Kennen Sie die Situation? Sie haben eine Idee. Ihr Gegenüber hat grundsätzlich keine Argumente, die gegen diese Idee sprechen, meint aber, dass man sich hier auf politischem Terrain befindet und man lieber die Finger davon lassen sollte. Aus politischen Gründen etwas nicht machen zu können, wird aus meiner Sicht häufig als Totschlagargument gebracht, nach dem Motto: “Hier brauchen wir gar nicht weiter reden. Das ist nun mal so.”
Politik in der Wirtschaft. Was ist damit gemeint? Ich möchte in meinem heutigen Post diese Thematik näher beleuchten. Was meinen wir eigentlich grundsätzlich mit Politik? Ich habe eben mal das folgende gegoogelt “Definition Politik” und gleich den ersten Eintrag genommen. Da steht auf der ersten Seite dieses Dokumentes, eines Vorlesungsmanuskriptes “Einführung in Politikwissenschaft” eine Definition für Politik.
Politik ist jenes menschliche Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemeinverbindlicher Regelungen und Entscheidungen (d.h. von “allgemeiner Verbindlichkeit”) in und zwischen Gruppen von Menschen abzielt.
Sicherlich kann man im Netz noch weitere Definitionen finden, die aber wahrscheinlich alle in die gleiche Richtung zeigen. Es geht also darum, den Menschen einen gewissen Rahmen oder Leitplanken zu setzen, in welchem sie sich bewegen und agieren können, egal in welchem System sich diese Aktionen abspielen, eben auch in der Wirtschaft. Die Frage bleibt nun, wie eng oder weit dieser Rahmen gesetzt wird und wie gewillt man ist, diesen Rahmen auch zu verändern.
Das möchte ich an einem Beispiel illustrieren. Stellen Sie sich vor, Ihr Ziel ist es den 100-Meter Weltrekord zu knacken. Wir gehen einfach mal davon aus, dass die Chance dieses Ziel zu erreichen gegeben ist. Sie laufen die 100-Meter mit Gummistiefeln. Sie strengen sich unglaublich an, holen sich immer wieder Blutblasen am Fuß, schaffen aber nie den Weltrekord. Mit den Gummistiefeln konnten Sie Ihr wahres Potential nicht abrufen. Ihre Fähigkeiten wurden beschnitten. Jetzt bleibt natürlich die Fragestellung offen, warum Sie die 100-Meter mit Gummistiefeln laufen.
- Glauben Sie, dass Ihr Trainer das verlangt?
- Wissen Sie, dass Ihr Trainer das verlangt, sprich haben Sie dieses Thema offen thematisiert?
- Wenn zweites zutrifft, ist dem Trainer bewusst, dass das Ziel mit diesen Rahmenbedingungen nicht erreicht werden kann?
Nehmen wir mal weiter an, Sie gehen die Fragestellungen nicht an, sondern leben in dem Glauben weiter, dass sie Gummistiefel anziehen müssen. Sie merken aber, dass Sie den Weltrekord so niemals knacken werden. Sie beginnen zu überlegen an welchen Stellen Sie optimieren können. Beim nächsten Wettkampf, vollführen Sie einen fliegenden Start und starten nicht aus den Startblöcken wie alle anderen Wettkampfteilnehmer. Sie werden disqualifiziert. Sie überlegen weiter. Dann probieren Sie es mit Rollen unter den Stiefeln. Sie werden wieder disqualifiziert. Sie überlegen irgendwann nicht mehr weiter, sondern sind demotiviert. Obwohl sie grundsätzlich die Fähigkeiten hatten, das Ziel zu erreichen, haben Sie es nicht geschafft. Zu allem Überdruss fragt Ihr Trainer dann, warum Sie eigentlich mit Gummistiefeln laufen und meint, dass es ja klar wäre, so dass Ziel niemals erreichen zu können. Sie sind demotiviert und suchen sich eine neue Herausforderung.
Was können wir aus diesem Beispiel lernen? Grundsätzlich ist es wichtig, dass eine Gruppe von Menschen, einen Rahmen vorgegeben bekommt, in welchem Sie agieren können. Dieser Rahmen muss aber offen und transparent sein. Es ist klar, dass Sie 100-Meter laufen müssen und nicht 50-Meter. Gehören die Gummistiefel aber mit zum Rahmen? Das Definieren dieses Rahmens ist Aufgabe der Führungskräfte eines Unternehmens. Der Rahmen muss so festgesteckt sein, dass er nicht konträr zur Kultur und der Vision des Unternehmens steht. In der heutigen Zeit, die immer noch vom Taylorismus und dem Kontrollzwang aus dem Industriezeitalter geprägt ist, wird dieser Rahmen leider viel zu eng gesteckt. Selbstorganisation im Team ist dadurch nicht möglich. Es genügt aber nicht, diesen Rahmen einmal zu definieren und dann niemals wieder anzupassen. In diesem Falle wäre Weiterentwicklung ausgeschlossen. Das Unternehmen würde irgendwann sterben. Den Versuch, den Rahmen zu verlassen wird es aus den Teams heraus immer wieder geben. Sie haben erst einen fliegenden Start probiert und dann mit Rollen unter den Stiefeln. Das nennt man dann kreative Abweichung. Diesen Begriff habe ich vor kurzem im Rahmen eines Seminars, moderiert und geleitet von Willms Buhse, gehört. In diesem Seminar ging es um agiles Management im Zeitalter des Internets; eines der besten Seminare, die ich jemals besucht habe. Aufgabe der Führungskräfte ist es nun, zu entscheiden ob die Abweichung zugelassen wird und damit der Rahmen verändert wird oder nicht. Dafür muss die Möglichkeit der Verschiebung des Rahmens aber offen diskutiert werden dürfen. Und genau das wird aus meiner Sicht mit dem Totschlagargument “Politik” verhindert.
Was kann man also tun, wenn man beim Vorstellen einer Idee den Satz “Geht nicht, ist zu politisch.” entgegen geschmettert bekommt?
- Klares und transparentes Aufzeigen des Rahmens.
- Aufzeigen möglicher Widersprüche zwischen dem Rahmen und dem Erreichen der Ziele.
- Offene Diskussion über eine Verschiebung des Rahmens.
- Neudefinition der Ziele, falls der Rahmen sich nicht verschieben lässt.
Gerade der Schritt 3 ist ein ganz wichtiger. Denn über diesen Schritt lassen sich häufig Potentiale ungeahnten Ausmaßes heben. Hier können sogar Visionen und Identitäten von Unternehmen neu definiert werden.
Das Wort “Politik” sollte man aus dem Wortschatz der Wirtschaft streichen. Es stellt eine Situation unwiderruflich und nicht änderbar. In Wirklichkeit wollen sich Führungskräfte eines Unternehmens damit aus der Verantwortung stehlen.
Schöne Ausführung. Es gibt dazu reale Geschichten:
– Umstellung beim Skisprung von “paralleler Skihaltung” zum V-Stil
– Umstellung beim Schwimmen vom Brustschwimmen auf Kraul
usw.
Einerseits braucht es einen Paradigmenwechsel, diese Umstellungen funktionieren nicht immer auf Anhieb (man wurde viele Jahre wegem V-Stil in den Haltungsnoten schlechter benotet). Andererseits Freiheit, solche Änderungen auszuprobieren.
Politik? Wo Menschen versuchen, ihre eigenen Interessen zu vertreten, machen sie dies. Häufig unternimmt man riesige Aufwände um zu begründen, warum man etwas nicht ändern will. Abendfüllendes Thema…
Freundliche Grüsse
Thomas Verasani
Hallo Herr Verasani,
schön, dass Sie die beiden Beispiele anführen. Das Verlassen eines Rahmens fällt leichter, wenn man in der Vergangenheit mit diesem Rahmen keine Erfolge aufweisen konnte. Jan Bokloev beispielsweise, der den V-Stil im Skispringen erfand, hat im Parallelstil keine nennenswerten Erfolge feiern können. Etwas neues zu probieren fällt dann einfach, da man relativ wenig zu verlieren hat. Ein “Verlernen” ist dann nicht so schwierig. Etablierte Skispringer, wie beispielsweise Jens Weißflog, wurden quasi gezwungen auf den V-Stil umzusteigen, da offensichtlich war, dass sie im Parallelstil nur noch hinterherspringen.
In der Wirtschaft ist es aber nicht immer so offensichtlich, dass beispielsweise meine Stammkunden gerade zum Wettbewerber überlaufen, oder wenn es offensichtlich ist, dann mit einem Zeitverzug der Wahrnehmung. Das ist aus meiner Sicht der große Unterschied zum Sport. Ein Verlernen der alten Muster und damit ein Verlassen des Rahmens ist ungleich schwieriger.
Beste Grüße,
Conny Dethloff
Guten Tag Herr Dethloff
Sie haben recht mit Ihren Ausführungen. In der Wirtschaft ist es nicht immer einfach, einfach Dinge anders zu machen. Ich denke, dass es einfacher ist, mit dem Strom zu schwimmen: Man muss sich gegenüber anderen Menschen weniger rechtfertigen.
Die Zeitverzögerung ist tatsächlich schwierig. Trotzdem haben einige Firma viel Erfolg gehabt, weil sie Dinge anders gemacht haben:
– Toyota mit Lean Management (die Konkurrenz hat dies erst spät mitbekommen)
– General Electric mit Six Sigma (auch wenn sie es selber nicht erfunden haben)
– Google mit ihrer Werbefreien Suchmaschine (wer sich erinnert: Früher waren die Suchmaschinenseiten komplett überladen)
– Apple mit dem iMac, iPhone und anderen Produkten
– …
Zugegeben: Die Firmen hatten genügend Druck, um diese Änderungen einzugehen. Vergleichbar mit Jan Bokloev. Nicht mehr viel zu verlieren.
Es ist schwierig, Dinge zu ändern, wenn der Handlungsdruck nicht gross genug ist. Allerdings sollte jede Firma die guten Zeiten nutzen und nicht bis zum letzten Moment warten. Im Gegensatz zum Sport, wo der Sportler in der Regel eine stark beschränkte Zeit (ein paar Jahre) erfolgreich sein kann, wollen Firmen über längere Zeit erfolgreich sein. Machen alle das Selbe, ist man zwar auf der sicheren Seite, nutzt aber (vermutlich) nicht das volle Potenzial.
Freundliche Grüsse
Thomas Verasani