Das Projektmagazin hat zur Blogparade aufgerufen, in der die folgende Frage zur Debatte gestellt wird.
Brauchen wir noch Grenzen im Projektmanagement?
Mit diesem Beitrag möchte ich an dieser Blogparade teilnehmen und die Frage aus einer vielleicht neuen Sicht betrachten. Ich werde nicht darauf eingehen, wie wir Projekte besser durchführen können, was auch immer “besser” in diesem Kontext bedeuten mag. Das wird und wurde bereits zu Hauf getan, sicher auch im Rahmen dieser Blogparade wieder.
Ich möchte eher Projekte an sich beleuchten, also die Frage beantworten, was Projekte eigentlich im Kern sind und warum wir sie eigentlich benötigen.
Für mich sind Projekte nicht per se notwendig. Ich glaube gar, dass es ein Gütezeichen der primären Organisationsstruktur in einem Unternehmen ist, wenig Projekte zu benötigen. Ich bin mir aber auch bewusst, dass Projekte in bestimmten Kontexten notwendig sind.
Ich möchte in erster Linie mit diesem Beitrag dazu beitragen, Projekte bewusst als Strukturhilfe für Wertgenerierung einzusetzen und erst danach über eine passfähige Durchführung dieser Projekte zu denken.
Meine Antwort zur Frage der Grenzen des Projektmanagement lautet also.
Die Grenze suche ich in der Anzahl der notwendig durchzuführenden Projekte im Unternehmen, um Wert generieren zu können. Je weniger Projekte notwendig werden desto besser, denn das ist ein Indiz für eine gute Passfähigkeit der primären Organisationsstruktur im Unternehmen.
Diese Antwort möchte ich nun begründen.
Was sind eigentlich Projekte?
Projekte sollten bestenfalls eine Strukturhilfe in Unternehmen sein, damit Menschen zusammen Wert generieren können, und benötigt werden, weil die primäre Organisationsform ungenügend geeignet ist, diese Zusammenarbeit zu unterstützen.
Projekte durchführen zu müssen ist kein Naturgesetz wie die Gravitation. Ich bekräftige an dieser Stelle meine oben getätigte Hypothese, dass je weniger Projekte in einem Unternehmen benötigt werden, desto besser es ist, denn Projekte durchzuführen ist immer gleich bedeutend mit dem Durchführen von nicht wertgenerierenden Tätigkeiten, also Tätigkeiten, die man genau nur deshalb durchführen muss, weil man Projekte durchführt. Das wären zum Beispiel
- Finden von Menschen für ein Projekt bei der Projektinitiierung
- Vereinbaren vertraglicher Themen bei der Projektinitiierung
- Teambuilding während des Projektes
- Durchführen von Knowledge Transfers in der Phase des Projektabschlusses, da andere Menschen das Projektergebnis in der Regel nach dem Projekt betreuen
Sie kommen bestimmt auf weitere Tätigkeiten, die in erster Linie nur durchgeführt werden müssen, weil es Projekte gibt, nicht, weil sie per se für den Markt einen Wert generieren.
Projekte heilen oft den Missstand, dass Menschen in den Unternehmen sehr häufig über die primäre Organisationsform nicht in der Lage sind, Wert zu generieren. Deshalb nenne ich Projekte auch häufig “Strukturkrücke”, im Gegensatz zu “Strukturhilfe”. Dazu komme ich nun.
Warum benötigen wir Projekte?
Ich habe im Beitrag oben von der primären Organisationsstruktur geschrieben. Was meine ich damit? Die primäre Organisationsstruktur ist der Teil der Struktur, über die in den Unternehmen formal, relativ zeitbeständig und unabhängig der dediziert zu erfüllenden Aufgaben Macht und Verantwortung definiert und zugeteilt wird. Projekte gehören dementsprechend für mich zwar zur formalen Struktur, wissend dass sich auch in diesen informale Strukturen ausbilden können, aber eben nicht zur primären Struktur. In vielen Unternehmen zeigt das Oganigramm die primäre Organisationsstruktur an.
Seit Jahrzehnten denken wir Unternehmen in funktionale Bereiche, wie Einkauf, Service, Produktion, Logistik, Controlling etc. organisiert. Je komplexer die Umwelten werden, in denen Unternehmen agieren, desto notwendiger wird es, Wert cross-funktional und nicht funktional zu generieren. Wir merken es daran, dass Projekte Hochkonjunktur haben, dass also immer mehr Projekte in den Unternehmen notwendig werden.
Warum hat sich denn überhaupt die funktionale Organisationsform als primäre in den Unternehmen etabliert? Denn es ist doch nicht wirklich plausibel zu erklären, dass über die primäre Organisationsstruktur immer weniger Wert generiert wird und wir deshalb die Strukturkrücke “Projekt” benötigen. Oder?
Anfang des 19. Jahrhunderts, kommend aus der Manufaktur auf dem Weg zur Industrialisierung, begann der Markt sich zu einem Verkäufermarkt zu entwickeln. Unternehmen konnten unabhängig der Kundenwünsche und -bedürfnisse produzieren und haben sich erst nachträglich um den Absatz der Produkte kümmern müssen. Hergestellte Produkte und Services wurden schon irgendwie verkauft. Das war nicht das Problem. Es war klar, was hergestellt werden musste, es sollte nur schnell und kostengünstig vonstattengehen. Effizienz war Trumpf. Kundenbedürfnisse standen hinten an. Taylor hat diese Art, Unternehmen zu denken, geprägt und zur Perfektion getrieben (Taylorismus).
Durch die Digitalisierung hat sich der Markt vom Verkäufer- hin zum Käufermarkt entwickelt. Menschen haben jetzt viel mehr Möglichkeiten ihre Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen. Darauf sollten Unternehmen reagieren, wollen sie nicht “sterben”. Nun ist es nicht mehr so einfach, die erzeugten Produkte und Services beim Kunden zu platzieren. Kunden rücken notgedrungen in den Mittelpunkt des Interesses der Unternehmen. Effektivität wird wichtiger, also die Frage danach, was produziert werden soll, nicht nur wie es getan wird. Das bedeutet auch, dass man zu Gunsten der Problemlösung für den Kunden das Heben von Synergien im Unternehmen hintenanstellen sollte, was mit einem primären Fokus auf Effizienz undenkbar wäre. Diese neue Fokussierung sollte natürlich nicht in Verschwendung ausarten.
An der obigen Abbildung, der abgewandelten Taylor-Wanne von Gerhard Wohland, erkennt man relativ leicht diese beschriebene fehlende Passfähigkeit des funktionalen Schnittes, da dieser Sollbruchstellen im Wertstrom definiert. Diese Sollbruchstellen im Wertstrom fielen in den Zeiten der Industrialisierung nicht ins Gewicht, da der Markt noch nicht so komplex und so gesättigt war. Das bedeutet, der Handlungsraum der Kunden war gering, was letztendlich dazu führte, dass die Erwartungen der Kunden an Services und Produkte der Unternehmen nicht so groß waren. Unternehmen mussten gar nicht kundenzentriert agieren, um einen Wert für Kunden zu generieren.
In Zeiten der Digitalisierung hat sich der Markt geändert, was nun zu einer Behinderung des Wertstromflusses führt. Unternehmen müssen kundenzentriert agieren, was die Notwendigkeit einer neuen primären Organisationsform offenbar werden lässt, die nämlich den Wertstrom, über den Kunden glücklich gemacht werden, unterstützt und nicht durchtrennt.
Die funktionale Sicht auf ein Unternehmen lässt solch eine Neujustierung nicht zu, denn in den einzelnen funktionalen Bereichen an sich kann man den Kunden nicht bedienen, sondern nur im Zusammenspiel dieser. Lokale Optima in den funktionalen Bereichen führen nun nicht mehr zum globalen Optimum im Unternehmen.
Projekte sind also ein Mittel, die fehlende Passfähigkeit der primär funktionalen Organisationsform für Wertgenerierung zu beheben, allerdings werden damit eine Reihe nicht wertgenerierender Tätigkeiten “eingekauft”. Das hatten wir ja schon.
Ein guter Indikator für eine grundsätzlich passfähige primäre Organisationsform in Unternehmen ist, wieviel % der Wertgenerierung in dieser gehandhabt werden kann. Je weniger Projekte benötigt werden, desto passfähiger ist die primäre Organisationsform.
Wie werden Projekte von der “Strukturkrücke” zur echten “Strukturhilfe”?
Die Frage, die mich also umtreibt ist die Folgende
Gibt es eine passfähigere primäre Organisationsform für Unternehmen als die funktionale, die es in dieser in hohem Maße erlaubt, Wert für den Markt zu generieren und nur für bestimmte Ausnahmen Projekte notwendig werden lässt?
Bevor ich eine Antwort auf diese Frage skizziere möchte ich voran stellen, dass dieser Beitrag im Rahmen dieser Blogparade nicht genügend Zeit und Raum bietet, um die Gedanken ausführlich zu thematisieren. Dazu möchte ich gerne auf mein laufendes Projekt “Business Systemics” verweisen.
Mit Hilfe der obigen Abbildung nehme ich eine grundsätzliche Sicht auf Unternehmen ein. Die Daseinsberechtigung von Unternehmen ist es, Probleme von Kunden zu lösen sowie Wünsche der Kunden zu befriedigen. Unternehmen sollten für Menschen
- WünscheErfüller,
- BedürfnisBefriediger und
- ProblemLöser
sein. Nur wenn Kunden wahrnehmen, dass Unternehmen ihnen helfen, ihre Probleme zu lösen und zwar besser als andere es können oder wenn sie es alleine täten, kommen sie wieder. Denn sie erkennen den Wert, den das Unternehmen ihnen stiftet und dafür sind sie dann auch bereit Geld zu bezahlen.
Dazu führe ich nun den Begriff des Kundenkontextes der Interaktion zwischen Unternehmen und Kunde ein. Kundenkontexte sind reale Lebenssituationen, in denen Menschen sich befinden und Hilfe benötigen. Je Kundenkontext ist es Aufgabe des Unternehmens Kunden glücklich zu machen. Dabei kann ein Unternehmen mehrere Kundenkontexte bedienen. Im Beispiel eines Handelsunternehmens könnte das zum Beispiel “Shopping” sein. Weitere Beispiele sind “Urlaub”, “Gesundheit und Sport”, “Umzug” oder “Mobilität”.
Je Kontext und damit je Customer Journey in der Wertstromebene 1 (siehe obige Abbildung) besteht nun die Aufgabe, im Unternehmen die dort gelagerten Fähigkeiten so zu verbessern, dass die Kunden ihre Probleme stetig besser lösen können. Ureigenste Aufgabe innerhalb der Unternehmen besteht nun darin, dafür zu sorgen, dass die Aktivitäten der Wertstromebene 1 bestmöglich ausgeführt werden können. Denn das sorgt dafür, dass Kunden im jeweiligen Kundenkontext bestmöglich bedient werden.
In der Wertstromebene 2 (siehe obige Abbildung) werden die notwendigen Fähigkeiten ausgebildet, die in der Wertstromebene 1, den Customer Journeys zum produktiven Einsatz kommen. Das Suchen bzw. Finden der Schwachstellen in den Fähigkeiten sowie das anschließende Verbessern der Fähigkeiten sollte nach einem gemeinsam vereinbarten zeitlichen Zyklus geschehen, also beispielsweise alle x Monate, in dem dann der Unternehmens-Backlog aktualisiert wird. Auch das wird in der obigen Abbildung schematisch dargestellt.
An dieser Stelle reiche ich gerne ein Analogon zum Fußball an. Die Wertstromebene 1 bilden die jeweiligen Punktspiele in den jeweiligen Wettbewerben ab, die Wertstromebene 2 das Training, wo Fähigkeiten wie Passspiel, Zweikampf, Standards etc. verbessert werden. Der Unterschied zwischen Wirtschaft und Fußball ist allerdings, dass beim Fußball Wettkampf und Training niemals zeitlich parallel ablaufen. In der Wirtschaft laufen Wertstromebene 1 und 2 zeitlich parallel ab, was die Komplexität der Interaktion zwischen den beiden Wertstromebenen innerhalb der Wirtschaft erhöhen lässt.
Warum sind nun in dieser dargestellten primären Organisationsform weniger Projekte notwendig?
In dieser primären Organisationsform wurde dediziert darauf geachtet, ob ein bestimmtes Zusammenspiel von Kompetenzen und Skills von Menschen von temporärer Natur sein sollte oder eben nicht.
Für wenig wiederkehrende Tätigkeiten, wie beispielsweise das Finden eines neuen Geschäftsmodells in einem Unternehmen, die Einführung eines neuen IT-Systems oder die Migration von IT-Anwendungen in die Cloud, sind sicherlich weiterhin Projekte als Strukturhilfe notwendig, da für diese speziellen Tätigkeiten keine dedizierte Zusammenstellung von Skills und Kompetenzen dauerhaft notwendig sein muss.
Wenn es allerdings wiederkehrende Aktivitäten gibt, wo also eine Zusammenstellung von Skills und Kompetenzen in einem Team von dauerhafter Natur ist, wie das Erstellen von IT-Produkten in einem Unternehmen in der Wertstromebene 2, damit die Kunden in der Wertstromebene 1 immer besser bedient werden können, stellen Projekte eher ein Hindernis dar, da sie nicht wertgenerierende Tätigkeiten notwendig werden lassen.
Wie wir vor ein paar Jahren im Business Intelligence (BI) Bereich von OTTO diese oben skizzierte Organisationsform etabliert haben, habe ich auf der PM Welt 2018 vorgestellt. Den Vortrag sehen Sie hier.
Projekte möchte ich also nicht per se verdammen, sondern nur dort als Strukturhilfe eingesetzt wissen, wo ein ganz bestimmtes Zusammenspiel von Kompetenzen und Skills von Menschen wirklich nur von temporärer Natur ist.
Zum Schluss möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass ich die hier skizzierten Ideen und Gedanken mittlerweile weiter in Richtung eines Frameworks gedacht habe. Im Buchband “Das Change Management Workbook – Veränderungen im Unternehmen erfolgreich gestalten”, welcher Mitte des Jahres erscheinen wird, habe ich das Framework im Rahmen eines Beitrages verschriftlicht.
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