Gitta Peyn hat in ihrem Beitrag Konfliktdynamiken mit SelFis untersuchen beschrieben, wie Konfliktdynamiken im Rahmen von Kommunikation untersucht werden können. Diese Untersuchungen basieren auf einem System der Kommunikation, welches begriffen werden sollte, um die in Gittas Beitrag angeführten Untersuchungen nachvollziehen zu können. Mit diesem Beitrag möchte ich mich diesem Kommunikationssystem zuwenden.
Im obigen Bild sehen Sie das System der Kommunikation schematisch dargestellt. Wenn Sie mit dem System von Niklas Luhmann vertraut sind, werden Sie Unterschiede erkennen, auf die ich am Ende des Beitrages zu sprechen komme.
Auf die 3 Teile des Kommunikationssystems Meinen, Mitteilen und Verstehen werde ich nun dediziert eingehen.
Verstehen
Es geht im System der Kommunikation nicht um Inhalt, sondern ausschließlich um Form, genauer um KommunikationsFORMEN. Inhalte, also das WAS, werden im System nicht reflektiert. Information funktioniert dementsprechend nicht als (Teil)Element des Systems “Kommunikation”, sondern kann höchstens als Thema prozessiert werden. Das werde ich weiter unten an einem Beispiel verdeutlichen.
Deshalb ist es wichtig zu begreifen, dass VERSTEHEN hier nicht im Sinne von
Ich habe VERSTANDEN, was Du gesagt hast.
begriffen wird, sondern im Sinne von
Ich habe VERSTANDEN, dass Du etwas von mir willst.
Daher kann ich auf die Frage meiner Frau
Hast Du mich VERSTANDEN?
nur unmittelbar mit
Ja!
antworten. Denn hätte ich nicht VERSTANDEN, hätte ich nicht antworten können. Ich hätte die Frage meiner Frau ignoriert. Ich hätte ihr kein MITTEILUNGsverhalten unterstellt. Es ist ähnlich wie mit der Frage
Bist Du schon wach?
Ich kann nur mit
Ja.
antworten, wenn ich überhaupt antworte. Denn wenn ich noch geschlafen hätte, hätte ich die Frage überhört und könnte nicht antworten.
Vielleicht schlägt uns hier unsere Umgangssprache beim Begriff VERSTEHEN ein Schnippchen, da umgangssprachlich mit diesem Begriff auch Inhalte reflektiert werden. Dafür nutze ich den Begriff BEGREIFEN. Da es aber in Kommunikationssystemen um Folgekommunizieren geht und nicht um Informationsübertragung, spielt BEGREIFEN keine Rolle. Die Frage
VERSTEHST Du, was ich gesagt habe?
ist für das Folgekommunizieren nicht relevant, es kann auch weiter kommuniziert werden, ohne dass es zu inhaltlicher Verständigung zwischen den an Kommunikation beteiligten Personen kommt. Eine relevante Frage wäre
VERSTEHST Du, dass ich etwas zu Dir gesagt habe?
Bei „Was“, müsste ich fragen
BEGREIFST Du, was ich gesagt habe?
Wenn ich auf die Frage
VERSTEHST Du mich?
mit
Nein
antworte, habe ich trotzdem VERSTANDEN, denn ich habe ja reagiert.
Meinen – Mitteilen
Wichtig zu erkennen ist, dass MEINEN seitens Ego Alter unterstellt wird. Ob Alter etwas MEINT oder nicht, spielt für das Zustandekommen von Kommunikation keine Rolle. Alter kann durchaus intendieren, etwas zu MEINEN und MITZUTEILEN: interpretiert Ego das Verhalten nicht als Mitteilung, kommt Kommunikation nicht zustande.
Bleiben wir beim Beispiel von meiner Frau und mir. Der Ausgangspunkt für Kommunikation, ob ich etwas MEINEN könnte oder nicht, ist meine Frau, nicht ich. Sie entscheidet auf Basis der Beobachtung meines Verhaltens, dass ich etwas MEINE. Und damit unterstellt sie mir auch ein MITTEILEN. Und das unabhängig davon, ob ich überhaupt etwas MEINE und MITTEILEN möchte. Ein MITTEILEN ohne MEINEN funktioniert im Rahmen einer Kommunikation nicht. Glauben wir etwas in dieser Art zu beobachten, handelt es sich nicht um “echte” Kommunikation. Gitta Peyn hat das in ihrem von mir oben erwähnten Beitrag an den beiden SelFis Slit ohne und mit Re-Entry demonstriert und ihren Kommunikationsbegriff für tiefer gehend Interessierte hier spezifiziert.
MEINEN bedeutet, dass Ego an dem Verhalten von Alter Bedeutung erzeugt, Alters MITTEILUNGsverhalten Bedeutung zuweist und zwar kommunikative Bedeutung.
Ein Beispiel
Ich kaufe Blumen und lege sie bei uns zu Hause im Esszimmer auf den Tisch. Wenn meine Frau dieses Phänomen komplett ignoriert, VERSTEHT sie nicht. Kommunikation kommt bzüglich der Blumen nicht zustande. Wenn sie dieses Phänomen nicht ignoriert, VERSTEHT sie. Kommunikation kommt zu Stande, da sie mir durch den Akt des Blumenkaufs ein MITTEILEN unterstellt. Sie unterstellt mir dann, dass ich damit etwas MEINE. Klar ich kaufe nicht ohne Grund Blumen.
Aber dieses MEINEN ist unabhängig von meinem Kaufgrund. Das von meiner Frau mir unterstellte MEINEN und mein Kaufgrund, mein MEINEN, können übereinstimmen, müssen aber nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Prüfung schwierig bis gar nicht zu vollziehen ist. Vielleicht habe ich die Blumen gekauft, weil ich unser Haus innen ein bisschen grüner haben wollte oder weil die Blumen gerade im Angebot waren oder oder oder. Meine Frau könnte aber von etwas ganz anderem ausgehen. Sie könnte auf die Idee kommen, dass ich die Blumen gekauft habe, weil ich mich entschuldigen möchte, da ich am gestrigen Abend, anstatt mit ihr zusammen einen Film, Fußball im TV geschaut habe. Und das ist entscheidend. Denn sie VERSTEHT und auf der Basis ihres imaginierten Grundes für meinen Blumenkauf entsteht Kommunikation, nicht auf Basis meiner Intention, weshalb ich die Blumen gekauft habe.
Bis hier her ist meine Frau Ego, ich bin Alter. Und nun können wir sehen, dass und wie genau, weil wir nicht auf den Punkt inhaltlich verstehen können, was der jeweils Andere meint, Folgekommunizieren zustande kommen kann.
Jetzt könnte meine Frau zu mir sagen
Danke. Aber ich bin immer noch ein bisschen sauer.
Wenn ich das nicht registriere, VERSTEHE ich nicht und die Kommunikation bzgl. des Themas “Blumen” erlischt. Wenn ich das registriere, VERSTEHE ich. Die Kommunikation geht weiter und ich bin Ego und meine Frau ist Alter.
Nun unterstelle ich meiner Frau ein MEINEN und ein MITTEILUNGsverhalten. Ich könnte beispielsweise hineininterpretieren, dass meine Frau sauer ist, weil ich vorgestern Blumen, die auf dem Tisch standen, weggeschmissen habe, da sie meiner Meinung nach bereits welk waren und meiner Frau nicht dieser Meinung war. Fußball kommt mir bzgl. ihres Sauerseins gar nicht in den Sinn. Ich reagiere also auf das von mir intendierte MEINEN meiner Frau, nicht auf ihr MEINEN. Ich verdrehe die Augen, sage aber nichts.
Und nun wieder. Wenn meine Frau das Augenverdrehen nicht registriert, VERSTEHT sie nicht und die Kommunikation des Themas “Blumen” ist zu Ende. Wenn sie das registriert, VERSTEHT sie. Sie unterstellt mir ein MEINEN und ein MITTEILUNGsverhalten. Die Kommunikation geht weiter. Wir wechseln wieder die Rollen Ego und Alter. Und so kann das immer weiter gehen.
Hier breche ich das Beispiel mal ab und hoffe, dass das System “Kommunikation” veranschaulicht wurde. Alter und Ego sind übrigens nicht auf Menschen beschränkt, sondern können auch Gruppen von Menschen sein, die kommunizieren.
Fazit
Eines ist mir wichtig zu betonen. Die hier von mir formulierten Inhalte, die ich als Beispiel anfüge, wie “Blumen waren im Angebot”, “Sauersein wegen Fußball schauen” etc., um den Akt der Kommunikation klarer zu beschreiben, sind nicht Bestandteil des Systems “Kommunikation”. Es geht rein um die FORM. Könnte Kommunikation tatsächlich Inhalte, wie sie für Psychen relevant sind, könnte sie psychisch operieren. Könnte sie das, organisierten sich Psychen nicht autopoietisch, und wir könnten Information in sie hineinlegen. Psychische Information wird aber in den Psychen erzeugt, nicht von Psyche zu Psyche transportiert. Soziale Information erzeugt das soziale System via Folgekommunizieren selbst.
Und an dieser Stelle komme ich auf Niklas Luhmann zu sprechen, wie zu Beginn dieses Beitrags bereits angedeutet. Diesen oben beschriebenen Fakt mit der Psyche hat Luhmann ebenfalls gesehen und oft beschrieben, jedoch in seinem Kommunikationssystem in meinen Augen unzureichend berücksichtigt. Sein Modell besteht aus den 3 Teilen Information, Mitteilen und Verstehen.
Information kann aber nicht Bestandteil des Elements von Kommunikation sein. Ob Folgekommunikationen und wie sich Folgekommunikation an vorherige und erwartete Kommunikation (selbst) anschließt, kann vorherige Kommunikation nicht vorwegbestimmen. Und da Psychen wiederum nicht in Kommunikation eingreifen können, können psychische Inhalte nicht in Kommunikation hineinproduziert werden. Sie werden ausschließlich von und in psychischen Zeichenprozessen erzeugt.
Im Jahr 2013 habe ich den Beitrag Kommunikation 2.0 – Gesagt ist weder gehört noch verstanden verfasst, in welchem ich das Luhmannsche Kommunikationssystem thematisiert und diese Unstimmigkeit nicht erkannt habe. Ich habe mich diesbezüglich weiterentwickelt und das Kommunikationssystem zu meinem Erleben stimmiger gemacht. Eine Reise des Verstehens eben, die niemals endet. Danke Gitta und Ralf Peyn für diesen Erkenntnisgewinn, den ich aus vielen Gesprächen mit Euch generiert habe.
Eine zentrale daraus ableitbare, für mich auch lange nicht zu beGREIFENDE, Beobachtung ist, dass Menschen nicht kommunizieren. Kommunikation kommuniziert. Menschen sind Kontext des beobachteten Systems “Kommunikation”, nicht Inhalt. Das bedeutet: Menschen können Kommunikation anregen, indem sie dem System “Energie” zuführen, die dann umgewandelt wird. Sie können versuchen, etwas zu sagen und so Kommunikation anstoßen. Ob Kommunikation reagiert und wie, das können Menschen aber weder punktuell bestimmen, noch vorhersagen.
Menschen können und, in meinen Augen sollten, natürlich die Qualität von Kommunikation beeinflussen, aber eben nicht intentional und damit nicht direkt, ähnlich wie Sauerstoff beim System “Mensch”. Ohne Sauerstoff kann Mensch nicht sein. Ohne Mensch kann Kommunikation nicht sein. Aber ebenso wenig wie Sauerstoff das System “Mensch” operativ intendieren kann, kann Mensch Kommunikation operativ intendieren.
Nur weil wir Menschen nicht kommunizieren können, bedeutet es nicht automatisch, dass wir uns über Kommunikation keine Gedanken machen sollten, da wir Qualität dieser sowieso nicht beeinflussen könnten. Würde ich das glauben, bräuchte ich diesen Beitrag nicht verfassen. Wir sollten beispielsweise, durch den Versuch einer klaren eindeutigen Sprache (“Energiezufuhr”) und das bewusste Achtgeben der Verwendung von Zeichen (“Energiezufuhr”), die Wahrscheinlichkeit einer gelingenden Kommunikation erhöhen.
Ob ich “A” MEINE und mein Gegenüber mir auch ein “A” im MEINEN unterstellt, ist nicht Bestandteil des Kommunikationssystems. Interessant ist, ob mein Gegenüber mir überhaupt ein MEINEN unterstellt und sich darauf fokussiert, dieses MEINEN ergründen zu wollen, unabhängig davon, ob es funktioniert oder funktionieren kann. Diese Fokussierung (“Energiezufuhr”) beeinflusst die Qualität der Kommunikation.
In unseren Einführungsseminaren zur Komplexitätsorganisation thematisieren wir unter anderem genau diese möglichen “Energiezufuhren” in das Kommunikationssystem, in dem wir die 6 Grundmodelle der Kommunikation inklusive Kombinationen dieser über emulierte SelFis interpretieren, um daraus Dynamiken aufzudecken und mögliche Handlungen für Verbesserungen von Kommunikation abzuleiten.
Bei Interesse melden Sie sich gerne an. Dann emulieren und interpretieren wir zusammen.
Hier gibt es die Englische Übersetzung dieses Beitrags von Jürgen Große-Puppendahl. Dankeschön Jürgen. 🙂
Pingback: Die 6 GrundFORMen der Kommunikation | Reise des Verstehens
Pingback: Kommunikation – Dynamiken über emulierte SelFis sichtbar machen | Reise des Verstehens