Der Satz sitzt, oder? Nein, ich habe nichts geraucht, sondern bin ganz bei Bewusstsein. Ich möchte in diesem Kontext auch gerne den von mir oft zitierten Satz von Heinz von Förster anbringen, da er sinngemäß die gleiche Hypothese in den Raum stellt.
Nur prinzipiell unentscheidbare Situationen kann man überhaupt entscheiden. Alle anderen sind bereits entschieden.
Die Sicht auf diese Hypothese, die ich übrigens uneingeschränkt teile, möchte ich mit diesem Post erhärten. Vorher möchte ich aber auf ein Buch verweisen, um dessen Rezension ich vom Autor Lars Vollmer gebeten wurde. Es dreht sich um das Buch Wrong Turn – Warum Führungskräfte in komplexen Situationen versagen
Einer detaillierten Rezension werde ich nicht nachkommen und zwar aus einem einfachen Grund. Kein Wort von mir würde dem Buch auch nur ansatzweise gerecht werden. Bitte lesen Sie es und lassen es auf sich wirken. Ganz tief. Nur ein paar Sätze zum Aufbau und zur Zielsetzung des Buches möchte ich nun folgen lassen.
Das Buch ist in zwei Abschnitte geteilt. Im ersten Abschnitt namens “Wrong” nimmt der Autor bekannte und oft wahrgenommene Handlungsmuster von Menschen in Entscheidungssituationen auf`s Korn. Diese Muster werden durch eingängige und sehr anschaulich beschriebene Beispiele aus der Praxis untermauert, anhand derer diese Muster als nicht erfolgsversprechend heraus kristallisiert werden. Im zweiten Abschnitt namens “Turn” wird dann ein möglicher Ausweg geschildert, um aus dieser scheinbaren Sackgasse, die komplexe Situationen einem bieten, zu entfliehen.
Aber Vorsicht. Wer hier nach Rezepten Ausschau hält, sollte die Finger von diesem Buch lassen. Diese werden nicht angereicht, weil es Rezepte und starre allseits übertragbare Handlungsanweisungen, auch bekannt unter “Best Practice” nicht gibt. Warum? Na weil
Entscheiden geht nur wenn keine guten Gründe vorliegen!
Der Satz des Titels dieses Posts stammt übrigens aus diesem Buch. Und weil das so ist, hilft nur Selberdenken weiter, was der Autor auch des Öfteren den Lesern mit auf dem Weg gibt. Und genau dieser Aufforderung möchte ich nun nachkommen.
Es kommt beim Entscheiden nicht darauf an, die Zukunft vorherzusagen, sondern auf die Zukunft vorbereitet zu sein und sie auszuhandeln. Entscheiden ist stets eine Wette in die Zukunft. Viele Menschen vergessen, das Entscheiden eben genau deshalb “Entscheiden” heißt, weil es zum Zeitpunkt der Entscheidung kein “richtig” oder “falsch” gibt. Diese Einordnung stellt sich erst in der Zukunft heraus. Entscheiden geht nur unter Unsicherheit und Ungewissheit. Übrigens ist in diesem Zusammenhang wichtig zu erwähnen, dass keine Entscheidung stets genau eine Entscheidung ist, nämlich die für den Tod. Nicht Entscheiden geht also nicht.
Aber Entscheiden bedeutet auch Entscheidungen über einen bestimmten Zeitraum auszusitzen, um lange genug für Optionen offen zu sein und sich nicht zu früh festzulegen. In der Regel entscheiden Menschen sich schnell für eine Alternative, bewusst oder unbewusst, und suchen ab dann nur noch nach Informationen, die die Entscheidung bestätigen.
Ein Bewegen zwischen den Polen.
Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch nichts. Denn Absorption von Unsicherheit bei Entscheidungen kann nicht das Ziel von Entscheidungsbefugten innerhalb der Unternehmen sein, denn ohne Unsicherheit gibt es auch keine Entscheidung, die von ihnen gefällt werden muss. Durch Entscheidungen wird auf der einen Seite Unsicherheit absorbiert, da man aus dem schier unendlichen Möglichkeitsraum von Entscheidungsoptionen eine auswählt und sich damit festlegt. Auf der anderen Seite wird dadurch aber auch Unsicherheit erhöht, da im Prozess der Entscheidungsfindung Erkenntnis gewonnen wurde, die genau diese Option wieder entgegen treten kann und andere Optionen nach vorne stellt. Unsicherheit wird also nicht in Sicherheit absorbiert, sie wird transformiert und zwar ebenfalls in Unsicherheit, aber auf einen höheren Level.
Ein Bewegen zwischen den Polen.
Mehr Wissen erzeugt also nicht mehr Sicherheit, sondern im Gegenteil mehr Unsicherheit. Denn je mehr man weiß, desto mehr weiß man, dass man nichts weiß. Mehr Wissen führt also in einem exponentiellen Maße zu mehr Nichtwissen. Oder genauer gesagt. Ein Mehr an Wissen transferiert das unbekannte Nichtwissen in bekanntes Nichtwissen. Da einem dieses Nichtwissens also nun bewusst wird, führt dass dann zu mehr Unsicherheit.
In diesem Kontext, muss man sich dann auch die Frage stellen, ob mehr Information immer zu einer besseren Basis für eine Entscheidung führt. Wenn sie also das nächste Mal eine Entscheidung aufschieben und nach mehr Daten verlangen, sollten Sie sich das vor Augen führen.
Wir können die Zukunft nicht vorhersagen, aber wir können, ja müssen, auf sie vorbereitet sein. Was heißt das? Jede Entscheidung, die wir fällen, sollte dazu führen, dass wir den Raum an möglichen Zuständen der Zukunft erweitern. Die Menge der Optionen an möglichen Zukunftszuständen sollte anwachsen. Das ist beispielsweise die Taktik beim Schach. Hört sich einfach an, ist aber wohl nicht so einfach. Allerdings stimmt diese digitale Sichtweise bzgl. der Optionsvergrößerung nicht ganz. Dazu gerne ein Beispiel.
Ich besorge den familiären Wochenendeinkauf stets am Samstag für die ganze kommende Woche. Ich muss also samstags vorausblickend auf die gesamte Woche entscheiden, was wir beispielsweise am Mittwoch der kommenden Woche essen oder trinken möchten. Es gibt sicher Menschen, die täglich einkaufen, da sie sich die Optionen offen lassen möchten, was sie am Abend des jeweiligen Tages zu sich nehmen möchten. Dafür investieren sie dann sicherlich mehr, da sie vielleicht nicht auf Sonderangebote im Supermarkt reagieren können/ wollen oder mehr Kraftstoff für das Auto verbrauchen, da sie öfter zum Supermarkt fahren müssen. Die Zeit für das mehrmalige Einkaufen unter der Woche hier mal außer Acht gelassen. Optionserweiterung bei Entscheidungen sollte also stets in Relation zu vorher gestellten Prämissen gesetzt werden.
Vorhersagen im Bereich des “Toten” unterscheiden sich massiv von denen im Bereich des “Lebendigen”. Im Bereich des Lebendigen kennt man das Phänomen der selbsterfüllenden Prophezeiung. Was bedeutet das genau?
Bei Wettervorhersagen ist es dem Wetter vollkommen egal, welche Vorhersagen wir Menschen bzgl. des Wetters treffen. Es kommt wie es kommen will. Bei Trendaussagen, beispielsweise wie sich Unternehmen im Umgang mit Daten in den nächsten 5 Jahren aufstellen werden, ist es wichtig zu wissen, wer diese Trendaussagen macht. Wird Derjenige als Experte anerkannt, werden die Verantwortlichen in den Unternehmen diesen Trendaussagen sicher folgen, um nicht von den Konkurrenten abgehängt zu werden. Man will dann das Momentum nicht verpassen. Hier wird also nicht vorhergesagt, sondern aktiv gestaltet.
Im Bereich des Lebendigen ist ein Kreislauf, Heinz von Förster sagt dazu auch Iteration, zu erkennen. Es werden Aussagen über die Zukunft getätigt. Nicht ohne weiteres wird diesen Aussagen auch Glauben geschenkt, sondern nur denen, die von anerkannten Experten getätigt werden. Dann wird beobachtet, ob diese Trendaussagen eintreffen. Trendaussagen von anerkannten Experten treffen in hohem Maße zu, da ihnen ja Glauben geschenkt wurde, dass man so handeln sollte. Also handelt man auch so. Der Grad des anerkannten Expertentums wird damit verstärkt. Sie hatten ja Recht, also sollte man in ähnlichen Situationen in Zukunft auch wieder auf sie hören. Man tut es dann auch. Hier ist also wichtig zu erkennen, dass die Adressaten von Trendaussagen in einem nicht zu unterschätzenden Maße den Erfolg von Trendaussagen bestimmen und nicht die so genannten Experten.
Bei anerkannten Nichtexperten ist es übrigens ähnlich, nur eben im negativen Sinne.
Beim Thema “Entscheiden” in Unternehmen lassen sich auch immer wieder skurrile Szenen wahrnehmen. Das hat bestimmt Jeder schon erlebt. Man bereitet eine anstehende Entscheidung vor, baut dafür Argumentationsketten auf und stellt Optionen zur Auswahl bereit. Was bekommt man vom Entscheider oft zu hören? “Ich benötige mehr Information.”, “Das reicht noch nicht.” oder “Auf dieser Basis kann ich nicht entscheiden.”
Aber wir wissen ja schon. Nur prinzipiell unentscheidbare Situationen sind überhaupt entscheidbar. Alle anderen sind bereits entschieden und müssen nicht mehr entschieden werden.
Was macht der Entscheider damit also implizit? Er delegiert durch ein immer wiederkehrendes Nachfragen die Entscheidung nach unten. Auf der einen Seite drückt er damit sein Misstrauen gegenüber seinen Mitarbeitern aus. Denn er glaubt ihnen ja nicht. Er fragt immer weiter nach. Auf der anderen Seite aber dokumentiert er damit auch sein Vertrauen, denn er delegiert ja die Entscheidung weiter.
Ein Bewegen zwischen den Polen. Klar. Dessen muss man sich nur bewusst sein. Das Leben ist voller Widersprüche, sonst wäre es kein Leben.
Mit dem Verlangen nach Business Cases betritt man also in der Regel eine nicht endend wollende Kette, quasi eine Schleife. Wenn qualitative Argumente nicht ausreichen, wird auch keine erste Zahl oder erste Zahlen reichen, die ohne Begründung daherkommen. Also sucht man nach einer Begründung für diese Zahlen. Diese Begründung kann nie die letztendliche Begründung sein, da sie auf etwas basieren muss. Glaubt man nicht den qualitativen Argumenten, wird man auch nicht dieser Basis glauben. Diese Basis muss also dann wieder untermauert werden. Aber auch die Argumente für diese Untermauerung sind nicht final, sondern basieren auf weitere Prämissen. Und so weiter und so fort.
Vertraut man nicht den qualitativen Argumenten am Anfang, sollte man auch konsequenterweise keiner einzigen Begründung in der Kette vertrauen. Man kommt also dann konsequenterweise aus der Schleife der Business Case Betrachtung niemals heraus. Bricht man diese Kette irgendwann ab, hätte man auch gleich den qualitativen Argumenten am Anfang Glauben schenken können, wofür ich dringend plädiere.
Nun zum Schluss wieder ein Schwenk zum Buch meine eben ausgeführten Gedanken im Kopf habend.
Im zweiten Abschnitt des Buches erwähnt der Autor seinen Kollegen Niels Pfläging, dessen neuestes Buch Organisation für Komplexität ich ja auch bereits rezensiert habe, der das “Pfirsich-Modell” als Argumentationshilfe für Entscheidungssituationen entworfen hat. Entscheidungen sollten stets in Marktnähe (Haut des Pfirsichs) getroffen werden, also eben nicht im Top-Management. Je weiter ein Manager von der Haut des Pfirsichs entfernt sitzt, umso weniger kompetent ist er für Entscheidungen. Manager oder Führungskräfte müssen nicht entscheiden, weil sie es nicht können. Wollen sie es aber doch, was häufig zu beobachten ist, tendieren sie dazu, Wissen aufbauen zu wollen. Das kostet Zeit und Aufwand, vor allem bei den Mitarbeitern, die beim Wissensaufbau behilflich sein müssen. Damit verliert das Unternehmen wertvolle Zeit. Wir wissen aber auch, dass Wissen alleine in komplexen Systemen, wie ein Unternehmen eines ist, nicht ausreicht. Die Basis für gute Entscheidungen sind Talent und Können, welches aber nur durch Handeln an sich erlangt werden kann. Marktnähe!!! Was hat man also erreicht?
Es wurden schlechte Entscheidungen getroffen, die viel Zeit gekostet haben. Wenn das in jedem Unternehmen so Usus ist, ist es für das eigene Unternehmen vielleicht nicht so schlimm. Darauf würde ich aber nicht wetten.
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