Immanuel Kant ist so aktuell wie eh und je. Daher war ich auch über die Kant-Reihe im BR3 Alpha so begeistert. Im ersten Teil geht es um die Kritik der reinen Vernunft. Damit wird der Boden bereitet um im zweiten Teil den Kategorischen Imperativ, also Moral und Ethik, zu behandeln.
Aus beiden Sendungen kann man unter anderem Einiges für das Führen von Unternehmen mitnehmen. Kommen wir zum ersten Thema. Wie bauen Menschen Wissen auf?
1. Wissen oder “Wahr vs. Falsch”
Noch nie wurde vor Kant so tiefgründig über das Denken nachgedacht. Kant hat sich die Frage gestellt, ob es Gesetzmäßigkeiten, wie sie in der Natur vorherrschen, auch im Denken des Menschen gibt. Er analysierte wo und wie die Erkenntnis abgesteckt wird. Dabei schlägt er eine Brücke zwischen den Rationalisten (Vernunft spielt eine große Rolle, denn wahr ist nur was diese über die Welt aussagt) und den Empiristen (Alles was wir wissen, ist Ergebnis von Erfahrungen. Es gibt kein Wissen a priori), in dem er formuliert, dass es sowohl Erkenntnisse gibt, die Erfahrungen entspringen, als auch die diesen nicht entspringen. Das folgende Bild skizziert das Gedankengebäude von Kant sehr schön.
Wahrnehmung und Denken bedingen sich gegenseitig. Der Verstand ist das zentrale Maß der Erkenntnis. Wir nehmen unsere Umwelt wahr wie wir sie verstehen, nicht wie sie an sich ist. Das “Ding an sich” können wir nicht erkennen. Wir können nur das erkennen, was wir vorher bereits gedacht haben. Ohne Raum und Zeit kann ein Mensch nicht wahrnehmen. Raum und Zeit sind also die reinen Formen der Sinnlichkeit, vor jeder Erfahrung vorhanden (a priori). Der Verstand benötigt Ähnliches, nämlich reine Verstandesbegriffe, also Begriffe die vor jedem Denken vorhanden sein müssen. Aristoteles nennt diese Kategorien. Eine Kategorie ist beispielsweise die Kausalität. Kausalität ist nicht wahrnehmbar. Wir denken diese und können so beispielsweise Wahrnehmungen ordnen. Der Verstand benötigt die sinnlichen Erfahrungen als Bedingungen. Die transzendentalen Schemata sind wichtig, damit der Verstand beim Erfassen des Wahrgenommenen und dem Zuordnen zu einem Begriff nicht wirr umhergeistert. Sehen Sie beispielsweise einen Hund auf der Straße, ist es im ersten Moment egal zu welcher Rasse dieser gehört. Manchmal wissen Sie es noch nicht einmal. Trotzdem wissen Sie, es ist ein Hund. Wenn der Verstand sinnliche Erfahrungen als Bedingungen benötigt, so ist das bei der Vernunft nicht der Fall. Vernunft ist nicht wahrnehmbar, muss aber doch gedacht werden. Für dieses Gedachte gibt es nichts Vergleichbares in der Umwelt. Nehmen Sie beispielsweise die Freiheit oder die Beantwortung der Frage: “Warum liebst Du mich?”. Ohne Verstand und Sinn würde die Vernunft ins Straucheln geraten und sich in Wiedersprüche verzetteln. In der Absolutheit verzettelt sich die Vernunft ebenfalls, da diese nicht bewiesen werden kann: Die Antwortung auf die Frage: “Warum liebst Du mich?” kann niemals absolut sein. Das ist eine gute Überleitung zu dem nächsten Thema, der Ethik. Das wurde Kant auch erst im Rahmen seiner Arbeit zur Kritik der reinen Vernunft bewusst. Die Erkenntnisse lassen sich in das Reich der Ethik übertragen. Denn Freiheit gibt es nicht absolut, sie muss gedacht werden, ist aber nicht beweisbar. Bevor wir allerdings zu diesem Thema überschwenken, möchte ich einige Lehren für das Führen von Unternehmen ziehen.
Kant beleuchtet mit seinen Ausführungen, die Fragestellung was wir überhaupt wissen können und wie wir Wissen aufbauen. Wie will man eigentlich ein erfolgreiches Wissensmanagement im Unternehmen aufbauen, wenn man Kants Erkenntnisse nicht kennt? Des Weiteren lehrt uns Kant, dass wir nicht in einen unbedingten Methodizismus verfallen dürfen. Die Methode darf niemals ihren Sinn ersetzen. Wir müssen unsere Handlungen immer wieder und stets reflektieren und unter Umständen anpassen. Probleme sind nicht Probleme per se, sondern nur weil wir diese als Probleme wahrnehmen und erkennen. Bei einer anderen Sicht auf das Problem wäre es vielleicht keines mehr. Kant fordert zum Selbstdenken auf, kein Auswendiglernen von Antworten und kein stupides Abarbeiten von Vorgehensweisen. Was wir selbst erzeugt haben, und das sind Methoden und Vorgehensweisen nun mal, können wir auch selbst wieder ändern. Auch für die Bewertung von Unternehmen kann man Lehren aus Kants Ideen und Gedankengängen ziehen. Die derzeit üblichen KPIs (Key Performance Indicators), wie Umsatz oder Kosten, sagen rein gar nichts über den Zustand eines Unternehmens aus. Anhand dieser KPIs werden aber Maßnahmen abgeleitet. Ein Gleichnis wäre, wenn der Arzt eine Prognose des Gesundsheitszustandes und Maßnahmen zur Heilung des Patienten anhand der Höhe des Fiebers stellen würde. Hier werden Korrelation und Kausalität verwechselt. Managen nach Kant heißt stetig beobachten und reflektieren (Empirismus) und selbständig denken (Rationalismus).
Nun greife ich das Thema wieder auf, was ich vorher kurz angedeutet habe: Freiheit. Laut Kant steht der Mensch erkenntnistheoretisch im Mittelpunkt. Wir sehen die Umwelt nicht so wie sie ist, sondern die Umwelt formt sich nach unserer Erkenntnis. Damit fällt der Ethik eine ganz besondere Bedeutung zu, denn die Verantwortung der Menschen bei Entscheidungen und Handlungen wird dadurch aufgewertet. Man kann sich nicht mehr verstecken, nach dem Motto: “Ich musste es tun, wollte es ja gar nicht.” Habe ich bislang über “wahr” und “falsch” geschrieben, gehe ich also nun zu “gut” und “böse” über.
2. Ethik oder “Gut vs. Böse”
Kant wollte ein Gesetz finden, das Menschen ermöglicht mithilfe des Verstandes Regeln der Vernunft aufzustellen, die sie bei Handlungen ebenso leiten wie der Instinkt die Tiere. Die Problematik, die Kant aufspürte ist, dass bei einem moralischen Handeln beim Akteur Kosten anfallen, die keinem unmittelbaren Ertrag gegenüberstehen. Ethik und Moral lassen sich nicht allgemein messen, da die allgemeine Basis fehlt. Diese liegt wie auch beim Wahrnehmen in jedem Menschen verborgen. Dabei fand Kant heraus, dass die sittlichen und moralischen Prinzipien nicht auf die Eigenheiten der menschlichen Natur gegründet sein dürfen. Sie müssen dieser a priori, also rein, sein, ebenso wie die reinen Formen der Sinnlichkeit (Zeit und Raum) und des Denkens (Kategorien). So kam Kant auf den Gedanken, dass ausschließlich der gute Wille ohne Einschränkung gut ist. Ist der gute Wille nicht vorhanden kann alles Andere, was positiv scheint stets ins Negative umschlagen. Materielles kann niemals ohne Einschränkung gut sein, sondern nur etwas was in der Gesinnung liegt. Wie oben angedeutet, ist dieses dann aber nicht messbar oder anders gesagt, am äußeren Handeln nicht ablesbar. Es muss aber gedacht werden, wie beispielsweise die Freiheit aus der Vernunft heraus.
Kant unterscheidet Handlungen aus einer Pflicht heraus und pflichtgemäße Handlungen. Nur Handlungen aus einer Pflicht heraus, die in uns auf einen guten Willen basieren, haben einen moralischen Wert. Dazu gebe ich Ihnen gerne ein Beispiel: Wenn ich die Patenschaft eines Kindes aus der dritten Welt übernehme, kann ein Anderer nicht entscheiden, ob diese Handlung aus Pflicht oder eine pflichtgemäße Handlung ist. Wenn ich beispielsweise meinem Bekanntenkreis imponieren möchte oder wenn ich dies nur tue, weil mein bester Freund dies auch getan hat, dann hat diese Handlung keinen moralischen Wert, ist also eine pflichtgemäße. Eine Handlung aus Pflicht hat ihren Wert nicht in dem Ziel, den diese erreichen möchte, sondern in der Maxime, ein Prinzip des Willens und Wollens, nach denen diese beschlossen wurde. Solch eine Maxime kann man laut Kant nur mithilfe der Vernunft aufstellen; Tiere beispielsweise können dies nicht. Ist diese Maxime allgemeingültig, das heißt unbedingt, kommen wir zum kategorischen Imperativ, welchen Kant als Gesetz für ethisches Handeln aufgestellt hat: “Handle nur nach derjenigen Maxime, von der Du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.”
Dieses Kategorische in dem Gesetz birgt natürlich auch Angreifbares. Kant sagt nämlich, dass unser Handeln ausschließlich durch die Vernunft bestimmt sein soll. Damit schließt er Neigungen, wie Liebe und Mitgefühl aus. Aber ist Liebe unvernünftig? Hier zieht auch wieder Kant selber, der zum Selbstdenken auffordert.
Was ziehen wir für Lehren für das Management und das Führen von Unternehmen?
Ein guter Manager ist authentisch. Das ist das A und O. Er sollte zu dem was er sagt auch stehen. Reden und Handeln müssen korrelieren. In seinem Denken und Handeln sollte er seinen Mitarbeitern gegenüber transparent sein. In Ansätzen treffen wir bereits heute den Kategorischen Imperativ im Management an, allerdings wird dieser meiner Meinung nach nicht konsequent verfolgt und umgesetzt. Es sind nur Lippenbekundungen, denen keine Taten folgen. Das wären zum Beispiel Kundensituation, in denen man immer wieder betont, man möchte eine Win-Win Situation herstellen. Oder auch die in Mode gekommenen Leitsätze oder -werte, die in Hochglanzformat gebracht werden und an den Wänden der Räumlichkeiten der Unternehmen zu finden sind. Bestenfalls lernen die Mitarbeiter diese Leitsätze auswendig, aber handeln in den seltensten Fällen nach diesen. Eine krasse Form der Nichtbeachtung der Erkenntnisse von Kant ist Mobbing. Mobbing lässt die Kosten der Unternehmen Jahr für Jahr in die Höhe schnellen, ganz zu schweigen von den seelischen Qualen, die betroffene Mitarbeiter erleiden müssen. Mitarbeiter und Kunden sollten nicht als Mittel, sondern als Selbstzweck zur Zielerreichung gesehen werden. Diese Themen sollten Teil einer Unternehmenskultur sein. Viel zu häufig erkenne ich, dass die Definition und flächendeckende Implementation dieser zwar als sehr wichtig angesehen wird, jedoch auch nur im Keim des Redens erstickt wird. Gehandelt wird danach nicht oder zu selten. Teil dieser Kultur sollte auch die Selbstverantwortung eines jeden Mitarbeiters sein. Dafür muss allerdings eine positive Fehlerkultur im Unternehmen installiert sein. Denn wenn ich weiß, dass ich bei einem Fehler sofort “erschossen” werde, dann mache ich lieber nichts. Denn wenn ich nichts mache, kann ich auch keine Fehler machen. Fehler sollten als wichtig und gewinnbringend für das Lernen angesehen werden. Allerdings sollten die gleichen Fehler nicht immer wieder gemacht werden. Organisationales Lernen muss im Unternehmen etabliert sein. Lernen muss als unbedingt und wichtig angesehen werden. Tägliche Lebenserfahrungen führen per se noch nicht zu einem erweiterten Wissen. Die Erfahrungen müssen auch reflektiert werden. Niemand darf sich zu wichtig nehmen. Jeder ist “nur” Teil eines Teams und muss seine Meinung genau wie die Meinung anderer akzeptieren und offen darüber diskutieren.
Nehmen wir Uli Hoeneß, dem ehemaligen Manager und jetzigen Präsidenten des Fußballvereins FC Bayern München, als positives Beispiel. Er ist der Prototyp eines authentischen Managers. Er setzt sich selber Ziele, die er auch bei seinen Mitarbeitern ansetzt. Er steht zu dem was er sagt und nimmt auch dafür voll und ganz die Verantwortung, im positiven wie auch im negativen Sinne. Er brennt für den Erfolg. Das nimmt man ihm zu 100% ab. Er behandelt Menschen absolut menschlich. Er geht fair und offen mit Ihnen um. Das haben sehr viele ehemalige und jetzige Spieler des FC Bayern immer wieder betont. Er weiß, dass Spieler nur dann Topleistung abrufen können, wenn privat alles im Lot ist. Danach handelt er auch unbedingt (Beispiel Franck Ribery im letzten Jahr). Er stellt den geschäftlichen und sportlichen Erfolg dann nicht in den Vordergrund, wenn er es ethisch und moralisch nicht vertreten kann. Er hat beispielsweise im Jahre 1993 Andreas Zickler von der SG Dynamo Dresden gekauft, zu einer Summe die deutlich über dem Marktwert lag. Damit wollte er den Verein SG Dynamo Dresden finanziell unter die Arme greifen. Oder nehmen Sie seine kürzlich getätigten Aussagen zu Demba Ba, ihn aufgrund der Eskapaden zu seinem Vertrag niemals zu holen, auch wenn dieser den FC Bayern sportlich weiterhelfen würde. Natürlich hat Hoeneß sehr viele Neider. Aber diese spiegeln das größte Kompliment wieder, gerade in einer Gesellschaft, für die der Kategorische Imperativ so fern liegt wie für Eskimos der Sonnenstich. Wer einen Verein oder ein Unternehmen an die Spitze führt und diesen mittlerweile schon 40 Jahre lang dort oben hält, der leistet gigantisch gute Arbeit, gerade im zwischenmenschlichen Bereich.
Ein sehr gutes Buch zu diesem Thema mit dem Titel Kant für Manager von Bernd Niquet kann ich noch empfehlen.
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