Komplexität erläutert, welches letztendlich in eine Anpassung des bekannten Cynefin Modells resultierte. Die Anpassung des Modells ist aus meiner Sicht essentiell, um den angesprochenen Kategorienfehler zwischen Kompliziertheit und Komplexität zu erkennen und diesem nicht mehr erlegen zu sein.

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Am Beispiel Big Data Analytics möchte ich diesen Kategorienfehler erklären, was mich letztlich zu einer differenzierten Sichtweise auf Big Data und die darauf aufsetzenden Algorithmen verleitet. Das ist Bestandteil dieses Artikels.

In vielen Artikeln, Berichten und Büchern wird Big Data und die darauf aufsetzenden Algorithmen (Data Science) glorifiziert. Es gibt wenige Autoren, die Data Science differenziert betrachten. Damit meine ich, klare Grenzen von Data Science, gerade in Bezug zum Einsatz auf Menschen, aufzuzeigen, um dann erfolgreich einsetzen zu können. Diesen Fakt möchte ich mit diesem Post näher erläutern.

Hier einer dieser Artikel, in welchem das Heil in Data Science gesucht wird. Die Autoren glauben fest daran, mit Algorithmen beispielsweise den Frustrationslevel eines Menschen erkennen zu können, nämlich auf Basis seiner Cursorbewegung. Ich glaube nicht daran. Warum? Na Sie wissen bestimmt schon, wir vollziehen hier wieder einmal einen Kategorienfehler zwischen Kompliziertheit und Komplexität. Wie soll denn die Beziehung zwischen “Ich bin frustriert” und “Ich bewege meine Hand” aussehen? Hier betritt man Übergänge zwischen der materiellen und der seelischen Welt. Unsere Gehirnforscher glauben zwar hier Wirkmechanismen erkundet zu haben, allerdings merken sie nicht, dass sie bislang einen Kategorienfehler begehen. Unser Gehirn erzeugt aus dem Feuern von Neuronen, also aus Quantitäten, Qualitäten, wie “Ich liebe” oder “Ich hasse”. Wie das funktioniert ist bislang unbekannt. Man kann nicht mit Algorithmen aus der komplizierten Welt Sachverhalte der komplexen Welt erklären. Die Algorithmen setzen auf der Zweiwertigen Logik auf und diese lässt keine Kontextwechsel zu. Ich habe dies ja im dritten Post zu dieser Reihe eingehend an der Unterscheidung zwischen Kompliziertheit und Komplexität dargelegt.

Es gibt aber auch erfreulicherweise, leider noch zu wenige, Menschen, die diesen Fakt erkennen und thematisieren. Ich spreche hier stellvertretend Prof. Harald Walach an und zitiere aus seinem Artikel “Sowohl als auch” statt “Entweder-oder” – oder: wie man Kategorienfehler vermeidet

Die Wirklichkeit als Ganzes ist komplexer und lässt sich genau nicht mit solchen logischen Instrumenten komplett analysieren. … Weil unser Überleben als Art davon abhängig war, dass wir diesen logischen Operator so gut ausgeprägt haben ist die Gefahr groß dass wir nun alles so behandeln. … Mit Logik können wir nicht alle Probleme des Lebens lösen. … Geist und neuronale Entladungen sind Prozesse, die unterschiedlichen kategorialen Ebenen angehören, so ähnlich wie „blau“ und „laut“.

In meinem beruflichen Umfeld, dem Handel, lese und höre ich immer wieder, dass wir als Händler den Kontext unserer Kunden, wenn sie sich im Onlineshop bewegen, erkennen müssen, um ihnen bestmögliche Angebote machen zu können. Wir können den Kunden ja nicht fragen, was ihn gerade umtreibt. Also benötigen wir Algorithmen, die das erledigen. Und genau hier hake ich ein. Das geht nicht, weil wir mit etwas Kompliziertem, den Algorithmen, etwas Komplexes, den Gefühlszustand des Kunden, errechnen wollen. Dieser Fakt hat mich dazu veranlasst eine so genannte Big Data Analytics Matrix zu entwerfen, die man einsetzen kann, um Data Science reflektiert und gewinnbringend auf bestimme Anwendungsfälle anwenden zu können. Denn wie oft von mir betont, ich glaube an die Vorzüge von Big Data und den darauf aufsetzen Algorithmen, auch in Bezug zum Menschen, aber eben bitte differenzierter als bislang sehr oft von mir wahrgenommen.

Warum fällt es uns so schwer, den Kategorienfehler zwischen Kompliziertheit und Komplexität zu erkennen?

Mit Beginn unserer Schulbildung haben wir gelernt, Probleme zu analysieren und zu lösen. Es läuft nämlich stetig nach dem folgenden Muster ab: Teile ein Problem in handhabbare Teilprobleme → Löse diese Teilprobleme → Setze die Teillösungen zu einer Gesamtlösung zusammen! Nur dass in der Regel die Gesamtlösung dann rein gar nichts mehr mit dem Ausgangsproblem zu tun hat, erkennen wir in der Regel nicht. Darf ja gar nicht der Fall sein, denn diese analytische Herangehensweise ist quasi ein Naturgesetz, weil in der Schule gelernt. Alternativen wurden nicht angereicht.

Aber genau diese analytischer Lösungsweg hemmt uns Komplexität zu handhaben. Warum? Komplexität entsteht in erster Linie nicht durch die einzelnen Teile eines Systems an sich, sondern durch die Interaktion und die Vernetzung der Teile in dem System. Also nicht die Erhöhung der Anzahl der Teile in einem System ist vorrangig für den Anstieg der Komplexität in dem System verantwortlich. Das erkennt man an unserer Welt. Die Einwohneranzahl auf der Erde ist nicht in dem Maße gewachsen, wie unsere Komplexität zugenommen hat. Die Zunahme der Komplexität ist auf die gestiegene Vernetzung zurückzuführen. Dadurch, dass unsere Technologien es ermöglichen, das wir im World Wide Web nicht nur konsumieren, sondern uns auch mitteilen können und diese Mitteilungen jeden erdenklichen Winkel der Erde erreichen können und das auch noch in rasend schneller Geschwindigkeit, ist die Vernetzung und damit einhergehend die Komplexität rasend gestiegen.

Unsere analytische Vorgehensweise beim Lösen von Problemen befeuert uns also stetig und immer wieder, einen Kategorienfehler zwischen Kompliziertheit und Komplexität zu begehen. Wir zerstören durch das Zerlegen die Komplexität des Problems und befinden uns ab dann im komplizierten Raum, verlassen diesen nie wieder, wenden aber fröhlich die Lösungen auf Komplexität an. Auweia. Auch die derzeit hoch gelobten Methoden und Tools zum so genannten vernetzten oder ganzheitlichen Denken lösen dieses Dilemma nicht auf. Details dazu würden diesen Beitrag hier sprengen. Falls Sie Interesse haben verweise ich gerne auf den Artikel Unser Denkrahmen hat sich seit dem Mittelalter nicht weiter entwickelt.

Die Big Data Analytics Matrix

Aus diesem Grund habe ich wie gesagt Überlegungen zur Big Data Analytics Matrix unternommen, die unterhalb dargestellt zu finden ist.

Die Big Data Analytics Matrix im Handel

Die Matrix hat zwei Achsen. Die x-Achse stellt dar, auf welcher Basis, einzelne Menschen oder viele Menschen, Erkenntnisse direkt aus Daten und den darauf aufsetzenden Algorithmen inklusive eines Tests dieser gezogen werden sollen. Die y-Achse bildet ab, auf welcher Basis, einzelne Menschen oder viele Menschen, diese gewonnenen Erkenntnisse dann angewendet werden sollen. Ich gebe nachher noch einige Beispiele, alle aus dem Bereich des Handels. Dann wird diese Unterteilung sicherlich einleuchtender werden, wenn dies nicht jetzt schon der Fall ist.

Der rote Bereich der Matrix

An der Matrix erkennen wir, dass wir auf Basis von einzelnen Individuen keine Erkenntnisse maschinell über Algorithmen errechnen können. Tun wir das, begehen wir den von mir in der letzten Zeit oft angesprochenen Kategorienfehler zwischen Kompliziertheit und Komplexität. Das ist der gesamte linke rote Bereich der Matrix. Anwendungsfälle, die man gerne in diesen Bereich platzieren möchte, muss man über die anderen beiden Quadranten der Matrix, die ich nachher noch vorstellen werde, lösen.

Ich möchte den roten Quadranten I an einem Anwendungsfall näher erläutern, dem Sales Attribution Model im Handel. Als Händler ist man stets darauf bedacht, die Wirksamkeit eines Onlinekanals, SEA, SEO, PSM etc. in Bezug auf bestimmter im Unternehmen ausgelobter Ergebnisse zu ermitteln. In der Regel stellt man sich die Frage, wie viel ein bestimmter Onlinekanal zu einem letztendlichen Kauf eines Kunden beigetragen hat. Ich kaufe beispielsweise auf einem Onlineshop einen Fernseher. Es ist klar, dass ich irgendwie zu diesem Kauf inspiriert wurde. In der Regel spielen die Onlinekanäle, wie beispielsweise Preissuchmaschinen, eine große Rolle bei dieser Inspiration. Nun könnte es natürlich sinnvoll sein, zu ermitteln, wie groß die Wirkung eines jeden einzelnen Onlinekanals in Bezug zu diesem Kauf war, um dann aggregiert über alle Käufe aller Kunden die Gesamtwirkung aller Onlinekanäle gegenüberzustellen, um dann auf Basis dieser Wirkungsgrade das Marketingbudget auf die Kanäle zu verteilen.

Es gibt Bestrebungen, genau wie oben beschrieben, auf Basis aller einzelnen Käufe aller Kunden die Wichtigkeit der einzelnen Onlinekanäle zu ermitteln. Aber, ist das überhaupt machbar? Wir wollen auf Basis von Aktivitäten einzelner Individuen Erkenntnisse generieren und diese dann hoch aggregiert auf Viele als Entscheidungsbasis einsetzen. Da ich diesen Quadranten rot markiert habe, ist die Frage schnell mit “Nein” zu beantworten. Das ist nicht möglich. Aber warum?

Dazu möchte ich kurz einen Ausflug in die schönste Nebensache der Welt, dem Fußball, unternehmen. Die Sales Attribution ist, wie ich finde, sehr anschaulich am Fußball, in diesem Dokument erklärt. Stellt man sich im Fußball auch die Frage, wie groß der Anteil eines jeden Spielers an eigen erzielten Toren ist? Die Frage vielleicht schon, aber es wird in der Praxis nicht der Versuch unternommen, die Antwort auf Basis von Zahlen und Statistiken ausdrücken zu wollen. Warum? Weil es nicht funktioniert. Es wird im Kontext des Scoringsystems immer nur dem finalen Passgeber eines Tores ein Punkt zugeschrieben, zusätzlich zum eigentlichen Torschützen. Im WM-Finale im vorletzten Jahr hat nur Schürrle einen Scorerpunkt beim entscheidenden 1:0 durch Götze erhalten, obwohl man weiß, dass nicht nur Schürrle an dem Tor beteiligt war, und natürlich auch nicht nur Götze, der das Tor letztendlich geschossen hat. Warum ändert man wohl nicht das Scoringsystem? Ich glaube, dass man das sehr gerne tun würde, gerade weil mit einem solchen Zahlenkonstrukt zur Hand, sehr geniale Auswertemöglichkeiten zur Leistungsfähigkeit der einzelnen Spieler möglich wären. Man macht es nicht, weil man sich hier eingesteht, dass man nicht in der Lage ist, diese komplexen Vorgänge in Modelle und Zahlen zu transformieren. Hier nutzt man also noch das so genannte “Last-Klick Modell”, übertragen aus der Sales Attribution, wo immer nur der letzte Onlinekanal, der zu einem Kauf geführt hat, die volle Wirkung zugerechnet bekommt.

Erkennen Sie den Zusammenhang zum Attributionsmodell? Können Sie übrigens für jeden Ihrer Käufe, den Sie tätigen, genau beurteilen, wie groß der Einfluss der jeweiligen Kanäle war? Ich nicht. Und dann soll ein Modell dies auch noch für andere Menschen tun können? No Way.

Und der Unterschied zwischen dem Scoringsystem im Fußball und der Sales Attribution im Handel ist auch noch, dass man das Fußballspiel live und ganzheitlich betrachten kann. Aber selbst dann ist es uns unmöglich, eine solche Aussage im nach hinein zu treffen. Bei der Sales Attribution können wir den Kunden nicht beobachten, geschweige denn seine Gefühle und Motive wahrnehmen. Es existiert für die Sales Attribution in meinen Augen eine weit aus bessere Lösung als das bereits angesprochene Last-Klick-Modell. Deshalb können sie in der Big Data Matrix auch erkennen, dass ich dieses Beispiel in den rechten oberen Quadranten platziert habe. Es ist also vom Quadranten I in den Quadranten II gerutscht. Diesen Lösungsweg möchte ich Ihnen erläutern, wenn ich auf diesen Bereich der Matrix zu sprechen komme.

Ich möchte ein weiteren Beispiel im roten Bereich der Matrix anbringen, um den Quadranten IV zu erläutern, nämlich wo auf Individuenebene algorithmisch Erkenntnisse gewonnen werden sollen, und diese Erkenntnisse dann wieder auf Individuenebene in Handlungen transformiert werden sollen, wie beispielsweise bei Next Best Offer, oft als NBO abgekürzt. Bei NBO geht es um die Herausforderung, wenn sich ein Kunde oder User im Onlineshop befindet, ihm fortlaufend die besten Angebote zu unterbreiten. Auch hier gilt wieder, man kann den Kunden nicht fragen, was ihn gerade umtreibt. Also laufen Diskussionen dahingehend, das ermitteln zu wollen. Es geht um Fragestellungen, ob man dem Kunden einen Gutschein anbietet, um den bereits in den Warenkorb gelegten Artikel doch noch zu verkaufen oder ob der Kunde den Artikel sowieso kauft, auch ohne Gutschein.

Logisch, das sind alles relevante Fragestellungen für einen Händler, während ein Kunde sich im Onlineshop bewegt. Nur, sie sind eben nicht beantwortbar. Ob wir das nun gut finden oder nicht. Auch höre ich in diesem Zusammenhang immer wieder das Argument, man habe den Algorithmus ja getestet. Aber was genau testet man da eigentlich?

Wir kennen das Gesetz der großen Zahl aus dem Bereich der Wahrscheinlichkeitsrechnung, welches besagt, dass sich die relative Häufigkeit eines Zufallsergebnisses immer weiter an die theoretische Wahrscheinlichkeit für dieses Ergebnis annähert, je häufiger das Zufallsexperiment durchgeführt wird. Nehmen Sie hier das Beispiel “Würfeln”. Wenn man nur oft genug würfelt, kommen die jeweiligen Augenzahlen “1” bis “6” jeweils mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/6 vor. Das kann man auch über Tests nachweisen, was bereits häufig genug getan wurde. Aber auch mit diesem Wissen im Hintergrund, sind wir noch lange nicht im Stande, die Augenzahl des nächsten Würfelvorgangs vorherzusagen.

Erkennen Sie den Zusammenhang zum Testen? Wir möchten einen Algorithmus benutzen, um auf Ebene von Individuen Erkenntnisse zu generieren, und diese dann nutzen, um auf Ebene der Individuen bestmögliche Entscheidungen auszuspielen. Getestet wird dieser Algorithmus dann auf der Ebene von Vielen. Klar, die Testgruppen müssen groß genug sein. Wir missachten hier das Gesetz der großen Zahl, wenn wir die Testergebnisse validieren? In diesem Zusammenhang ersetzt ein erfolgreicher Test also eine zu überprüfende Hypothese durch eine neue Hypothese.

Man sollte sich immer wieder vor Augen führen, dass man in einer komplexen Welt, in der wir uns ja nun einmal bewegen, weder die Zukunft vorhersagen, noch Ereignisse der Vergangenheit, auch wenn man sie beobachtet hat, erklären kann. Die Unmöglichkeit von Vorhersagen der Zukunft ist, denke ich, klar, auch wenn vorherrschende Planungs-, Budget- oder Business Case Diskussionen in Unternehmen eine andere Sprache sprechen. Komme ich zur Beschreibung der Vergangenheit. Komplexität ist unter anderem genau dadurch gekennzeichnet, dass man beobachtete Geschehnisse nicht auf lineare und lokale Ursache-Wirkungsbeziehungen reflektieren und deshalb nicht erklären kann. Warum etwas passiert ist oder eben nicht, lässt sich niemals genau bestimmen. Hier kann man auf Erkenntnisse der Chaostheorie zurück greifen.

Ich hoffe, ich habe Ihnen meine Sicht darlegen können, dass wir niemals Erkenntnisse auf Ebene der Individuen algorithmisch ermitteln dürfen, um diese dann als Handlungsanweisung entweder auf Einzelne oder auf Viele anwenden zu wollen. Es gibt andere Möglichkeiten, Big Data und Data Science erfolgreich und ohne Begehen eines Kategorienfehlers einzusetzen. Darauf komme ich nun zu sprechen.

Der gelbe Bereich der Matrix

Komplexe Vorgänge lassen sich durch sehr einfache Handlungsvorschriften beschreiben. Achtung! Hier bitte nicht dem Versuch erlegen sein, “einfach” und “einfach” zu verwechseln. Ich habe im vorigen Post zu dieser Reihe bereits ausgeführt, dass es sowohl in der Kategorie “kompliziert”, als auch in der Kategorie “komplex”, einfache Sachverhalte gibt, die aber nicht miteinander ob ihrer Schwierigkeitsstufe verglichen werden dürfen. Tut man es, dann, ja sie wissen schon: Kategorienfehler. Es ist ähnlich zu der Fragestellung: “Welche Farbe ist größer, blau oder rot?” Deshalb habe ich auch vor geraumer Zeit einen Post mit dem Titel Komplexitäten entstehen aus Einfachheiten, sind aber schwer zu handhaben verfasst. Aus diesem Post möchte ich kurz zitieren.

Wir Menschen sind der festen Überzeugung, kommend aus einer mechanistisch-technokratischen Sicht, die im 17. Jahrhundert mit dem Aufblühen der Naturwissenschaften geweckt wurde, dass komplexes Verhalten oder komplexe Zusammenhänge stets aus komplexen Verfahrensanweisungen oder komplexen Teilen bestehen muss. Dass wir hier einem Irrglauben erlegen sind, möchte ich an einem Beispiel aus der Praxis belegen. Es geht um das Fangen eines Balles, was ein sehr komplexer Vorgang ist. Würden wir als Ballfänger beginnen, diesen Vorgang in seine Einzelteile zu zerlegen, diese zu evaluieren und zu lösen und dann letzten Endes zu einem Algorithmus zu integrieren, welche das Verhalten abbildet, müssten wir nicht nur ballistische Berechnungen anstellen, sondern auch noch die aktuellen Umgebungsparameter wie Windrichtung und -geschwindigkeit, den aktuellen Luftwiderstand des Balles, die Oberflächenbeschaffenheit des Balles, die Beschaffenheit des Bodens, auf dem wir uns bewegen usw. mitberechnen. Würde diese Prozedur ausgeführt, ganz abgesehen davon die notwendigen Variablen überhaupt messen zu können, wäre der Ball längst auf dem Boden, während wir noch rechnen würden. Des Weiteren beobachten wir selbst Kinder, die von solchen Berechnungen kein Wissen haben, dass sie in der Lage sind, Bälle zu fangen. Die intuitive Regel, die wir Menschen anwenden ist jedoch sehr einfach. Sie lautet: Richte den Blick auf den Ball, beginne zu laufen und passe die Geschwindigkeit so an, dass der Blickwinkel zum Ball konstant bleibt.

Dieses Thema hat Stephen Wolfram, der Erfinder von Mathematica, aufgegriffen und eine neue Art der Wissenschaft, a new kind of science, wie er es nannte, kreiert. Das gleichnamige kostenlose Buch findet man hier. Warum hat Wolfram diese Wissenschaft wohl so genannt? Wir erkennen am Beispiel des Ballfangens, dass Lösungen zu bestimmen Problemstellungen analytisch nicht herleitbar sind. Wir benötigen eine komplett andere Art der Herangehensweise, eine neue Wissenschaft.

Bedienen kann man sich in diesem Kontext heuristischen Modellen, die eine Aussage darüber treffen, wie Menschen sich in der Regel in bestimmten Kontexten bewegen. Eigen sind diesen Modellen, dass sie nicht algorithmisch mithilfe von Daten auf Individuenebene hergeleitet sind, sondern auf Beobachtung, Reflektion und Erfahrung von Menschen über Menschen fußen. Diese Art von Modellen liegen deshalb auch in den rechten beiden Quadranten der Matrix. Hier eignen sich beispielsweise die Systemgesetze oder auch die Systemarchetypen von Senge als Einstieg.

Nun komme ich zu meinen Überlegungen im Kontext Attributionsmodell zurück und möchte Ansätze offenbaren, die auf Heuristiken und nicht auf datenbasierte Algorithmen beruhen, um hier besser als “Last-Klick” zu sein. Wir haben oben bereits ausgeführt, dass die Sales Attribution vom roten Quadranten I in den gelben Qadranten II rutschen sollte, weil man nicht daten- und algorithmenbasiert auf Kundenebene Erkenntnisse generieren kann. Was sind aber nun Ansätze für den Quadranten II für diesen Anwendungsfall?

Ich würde fortwährend Daten sammeln, die Aussagen darüber treffen, über welche Einstiegspunkte Kunden und User den Onlineshop betreten haben und welche letztendlich zu einem Kauf geführt haben. Auf dieser Basis würde ich eine Gruppe von Experten ein Ranking zwischen den verschiedenen Onlinekanälen erstellen lassen. Die Scores aller Onlinekanäle aufaddiert muss natürlich 1 ergeben. Nach festgelegten Zeitpunkten würde ich diese Rankings mittels neu gewonnener Daten von den Experten validieren lassen. That`s it. Sehr einfach, oder? Besser als das Last-Klick Modell und vor allem auch besser als Bestrebungen, jeden einzelnen Kauf eines jeden einzelnen Kunden über seine Customer Journey auf die Wichtigkeit der Onlinekanäle zu reflektieren, weil man eben keinen Kategorienfehler begeht.

In diesem Quadranten habe ich ebenfalls den Suchmaschinenalgorithmus platziert, welchen man über Heuristiken optimieren kann. Das möchte ich ein wenig ausführen. Einen Suchmaschinenalgorithmus auf einem Onlineshop lässt sich nach mehreren Kriterien optimieren. Beispielsweise sollten, wenn Kunden und User nach bestimmten Artikeln suchen, die Artikel am besten verkauft werden, die abverkauft werden müssen oder von denen noch sehr viele auf Lager sind oder über denen der Nettoabsatz oder der Nettoumsatz maximiert wird. In diesem Kontext bewegen wir uns noch rein im komplizierten, da “toten” Bereich. Hier lassen sich dann auch bekannte mathematische Optimierungsverfahren einsetzen. Aber dann ist man ja noch nicht am Ende, denn der Mensch ist ja noch nicht inkludiert. Dann wird es nämlich komplex und die Mathematik hilft nicht weiter. Es ist ja nicht nur eine Frage des Suchens und des Darstellens der Artikel in der Suchergebnisliste, sondern der Mensch interagiert ja mit dieser Liste. Und hier kann man die folgende Heuristik heranziehen:

  • Wir Menschen klicken je weniger in der Suchergebnisliste auf Artikel, je weiter diese unten oder hinten in der Liste stehen.

Zusammen mit dieser Heuristik lässt sich dann die Suchergebnisliste erstellen. Wenn man also den Suchalgorithmus nach dem Kriterium optimiert, dass der Nettoabsatz maximiert werden soll, müssen genau die Artikel, die dieses Optimierungskriterium befeuern, oben in der Suchergebnisliste platziert werden.

Komme ich nun zum gelben Quadranten III der Matrix und zu unserem Anwendungsbeispiel NBO zurück. Wie bereits ausgeführt hilft auch hier unsere zweiwertige Mathematik nicht, um den wie so oft titulierten Kontext eines Kunden, wenn er sich im Onlineshop befindet, zu errechnen, um ihm ein nächst bestes Angebot zu unterbreiten. Denn unsere zweiwertige Mathematik ist auf Monokontexturalität aufgebaut. Was sind hier gute Heuristiken, die man zu Rate ziehen könnte?

  • Artikel, die ein Mensch bereits gekauft hat, wird er wahrscheinlich nicht noch einmal kaufen.
  • Artikel, die ein Mensch schon einmal retourniert hat, wird er wahrscheinlich nicht noch einmal kaufen.
  • Sucht ein Mensch einen Artikel, der ausverkauft ist, ist es wahrscheinlich, dass er ähnliche Artikel von Form und Farbe kaufen würde, die er aber noch nicht gekauft hat.
  • Artikel, die nicht auf Lager sind, sollten nicht angeboten werden.
  • Artikel, für die ein Kunde in einer bestimmten Kategorie affin ist, sollte man ihm anbieten, wenn er in dieser Kategorie sucht.

Ihnen fallen bestimmt weitere Heuristiken ein.

Was haben die beiden gelben Quadranten II und III gemein? Man kombiniert oft Heuristiken, um komplexe Sachverhalte das Menschen zu handhaben mit Algorithmen, die im Komplizierten liegen. Auch bei Heuristiken helfen Daten, aber im Zusammenhang mit Denkprozessen des Menschen, niemals im Zusammenhang mit darauf rechnenden Algorithmen. Ich hoffe die Anwendungsbeispiele haben das verdeutlicht. Daher liegen auch diese Quadranten nicht im grünen Bereich.

Sie fragen sich wahrscheinlich, ob es auch einen grünen Quadranten geben würde oder könnte. Ja, und zwar immer nur dann, wenn der Mensch in den jeweiligen Anwendungsbeispielen, wo Data Science angewendet werden soll, keine Rolle spielt, wenn man sich also ausschließlich im komplizierten Bereich bewegen würde. Dazu jetzt einige abschließende Bemerkungen.

Der grüne Bereich angedeutet

Dieses Thema? beschäftigt mich seit 1999. In diesem Jahr habe ich in einer Firma meine Diplomarbeit geschrieben. Diese Firma hat eine Maschine entwickelt, die aufgenommene Bilder aus Blitzgeräten im Straßenverkehr automatisch durchzieht, archiviert und daraus Mahnschreiben generiert. Ein Problem dabei war das Erkennen der Nummernschilder, vor allem wenn diese verdreckt waren. Hier kam ich ins Spiel. Ich habe im Rahmen meiner Diplomarbeit ein Lernverfahren für ein Künstlich Neuronales Netz (KNN) programmiert, welches genau für diese Bilderkennung eingesetzt wurde. Dieses Lernverfahren setzte auf der Backpropagation auf und funktionierte auch sehr gut. Dieses Modell lag im grünen Bereich, da nichts in Bezug auf den Menschen optimiert werden sollte. Es ging einzig und allein um Bilderkennung.

Allerdings war das auch der Startpunkt für mich, kritisch die Strömungen rund um die Künstliche Intelligenz, vor allem im Kontext der Modellierung von Lebendigkeit, zu sehen. Ich habe nämlich hart hinterfragt, was dieses von mir programmierte KNN eigentlich tut, wozu es gut ist und wo die Hürden liegen. Dieser Post stellt letztendlich die Zusammenfassung all meiner Ideen und Gedanken in diesem Kontext über all die Jahre dar.

Im kommenden Beitrag dieser Blogpostreihe werde ich nun, wo wir nun ein bisschen mehr in die Big Data Welt eingetaucht sind, eine Brücke schlagen zur Kennzahlenorientierung und Steuerung von Unternehmen. Gerade das Thema Echtzeitsteuerung von Unternehmen, welches derzeit gerade enorm gehyped wird, wird auf Basis der gewonnenen Erkenntnissen reflektiert, und, na klar, differenziert beleuchtet. Denn, Echtzeit geht ja nur über Automatismen in der Datenverarbeitung, um Erkenntnisse zu generieren. Und gerade hier haben wir in diesem Post die Grenzen ausgelotet.

Also, seien Sie gespannt. Ich bin es. 🙂

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Methoden passen immer, …

… sonst wären sie nämlich keine. Sie hätten sich quasi nicht bewährt, wären “von der Bildfläche” verschwunden und durch andere ersetzt worden. Das passt natürlich nicht zu den immer wieder kehrenden Diskussionen, ob Methoden gut oder schlecht wären. Deshalb spiegele ich in diesem Post dazu meine Sicht.

Dieser Artikel ist die Fortsetzung zu meinen End-to-End Beiträgen innerhalb von Prozessen in Unternehmen. Im ersten Post habe ich ein paar grundlegende Themen zum Thema End-to-End Prozessbetrachtung in Unternehmen vorgenommen, die ich dann im zweiten Post am Beispiel eines Handelsunternehmens konkretisiert habe.

Beiträge zur Reihe “End-to-End Organisation und Steuerung/ Regelung von Unternehmen” Link
Ist bei End-to-End Prozessen auch immer wirklich End-to-End drin? link
Eine konkrete End-to-End Prozessbetrachtung am Beispiel eines Handelsunternehmens link
Methoden passen immer, … Dieser Beitrag
Die Big Data Analytics Matrix link
Maschinen kennen nur das “WAS”, niemals das “WARUM” link
Unreflektierte KPI Orientierung in Unternehmen ist wie “Malen nach Zahlen” link
Steuerung und Regelung von Unternehmen mit dem Viable System Model link

Komme ich also nun, wie bereits angekündigt, auf Kennzahlen zu sprechen. Um hier aber einen Ankerpunkt zu setzen, möchte ich erst einmal darlegen, welche Grenzen uns in komplexen Umfeldern im Kontext Steuerung und Regelung auferlegt sind. Basis meiner Ausführung ist der Kategorienfehler, der immer wieder in Bezug auf Kompliziertheit und Komplexität vollführt wird. Deshalb möchte am Anfang einige Worte über Kompliziertheit und Komplexität verlieren und dabei vor allem auf die markanten Unterschiede eingehen.

Kompliziertheit und Komplexität – der Versuch einer Versöhnung

Erzählt mir doch tatsächlich Jemand, dass der Bau des Flughafens BER kompliziert und nicht komplex sei. Warum? Na, Flughäfen wurden ja schon so viele erbaut. Ach ja? Mit den komplett identischen Rahmenbedingungen und den komplett identischen Menschen? Wann begreifen wir endlich, dass, wann immer Menschen in einem Thema involviert sind, dieses von Komplexität durchzogen ist? Warum? Wir Menschen nehmen ausschließlich über Modelle wahr. Und diese werden durch ganz viele Einflüsse von außen beeinflusst. Diese können politischer, privater, beruflicher, zwischenmenschlicher etc. Natur sein. Ich würde also im Kontext von menschlicher Wahrnehmung niemals von “Das liegt doch klar auf dem Tisch, warum hast Du das denn nicht gesehen?” reden.

Wir sind nun mal keine Maschinen, die stets nur monokontextural die Welt erforschen. Wir agieren polykontextural. Genau das macht Lebendigkeit aus. Und da wären wir bei Komplexität und verlassen das Habitat der Kompliziertheit.

Ich benutze oft die Begriffe “tot” und “lebendig” im Kontext von Kompliziertheit und Komplexität. Themenstellungen in “lebendigen” Umgebungen können niemals kompliziert sein. Sie sind immer komplex. Themenstellungen in “toten” Umgebungen sind stets kompliziert. Das möchte ich am Beispiel eines Uhrmachers erläutern, um zu verdeutlichen, dass auch Menschen an “toten” Fragestellungen oder Aufgaben beteiligt sein können, obwohl sie selber lebendig sind. Deshalb die Begriffe “tot” und “lebendig” auch in Anführungszeichen.

Ein Uhrmacher baut eine Uhr zusammen. Dafür gibt es ein ganz klar vorgegebenes Rezept, welches vielleicht 300 Schritte beinhaltet, die in einer ganz bestimmten Reihenfolge abgearbeitet werden müssen. Werden diese Schritte befolgt, wird definitiv eine funktionierende Uhr heraus kommen. Ist der Uhrmacher geübt, sprich, hat er genügend praktisches Wissen, ist diese Aufgabe für ihn einfach. Für mich als Ungelernten wird diese Übung schwierig sein, niemals komplex, denn ich kann ja einen Plan befolgen. Mit Übung bin ich vielleicht irgendwann so weit, dass ich diese Uhr zusammen gesetzt bekomme. Der Bauplan ist fix und ändert sich auch nicht. Man spricht hier von Monokontexturalität. Solche Tätigkeiten könnte man auch von Maschinen ausführen lassen, da klar definierte Abfolgen von Schritten programmierbar sind.

Nun stellen wir uns aber mal vor, dass eine Schraube fehlt. Ein Zahnrad kann nicht befestigt werden. Hier würde die Maschine einen Fehler melden, weil jetzt der Kontext verlassen wird. Das Fehlen der Schraube ist nicht Bestandteil des Kontextes, da es nicht Bestandteil des Planes und damit auch nicht Bestandteil des Programmcodes ist. Die Maschine weiß deshalb nicht, was zu tun ist. Der Uhrmacher ist in der Lage den Kontext zu wechseln. Er könnte nach anderen Möglichkeiten der Befestigung suchen oder theoretisch probieren, ob die Uhr auch ohne diesem Zahnrad funktioniert oder er könnte ganz einfach eine Schraube bestellen und später den Vorgang fortsetzen. Der Uhrmacher kann polykontextural denken und handeln. In diesem Fall wird dann der komplizierte Fall ein komplexer Fall. Der Bauplan ist nicht mehr gültig, denn Bestellung einer Schraube war in diesem nicht enthalten. Deshalb meldet die Maschine wie gesagt einen Fehler. Der Bestellvorgang müsste von einem Menschen in Form von Programmcode voraus gedacht werden, so das die Maschine diesen anstoßen könnte. Damit wäre diese Option wieder Bestandteil des monokontexturalen Bereiches, in dem die Maschine agieren kann.

Kommen wir in diesem Zusammenhang zum Messen und Wahrnehmen. Maschinen können messen. Messen passiert in monokontexturalen Umgebungen. Die Maschine kann messen, ob die Schraube festgezogen ist, die das Zahnrad hält. Das ist wieder monokontextural: Die Schraube ist “fest” oder “lose”. Im Falle des Fehlens der Schraube verlässt man hier die Ebene des Messens und geht in die Ebene der Wahrnehmung über. Die Maschine kann nicht wahrnehmen, der Uhrmacher schon. Beim Wahrnehmen muss man den Kontext erst einmal bestimmen, dieser ist nicht per Programmcode gegeben. “Die Schraube fehlt” setzt die Maschine in den Kontext “fest-lose” und dann ist Schluss. Die Maschine würde stetig zwischen “fest” und “lose” iterieren und niemals zum Ende gelangen. Eine endlose Schleife, die mit einem Fehler abgebrochen werden muss. Der Uhrmacher kann nach weiteren Möglichkeiten suchen, das ist gleichbedeutend mit dem Suchen nach einem weiteren Kontext. Er kann vielleicht eine neue Schraube suchen oder versuchen das Zahnrad irgendwie anders geartet zu befestigen.

In “toten” Umgebungen ist der Mensch mit der Umwelt eins geworden. Er ist trivialisiert. Das ist nicht despektierlich gemeint. Diese Trivialisierung ist ausreichend, da ein Rezept in Form einer Methode oder Algorithmus vorliegt, welches zielführend ist. Wahrnehmen ist also nicht notwendig, da kein Kontextwechsel vorgenommen werden muss. Messen reicht aus.

In einer komplexen und damit “lebendigen” Welt gilt das Motto “Sowohl-Als-Auch”, da hier stetig der Kontext gewechselt wird. Das bedeutet Widersprüchlichkeit handhaben zu müssen. Komplizierte Umgebungen kennen ausschließlich “Entweder-Oder”. Damit existieren in komplizierten Umgebungen auch keine Widersprüche. Komplizierte Sachverhalte können vollständig in Programmcode oder Algorithmen geschrieben und damit gemanaged werden. Bei komplexen Umgebungen funktioniert das nicht, da unsere Zweiwertige Logik, auf die jeder Programmcode basieren muss, Widersprüche und damit Polykontexturalität ausschließt. Komplexität ist also nicht steuer-, sondern bestenfalls handhabbar.

Eine Differenzierung zwischen Kompliziertheit und Komplexität habe ich auch in meinem Artikel Können Maschinen entscheiden auf der Plattform der Unternehmensdemokraten im Zusammenhang mit Lernen und Entscheiden vorgenommen. Dort habe ich ähnlich auf Basis der Monokontexturalität ausgeführt, dass Maschinen eben nur im Stande sind Lernen_1 Prozesse auszuführen. Warum? Weil die Lernen_2 Prozesse ausschließlich in komplexen Umgebungen von statten gehen können, da diese Kontextwechsel voraussetzen.

Was bedeutet das nun für Methoden?

Für diese Reflektion möchte ich auf das bekannte Cynefin-Modell verweisen und dieses aus meiner Sicht notwendigerweise erweitern, da es zu Kategorienfehler zwischen Kompliziertheit und Komplexität verleitet.

Cynefin

Nach diesem Modell werden die Kategorien “einfach”, kompliziert” und “komplex” auf eine Ebene platziert. Das ist aus meiner Sicht nicht passfähig. Die Einstufung “einfach” und damit auch “schwierig”, die es im ursprünglichen Modell nicht gibt, existiert eine Ebene höher in beiden Kategorien, “kompliziert” und “komplex”. “Einfach” ist also nicht gleich “einfach”.

“Einfach” in der Kategorie “kompliziert” bedeutet, dass das ausreichende Wissen, sowohl praktisch als auch theoretisch, gegeben ist, um eine komplizierte Fragestellung zu lösen. Grundsätzlich ist ein Lösungsweg vorhanden, den man theoretisch kennen und praktisch anwenden muss. Wird eine komplizierte Fragestellung als “schwierig” eingestuft, ist der vorliegende Lösungsweg nicht bekannt. Er muss erlernt werden, sowohl praktisch als auch theoretisch.

In der Kategorie “kompliziert” rede ich also von Methoden oder Algorithmen, die an den bekannten Lösungsweg angelehnt sind.

Für “komplexe” Fragestellungen kann per Definition kein Wissen existieren, welches in Form eines Rezeptes zu einem Lösungsweg geformt werden kann. Hier sind Erfahrung und Talent essentiell, die Agilität im jeweiligen Kontext erhöhen. Je größer oder kleiner Erfahrung und Talent sind, spreche ich dann von den Einwertungen “einfach”, schwierig” oder “chaotisch”. Da kein Rezept gegeben ist, kann man Lösungswege auch nicht vorweg in Form von Algorithmen programmieren. Hier sind Frameworks und Heuristiken angebracht, die genügend Freiraum für das eigene Denken lassen.

Die untere Abbildung stellt die Abhängigkeiten und damit die Erweiterung des Cynefin Modells dar.

Kompl-IZ-EX Modell

Im Komplizierten rede ich also von Methoden, im Komplexen von Frameworks. Ein Vermischen beider ist verboten, da man sonst einem Kategorienfehler unterlegen ist.

Methoden müssen stets monokontextural sein. Das ist quasi ihre DNA, sonst wären sie keine Methoden. Klassische Projektmanagementmethoden beispielsweise sind unter dem Deckmantel entstanden, dass man Projekte zum Erfolg führen will, egal um welche Projekte es sich handelt. Dann hat man bestimmte Muster an Handlungen ausfindig machen können, die einem Projekterfolg eher zuträglich oder eben nicht zuträglich sind. Diese Muster wurden dann zu Rezepten verallgemeinert, ähnlich des Backens eines Kuchens oder des Zusammenbauens einer Uhr. Aber ist das zulässig? Nein. Deshalb ist auch der Bau des Flughafens BER nicht kompliziert, sondern komplex. Ganz egal, wie viel Flughäfen vorher bereits erbaut wurden.

Daher passt für mich auch der Name “Projektmanagementmethode” nicht. Projekte liegen stets im Komplexen, Methoden im Komplizierten. Projektframeworks passt für mich eher. Maschinen können ausschließlich in komplizierten Ungebungen agieren. Themen können die Kompliziertheit in Richting Komplexität verlassen, allerdings ausschließlich durch den Menschen initiiert. Bei dieser Transformation ist dann zu beachten, keinen Kategorienfehler zu begehen, da Algorithmen und Methoden im Reich der Komplexität nicht angewendet werden dürfen.

Die Versöhnung

In komplexen Umgebungen gibt es für Herausforderungen und Probleme kein Rezept. Diese gibt es nur in komplizierten Umgebungen, wo der Mensch entweder nicht stattfindet oder so weit trivialisiert wurde, dass er mit der Umwelt eins geworden ist. Dieses Suchen nach Rezepten kann einfach oder schwierig sein, je nach Wissensstand des Beobachters. Damit will ich also ebenfalls sagen, dass nicht alle komplizierten Themen von jedem Menschen bewältigt werden können. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob ich jemals eine Uhr zusammen bauen kann, auch wenn das Rezept dafür vorliegt. Mag sein, dass mir dafür praktisches Wissen fehlt, was ich mir niemals aneignen kann.

Damit ist auch meine Eingangsthese belegt. Methoden passen immer, denn diese gelten nur in komplizierten Umgebungen und sind damit ganz klar gegen ein Soll validierbar. In komplexen Umgebungen bekommt der Mensch mit seinen Skills und Erfahrungen eine besondere Rolle zugeschrieben. Wissen alleine reicht hier nicht aus, um komplexe Themen zu handhaben, denn nur das ist im Idealfall möglich. Beherrschen von Komplexität ist eine Illusion. Dieses Handhaben kann dann je nach Erfahrung einfach, schwierig oder eben chaotisch sein.

Dieser Fakt legt auch nahe, dass wir mit viel mehr Demut bezüglich des Umgangs mit unserer Natur zu Werke gehen sollten, denn sie ist von uns nicht beherrschbar, egal wie weit auch den Fortschritt unserer komplizierten Technologie vorantreiben.

Unternehmen agieren in Umfeld von Komplexität. Wir haben nun festgestellt, dass komplexe Umgebungen nicht gesteuert, sondern bestenfalls gehandhabt werden können. Im kommenden Beitrag im Rahmen dieser Serie werden wir mit dieser Erkenntnis im Kopf habend, vorherrschende Analytics und Data Science im Umfeld von Big Data beleuchten.

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Mein persönlicher Rückblick auf das Jahr 2015

Nun ist wieder ein Jahr ins Land gezogen. Das gilt auch für meine persönliche Reise des Verstehens, welche ich kurz in einem Jahresrückblick reflektieren möchte. Details kann man über einen Klick auf die unten stehende Abbildung einsehen.

Jahresrückblick 2015

Meine Ideen und Gedanken spiegelten in diesem Jahr ganz besonders eine Fragestellung.

Wie denken und handeln wir Menschen bestmöglich in einem Team ZUSAMMEN, um das in dem jeweiligen Kontext bestmögliche Ergebnis zu erzielen?

Aber dazu gleich mehr. Am Anfang ein paar Zahlen. Mein Logbuch wurde in diesem Jahr 25.000 mal besucht. Im vergangenen Jahr waren es noch 11.000 Besuche. Diese Steigerung freut mich natürlich ganz besonders. 🙂

Mit 275 Besuchern war der 25. Februar der geschäftigste Tag des Jahres. Just an diesem Tag ich habe meinen Post Der blinde Fleck in den Diskussionen rund um Führung und Zusammenarbeit live geschaltet, mit dem ich den Startschuss in meine Überlegungen in die oben gestellte Fragestellung zu einem neuen Zusammenarbeitsmodell gegeben habe. Gemündet sind diese Überlegungen dann in die erste Etappe, die in Summe 5 Posts und ein Diskussionspapier beinhaltet.

Fortgeführt habe ich diese Denkinhalte dann in Überlegungen zur Gestaltung von End-to-End Prozessen in Unternehmen, die ich im kommenden Jahr fortführen werde.

Eine Frage kristallisierte sich in diesem Jahr für mich ganz besonders heraus.

Warum glauben wir eigentlich, mit einem Modell der Zusammenarbeit, welches vor über 100 Jahren entstanden ist, Herausforderungen der heutigen Zeit, die wir mit unserem technologischen Fortschritt teilweise selbst generiert haben, begegnen zu können?

Hier ist aus meiner Sicht viel mehr Demut angesagt. Wir müssen unsere Arroganz gegenüber unserer Umwelt, der Natur, schnellstens ablegen. Wie kommen wir eigentlich dazu, beispielsweise die Urvölker Australiens als primitiv zu bezeichnen, wo doch gerade wir es sind, die trotz unseres technologischen Fortschritts unsere Lebensbasis auf der Erde immer mehr gefährden?

Gerade in diesem Zusammenhang ist eine komplett andere Geisteshaltung und Denkweise gefragt.

Deshalb hat es mich auch ganz besonders gefreut, dass mein Post Wie kommt man von der Kybernetik erster Ordnung zur Kybernetik zweiter Ordnung, und wozu? der meist gelesene Artikel in diesem Jahr war und auch im Gesamtranking aller Posts die Spitzenposition übernommen hat.

Oder das der Artikel Unser Denkrahmen hat sich seit dem Mittelalter nicht weiter entwickelt der meist kommentierte in diesem Jahr war.

Ich hoffe, dass wir sehr schnell lernen, unseren technologischen Fortschritt im Sinne des Menschen einzusetzen und nicht gegen ihn. Hierbei dürfen wir aber nicht den Fehler begehen, Erkenntnisse aus der “toten Welt” in die “lebendige” übertragen zu wollen, um einen Kategorienfehler zwischen Kompliziertheit und Komplexität zu unterlassen. Diese Idee werde ich in den kommenden Beiträgen zu End-to-End Prozessen detailliert ausführen.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern und Begleitern auf meiner Reise des Verstehens einen guten Rutsch ins neue Jahr.

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