Das Aufblühen der 2.0 Welt, die Welt seit dem Aufkommen des Internets, hat ihre Knospen auch in die Wirtschaft und das Führen von Unternehmen abgelegt. Genannt wird das dann Enterprise 2.0. Es hat sich auch eine neue Werte-Welt gebildet, die Einfluss auf das Planen und Steuern von Unternehmen mit sich bringt. Menschen, die in diese neue Welt hineingeboren werden, haben diese Werte intus. Die anderen müssen diese Werte erst bilden, dabei die alten aber verlernen, was schwierig ist.
Welche Werte meine ich?
Ich beziehe mich auf ein Seminar mit Willms Buhse, an welchem ich kürzlich teilgenommen habe. Willms hat die folgenden Werte-Welten aufgezeigt.
Digital Visitors geht es um die Informationsqualität, die Sicherung erreichter Standards, Datenschutz und um persönliche Beziehungen für die man sich Zeit nimmt.
Digital Natives in der schnelllebigen Welt des Webs wollen Zugang, den offenen Austausch, Transparenz und globale Kontakte.
Meine Kinder, die jetzt 6 und 9 Jahre alt sind, werden sicherlich in der zweiten Werte-Welt leben. Sie wachsen mit dem Internet als etwas absolut selbstverständliches aus. Technologie, mit der man geboren wird, ist quasi keine Technologie mehr. Das Fernsehen ist für mich etwas selbstverständliches. Für meine Urgroßeltern war es das nicht. Sie kannten auch eine Zeit ohne Fernsehen. Das Handy ist für meine Kinder etwas selbstverständliches. Beide spielen wie “in die Wiege gelegt” des Öfteren mit meinem Handy. Ich kenne auch eine Zeit ohne Handy. Mit diesem Mindset prallen dann natürlich unterschiedliche Sichtweisen aufeinander.
Was hat das jetzt mit dem Führen von Unternehmen zu tun?
Des Öfteren habe ich in meinen Posts beleuchtet, dass Business Intelligence viel zu mechanisch und technokratisch behandelt wird und man deshalb das Potential für das Planen und Steuern von Unternehmen nicht ansatzweise ausschöpft. In allen Unternehmen sind mittlerweile beide Werte-Welten vertreten. Bezieht man dementsprechend die unterschiedlichen Sichten der Digital Natives und Digital Visitors auf die Welt in das Planen und Steuern von Unternehmen nicht mit ein, ist Erfolg unmöglich. An dieser Stelle möchte ich mal so digital sein.
Unternehmen sind in der Regel immer noch hierarchisch aufgebaut. An den Organigrammen können Sie diesen Fakt erkennen. Für Digital Natives ist diese Organisationsstruktur absurd, da sie Informationsflüsse verlangsamt und intransparent macht. Digital Natives wollen bei den Themen, wo sie sich gerüstet fühlen, mitreden, mitdiskutieren und mitbestimmen. Sie denken in Heterarchien. Digital Visitors wiederum sind gewohnt in Hierarchien, wie Unternehmensorganigramme sie wiederspiegeln, zu denken und zu arbeiten. Diese Aufstellung verleiht ihnen Geborgenheit und Sicherheit, welche Digital Natives in diesem Umfang gar nicht erst benötigen.
Hier passt auch die Diskussion um fehlende Führungsspieler nach dem Ausscheiden unserer Nationalmannschaft im Halbfinale der Fußball-EM. Verschiedene Experten bemängeln das Fehlen von Führungsspielern und machen hieran hauptsächlich das Ausscheiden fest. In diesem Kontext möchte ich allerdings auf einen bedeutenden Fakt hinweisen. Führungsspieler sollten nicht per Gesetz erlassen werden. Sie entwickeln sich qua Auftreten, Persönlichkeit und Leistung, auf und neben dem Fußballplatz. Führungsspieler können daher auch schneller wieder abgelöst werden und neue können entstehen. Das passiert per Selbstorganisation in der Gruppe.
Diese Dynamik, die ich am Beispiel Fußball beschrieben habe und die auf Unternehmen eins zu eins übertragbar ist, unterbindet man in Unternehmen durch das statische Aufsetzen von Organigrammen. Digital Visitor kommen damit klar, Digital Natives nicht. Damit meine ich jetzt natürlich nicht Hierarchien in Unternehmen komplett abzuschaffen, ebenso wenig komplett auf Hierarchien zu setzen. Eine Mischung zwischen beiden ist so lange notwendig, wie unsere menschliche Entwicklung noch nicht komplett kompatibel zum Internet ist. Denn dass sie das nicht ist, erkennt man an den Debatten über Urheberrecht und Datenschutz im Internet.
Ich möchte auf die Datensicht zu sprechen kommen. In vielen Büchern, Artikeln, Kongressen und Diskussionsforen zu BI wird Datenqualität hoch gelobt. Auch hier muss man wieder spezifischer werden und nicht alles über einen Kamm scheren. Es gibt sicherlich Bereiche, die eher im klassischen BI Bereich anzusiedeln sind, wo die Datenqualität nicht hoch genug sein kann. In diesem Kontext sind Fachgebiete wie Finanz oder Controlling zu nennen, wo man aus Wirtschaftsprüfungssicht genaue und exakte Daten in Berichten zeigen muss. Wenn ein Handelsunternehmen nicht die genauen und exakten Adressdaten seiner Kunden besitzt, wird es sicherlich schwer werden, die Pakete dem Kunden zu liefern. Genauso gut gibt es aber Bereiche, wo es eher auf andere Aspekte als auf Datenqualität ankommt, wissend, die Zeit nicht spendieren zu können, Datenqualität herzustellen, da das auf Kosten der Agilität geht. In diesem Kontext geht es dann um neuartige BI Anforderungen, die sich hauptsächlich um das Web drehen. Wenn beispielsweise Kunden für bestimmte Marketingkampagnen selektiert werden müssen, ist die Qualität des Kundenstamms nicht bis ins letzte Korn relevant. In diesem Zuge müssen unstrukturierte Daten, die in sehr großen Massen (Big Data) vorliegen, gehandhabt werden. Auch hier prallen wieder die beiden Werte-Welten aufeinander. Die Digital Visitors, die eher an der klassischen BI-Welt (Reporting, Dashboards etc.) hängen und die Digital Natives, die sich den neuartigen BI Anforderungen (Auswertung von Clickstreamverhalten, Next Best Activity etc.) verschworen haben. Beides wird benötigt, die klassischen als auch die neuartigen BI Anforderungen. Darum ist es umso wichtiger beide Werte-Welten in einem Unternehmen zu integrieren.
Ein Analogon zur Entwicklung der menschlichen Gesellschaft
Vielleicht ist dieser Übergang von den Digital Visitors hin zu den Digital Natives vergleichbar mit der Entwicklung des Menschen. Gotthard Günther hat in Anlehnung an die Ausarbeitungen Oswald Spenglers in seinem berühmten Werk Der Untergang des Abendlandes darauf immer wieder Bezug genommen, beispielsweise auch in seiner Ausarbeitung Maschine, Seele und Weltgeschichte. Auf der Seite 15 dieses Dokumentes, beginnend mit den Worten “… An dieser Erfahrung entwickelt sich ein neuer Menschentyp. …”, können Sie die Ideen und Gedanken Günthers dazu nachlesen, die ich nachfolgend kurz in meinen Worten wiedergeben möchte.
- Die primitive Epoche
- Die Epoche der regionalen Hochkulturen
- Die Epoche der universellen planetaren Kultur
In der primitiven Epoche haben die Menschen Naturereignisse mit Magie und Zauberei erklärt. In dieser Zeit haben die Menschen die Vorgänge in der Natur noch nicht auf sich selbst reflektiert. Ausdruck dieser Magie waren u.a. Medizinmänner. Angst vor den Ereignissen in der Natur war unter den Menschen vorherrschend. Diese Epoche war damit 1-wertig. In der zweiten Epoche, die der regionalen Hochkulturen, wurden die Ursache-Wirkungsbeziehungen eingeführt. In dieser hat man versucht alle Ereignisse in der Natur rein rational zu erklären. Unsicherheiten wurden aus der Wahrnehmung gestrichen. Diese Methode hat sich als sehr erfolgreich erwiesen, allerdings nur für nichtlebende Vorgänge. Ihren Höhepunkt hatte diese Epoche wohl mit dem Irrglauben des französischen Mathematikers Laplace, der eine Formel erfinden wollte, mit der die Welt erklärbar ist. Es wurde die Angst vor der Natur abgestreift, weil alle Vorgänge scheinbar erklärbar waren. Diese Epoche war und ist damit 2-wertig. Aristoteles hat diese mit seiner Logik geprägt. Es wurde der Übergang in die dritte Epoche eingeleitet, die noch in den rudimentären Anfängen steckt. In dieser werden die Ursache-Wirkungsbeziehungen mit Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten unterlegt. Das bedeutet, es werden Subjektivitäten eingeführt und somit die Modellierung von Vorgängen lebender Organismen möglich gemacht. Komplexität bekommt jetzt eine besondere Bedeutung. Diese Epoche ist mehrwertig. Das bedeutet, die notwendige Logik ist standpunktabhängig und mit der bekannten Mathematik, die auf der 2-wertigen Logik beruht, nicht mehr formalisierbar.
Die dritte Epoche und damit die mehrwertige Logik wird von Spengler nicht thematisiert. Günther erweitert damit also die Theorie Spenglers. Mit dieser Erweiterung lassen sich auch Strömungen analysieren, die derzeit hart debattiert werden. Nehmen Sie beispielsweise die Diskussionen über Urheberrechte oder Datenschutz im Internet, was ich weiter oben bereits angerissen habe. Mit dem Internet betreten wir technologisch die Schwelle zur dritten Epoche. Im Kopf sind wir aber noch in der zweiten Epoche verhaftet. Hier sind die Gründe für die Unauflösbarkeit der heißen Diskussionen zu finden. Für Menschen, die bereits in der dritten Epoche denken und handeln, machen diese Diskussionen keinen Sinn.
Digital Visitors leben noch in der 2. Epoche, in der der regionalen Hochkulturen. Die Digital Natives sind auf dem Übergang von der 2. In die 3. Epoche, die der universellen planetaren Kultur.
Falls Sie bei diesem Thema auf den Geschmack gekommen sind, empfehle ich Ihnen das Buch die Die Amerikanische Apokalypse von Gotthard Günther.
Fazit
Schenken wir dem kulturellen Aspekt der verschiedenen Werte-Welten bei BI Projekten zu wenig Aufmerksamkeit, werden BI Projekte nicht zum Erfolg geführt werden können. Manager und Führungskräfte, die sich das Thema BI auf die Fahne geschrieben haben, sollten Empathie und Kommunikationsfähigkeit als Stärken aufweisen. Das Wissen um Architektur, Software und Prozesse kann in dem Anforderungsprofil eher unterbelichtet sein, da diese Aufgaben von anderen Mitarbeitern übernommen werden. Hauptaufgabe der Führungskräfte im BI Kontext ist einzig und allein das Aufsetzen und das Begleiten des Wandels bzgl. des Zusammenführens beider Werte-Welten. Das wird genug Energie und Zeit kosten.
Ich wage einen Ausblick
Unternehmen stellen sich in der Regel heutzutage noch über Hierarchien auf. Damit soll eine Sicherheit geschaffen werden, die aber nur eine Scheinsicherheit ist. Die Dynamik der Umwelt, in die Unternehmen eingebettet sind, steht einer Sicherheit konträr gegenüber. Menschen, die bereits in der 3. Epoche leben, wissen das. Glauben wir Gotthard Günther, und das tue ich, werden nach und nach immer mehr Menschen, die Grenze zur 3. Epoche überschreiten. Diese Entwicklung wird sich dann auch das Führen von Unternehmen auswirken. Hierarchien werden immer mehr abgebaut und immer mehr auf neuartige BI Anforderungen gesetzt. Scheinsicherheiten, wie sie beispielsweise das Finanzwesen in Unternehmen erzeugen, haben keine Daseinsberechtigung mehr und werden abgeschafft. Mit jedem neuen Jahr wird sich das Verhältnis zwischen Digital Natives und Digital Visitors zu Gunsten der Natives entwickeln und damit rückt die Grenze “hierarchische | heterarchische” Führung von Unternehmen immer näher.