Ein sehr aktiver Wegbegleiter meiner Reise des Verstehens, Sascha Meyer, hat mich vor geraumer Zeit zu einer Diskussion zum Thema Freiheit, Gerechtigkeit und Fairness eingeladen. Nachfolgend möchte ich Ihnen diesen anreichen.
S. Meyer
Hallo Herr Dethloff,
hatten Sie schon Zeit, den Video-Podcast sich anzusehen?
Mich würde sehr interessieren, wie Sie zu dem von Herrn Christian Lindner definierten Freiheits- und Gerechtigkeitsbegriff stehen? Um es vorweg zu nehmen: Für mich ist die Vertragsfreiheit (also die rechtliche Freiheit) nicht gleichzusetzen mit dem gesamten Freiheitsbegriff. Freiheit umfasst immer auch die moralische, soziale sowie die Wirklichkeit umfassende Komponente.
Vielen Dank für Ihr Verständnis.
Freundliche Grüße,
Sascha Meyer
C. Dethloff
Hallo Herr Meyer,
ich habe mir das Video angeschaut. Es birgt auf jeden Fall Futter für reichlich Gesprächsstoff. Für eine Diskussion über Gerechtigkeit, Fairness und Freiheit ist es unerlässlich die Begriffe zu definieren und gegebenenfalls zu säubern. Im ersten Moment finde ich die Unterscheidung, die Christian Lindner trifft, passend.
Fair sein bedeutet, dass man sich an vorher ausgemachte Spielregeln hält. Sehr oft treffen wir den Begriff im Sport an. Im 100-Metersprint der Männer beispielsweise müssen alle Läufer 100 Meter laufen und nach einem Startschuss starten. Würde ein Sprinter 10 Meter vor der Startlinie starten dürfen oder würde ein Sprinter gedopt sein und dadurch künstlich seine Leistungsfähigkeit erhöhen, wäre das in meinen Augen nicht fair und man müsste einschreiten. Allerdings würde man Usain Bolt kurz vor dem Ziel nicht anhalten langsamer zu laufen, damit die anderen Sprinter ihn einholen. Das würde nicht unter Fairness fallen. Auch unter Einhaltung von Spielregeln und damit Fairness können also Ungleichheiten entstehen. Sport würde ja sonst keinen Sinn machen.
Wenn fair sein bedeutet sich an Spielregeln zu halten, was bedeutet dann Gerechtigkeit? Ich bin mir nicht sicher, ob ich dem Gesagten zustimmen kann, dass Gerechtigkeit etwas Absolutes in sich birgt und Fairness etwas Relatives. Das Relative bei Fairness wären die Spielregeln, die von Menschenhand und –kopf erschaffen wurden. Was heißt hier in diesem Zusammenhang absolut? Ist Gerechtigkeit an etwas ausgerichtet, dass nicht von Menschen erschaffen wurde? Das finde ich schwierig zu akzeptieren. Benötigen wir überhaupt diese Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit und Fairness?
Übersetzt man beispielsweise das deutsche Wort “Gerechtigkeit” ins Englische erhält man unter anderem das Wort “Fairness”. Allerdings ist das Wort “Fairness” auch eingedeutscht worden. Hat das deutsche Wort “Fairness” eine andere Bedeutung als das englische Wort “Fairness”?
Bzgl. der Definition und Abgrenzung von Gerechtigkeit und Fairness interessiert mich Ihre Meinung. Wir benötigen aus meiner Sicht eine gemeinsame Basis für eine nachlaufende Diskussion. Anschließend können wir dann in den Dialog bzgl. Freiheit, Vertrag und Leistung gehen. Was meinen Sie?
S. Meyer
Sehr geehrter Herr Dethloff,
ich bin begeistert über Ihre Abgrenzung der Begriff Fairness und Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist für mich auch kein absoluter Begriff wie Freiheit. Sie stehen immer in Kontexten von gesellschaftlichen Bedingungen.
Ihr Beispiel mit dem 100m-Lauf finde ich wunderbar. Ich würde sogar noch schärfer formulieren, dass am Beispiel der Bildungspolitik in Deutschland (Stichwort PISA-Studien) erkennbar ist, dass bei drei Läufern an einem 100m-Lauf einer die Augen verbunden bekommt, einer die Beine und der dritte darf frei laufen. Wie könnte man anders erklären, dass bei gleichen Leistungen am Ende der 4. Grundschulklasse Kinder aus bildungsfernem Elternhaus überproportional eine Real- oder Hauptschulempfehlung erhalten, während Kinder aus Akademikerfamilien eine Empfehlung zum Gymnasium erhalten.
Nicht, dass ich die Haupt- und Realschulen abwerten möchten. Aber es ist doch de facto so, dass heutzutage selbst für Ausbildungen der dualen Berufsausbildung, in denen vor 10-20 Jahren noch die Realschule als Auswahlkriterium ausgereicht hatte, heutzutage eine allgemeine Hochschulreife Pflicht ist. Dabei entscheidet bei den dualen Berufsausbildungen der Markt. Und je stärker die Marktmacht der Ausbildungsnachfrager (Arbeitgeber), um so mehr wird sich die Orientierung an höheren Schulabschlüssen erfolgen. Dadurch werden die Real- und Hauptschulen abgewertet.
Es kommt dazu, dass Schüler, die einen Haupt- oder Realschulabschluss abgeschlossen haben, häufig aufgrund erfolgloser Bewerbungen auf dem Arbeitsmarkt gezwungen sind, weiter im Bildungsbetrieb über andere zweite Bildungswege einen Abschluss mit einer offiziell ähnlichen Qualifizierung einer allgemeinen Hochschulreife zu erhalten. Weitere Optionen sind das Berufsvorbereitungs- und Berufsgrundbildungsjahr. Diese Qualifizierungsmaßnahmen führen aber häufig in die “Bildungssackgasse”. Sie führen leider zu häufig nicht in eine Beschäftigung, sondern lösen eine Kaskade des ewigen Schülers aus, der nicht in die Arbeitswelt integriert wird.
Was hat dies mit Gerechtigkeit und Fairness sowie Freiheit zu tun? Ich bin davon überzeugt, dass das Prinzip “Fördern und Fordern” eine wichtige Grundvoraussetzung für ein Funktionieren des Staates und gleichzeitig für einen angemessenen Umgang mit freien, verantwortungsbewussten Bürgern ist. Wir müssen in einer freien Gesellschaft die Bürger zur Selbstverantwortung erziehen. Gleichzeitig müssen wir aber auch Voraussetzungen schaffen, damit die Verantwortlichkeit keine Einbahnstraße wird. Auch die Wirtschaft und Verantwortliche des öffentlichen Dienstes und die Beamten müssen sich ihrer Verantwortung in der Bildungsgesellschaft bewusst werden.
Denn ökonomisch ist Bildung ein öffentliches Gut, das heißt es gibt weder eine Rivalität/ Konkurrenz noch kann man Personen/ Institutionen, die nicht in Bildung investiert haben, vom Ertrag der Bildung ausschließen. Hier müssen wir die Wirtschaft mehr in die Pflicht nehmen. Korporatismus durch selbstverpflichtende Bestimmungen, zustande gekommen an runden Tischen zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Vertretern des Bundes und der Länder reichen hier nicht mehr.
Ich glaube hier an die Regionalisierung von Bildungsprojekten, wie sie Prof. Dr. Gerald Hüther in Ermangelung des Zustandekommens der Umsetzung seiner Vorschläge im Zukunftsrat Bildung auf Bundesebene vorgestellt hat. Dabei kann das Zentralabitur, das jetzt vorgeschlagen und partiell umgesetzt wurde, keine Lösung sein. Es ist nur eine Scheinlösung, da es wie eine Prozessmodellierung in Unternehmen starre Strukturen vorgibt, die den Menschen und seine Bedürfnisse außen vorlassen.
Ich glaube an die Selbstbestimmung und Fähigkeit der Menschen zum freiheitlichen und verantwortungsbewussten Denken. Genauso wie dies meines Erachtens Mitarbeiter in Unternehmen auch können. Ein Paradigmenwechsel wäre angebracht.
Ich möchte an dieser Stelle den Bogen zum Thema Burnout spannen. Diesen sehe ich vor allem in der Schaffung von Bedingungen der Angst. Ich möchte dies kurz an eigenen Erfahrungen erläutern. In der Schule hatte ich nie Interesse an Naturwissenschaften und Mathematik. Meine Interessen gingen in den Bereich Geschichte und Philosophie. Später merkte ich, dass die Naturwissenschaften auch sehr interessant sein können. Die Wissenschaftsjournalisten Harald Lesch, Ranga Yogeswar und Gerd Scobel haben einen großen Anteil an meiner jetzigen Begeisterung für Themen der Physik, Biologie und Chemie (insbesondere Hirnforschung) sowie Astronomie.
Wie kann das sein? War ich immer zu blöde dafür? Ich glaube nicht. Eher, dass mein Interesse nicht geweckt wurde, weil zu wenig anschaulich von den Pädagogen gelehrt.
Ich habe immer noch Angst vor der Mathematik. Wenn ich mir ökonometrische Formelreihen ansehe, bekomme ich einen flauen Magen. Ich bin zwar mittlerweile in der Lage, mich damit auseinanderzusetzen, könnte aber nie wirklich beurteilen, wo der Haken an einer komplexen Formelreihe liegt.
Kleine Bemerkung am Rande: Mir hat Ihr Blog zur Einführung in die Welt der Zahlen (Abgrenzung reelle, natürliche Zahlen etc. sehr gefallen, da sehr anschaulich. Ich würde mich freuen, mehr davon zu erfahren.
Ist es die alleinige Verantwortung des Kindes, Interesse für alle relevanten Disziplinen aus sich heraus zu entwickeln? Wie stehen Sie dazu?
Freundliche Grüße
Sascha Meyer
C. Dethloff
Sehr geehrter Herr Meyer,
bevor ich auf Ihre Fragen zum Thema Bildung eingehe, möchte ich noch einmal die Themen Gerechtigkeit und Fairness in unserer Gesellschaft eingehen.
Wie ich in meiner vorigen Antwort angedeutet habe, ist aus meiner Sicht Gerechtigkeit als auch Fairness auf Relativität aufgebaut. Keines der beiden kann absoluten Ansprüchen genügen. Deshalb macht auch für mich eine begriffliche Unterscheidung keinen Sinn. Ich möchte also ab jetzt den Begriff Gerechtigkeit nutzen.
Christian Lindner sagt in dem Gespräch mit Richard David Precht, dass Gleichheit die Basis für Gerechtigkeit ist. Wenn Menschen beispielsweise den gleichen Zugang zur Bildung haben, sprechen wir in diesem Fall von Gerechtigkeit. Gleichheit in diesem Zusammenhang finde ich schwierig, denn Menschen sind nun einmal nicht gleich. Jeder Mensch ist für sich genommen einzigartig. Menschen haben beispielsweise unterschiedliche Voraussetzungen für die Bildung. Um dieser Unterschiedlichkeit Rechnung zu tragen, müssen wir also Menschen unterschiedlich behandeln, um einen gleichen Zugang zu gewährleisten. Um Gleichheit und Gleichberechtigung im Ergebnis herzustellen müssen wir also ungleichberechtigt handeln. Nehmen Sie ein anderes Beispiel. Stellen Sie sich vor ein Unternehmenslenker muss Menschen entlassen. In diesem Entlassungsprozess werden beispielsweise sozial benachteiligte Menschen, hier können mehrere Faktoren hineinspielen, gegenüber anderen Menschen bevorteilt. Oder nehmen Sie die Frauenquote beim Besetzen von Managementpositionen in Unternehmen. Es gibt viele weitere Beispiele, die den Fakt der Ungleichbehandlungen mit dem Ziel des Schaffens einer Gleichheit belegen. Details dazu habe ich unter anderem in meinem Post Diversity Management schafft Einfalt statt Vielfalt beleuchtet. Aus meiner Sicht ist also das Thema Gleichheit differenzierter zu betrachten und stellt eine Hürde beim Schaffen von Gerechtigkeit dar.
John Rawls stellt sich, dass wird auch in dem Gespräch erwähnt, einen Urzustand einer Gesellschaft von Menschen vor, in dem diese im Mantel eines Schleiers leben. Die Menschen wissen dementsprechend nicht um ihre Stärken, Schwächen und Interessen. Um daraus eine gerechte Gesellschaft zu erschaffen muss als erstes gegeben sein, dass gleiche Rechte für alle Menschen herrschen. Des Weiteren müssen alle Menschen die gleiche Möglichkeit des Zugriffs auf die Ressourcen haben. Im Laufe der Entwicklung entstehen nun Ungleichheiten aufgrund der Unterschiedlichkeit der Menschen, wie oben angedeutet. Diese Ungleichheiten sind zu tolerieren, solange die von der Ungleichheit Benachteiligten trotzdem in diesem Zustand besser leben, als wenn es diese Ungleichheit nicht geben würde. Das mutet natürlich sehr theoretisch an, da dieser Vergleich praktisch nicht durchführbar ist.
Lindner spricht in diesem Zusammenhang von gleichen Startchancen für alle Menschen. Was bedeutet das? Wann beginnt für Menschen der Start? Mit der Geburt? Oder schon vorher, da ein Mensch ja beispielsweise in eine Familie hineingeboren wird, die etwas ermöglicht oder eben nicht. Also beginnt der Start mit dem Geburt der Eltern oder der Großeltern usw. usf. In der heutigen Zeit unserer Gesellschaft, wo wir uns schon lange nicht mehr an der Startlinie befinden, ist das Diskutieren über gleiche Startchancen eine reine “Labordiskussion”. Es ist müßig über den Start zu reden, wenn wir diesen bereits verlassen haben und auch nicht mehr dahin zurückkehren können. Einen Supergau möchte ich ausschließen, da alle derzeit lebenden Menschen davon nichts hätten.
Ich möchte ganz ehrlich zu Ihnen sein. Derzeit fällt es mir schwer, ein Rezept für das Herstellen von Gerechtigkeit nur ansatzweise zu denken. Für mich ist Gerechtigkeit etwas Subjektives. Ich bewerte Gerechtigkeit aus meiner speziellen Situation, in der ich mich befinde, gegen meine speziellen Kriterien. Hier komme ich auf die Spielregeln zurück. Spielregeln sollten diese konsensgetragenen Kriterien eigentlich abbilden. Dafür müsste aber JEDER Beteiligte seinen Anteil an der Definition dieser Spielregeln unter Informationssymmetrie leisten können (Wir befinden uns nicht mehr an der Startlinie!!!). Ein Beispiel dafür ist unsere Ökonomie. Es wurde ebenfalls in dem Gespräch das Verteilungsproblem in unserer Gesellschaft angesprochen. Wir haben aber Spielregeln zwischen Finanz- und Realwirtschaft geschaffen, die alleine durch das Befolgen dieser diese “ungerechte” Verteilung schaffen und sogar noch befüttern. Details dazu habe ich in meinem Post Wir schaffen unsere Finanzkrisen durch das Zinsparadigma selber formuliert.
Jetzt möchte ich noch zwei Themen kurz anreißen, die ich aus dem Video extrahiert habe, und die ich wertvoll finde im Dialog weiter zu verfolgen.
Zum ersten Punkt. Precht merkt an, dass das Ideal der objektiven Bezahlung nach Leistung nicht gewollt sein kann. In diesem Fall kann Leistungsgerechtigkeit nicht erstrebenswert sein. Denn diese Gerechtigkeit lässt keine Ausreden der Menschen für ihren derzeitigen Lebensstandard zu. Für die jeweilig derzeitige Lebenssituation kann man dann nämlich nur noch Gründe anführen, die man selber direkt beeinflussen kann. Man ist dann also komplett verantwortlich. Um die Spielregeln wieder ins Spiel zu bringen. In diesem Fall kann man beispielsweise die missliche Situation, in der man sich vielleicht gerade befindet, nicht an Spielregeln abgeben, die man nicht beeinflussen kann, so wie ich das in der heutigen Zeit häufig beobachte. In diesem Punkt sind wir also froh, dass wir keine Gerechtigkeit haben? Das finde ich interessant. Sie auch?
Nun zum zweiten Punkt. Den Begriff Vertragsfreiheit finde ich paradox. Aus meiner Sicht ist mit dem Begriff das Folgende gemeint. Für den Akt des Schließens eines Vertrages bin ich frei. Ist dieser aber abgeschlossen bin ich nicht mehr frei. Jetzt muss ich mich an diesen halten. Der Vertrag spiegelt Spielregeln wieder. Halte ich mich nicht daran, handle ich in den Augen meiner Vertragspartner ungerecht. Also in dem Moment, wo ich mich gerecht verhalte, bin ich unfreier. Ich kann natürlich den Vertrag wieder kündigen, um freier zu sein. Dafür gibt es aber wieder Spielregeln, quasi Metaspielregeln. Aus diesem Kreislauf komme ich nicht raus. Ebenfalls interessant, oder?
Nun zu Ihren Fragen zum Thema Bildung.
Kinder kommen mit einem enormen Wissensdurst auf die Welt. Sie wollen Alles und Jedes erkunden. Spätestens mit dem Eintritt in die Schule wird ihnen dieser Wissensdurst genommen, weil ihnen die Freude und die Begeisterung für das Lernen genommen werden. Gründe dafür habe ich in meinem Post Verdummt noch mal! oder Was Kinder in der Schule wirklich lernen angeführt. Das beobachte ich derzeit leider ganz massiv bei meiner Tochter. Diese Erfahrung habe ich sicherlich nicht exklusiv. Zu Ihrer Frage. Kinder übernehmen Verantwortung für ihr Lernen. Das tun sie beispielsweise beim “Gehen lernen” oder “Sprechen lernen”. Eltern müssen dafür keinen Plan aufstellen. Ab dem Schulalter haben wir allerdings Spielregeln aufgestellt, die dazu beitragen, dass Kinder diese Verantwortung nicht mehr nehmen können, was dazu führt, dass wir glauben ihnen Verantwortungsbewusstsein durch eben diese Spielregeln einbimsen zu müssen. Wir befinden uns also in einer selbstverstärkenden Spirale. Das ist ein absolutes Verbrechen an unsere Kinder und damit an unsere Gesellschaft. Ich bin gespannt auf Ihre Gedanken dazu.
Beste Grüße, Conny Dethloff
S. Meyer
Sehr geehrter Herr Dethloff,
ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie das Thema Gerechtigkeit (ich nehme hier die Freiheit und die Fairness bewusst mal raus, komme ich später zu) in Bezug zur Ungleichheit der Menschen setzen. Genau das sind die Annahmen von Prof. Dr. Gerald Hüther. Wir sind nicht gleich und sollen es meines Erachtens auch nicht werden. Das wäre “Kommunismus”. Den will ich nicht und den will die Mehrheit auch nicht. Im Gegensatz dazu steht die Maxime des Sozialismus in der Form von Marx und Engels “Jeder nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten.”
Ich möchte das Thema Gerechtigkeit, die genauso wie die Begriffe Fairness und Freiheit keinen Absolutheitsanspruch auf sich ziehen dürfen, mit dem Thema Burnout verknüpfen, weil ich, wenn ich Sie richtig verstanden habe, wie Sie der Auffassung bin, dass die Ungleichheit der Menschen aus Ihrer Vielfalt heraus entsteht. Dabei hat jeder seine gesellschaftliche Funktion, diese sowohl ökonomisch (z.B. als Konsument) oder als Rollenträger (z.B. Familienvater, ehrenamtlicher Kassenwart etc.). Sir Ralf Dahrendorf hat zur Vielfalt in der Bildung in den 70-iger Jahren ein Memorandum geschrieben, dass die europäische Bildungspolitik heute noch prägt, das Prinzip der Subsidiarität.
Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht nur für die Ökonomie leben. Der Soziologe Pierre Bourdieu hat dies mit seiner Unterscheidung der Kapitalarten in ökonomisches, kulturelles (inkorporiertes u. objektiviertes) sowie soziales Kapital verdeutlicht. Dabei wird deutlich, dass Bildung als inkorporiertes Kapital nur mit einem Zeitaufwand und persönlichem Einsatz erwerbbar ist, während objektiviertes Kapital in Form von Theaterbesuchen, Erwerb von hochwertigen Bildern etc. auch mit ökonomischem Kapital, aber nicht begleitet sein muss vom Verständnis der kulturellen Werte. Das soziale Kapital ist nichts anders als die heutigen Netzwerke, die Beziehungen zu Menschen, die einen ähnlichen sozialen Status haben.
Während Bourdieu einen “Kampf im sozialen Feld” um diese Kapitalien sieht, in denen diejenigen, die aufgrund eines größeren ökonomischen Kapitals zwar nicht von vornherein bessere Startbedingungen haben, aber sehr wohl eine finanziell größere Unabhängigkeit. Dass die Möglichkeit der Beschaffung von Unterstützung bei Lernschwächen eher gegeben zu sein scheint, zeigt der Soziologe Ulrich Beck auf, sowie dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Risiken auf einen größeren Kreis der Gesellschaft verteilt wird. Als Beispiel nennt er globale Umweltprobleme, vor denen selbst reiche Menschen nicht verschont bleiben.
Als weiteres Beispiel nennt Beck das Aufbrechen alter familiärer Strukturen und Beziehungsmuster (Frauen erhalten mehr Rechte, die Gesellschaft wird heterogener, es gibt mehr Migranten). Dabei muss jeder einzelne mehr Risiken eingehen. Jeder Einzelne wird individualisiert. Die Unsicherheit des Lebensstils wächst und Familien sind kein dauerhaftes Lebensband mehr.
Ich möchte aus beiden Theorien meine Gedanken bilden. Ich bin davon überzeugt, dass Ungleichheit gut und wichtig ist. Wir brauchen unterschiedliche Begabungen in einer arbeitsteiligen Welt. Daher finde ich die Tendenz, dass beispielsweise der Abschluss der Realschule und der Hauptschule von Arbeitgebern derart gering geschätzt wird, nicht gut. Das halte ich für ungerechtfertigt. Für die Bewerbung zum Steuerfachangestellten brauchte man früher einen Realschulabschluss, heute das Abitur. Es wird so getan, als wenn sich die Anforderungen dieses Berufes enorm erweitert haben. Stimmt aber nicht. Man braucht weder die Integralrechnung noch Statistik oder Boolesche Algebra. Es reicht, wenn man den Dreisatz bilden kann, die Zinses-Zinsrechnung beherrscht und benötigt ein wenig Allgemeinbildung (aber nicht zu viel), um Small-Talk mit den Mandanten halten zu können. Was man meines Erachtens viel eher lernen sollte, ist der Umgang mit schwierigen Konfliktsituationen. Warum lernt man dies weder in der Schule noch in der Ausbildung?
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diversifizierte, modulartige Ausbildungsformen, wie es sie z.T. in neuen dualen Ausbildungsgängen zum Informatikkaufmann, -frau, Systemanalytiker etc. schon gibt, benötigen. Eine Grundausbildung von z.B. einem Jahr. Danach kann man sich spezialisieren, muss man aber nicht. Der Vertrag mit dem Arbeitgeber liefe dann so, dass man eine stufenweise Ausbildung ohne Zwang zum Abschluss der höchsten Stufe machen könnte. So bliebe nämlich die Freiheit, seinen Lebensweg stärker flexibilisieren zu können. Unsere Arbeitswelt ruft doch förmlich danach, oder?
Was den Ruf nach Fachkräften, vor allem Absolventen von Fachhochschul- und Universitätsstudiengängen angeht, stehe ich dieser Richtung kritisch gegenüber. Bei Ärzten, Juristen, Architekten und Ingenieuren sehe ich das ein. Dafür brauchen wir hochqualifizierte studierte Fachkräfte. Aber im Rechnungswesen verstehe ich das gar nicht. Mir hat mein im Studium erworbenes Wissen so ziemlich gar nicht geholfen, wenn es sich um die Lösung konkreter Aufgabenstellungen handelte. Eher mein kreativer und querdenkerischer Verstand. So habe ich auch manch älteren, erfahrenen Kollegen erlebt, der sich weder an Organigramme, vorgegebene Arbeitsabläufe oder sonstige Direktiven gehalten hat. So konnten wir z.B. die Kennzahl Forderungsumschlag in einem bestimmten Trade nicht bilden, da die Umsätze nicht monatsweise abgegrenzt wurden und die Forderungen eine Verrechnung mit Kostenbestandteilen enthielt. Aber die Herrschaften an der Front hatten natürlich einen Plan B. Die Umsätze aus Ihren Makros zu extrahieren und dann nur die Forderungen aus den Umsätzen entgegenzustellen, die noch außen stehend waren. Das klingt vielleicht nicht besonders spannend. Auf die Lösung sind wir aber erst gekommen, als ich mich als „Neuer auf dem Posten“ mich mit den operativen “Jungs” mal hingesetzt und gesprochen habe. Über Jahre hinweg wurde das vorher nicht getan. Soviel dazu, dass in einem Konzern alles richtig läuft.
Und so sieht es doch häufig im Leben aus. Wir lernen nicht nur theoretisch, sondern durch die Ergänzung von Theorie und Praxis. Insofern sollte man meines Erachtens die Grundausbildung in verschiedenen Berufen verkürzen und das Angebot des “Lebenslangen Lernens” erweitern, wie dies ja bereits durch zahlreiche Fernstudienangebote möglich ist. Dieses Modell entspricht dem Modell der kommunikativen Interaktionspädagogik von John Dewey.
Zum Begriff der Vertragsfreiheit wollte ich nur kurz anmerken. Ist ein Realschüler, der auf dem Markt eine Ausbildungsstelle z.B. zum Steuerfachangestellten sucht, wirklich so frei, wie Herr Lindner es postuliert? Oder sind hier nicht die Kräfte von Angebot und Nachfrage entscheidend, die mittlerweile ja stark durch globale Verzerrungen des Marktes eingeschränkt sind. Kann ein öffentliches Gut wie die Ausbildung rein vom Markt gesteuert werden.
Ich bin ganz ehrlich. Ich finde nicht, dass John Rawls mit seinem Schleier des Nichtwissens zu einer gerechteren Gesellschaft beiträgt. Ist es nicht eher so, dass wir die Ungleichheiten der Sozialisation als Chance nehmen müssen und diese gerade in die Beurteilung von Leistung mit einbeziehen müssen? Ich glaube in einer zukünftigen Gesellschaft wird es weniger um Status als um die Fähigkeit aus “alten Schuhen” Neues zu machen, gehen. Dies wird vor allem im Kleinen passieren, da die höheren Ebenen einer solch anpassungsfähigen Sichtweise schwer zugänglich zu sein scheinen.
Ich freue mich auf Ihre Gedanken.
Freundliche Grüße, Sascha Meyer
C. Dethloff
Sehr geehrter Herr Meyer,
ich kann Ihnen absolut beipflichten, wenn Sie sagen:
Ich möchte aus beiden Theorien meine Gedanken bilden. Ich bin davon überzeugt, dass Ungleichheit gut und wichtig ist. Wir brauchen unterschiedliche Begabungen in einer arbeitsteiligen Welt.
Dieses Ansinnen kann ich beispielsweise auch hinter den aufgesetzten Diversity-Programmen in Unternehmen erkennen. Allerdings wird diese Absicht aus meiner Sicht – ich glaube eher unbewusst – unterlaufen, da in diesen Initiativen dann wieder Gleichmacherei im Ergebnis betrieben wird. Um dieses Gleichmacher-Ergebnis zu erreichen, werden dann gewisse Parteien per Spielregel benachteiligt, andere bevorteilt.
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass weiche Faktoren in der Schule mehr in den Vordergrund rücken müssen. Kinder müssen in der Schule eine Umgebung vorfinden, in der sie ein Verständnis für das Miteinander entwickeln können. Stattdessen wird eine Umgebung des Wettbewerbs geschaffen, wo es ausschließlich um quantitative harte Fakten geht (Zensuren). Es wird nach dem Motto agiert: “Immer mehr, immer besser, immer weiter, immer schneller”. Kooperation gerät in den Hintergrund. Aus der Spieltheorie weiß man aber, dass Wettbewerb ausschließlich bei Nullsummenspielen zuträglich ist. Unsere Gesellschaft ist aber kein Nullsummenspiel. Des Weiteren kann man beobachten, dass Wettbewerb die Spezialisierung fördert. In den Bereichen wo ich bereits gut bin, werde ich weiter in mich investieren, da ich kurzfristig einen Erfolg dafür erwarten kann. Wettbewerb erzeugt also Fachspezialisten, die sich schwer tun über den Tellerrand hinauszublicken. Kooperation hingegen erzeugt Fortschritt und Weiterentwicklung, da sie Ganzheitlichkeit im Denken und Agieren fördert. Für Spezialisierung sind Mangelerscheinungen eine zuträgliche Motivation, da der Bedarf ausgemacht werden kann diesen kurzfristig zu beseitigen. Fortschritt ist auf Mittel- bis Langfristigkeit und damit nicht auf Mangelbeseitigung ausgelegt.
Ich glaube auch dass unter anderem unser zu laxes Reflektieren und Benutzen der Wörter uns darin hindert, diesen Fakt zu akzeptieren. Das ist zumindest ein Grund, den ich hier kurz ausführen möchte. Ich habe eben bereits den Begriff “Nullsummenspiel” in den Ring geworfen. Ich möchte das Beispiel FC Bayern München bemühen. Ich höre gerade in dieser Saison sehr häufig, dass der Wettbewerb innerhalb der Mannschaft auf bestimmten Positionen durch den Kauf neuer Spieler dazu beigetragen hat, dass die Spieler, die in der vorigen Saison bereits an Bord waren, besser geworden sind. Das möchte ich so nicht stehenlassen. Hier muss Wettbewerb differenzierter betrachtet werden. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Wettbewerb innerhalb einer Mannschaft zuträglich für das Anheben der Gesamtleistung der Mannschaft sein kann. Aus meiner Sicht darf man nicht Konkurrenz mit Wettbewerb in einen Topf werfen. Mehrere Spieler können um eine Position innerhalb der Mannschaft konkurrieren, dabei aber trotzdem kooperieren, weil sie sich gerne gegenseitig helfen. Und genau darauf kommt es an. Konkurrenz und Kooperation vertragen sich aus meiner Sicht; Wettbewerb und Kooperation nicht.
Hüther führt in vielen seiner Vorträge auch immer wieder in Bezug auf Wettbewerb aus, dass Menschen in unserer Gesellschaft leider von Beginn ihres Lebens auf den Wirtschaftskonsum vorbereitet werden, da dieser den Gedanken des Wettbewerbs befeuert. Eigentlich wurde aber das System Kapitalismus erfunden, um dem Menschen zu dienen. Mittlerweile wird der Kapitalismus als das Nonplusultra gesehen und die Schwierigkeiten, die derzeit bestehen, mit anderen Themen in Verbindung gebracht. Der Mensch ist Sklave des Systems und dient diesem nur noch.
Ihre Aussagen zu den Fachkräften möchte ich mit dem eben Ausgeführten aufgreifen und aus meiner Sicht konkretisieren. Wir benötigen mehr Generalisten, die das große Ganze im Blick haben und die Spezialisten der einzelnen Fachgebiete vernetzen helfen. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass wir keine Spezialisten mehr benötigen. Der richtige Mix ist entscheidend. Der Kybernetiker Heinz von Förster umschreibt diesen Fakt sehr anschaulich in seiner Unterscheidung zwischen “Science” und “Systemics”. Science kommt aus dem Indoeuropäischen und bedeutet so viel wie “Scy”, also Trennen, wobei Systemics so viel bedeutet wie Zusammenführen. Details finden Sie in diesem Transkript mit HvF ab Seite 2. Dieses Verbinden, was HvF anspricht, beziehe ich ebenfalls auf die Verschmelzung von Theorie und Praxis, die Sie anmerken. Theorie und Praxis müssen sich zirkulär gegenseitig befruchten, was derzeit nicht beobachtbar ist.
Bei ihren Ausführungen zur Vertragsfreiheit kann ich Ihnen Recht geben. Das habe ich in meiner vorigen Antwort anzudeuten versucht. Es wird stets Spielregeln geben. Die muss es auch geben, sonst würde es niemals zu einer Einigung im Sinne eines Vertrages kommen können. Das impliziert aber eben auch das Relative in der Vertragsfreiheit. Dieses Relative führt auch dazu, dass Freiheit niemals unbedingt sein kann. Freiheit unterliegt stets Bedingungen. Kann man Freiheit in Anbetracht dieser Tatsache dann überhaupt noch Freiheit nennen? Aus meiner Sicht ja, denn würden wir die Unbedingtheit dem Begriff Freiheit immer noch anlasten wollen, hätten wir einen Begriff geschaffen, der ohne praktische Relevanz wäre. Das macht in meinen Augen keinen Sinn. Man muss nur die Bedeutung des Wortes Freiheit neu überdenken und umdefinieren.
Details zur Bedingtheit der Freiheit können Sie in meinem Post Kann ein freier Wille bedingt sein? einsehen.
Denkerische Grüße,
Conny Dethloff
S. Meyer
Sehr geehrter Herr Dethloff,
ich bin völlig d’accord mit Ihren Ausführungen zur Notwendigkeit, das Pendel bei der Auswahl von Fachkräften wieder mehr in Richtung Generalisten verschieben zu lassen. Dabei ist auf eine sinnvolle und ausgewogene Ergänzung von Spezialisten und Generalisten zu achten. Ich habe es in der Praxis immer wieder erlebt, dass eine Reihe von Spezialisten nicht in der Lage waren, große Projekte voranzutreiben, weil Sie sich in Details verloren haben, aber die Grundzüge übersehen haben.
Als Beispiel möchte ich einen großen Schifffahrtskonzern in Norddeutschland nennen, der unter Hinzunahme von Spezialisten der Lufthansa, Hapag-Lloyd und weiteren namhaften Beratungsgesellschaften es nicht geschafft hat, weder SAP noch ein anderes ERP-System nach sechs Jahren zur Testphase zu bringen. Und bei der Road Show zur Präsentierung des vorgesehenen ERP-Systems konnte man noch nicht einmal Funktionalitäten wie die Stammdatenkoordinierung im Zahlungsverkehr mit Konzernstrukturen, die als Beteiligungsgesellschaften auftreten, vorweisen. Im internationalen Verkehr mit Treibstoffgiganten ist das aber üblich. Und Firmennamen und –strukturen ändern sich ständig, sodass bei einer automatisierten Verbuchung der Bankzahlungen keine automatisierte Zuordnung von Bankzahlungen und Rechnungsbuchung hinsichtlich der Firmennamen erfolgen kann, weil die Zahlung an eine andere, den Oberkonzern betreffende Zahlung erfolgt, während die Rechnung unter dem Subkonzern erfolgt. Das sollte eine Stammdatenerfassung aber ermöglichen und ist auch nichts Besonderes.
Des Weiteren sehen wir in der Schifffahrt jetzt eine nachträgliche “Rache” des Marktes, da die großen Schifffahrtskonzerne in einer Welle der Begeisterung in der Hochkonjunktur massiv Schiffe und Konzerne aufgekauft haben und jetzt in der Rezession oder abflauenden Konjunktur die Kapazitäten nicht auslasten können.
Also als kleines Fazit meinerseits: Ich stimme mit Ihren Ansichten völlig überein, vor allem zu Ihren Ausführungen zum Diversity Management. Aus Ungleichheit darf nicht Gleichmacherei gemacht werden. Wir brauchen eine völlige Neuorientierung unserer Wirtschaftsweise. Wie diese aussehen könnte, weiß ich noch nicht. Es dürfte aber deutlich werden, dass Konsum nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann und darf. Stattdessen sollte vielleicht mehr Bildung in den Vordergrund rücken. Und eine größere Orientierung des Einzelnen hin zu einer ökologisch und sozial nachhaltiger zustande gekommenen Nahrungsmittelprozesskette. Dadurch könnte vielleicht eine größere Kooperation im Umgang mit Wissen erreicht werden. Dabei sollte möglicher Weise in Form eines Kurssystems schon relativ früh Begabungen in Form der Frühförderung aktiviert werden und in Grundfächern wie z.B. “Glück” (Gibt es schon in Projektform in einigen Schulen), soziale Kompetenzen, aber auch Alltagskompetenzen (Wie organisiere ich meinen Alltagshaushalt? Wie komme ich mit Geld aus? Wie suche ich mir die richtigen Versicherungen aus? Wie bewerbe ich mich? Dabei sollten möglicher Weise auch Prospekte aus der Wirtschaft kritisch im allgemeinen Kreis beleuchtet werden. Auch über Themen wie Konsum und Lockangebote, Rauchen, PC-Spiele, ethisches Handeln in konkreten Situationen etc. sollte man meines Erachtens in einem übergeordneten Fach (und nicht in Spezialfächern wie Biologie, Erdkunde etc.) diskutieren. Kritische Bürger benötigen den frühen Dialog.
Eine andere Idee meinerseits ist z.B. auch ein Steuersystem, dass nachhaltig tätig werdende Unternehmen steuerlich gefördert werden. So könnte man Unternehmen des Mittelstandes, die eben im Gegensatz zu Lebensmittelketten wie Lidl etc. in Bangladesch zu Hungerlöhnen Schuhe produzieren lassen und dabei die Umwelt mit giftigen Gerbstoffen durch Abwasserverpestung mit einer Strafsteuer belegen, vielleicht auf den Import. Das wird natürlich Gegner der „freien Marktwirtschaft“ auf den Plan rufen. Aber der Handel mit Emissionsrechten, der das Prinzip der Nachhaltigkeit mit der Marktwirtschaft verbinden soll, wird unterlaufen durch mächtige Konzerne, die die Preise für die Zertifikate diktieren können und sich so schnell aus Ihrer Verantwortung stehlen können.
Ich bleibe in einem Punkt bei meiner Meinung: Öffentliche Güter wie Umwelt, Bildung, Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen dürfen nicht in marktwirtschaftliche Hände. Dafür ist meines Erachtens der Staat da.
Mit freundlichen Grüßen
Sascha Meyer
C. Dethloff
Sehr geehrter Herr Meyer,
Ihre Idee der aufgezählten Unterrichtsfächer finde ich absolut faszinierend. Da stimme ich voll mit ins Horn. Das ist immens wichtig. Nur leider hält uns wohl unsere immer noch gemeinschaftlich vorherrschende technokratische Sicht auf den Menschen von einer flächendeckenden Operationalisierung ab. Der Mensch wird nun mal als Maschine gesehen. Und wofür benötigt eine Maschine Glück?
Dem sonst ihrerseits Gesagten lassen sich von meiner Seite nur noch Daten zufügen, aus denen Sie wahrscheinlich, hier spekuliere ich mal, keine Information mehr generieren können, da nichts Neues mehr hinzukommt. Vorerst danke ich Ihnen für den spannenden und erkenntnisreichen Dialog, wohlwissend das dieses Thema noch längst nicht “erschlagen” ist.
Beste Grüße,
Conny Dethloff