Am Geschehen im Profifußball kann man aus meiner Sicht hervorragend Lehren für das Führen und Managen von Unternehmen extrahieren. Warum? Auf einer gewissen Abstraktionsstufe kann man Fußballvereine der oberen Ligen mit Unternehmen aus der Wirtschaft gleich setzen. Des Weiteren erkennt man bei genügender Reflektion Zusammenhänge zwischen dem Handeln und Agieren von Verantwortlichen der Fußballvereine und den Ergebnissen dieser, was bei Unternehmen der Wirtschaft nicht so gegeben ist, da sie für die Öffentlichkeit nicht so transparent aufgestellt sind.
Vielleicht haben Sie sich auch schon des Öfteren gefragt, was das Geheimnis des mittlerweile 40 Jahre währenden Erfolgs des FC Bayern München ist. Denn dass das so ist, muss wohl Jeder zugeben, auch wenn er nicht wie ich Fan dieses Vereins ist. Ich möchte diesen Umstand mal an einem Faktor beleuchten, auch wenn mir natürlich klar ist, dass nicht nur ein Faktor dafür verantwortlich sein kann, und diesen Faktor dann auf die Wirtschaft spiegeln. Es ist nämlich ein Faktor, den man bei allen anderen deutschen Vereinen vergeblich sucht. Es ist das oft gepriesene, wohl auch von Nicht-Bayernfans oft verhasste, MIA-SAN-MIA Gefühl.
Wofür steht dieses MIA-SAN-MIA Gefühl? Es steht für ein Selbstverständnis für den Erfolg. Der FC Bayern München geht in jede Saison als selbsterklärter Favorit auf den Titel, ganz egal wie die letzte Saison verlaufen ist. Genau dieses Gefühl versprühen die Vereinsoberen auch nach außen. Es ist also nicht nur ein Sagen, sondern auch ein Handeln und Agieren dahinter zu erkennen. Alles andere als der Sieg ist nicht akzeptabel. Der zweite Platz ist der erste Verliererplatz. Das MIA-SAN-MIA Gefühl bedeutet aber auch ein bedingungsloses verantwortlich sein für den Erfolg aber auch für den Misserfolg. Dieses MIA-SAN-MIA Gefühl drückt sich in Herzblut der Verantwortlichen für den Erfolg aus. Beim FC Bayern brennen die Vereinsoberen lichterloh für den Erfolg. Dieses Gefühl kommt also von tief innen und ist so normal in die Denk- und Handelsweise jedes Einzelnen im Verein integriert wie es Hunger und Durst auch sind.
In den letzten 40 Jahren gab es einige Mannschaften, die über einen kurzen Zeitraum dem FC Bayern München Paroli bieten konnten. In den 70-er Jahren war es die Mannschaft von Borussia Mönchengladbach, in den 80-er Jahren war es Werder Bremen und in den späten 90-ern war es Borussia Dortmund. Jüngstes Beispiel ist wiederum Borussia Dortmund, die in den letzten beiden Spielzeiten die Bundesliga beherrscht haben, das muss ich unumwunden, auch als Bayernfan, zugeben. Sie haben in 5 Spielen nacheinander den FC Bayern besiegt und im letzten dieser 5 Spiele, im DFB Pokalfinale, den FC Bayern gar an die Wand gespielt. Trotzdem gehen die Vereinsoberen der Borussia vor Beginn dieser Saison in die Defensive und wollen nichts vom Meistertitel wissen. Aus ihrer Sicht ist der FC Bayern klarer Favorit, was sie auch immer wieder in den Medien betonen. Das ist aus meiner Sicht in keinster Weise zu verstehen. Wie kann ich den aktuellen Fußballer des Jahres, Marco Reus, verpflichten und kein Meister werden wollen? Wie kann ich den FC Bayern in den letzten beiden Jahren dominieren und jetzt kein Meister werden wollen? Das geht nicht. Damit hole ich mir den Nichterfolg von ganz alleine ins Haus. Die Geister, die ich rief. Das wirkt nicht authentisch und man muss sich dann am Ende nicht wundern, wenn man kein Meister wird.
Genau dieses Phänomen des Tiefstapelns habe ich in den letzten Jahren auch bei anderen Vereinen, die kurzzeitig oben waren wahrgenommen. Sie sind nicht offensiv mit Zielsetzungen umgegangen und haben sich so ganz im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung die faulen Eier selbst ins Nest gelegt. Natürlich müssen Zielsetzungen realistisch sein. Sie müssen aber auch herausfordernd sein, da man sonst in seinen Leistungen stagniert. Würde der SC Freiburg mit der Marschroute Meister werden zu wollen in eine Saison gehen, würde man dies sicher belächeln, aber nicht bei Dortmund vor Beginn dieser Saison. Ich will damit natürlich nicht sagen, dass Borussia Dortmund jetzt Tabellenerster wäre, wenn Watzke und Klopp vor der Saison die Meisterschaft als Ziel ausgelobt hätten. Da spielen dann auch schon andere Faktoren eine Rolle. Bayern wird ja auch nicht jedes Jahr Meister, nur weil sie dieses als Ziel ausloben. Sie werden es aber häufiger als alle anderen Mannschaften. Und genau auf diese Nachhaltigkeit kommt es letztendlich an.
Die Vereinsoberen von Borussia Dortmund haben in den letzten Jahren viele Dinge richtig gemacht und damit den Weg des Erfolges eingeschlagen, den sie nun aber nicht mehr konsequent weiterverfolgen. Vielleicht haben sie ja die Meisterschaft intern als Ziel festgelegt. Wenn ich das aber nicht nach außen verkörpere reicht das nicht. In gewissen Momenten gibt man den Spielern dann nämlich ein Alibi: “Wir wollten ja gar kein Meister werden.” Können Sie sich vorstellen, dass Matthias Sammer, angenommen er wäre vor der Saison zu Dortmund gegangen, dieses öffentliche “Nicht-Meister-werden-wollen” mitgetragen hätte? Ich glaube auf gar keinen Fall. Sammer steht für unbändigen Siegeswillen, weshalb er auch so wahnsinnig gut zum FC Bayern München passt. Er bringt dieses MIA-SAN-MIA Gefühl schon mit.
Natürlich lehnt man sich mit solch einer Art des Denkens und Handelns sehr weit aus dem Fenster. Denn in der Öffentlichkeit wird man an seinen Zielen gemessen. Das erkennt man auch am Beispiel des FC Bayern. Werden sie in einer Saison kein Meister, müssen sie sehr viel Häme einstecken, denn sie wollten es ja werden. Werden andere Vereine kein Meister, ist das normal. Sie wollten es gar nicht werden. Als Vereinsoberer eines solchen Vereins wie der FC Bayern benötigt man also sehr viel Persönlichkeit und Rückgrat. Übrigens nicht nur die Vereinsoberen, sondern auch die Spieler. Man hört es immer wieder, dass Spieler beim FC Bayern von einer gewissen Atmosphäre im Verein sprechen, die sie enorm reifen lassen, weil sie mit wahnsinnig viel Druck umgehen lernen müssen. Ist es ein Zufall, dass enorm viele ehemalige Spieler des FC Bayern nach ihrer aktiven Spielzeit als Moderatoren oder Experten bei Fernsehsendern engagiert werden?
Mir ist natürlich bewusst, dass genau dieses MIA-SAN-MIA Gefühl des FC Bayern gerade bei Nichtfans als arrogant gewertet wird. Das kann ich nachvollziehen. Es ist aber nur konsequent. Im Sport geht es nun einmal um Gewinnen oder Verlieren. Sportliche Wettkämpfe sind Nullsummenspiele. Und beim FC Bayern möchte man immer gewinnen. Genau nach diesem Motto tritt man nach außen authentisch auf. Den Spielern wird genau diese Maxime quasi eingeimpft. In der Regel ist es nun aber so, dass Ziele, im Sinne des Erreichens dieser, gerne nach unten korrigiert werden. Damit gelangt man in einen abwärts gerichteten Leistungsstrudel. Detaillierter habe ich dieses Phänomen in meinem Post Verhaltensmuster im Projektmanagement Teil 1: Zielanpassungen analysiert. Das MIA-SAN-MIA Gefühl wirkt diesem Abwärtstrend entgegen, da Ziele niemals nach unten korrigiert werden. Es wird stets das maximal Erreichbare und Sinnvolle angestrebt.
Ich möchte eine Prognose wagen. Borussia Dortmund war sicherlich seit langer Zeit wieder einmal so nah wie kein anderer Verein auf dem Level des FC Bayern. Wird dieser jetzt eingeschlagene Weg weiter verfolgt, wird Borussia Dortmund sehr bald nicht mehr auf Augenhöhe mit dem FC Bayern sein. Sie haben dann eine große Chance verpasst und benötigen wieder viele Jahre, wenn überhaupt, um in diese Regionen vorzupreschen. Und das nur weil aus meiner Sicht der Mut fehlte “richtig” anzugreifen. Unzählige Beispiele, wie die oben Angesprochenen, belegen diese These.
Damit andere Vereine also über einen längeren Zeitraum mit dem FC Bayern ernsthaft konkurrieren können, benötigen sie ebenfalls dieses Selbstverständnis des Siegenwollens. Das ist allerdings nicht so einfach auszuloben oder aufzuoktroyieren. Dieses Gefühl muss von ganz Oben authentisch vorgelebt werden, damit jede Person dieses Vereins dieses Gefühl verinnerlichen kann. Zu diesem Vorleben gehört aber auch Niederlagen einzustecken und damit offen und mit breiter Brust umzugehen. Für die Entstehung diese MIA-SAN-MIA Gefühls gibt es auch keine Erklärung ähnlich eines Rezeptes, da dieser emergent ist. Es gibt keine Handlungsvorschriften, die helfen, dieses Gefühl den Menschen eines Vereines einzupflanzen. Aber genau dieser Faktor ist es, der den FC Bayern ganz besonders von allen anderen deutschen Vereinen unterscheidet und der letztendlich für den langfristigen Erfolg steht.
Wie oben schon angedeutet, möchte ich die Ursachen des langfristigen Erfolges des FC Bayern nicht trivialisieren. Viele Faktoren gehören sicher dazu, wie die Kompetenzen der einzelnen Akteure, das vorhandene Geld, die aufgebauten internen Strukturen etc. Allerdings glaube ich ganz fest daran, dass Alleine das Fehlen dieses MIA-SAN-MIA Gefühls den langfristigen Erfolg nicht realisierbar gemacht hätte, wenn alle anderen Faktoren. Dieser ist quasi der Schlüsselfaktor, der genau diese Langfristigkeit und Nachhaltigkeit ermöglicht.
Was bedeutet das eben Reflektierte nun für die Wirtschaft? Auch wenn die Wirtschaft wie der Sport kein Nullsummenspiel ist, kann man, wie am Anfang angedeutet, Lehren ziehen. Viele Themen habe ich bereits beschrieben, die übertragbar sind. Da wären zum einen das Herzblut und das Brennen für den Erfolg eines Vorhabens, oder das unbedingte Übernehmen von Verantwortung. Es ist wichtig, für eine Sache mit “Haut und Haaren” einzustehen, wenn man daran glaubt, und diesen Glauben auszustrahlen. Im Erfolgsfall ist das natürlich immer einfach, denn der Erfolg hat viele Eltern, nur der Misserfolg ist ein Stiefkind. Hierfür muss eine Fehlerkultur im Unternehmen etabliert sein. Gerade für einen Misserfolgsfall, der immer eintreffen kann, ist Mut wichtig, Ziele nicht herunter zu loben, denn man wird stets an diesen Zielen gemessen.
Peter Bretscher, einer meiner Begleiter auf meiner Reise des Verstehens, hat auf Google+ als Feedback zu diesem Post ein sehr interessantes Dokument von Roy Hodgson aus dem Jahre 1994 gepostet.