Menschliches Handeln hat grundsätzlich 3 Elemente: Zweck, Mittel und Nebeneffekt. Der Zweck ist das, weshalb man eine bestimmte Handlung mit den ausgesuchten Mitteln vollzieht, wohingegen Nebeneffekte in Kauf genommen werden. Die folgende Tabelle stellt die 3 Elemente schematisch dar.
Zweck und Mittel sind intendiert, sie sind also ganz bewusst von dem Handelnden beabsichtigt. Nebeneffekte sind das nicht. Man kann hier noch weiter unterscheiden. Ergeben sich Nebeneffekte direkt aus dem Zweck spricht man von Fernwirkung. Ergeben sie sich aus den Mitteln, dann nennt man diese Nebenwirkung, was wir ja von Beipackzetteln von Medikamenten finden. Der Nebeneffekt muss auch nicht immer eintreten. Er wird aber billigend als mögliche und oft auch hoch wahrscheinliche Auswirkung in Kauf genommen.
Ich spreche in diesem Post ausdrücklich von „Zweck“ und nicht von „Ziel“. Einen großen Unterschied gibt es meines Erachtens nicht. In der deutschen Sprache ist „Zweck“ im Zusammenhang mit der Diskussion um Intentionalität gebräuchlicher, weil „Ziel“ etwas entfernter klingt. „Zweck“ klingt demgegenüber etwas näher. Der Zweck einer Handlung kann sehr unmittelbar mit ihr erreicht werden. In anderen Sprachen kann man den Unterschied allerdings gar nicht machen.
Grundsätzlich sind die Elemente auch anhand der oben aufgeführten Beispiele aus meiner Sicht selbsterklärend und in der Regel lassen sich für Handlungen diese 3 Elemente sauber identifizieren.
Was passiert aber, wenn die Elemente für scheinbar von außen beobachtete identische Handlungen vertauscht werden? Ich möchte heute den Tausch von Zweck und Nebeneffekt beleuchten und die Erkenntnisse auf Veränderungsinitiativen in Unternehmen spiegeln.
Dabei möchte ich mich auf ein Beispiel beziehen, welches in der folgenden Abbildung dargestellt ist.
Stellen wir uns vor, dass in der Vergangenheit in einem Unternehmen ein neuer Prozess eingeführt wurde, mit der Intention einen Mehrwert zu generieren. Der Zweck ist also „Generierung eines Mehrwertes“, der mit dem Mittel „Etablierung eines Prozesses“ erreicht werden soll. Selbstverständlich benötigt man für das Ausführen dieses Prozesses Menschen. Wohl möglich werden ganz besondere Skills und Fähigkeiten an diese benötigten Mitarbeiter gestellt, die derzeit im Unternehmen nicht vorhanden sind. Also werden entweder Ausbildungsmaßnahmen angestoßen oder neue Mitarbeiter eingestellt. Auf jeden Fall wird aber eine neue Rolle etabliert, die es derzeit so im Unternehmen noch nicht gab. Der Nebeneffekt ist also, dass die Daseinsberechtigung der Rolle gestärkt wird.
Was passiert nun aber, wenn heute im Unternehmen analysiert wird, dass dieser Prozess nun nicht mehr mehrwertgenerierend ist? Das kann mehrere Gründe haben, beispielsweise weil sich bestimmte Rahmenbedingungen im Markt verändert haben. Für die Mitarbeiter, die eng mit dem Prozess verbunden sind, kann sich dann Zweck und Nebeneffekt verschieben, wie in der folgenden Tabelle in der zweiten Zeile dargestellt.
In diesem Fall geht es in erster Linie um die Sicherung der eigenen Existenz, in dem die Daseinsberechtigung der eigenen Person gestärkt wird. Der eigentliche Sinn dieses Prozesses rückt in den Hintergrund. Er wird zum Nebeneffekt, auch wenn dieser gar nicht eintritt, da der Prozess nicht mehr mehrwertgenerierend ist. Dieser Wechsel der Perspektiven wird von den betroffenen Personen meistens nicht offen eingestanden. Sie argumentieren dann immer noch im Sinne des eigentlich ausgelobten Zweckes.
Im Rahmen von Veränderungsinitiativen ist in solch einem Falle ein Diskutieren und Kommunizieren schwierig, da Mitarbeiter verschiedene Kontexte haben, auf denen ihre Argumente fußen. Wenn Sie also in Veränderungsinitiativen involviert sind und über bestimmte Aktivitäten diskutieren, versuchen sie stets auf Basis der involvierten Rollen Zweck und Nebeneffekt sauber zu trennen und die getätigten Argumente dagegen zu validieren. Das Vertauschen von Zweck und Nebeneffekt der betroffenen Personen sollte auch nicht verurteilt werden. Es ist allzu menschlich und sollte deshalb auch transparent gemacht werden. Dadurch fühlen sich die betroffenen Personen ernst genommen und man schafft eine Basis für ganzheitliche Lösungen.
Nebeneffekte, die nach einer gewissen Zeit zu Zwecken mutieren stellen eine Pfadabhängigkeit dar, die eine Hürde für Veränderungen bedeuten. Ganz oft spricht man dann auch davon, dass Mittel um ihrer selbst willen eingesetzt werden. Richtigerweise erkennt man in solchen Fällen den Tausch von Zweck und Nebeneffekte an.
Ein weiteres Beispiel für eine Pfadabhängigkeit ist das sehr komplizierte Steuergesetz. Zu einer bestimmten Zeit lagen bestimmt gute Gründe vor, warum unser Steuergesetz in Deutschland so ist wie es ist. Auf Basis dieser Kompliziertheit mussten dann Steuerberater institutionalisiert werden. Diese Rolle wurde nun einmal geschaffen, die auch sehr viele Menschen in Deutschland ernähren lässt. Das Steuergesetz zu ändern und damit einfacher zu gestalten ist nun nicht mehr so einfach möglich. Was sollen denn die vielen Steuerberater machen, wenn sie auf Grund der Einfachheit der Gesetze nicht mehr konsultiert werden? Die Steuerberater würden wohl in Diskussionen diesbezüglich Zweck und Nebeneffekt vertauschen und auf dieser Basis diskutieren.
Sicherlich finden Sie eine Reihe weitere Pfadabhängigkeiten. Unsere Welt ist voll von ihnen.
Eigentlich eh klar und einfach … wenn man bewusst darauf achtet. Aber leider werden solche Dinge eher selten offen und transparent betrachtet. Eine zusätzliche unzureichende Kommunikation … und fertig ist der Salat.
Sehr schöne Darstellung, dankeschön! Mir fallen auch gleich ein paar Beispiele ein, wo Zweck und Nebeneffekt vertauscht wurden. Auch ohne Veränderungen entstehen dann Probleme, wenn Selbstzweck bewahrt werden muss und das nicht bewusst reflektiert werden kann.
Dankeschön für die Rückmeldung. 🙂