Vernetztes Denken ist (noch?) eine Illusion

Ich höre und lese sehr häufig die Forderung nach einem vernetzten Denken der Menschen. Wir können unsere Problemstellungen in einer zunehmend vernetzten Welt nur durch vernetztes Denken in den Griff bekommen. Eine Studie der Boston Consulting Group aus dem Jahre 2002 (Dokument zufügen) belegt diese These.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Wir wissen oder glauben zu wissen, dass wir vernetzt denken müssen, um die Komplexität der heutigen vernetzten Welt zu handhaben. Aber können wir überhaupt vernetzt denken? Aus dem Titel dieses Posts wird meine Sicht bereits klar. Wir können es (derzeit) nicht. Aber keine Angst, denn das ist auch gar nicht notwendig. Warum? Das möchte ich jetzt zeigen.

Was ist eigentlich vernetztes Denken?
Nicht nur die oben angeführte Studie der BCG zeigt die Wichtigkeit des vernetzten (ganzheitlichen oder auch systemischen) Denkens auf. Hans Ulrich hat bereits 1985 für das vernetzte Denken plädiert. Natürlich darf man an dieser Stelle auch den Vater des vernetzten Denkens, Frederic Vester, nicht vergessen. In vielen seiner Ausarbeitungen, nennen möchte ich hier sein Buch Die Kunst vernetzt zu denken, hat er das vernetzte Denken zum Thema gemacht, die Notwendigkeit herausgestellt und Methoden dargelegt, wie vernetzt gedacht werden kann.

Aber was bedeutet eigentlich vernetzt zu denken? Im Unterschied zum klassischen linearen Denken wird beim vernetzten Denken in Kreisläufen oder Rückkopplungen gedacht. Das bedeutet, dass was Ursache ist kann auch wieder Wirkung sein und umgekehrt. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist noch zu nennen. Es wird nicht nur in Kreisläufen sondern auch in Netzwerken gedacht. Damit postulieren wir ein ganzheitliches Denken. Diese Ganzheitlichkeit soll dem emergenten Verhalten komplexer Systeme Rechnung tragen, denn das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Wenn ich jetzt im nächsten Abschnitt zeigen werde, dass wir (derzeit) nicht vernetzt denken und es (derzeit) auch nicht können, dann möchte ich eben genau auf dieses Denken in Netzwerken Bezug nehmen.

Wir DENKEN nicht vernetzt, …
Emergentes Verhalten komplexer Systeme ist für uns nicht erklärbar. Wir können nicht von dem Verhalten einzelner Teile eines komplexen Systems auf das Verhalten des gesamten Systems schließen. Diese Thematik ist in der Wissenschaft auch unter dem Begriff Skalierungsproblem bekannt, also allgegenwärtig. Das bedeutet, man kann Theorien, Wissen und Erkenntnisse nicht einfach von einer Mikroebene auf eine Makroebene 1:1 transformieren.

Was wird aber in allen Methoden des vernetzten Denkens, egal ob wir uns das Sensitivitätsmodell von Vester, die Know-Why Methode von Consideo, System Dynamics oder die Methode des ganzheitlichen Problemlösens von Gomez und Probst anschauen, getan? Das Problem wird zerlegt und dann wieder zusammengefügt. Das Zerlegen und Zusammenfügen geschieht in allen der Methoden unterschiedlich, weshalb auch die Befürworter der jeweiligen Methoden diesen Fakt nehmen und argumentieren weshalb die jeweilige Methode besser geeignet ist, um vernetzt denken zu können. Der Punkt ist aber, dass keine der Methoden uns Menschen vernetzt denken lässt, da wir in allen Methoden separieren und zusammenfügen. Und genau bei diesem Zusammenfügen liegt die Krux. Denn hier sind wir dem oben angesprochenen Skalierungsproblem aufgesessen. Zeigen möchte ich das exemplarisch am Erstellen der Einflussmatrix in Vesters Sensitivitätsmodell. Ich könnte aber auch jede andere Methode heranziehen. Beim Erstellen der Einflussmatrix werden die möglichen Wirkungen zwischen den Faktoren eines Systems in einer Matrix aufgelistet. Von jedem Faktor ausgehend wird gefragt wie groß die Wirkung auf den jeweils anderen Faktor bei seiner Änderung ist. Die Zahl “0” steht für keine Auswirkung. Die Zahl “1” für einen unterproportionalen, die “2” für einen proportionalen und die “3” für einen überproportionalen Effekt. Dann werden jeweils Aktiv- und Passivsummen aller Faktoren gebildet. Damit möchte man ermitteln, wie viel die Faktoren zu einem Änderungsverhalten beitragen (aktiv oder reaktiv) und in welchem Maße die Faktoren von Änderungen in dem System betroffen sind (kritisch oder puffernd). Ich hoffe Sie erkennen bereits die Skalierungsproblematik, die aus der Emergenz eines komplexen Systems folgt. Wir können nicht einfach aus dem Verhalten einzelner Faktoren auf das Gesamtverhalten schließen. Denn wenn wir das könnten, wovon wir beim Befolgen der Methoden ausgehen, hätten wir kein emergentes System mehr. Wir bräuchten dann wohl auch diese Methoden nicht mehr.

Vernetztes Denken ist also nur dann möglich wenn wir das zu untersuchende System stets im Ganzen betrachten. Bereits beim Betrachten und Analysieren von Teilsystemen oder Faktoren verlassen wir den Bereich der Vernetztheit.

… da wir es (derzeit) nicht können, …
Denken und Vernetzung schließen sich (derzeit) aus. Denn wie denken wir? Wir nehmen unsere Umwelt wahr, in dem wir Dinge der Umwelt mit Objekten gleich setzen. Wenn wir einen Tisch wahrnehmen, dann setzen wir diesen mit dem Objekt “Tisch” in uns gleich. Alle Denkprozesse in Bezug auf diesen Tisch vollführen wir mit dem Objekt “Tisch”. Würden wir das nicht tun, könnten wir gar nicht mit unseren natürlichen Zahlen rechnen. Die natürlichen Zahlen sind also eher “künstlich” als “natürlich”. Die Zahl “1” hätte für uns keinen Mehrwert, denn ALLES würde sich unterscheiden, was es ja in der Umwelt auch tut. Aber wir abstrahieren, wir separieren und fügen danach wieder zusammen, um die Dinge für uns handhabbar zu machen. Wir denken so, weil unsere Sprachen es nicht anders zulassen. Unsere Sprachen sind nämlich nicht vernetzt und kreiskausal. Wir setzen Buchstaben zu Wörtern, Wörter zu Sätze und Sätze zu Aufsätze etc. zusammen. Unsere Sprache beeinflusst unser Denken und umgekehrt. Details können Sie in zwei meiner Posts nachlesen (Unsere Sprache beschränkt unser Denken und Die Sprache als Linse).

Wir können nur wahrnehmen in dem wir fokussieren und entsprechend unterscheiden. Ohne Fokussierung und ohne Unterscheidung gibt es für uns keine Wahrnehmung. Also auch hier keine Vernetzung. Wir dürfen grundsätzlich nicht den Fehler machen, Separierung und Zusammenfügen anschließend als Vernetzung auszulegen, auch wenn dies in Rekursionen und Rückkopplungen geschieht, da wir, und das habe ich bereits ausgeführt, Theorien von der einen Metaebene einfach in eine höhere Metaebene transformieren. Das ist sehr gefährlich, weil wir dafür keine Legitimation haben. Hier prallen zwei ganz unterschiedliche Wissenschaftstheorien aufeinander: Science und Systemics. Detlef Mamrot hat diesen Unterschied sehr schön in seiner aktuellen Ausarbeitung zu Komplexität im Kapitel 3 ausgeführt.

… was aber auch nicht so schlimm ist, da wir vernetzt HANDELN können.
Jetzt habe ich bestimmt bei Anhängern des vernetzten Denkens (Ich war übrigens auch einer. Jetzt bin ich Anhänger des vernetzten Handelns), Wellen geschlagen. Nun möchte ich die Wogen wieder ein bisschen glätten. Die Emergenz hat uns einen Stachel versetzt, den ich nun wieder entfernen möchte.

Wir können (derzeit) nicht vernetzt denken. Das ist auch nicht so wild. Denn unser Ziel ist es nicht vernetzt zu denken, sondern vernetzt zu handeln. Wir müssen nicht unbedingt vernetzt denken um vernetzt handeln zu können (Emergenz). Wir schaffen durch das Denken auf der Mikroebene auf der Makroebene eine höhere Qualität. Auf der Mikroebene herrscht noch keine Vernetztheit vor, auf der Makroebene schon. Genau für diesen Transfersind die von mir angesprochenen Methoden geeignet. Diesen Transfer möchte ich nun ein bisschen näher erläutern.

Ich teile uns Wissen oder auch Vermögen in 4 Kategorien ein.

  1. Unbewusstes Nichtwissen (Unvermögen)
  2. Bewusstes Nichtwissen (Unvermögen)
  3. Bewusstes Wissen (Vermögen)
  4. Unbewusstes Wissen (Vermögen)

Details zu diesen Arten habe ich einem Artikel verfasst. Ich möchte diese Kategorien am Beispiel “Auto fahren können” spiegeln. Meine beiden Kinder, derzeit 9 und 6 Jahre alt, können kein Auto fahren. Sie verspüren aber derzeit auch gar nicht das Verlangen, es lernen zu wollen. Es ist für sie kein Thema. Sie befinden sich diesbezüglich in Stufe 1, dem unbewussten Unvermögen. In absehbarer Zukunft allerdings werden sie sich diesem Unvermögen bewusst werden. Sie möchten es dann erlernen, da sie es benötigen. Dann befinden sie sich in Stufe 2, dem bewussten Unvermögen. Dann lernen sie das “Auto fahren”. Am Anfang ist es dann noch ein wenig holprig. Sie müssen sich beim Steuern des Autos über sehr viel bewusst werden, Bremsen, Gas geben, Schalten. Sie befinden sich in Stufe 3, dem bewussten Vermögen. Mit der Zeit geht das Steuern des Autos aber in Fleisch und Blut über. Vieles läuft dann unbewusst ab, ohne dass jede Bewegung, bevor sie ausgeführt wird, durchdacht wird. Das ist gerade in Gefahrensituationen wichtig, da es hier um schnelles Reagieren geht. Sie befinden sich dann in Stufe 4, dem unbewussten Vermögen.

Natürlich sind die Grenzen zwischen diesen Stufen nicht gradlinig, sondern eher schwammig. Des Weiteren laufen die Übergänge auch in Rekursionen ab, mal hin und mal wieder zurück, insbesondere in den Stufen 3 und 4. Es gibt hier aus meiner Sicht auch grundsätzlich keine Wertung. Stufe 4 ist also nicht besser als Stufe 3. Wir benötigen beide Stufen, um lebensfähig zu sein. In der Stufe 3 handeln wir rational. Wir denken bewusst. In der Stufe 4 handeln wir eher intuitiv.

Vielleicht fragen Sie sich, was das jetzt mit dem eigentlichen Thema zu tun hat? Ich komme jetzt darauf. Beim Durcharbeiten der Methoden befinden wir uns in Stufe 3. Wir kommunizieren, wir lesen, wir schreiben auf. Im Rahmen dieser Tätigkeiten denken wir nicht vernetzt, denn wir nutzen unsere Sprache. Das habe ich im vorigen Abschnitt gezeigt. Wir bauen dadurch Wissen auf, was uns in bestimmten Situation handeln lässt. Dann sind wir in Stufe 4.

Ich möchte kurz auf das Beispiel mit dem “Auto fahren können” zurückkommen. Ich hatte bereits des Öfteren brenzlige Situationen im Straßenverkehr zu meistern. Da habe ich einfach funktioniert und zwar vernetzt. Ich habe intuitiv gehandelt ohne jede Bewegung meines Körpers vorher genau zu durchdenken. Wenn mich danach Jemand fragte warum ich was in welcher Reihenfolge gemacht habe, konnte ich gar nicht in der Lage sein, dieses getreu zu schildern. Da diese Schilderung nur unvernetzt sein kann. Ich nutze unsere Sprache. Diese Fähigkeit beim Autofahren vernetzt handeln zu können habe ich mir durch das unvernetzte “Autofahren lernen” angeeignet. Wir erkennen hier die Emergenz.

Und hier sehe ich jetzt die Stärke der von mir angesprochenen Methoden. Es geht in diesen Methoden nämlich hauptsächlich um den Prozess des Lernens des vernetzten Handelns. Der PROZESS ist wichtig und die Ergebnisse, wie die Einflussmatrix oder das Wirkungsgefüge sind Abfallprodukte dieses Prozesses. Wie wir diese Fähigkeit genau erlernen, können wir wegen der Emergenz nicht erklären.

Fazit
Nur weil ich also postuliere, dass die herkömmlichen Methoden des vernetzten Denkens, uns Menschen nicht helfen vernetzt denken zu können, bedeutet es nicht automatisch, dass diese Methoden keinen Mehrwert liefern. Ganz im Gegenteil. Sie tragen in einem hohen Maße dazu bei, dass wir vernetzt handeln können.

Zum Ende noch eine kleine Bemerkung. Ich habe in meinen Sätzen stets das Wort “derzeit” in Klammern eingefügt, denn wir können derzeit nicht vernetzt denken. Es ist eine Standortbestimmung von mir aus heutiger Sicht. Können wir überhaupt irgendwann vernetzt denken? Keine Ahnung. Voraussetzung dafür ist aber eine vernetzte Sprache. Ich habe des Öfteren gehört, dass beispielsweise asiatische Sprachen nicht so linear aufgebaut sind wie unsere lateinischen. Können die Asiaten deshalb vernetzt denken? Ist das Ergebnis eines vernetzten Denkens besser als das eines unvernetzten Denkens? In beiden Fällen kann man die Fähigkeit entwickeln vernetzt zu handeln.

Ich spreche also nicht vom vernetzten Denken, sondern vom expliziten Modellieren und dem daraus folgenden vernetzten Handeln.

1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (2 Bewertung(en), Durchschnitt: 4.50 von 5)
Loading...
This entry was posted in Denken, Modellierung, Sprache, Wissen and tagged , , . Bookmark the permalink.

22 Responses to Vernetztes Denken ist (noch?) eine Illusion

  1. Peter Addor says:

    Ja, Conny, ich habe vor ca. einem halben Jahr überall herum gefragt, ob Denken immer analytisch sei. Es hat mir kaum einer eine befriedigende Antwort geben können. Aber diejeingen, die geantwortet haben, waren überzeugt, dass es auch ein synthetisches bewusstes Denken gibt.

    Nun, beim Begriff “systemisch Denken” geht es mir in erster Linie nicht so sehr darum, ob das, was ich darunter verstehe “systemisch” ist oder nicht. Ganz sicher gibt es eine Denkweise, die sich von meiner aktuellen unterscheidet, zumindest hinsichtlich der Ursache-Wirkungsvorstellungen.

    Ich wäre schon nur glücklich, wenn ich niemals nur nach einer Ursache eines beobachteten Phänomens fragen würde, sondern stets nach deren Ursache usw, bis ich den Zyklus geschlossen hätte und dann den ganzen Wirkungskreis sähe. Stattdessen hört bei mir die Nachforschung auf, sobald ich eine Ursache gefunden habe, es sei denn, ich suche im Rahmen “systemischen Denkens” bewusst nach einem Ursachenzyklus.

    Ob Du das Denken in Wirkungszyklen “systemisch” nennst oder nicht, ist bloss eine Definitionsfrage. Für Dich ist das noch nicht “systemisch”, für mich ist es zumindest ein Element “systemischen Denkens”.

    Aber nun zu Deiner Behauptung, Denken sei stets analytisch und intuitionalistisches Handeln sei “systemisch”. Wenn Du meinst, verinnerlichtes Autofahren sei “systemisch”, dann müsstes Du mir weitere und bessere Beispiele geben, denn das, was Du meinst, ist etwas, das James Reason “fähigkeitsbasiertes Verhalten” nennt und in die unterste Schublade seines Verhaltensmodells legt. Routine, automatisiertes Verhalten. Die nächste höhere Schublade oder Ebene nennt er “regelbasiert”. Dort sind die Experten zuhause. Doch die höchste Ebene wäre der Gebrauch des Bewusstseins und des Systems 2, wie es Kahneman nennt. Nur: wer will schon Denken, das ist viel zu aufwändig und teuer. Rouse hat gesagt: “Der Mensch ist ein kontextbasierter Mustererkenner (regelbasierte Ebene), statt dass er berechnen und diagnostizieren und daraus den Handlungsbedarf ableiten würde”.

    Intuition ist im Unbewussten zuhause und immer im Driverseat. Entwicklungsgeschlichtlich war das Unbewusste mit der Intuition zuerst da. Dann haben wir uns den Luxus geleistet, ein Bewusstsein zu entwicklen und damit bewusstes Denken. Statt, dass Du diese Erungenschaft jetzt möglichst weiter entwickeln willst, würgst Du sie wieder ab, gibst sie quasi zurück, und ziehst Dich wieder auf das primitive (im Sinne von “zuerst”) Unterbewusste zurück. Und das nennst Du dann “systemisch”?

    • Hallo Peter,

      danke für Deine ausführliche Replik. Lass mich kurz darauf eingehen.

      Nein, ich möchte nicht zurück zum ausschließlich “primitiven Unterbewussten” im Kontext Denken, wie Du es sagst, und dieses Denken dann systemisch nennen. Ganz und gar nicht. Ich möchte nur, dass wir uns den Hindernissen unseres derzeitigen Denkrahmens stellen. Dieser Denkrahmen lässt keine Ganzheitlichkeit zu. Denn dieser Denkrahmen basiert auf den folgenden Prämissen.

      1. Wir denken, um die endgültige Wahrheit zu erlangen.
      2. Wir denken analytisch, in dem wir also Probleme in Teile zerlegen.
      3. Wir denken, um Objektivität herzustellen.
      4. Wir denken in Entweder-Oder Relationen.
      5. Wir denken im Rahmen unserer zweiwertigen Logik, die nur für die “tote Welt” konzipiert ist, da sie keine Widersprüche zulässt.
      6. Wir denken in Beziehungen, die auf Ursache-Wirkung beruhen.

      Wir haben uns und unser Denken mit dem Einbezug unseres Bewusstseins schon weiter entwickelt. Das anerkenne ich schon. Es hat uns ja auch eine Menge Vorteile gebracht. Von einem ganzheitlichen Denken sind wir aber noch meilenweit entfernt, weil wir oben angeführte Prämissen nicht negieren wollen oder können.

      Ich habe diese Thesen übrigens in meinem Post Unser Denkrahmen hat sich seit dem Mittelalter nicht weiter entwickelt ausführlicher belegt.

      Übrigens empfehle ich in diesem Kontext das Buch von Fritjof Capra “Das Tao der Physik”, welches frei über scribd verfügbar ist. 🙂 In diesem Buch schildert der Autor auf Basis der Entstehungsgeschichte unserer Abendländischen Wissenschaft sehr ausführlich, warum wir gerade in Bezug der Ganzheitlichkeit der östlichen Philosophie hinten an stehen.

      Und noch eines zum Schluss. Ich poche mit meinem Ideen in diesem Zusammenhang nicht auf Allgemeingültigkeit. Vielleicht suche ich auch Jemanden, der mich doch eines Besseren überzeugt. 🙂

      BG, Conny

  2. Peter Addor says:

    Wer erlässt diese Prämissen? Die finalen “um”-Prämissen 1 und 3 sind Habakuck. Ich denke ganz sicher nicht, um Wahrheit und Objektivität zu erlangen.

    4 habe ich längst überwunden. Ich denke in sowohl-als-auch-Kategorien. Immer!

    4 und 5 sind aequivalent. Das Tertium non datur haben wir zu Genüge diskutiert. Ist nicht gültig.

    6 müsste nicht sein und kann wie 4 durch Training überwunden werden.

    2 war meine Frage: Ist denken stets analytisch?

    “Das Tao der Physik” habe ich längstens gelesen. Im übrigen habe ich von “systemisch” gesprochen, nicht von “ganzheitlich”.

    • Hi Peter,

      ja, unser Denken ist stets analytisch, weil wir Probleme, wenn unser Bewusstsein ins Spiel kommt, immer in Teilprobleme zerlegen, diese Teilprobleme lösen und diese Teillösungen dann zu einer Gesamtlösung zusammen setzen. Wir können gar nicht anders, da wir nur so wahrnehmen können, in dem wir nämlich fokussieren. Oder? Falls nicht, gib mir bitte ein Beispiel, wo wir das nicht so tun.

      Nun komme ich auf den Unterschied zwischen systemisch und ganzheitlich zu sprechen. Wie viel Systeme gibt es denn für Dich? Aus meiner Sicht gibt es genau eines, unser Universum. Alle anderen Systeme, über die wir sprechen, sind Konstrukte unseres Kopfes. Also ist für mich systemisches Denken gleich bedeutend mit ganzheitlichem Denken. Denken wir systemisch? Nein. Wir nutzen nur Werkzeuge, die uns eine Systemik in der Welt der Analytik vorgaukeln.

      Denkerische Grüße,
      Conny

  3. Danke für die anregende Positionierung, es ist eine spannende Diskussion! Ich finde die Unterscheidung “systemisch denken” vs “systemisch handeln” interessant.

    Einverstanden mit dem “systemisch handeln”. Ob wir systemisch “denken” oder nicht hängt von der Definition von “denken” ab.

    Du sagst “1. Wir denken, um die endgültige Wahrheit zu erlangen”. Dies möchte ich hinterfragen: ist es so? Existiert die Wahrheit vor oder nach dem Denken? Gibt es überhaupt eine Wahrheit, die unabhängig vom Denken existieren würde? Kann man die Wahrheit erlangen, ohne zu denken?

    Ich versuche mal, die folgende Hypothese zu beschreiben : mit meinem Denken schöpfe ich eine Wahrheit, meine Wahrheit. Diese Wahrheit kann ich verbal wie nicht verbal (bzw. auch bewusst und unbewusst) mit meinen Mitmenschen teilen, um eine gemeinsame, geteilte Wahrheit zu entwickeln (die mehr als die Summe der jeweiligen Wahrheiten ist).

    Manchmal möchte ich in meiner Wahrheit handeln können, und zwar so, dass ich meine Absichten verwicklichen kann. Alleine kann ich dies ohne Wörter, ohne bewusstes Denken, wie ein Kleinkind, spontan, intuitiv (= “Zen-Geist”). In Gruppen können auch solche Phänomene erscheinen, brauchen allerdings eine bestimmte Reifheit der Gruppe, hochqualitativen Beziehungen. Ergänzend dazu kann ich mit gemeinsamen Denken und mit der Sprache diese gemeinsame Wahrheit beschreiben und gestalten = Wichtigkeit des Prozesses, wie Du es geschrieben hast).

    Weiter. Eine mögliche andere Darstellung kommt von Russel Ackoff 1) und seine Wissens-Pyramide 2) :

    Rationelles Denken ist hilfreich, um Daten, Informationen und Wissen zu bearbeiten (Antwort auf die Frage « wie »). Systemisches Denken (oder anders genannt ?) für Verstehen und Weisheit (Antwort auf die Frage « warum »).

    Fragen : wie entwickeln wir, bei uns sowie in Gruppen, das « Denken » hoch in die Pyramide ? Was unterscheidet die 2 Denkweise ? Gibt es eine harte Trennung oder ist es ein Continuum ? Sind beide System 2-Denken ? (waren auch Fragen im #stchatde von gestern) ?

    1) http://environment-ecology.com/general-systems-theory/380-systems-thinking-with-dr-russell-ackoff.html
    2) http://www.systems-thinking.org/dikw/dikw.htm

  4. Pingback: Vernetztes Denken ist (noch?) eine Illusion | C...

  5. Hi Philippe,

    danke für Deine Anregungen zum Weiterdenken. Wow, guter Stoff. Das wird mich demnächst beschäftigen.

    Nur ganz kurz schon mal zum Thema Wahrheit. Objektive Wahrheit existiert sowieso nie. Ich glaube, hier stimmen wir Beide, und wohl auch Peter, überein. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das auch grundsätzlich für alle Menschen zutrifft (wohl eher nicht). Manchmal bekomme ich auf Grund der Schärfe in manchen Diskussionen, nicht in dieser (:-)), das Gefühl, das einige Menschen genau das von sich glauben, nämlich die reine endgültige Wahrheit zu kennen oder zumindest danach suchen zu müssen.

    Ich gehe stets mit Demut in solche Debatten, da ich nie sicher ein kann, ob ich morgen nicht schon wieder total anders über eine Sache denke oder eben nicht.

    Trotzdem ist die Suche nach dem Wie, Warum, Weshalb, … die Triebfeder für uns zu denken.

    BG, Conny

  6. Idahoe says:

    Hallo Conny,

    ich werde versuchen, an meinen Post auf Deinem Blog anzuschließen und den Gedanken der stetigen Veränderung weiter zu entfalten.

    Sprache ist nur der Informationsträger, nicht die Information selbst. Sprache schränkt insofern nicht das Denken selbst ein, sondern nur die Ausdrucksmöglichkeiten, die Kommunikation. Mir fehlen häufig die Worte um das zu sagen, was ich empfinde. Ich wähle sehr bewußt den Ausdruck Empfinden, denn ohne Fühlen ist Denken nach meiner Ansicht nicht möglich, es ist sogar untrennbar verbunden. So wie ich mit Gefühl einen Nagel in ein Brett einschlage, so versuche ich generell die Welt zu verstehen, indem ich mein Einfühlungsvermögen verwende. Dazu setze ich alle Sinne ein, wobei dies keine Beschränkung auf die fünf Sinne gemeint ist.

    Was ist Denken überhaupt? Ist Denken ohne Fühlen überhaupt möglich? Was ist Fühlen?

    Was ist Mathematik? Ist Mathematik mehr als eine idealisierte Bezugssprache?

    Mathematik funktioniert, unbestritten, hervorragend in stabilen Umgebungen. Funktioniert sie noch in instabilen Umgebungen? Oder ist hier vielmehr der Wunsch der Vater der Gedanken?
    (Stabilitität im Sinne einer scheinbaren Unveränderlichkeit)

    Eine einzig wahre Wahrheit wäre unveränderlich, sie hätte keine Wirkung, es gäbe kein Ereignis, keinen Zustand, keine Konsequenz, es gibt darüber kein Wissen…an diese Wahrheit kann der Mensch nur glauben, aber nichts darüber wissen.
    Das ist für mich der tatsächlich entscheidende Begriff:

    das Unveränderliche.

    Und in Folge, was das ist?

    Ansonsten immer wieder schön bei Dir hier zu lesen 🙂

    • Moin Moin,

      danke für Deine Zeilen. Du reißt ein paar wahnsinnig spannende Themen in diesem Kontext an. 🙂 Ich möchte jetzt nur mal kurz auf Deinen folgenden Satz eingehen.

      Sprache schränkt insofern nicht das Denken selbst ein, sondern nur die Ausdrucksmöglichkeiten, die Kommunikation.

      Da bin ich mir nicht so sicher. Wir denken doch in Begriffen, die von unserer Sprache geprägt ist. Falsch geprägte Begrifflichkeiten können also schon eine Barriere für unser Denken darstellen. Andererseits können wir diesen Fakt, so glaube ich, auch gar nicht wirklich ergründen. Ich habe aber genau dazu vor einiger Zeit einen Post verfasst, Die Sprache als Linse, in welchem ich genau diese Thematik tiefer beleuchte.

      BG, Conny

  7. Peter Addor says:

    Conny, ich versuch’s nochmals: es ist klar, dass wir das Labyrinth, in dem wir uns selbst befinden, nur analytisch erkunden können, d.h. wir müssen an jeder Kreuzung Markierungen anbringen, damit wir wissen, wo wir schon waren und unsere unsere einzelnen Erkenntnisse kartographieren, bevor wir das Ganze erfassen können (sog. “Tiefensuche”)

    Das ist also genau, was Du beschreibst: zuerst analytisch Einzelteile erkunden, danach zum Ganzen zusammensetzen (auf die Gefahr hin, Westenliches zu verlieren).
    Nicht so, wenn wir über dem Labyrinth schweben könnten. Dann würde sich sein Ganzes auf einen Blick offenbaren und dazu müsten wir nicht einmal viel denken.

    Nehmen wir nun noch an, dass sich die Form des Labyrinths laufend schnell verändert. Dann nützen uns keine Markierungen mehr. Das beste, was wir hoffen könnten ist, Muster in der Veränderung zu erkennen. Das nenne ich dann “systemisches Denken” oder “systemisches Vorgehen”. Die Muster betreffen das Wabben des gesamten Labyrinths, aber ich kann es vielleicht nur erkennen, indem ich punktuelle Messungen mache und sie vergleiche.

    Wichtig ist mir, harte Grenzen abzubauen und die Welt als (zuweilen wilden) Fluss zu sehen. Ich verabscheue Vierfeldertafeln, Dichotomien und Komplementaritäten.

  8. Peter Addor says:

    Vielleicht meinst Du es so, wie es sich mit diesem Bild verhält. Hier hilft nachdenken auch nichts. Entweder, man sieht es oder man sieht es nicht. Aber wenn man es nicht sieht, hilt Anstrengung eben doch. Nicht denkerische Anstrengung, sondern das ständige Füttern des Gehirns mit dem Bild, die tägliche Auseinandersetzung mit dem Bild, der laufende Wechsel der Perspektive, etc.

    Vergiss den Kontext des Bildes. Es hat nichts mit Mathematik zu tun, und die Motivation des Autors ist eine andere, als unsere.

    Falls Du oder jemand anderes es sieht, dann möchte ich bitte, nichts zu verraten!

    http://halbtagsblog.de/schule/mathematik-ist-wie-dieses-bild/

    • Hallo Peter,

      Du beschreibst meine Ideen und Gedanken zum Thema “Denken” sehr gut. Wir sind ganz nah beieinander. Der Vergleich mit dem Labyrinth ist hier sehr passend. Danke. Derzeit sehe ich auf dem Bild (siehe Link) noch nichts. Aber ich werde mich anstrengen. 🙂

      BG, Conny

  9. Peter, du schreibst “es ist klar, dass wir das Labyrinth, in dem wir uns selbst befinden, nur analytisch erkunden können”.

    Meditative Zustände erlauben ein nicht-analytisches Erkunden!

    Das analytische Denken wird in moderner, westlicher Kultur als “nec plus ultra” dargestellt. Nicht die ganze Menschheit denkt analytisch – und löst trotzdem Probleme!

    Von dem her teile ich die Auffassung nicht, dass wir zuerst die Einzelteile analytisch sehen und dann zum Gesamtbild kommen. “Insights” bzw intuitive Informationen erscheinen ohne vorheriges wissen und denken, auch nicht unbewusst.

  10. Peter Addor says:

    Das bewusste Denken hat natürlich auch seine Grenzen, wie die Intuition auch. Schliesslich ist das Bewusstsein sehr jung und noch #Neuland. Wir sind uns noch zu wenig an das Denken gewohnt und verstehen noch nicht richtig, was wir mit dem Bewusstsein alles anfangen können. Die Menschen denken (noch) zu wenig. Du weisst ja, was Kahnemann über Intuition gesagt hat.

    • Hi Philippe und Peter,

      ja, da bin ich bei Euch. Unser bewusstes Denken hat sein Grenzen. Nicht alle Probleme, die wir derzeit bereits kennen, werden wir mit unserer Art des bewussten Denkens lösen können. Hier sollten wir uns seitens der westlichen Wissenschaften noch mehr von den östlichen Philosophien (Hinduismus, Buddhismus, …) bereichern und anregen lassen.

      Fritjof Capra stellt das in seinem Buch “Das Tao der Physik” anschaulich dar. Gleich am Anfang des Buches platziert er ein Zitat von Werner Heisenberg.

      Wahrscheinlich darf man ganz allgemein sagen, dass sich in der Geschichte des menschlichen Denkens oft die fruchtbarsten Entwicklungen dort ergeben haben, wo zwei verschiedene Arten des Denkens sich getroffen haben. Diese verschiedenen Arten des Denkens mögen ihre Wurzeln in verschiedenen Gebieten der menschlichen Kultur haben oder in verschiedenen Zeiten, in verschiedenen kulturellen Umgebungen oder verschiedenen religiösen Traditionen. Wenn sie sich nur wirklich treffen, d. h., wenn sie wenigstens so weit zueinander in Beziehung treten, dass eine echte Wechselwirkung stattfindet, dann kann man darauf hoffen, dass neue und interessante Entwicklungen folgen.

      BG, Conny

  11. Idahoe says:

    Hallo Conny,

    ich würde mit sowohl als auch antworten. Meine Betrachtung geht davon aus, daß wir in Zusammenhängen denken. Es ist mehr eine Art Fokussieren, Schärfentiefe. Selbstverständlich kann der Informationsträger auch beeinflußt werden und damit auch die Information verfälschen.
    Hinzu kommt, daß Begriffe aus der natürlichen Sprache in einzelnen Fachgebieten wie Mathematik oder Physik verwenden, hier aber andere Bedeutungen haben.

    Als Beispiel der Begriff Vergleich: In der natürlichen Sprache bedingt dies Wissen, im Sinne einer ähnlich erlebten Situation, Erfahrung, um sie mit einer aktuellen Situation vergleichen zu können.
    Mathematisch ist dies nicht erforderlich, genaugenommen ist hier ein Vergleich ja nur eine Bewertung.
    Oder die Unendlichkeit, die in der natürlichen Sprache bedeutet, daß es keine Grenzen und daher auch keinen Anfang und kein Ende gibt.
    Bis unendlich zählen, hat in der natürlichen Sprache keinen Sinn, denn dies beschreibt eine Tätigkeit, die einen Anfang hat und so nicht unendlich ist.
    Oder auch die Ewigkeit, die der Duden beschreibt als
    (1) Unvergänglichkeit, das beschreibt etwas unveränderliches, darüber gibt es kein Wissen und daher auch keine Aussage.
    (2)Religion Ewigkeit als jenseitig beschreibt, es gibt aber kein jenseits, kein außerhalb der Ewigkeit.

    Ich gehe davon aus, daß es die Formalisierung von Sprache ist, die diese einschränkt. Das wiederum ist dann eine Frage der Sozialisation. Hier will ich anmerken, daß die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, zu formalisierten Verhaltensweisen führt, die tatsächlich das Denken sehr stark erschwert.

    Zu den Farben deines Artikels kann ich beitragen, daß die Frage nach
    Was ist Licht?
    nicht beantwortet ist. Das läßt sich auch nachweisen, denn ein weißes Photon existiert nicht, aber wieviele Photonen sind es, wenn das Licht durch ein Prisma gebrochen wird?

    Viele gehen davon aus, daß mathematische Objekte im Verstand vorstellbar seinen, das würde ich bestreiten, denn in einer räumlichen Welt, kann es keine nichträumlichen Objekte geben. Eine Zahl mist auch nicht vorstellbar, das was sich Menschen vorstellen ist nur die Ziffer, das Symbol der Zahl, aber nicht die Zahl an sich. Eine unveränderliche Zahl an sich, ergibt keinen Sinn.

    Der abstrakteste Begriff, den ich kenne ist “(stetige) Veränderung”, diese ist nicht als Bild vorstellbar, das Bild ist bereits Veränderung, verändern beschreibt das Fühlen. Das Fühlen ist nicht auflösbar.
    (Stetige) Veränderung ist der einzige universelle Begriff. Er ist unabhängig von Subjekt und Objekt, er löst diese Begriffe gar auf.

    Ich frage jeden Physiker, wo denn eine Quantenfluktuation beim Urknall stattgefunden hat, wenn es noch keinen Raum gab, das philosophische Nichts aber nicht existiert.

    Wie könnte sich Sprache überhaupt entwickeln, wenn das Denken durch diese begrenzt wäre?

    Ich denke, ähnlich wie Du, daß wir allgemein an Grenzen stoßen, die durch die Betrachtung der Wirklichkeit der Welt als unveränderliche Gegensätze, scheitern. Die dualistische Betrachtung ist ungeeignet. Die Dispositive die das Verhalten der Menschen bestimmen, ist auf Unveränderliches, auf Glauben aufgebaut.
    Es gibt kein Gegenteil von Etwas, Nicht-Etwas ist nicht das Gegenteil von Etwas, es ist einfach ein anderer Zustand. Nur weil Sprache formalisiert wird, ergibt sich keine Wirklichkeit. Wittgenstein da weiterdenken, wo er gescheitert ist.

    Ich hoffe, es ist einigermaßen nachvollziehbar, was ich ausdrücken will, denn die Sprache ist, zugegebenermaßen, vom Dualismus stark geprägt und führt häufig in Sackgassen des Mißverstehens…

    Es besteht auch selbstverständlich die Möglichkeit des Irrtums meinerseits.

    Gruß

  12. @Peter: die einzige Grenze an der Intuition ist zu glauben, dass sie Grenze hat…

    Wenn man die Definition der nicht-lokale Intuition nimmt, und nicht die der herkömmliche Experten-Intuition (unbewusste Erkennungs-Heuristiken). S. dazu u.a. die Arbeiten von Dean Radin et al.

    Dann kommt man näher an das “ganzheitliche Denken”, oder mindestens “ganzheitliche Wahrnehmen”.

  13. Carsten Streich says:

    Hallo Conny,

    ist bald schon drei Jahre alt dein Artikel, wie denkst du heute drüber? Ich verkaufe vernetztes Denken gerne als meine Top Fähigkeit bei Vorstellungsgesprächen. Es ist mir dabei aufgefallen, dass es schwer fällt zu erklären was da eigentlich passiert. Ich versuche das mal grob in Phasen zu unterteilen:

    1. Intuition/Eingebung

    Ich nenne das auch gerne mein Klingeln im Ohr, oder meine Spinnensensoren. Wenn ich in Meetings bin habe ich oft bemerkt, dass ich an einem Punkt hängen bleibe, den die meisten als eher unwichtig erachten würden. Unterbewusst kann ich etwas Unwichtiges auch als Frühboten oder Signal von etwas Schlimmeren wahrnehmen.

    2. Vernetzen/verknüpfen

    In dieser Phase kommen von mir dann Aussagen wie z.B. “was ähnliches habe ich neulich im Meeting xy vor zwei Wochen gehört”. Habe ich zwei oder mehrere Symptome miteinander verknüpft, komme ich langsam einem gemeinsamen Nenner auf die Spur

    3. Erkenntnis

    Das ist dann der Aha Moment, meist erinnere ich mich an etwas was zeitlich korrellieren könnte, was Symptom A und B ursächlich ausgelöst haben könnte. In einer genaueren Analyse wird dann geprüft, ob die These zutrifft.

    4. Transferleistung

    Hier kommt meist eine Senior Führungskraft ins Spiel, die dabei hilft die richtigen Abteilungen zu benachrichtigen.

    5. Das Spiel verstehen und zum Vorteil drehen

    Wenn etwas eine bestimmte Auswirkung hat, dann versuche ich zu überlegen, wie man quasi das Gegenteil davon zum Vorteil nutzen könnte, oder wie man eine mehrstufige Massnahme daraus machen könnte (ich arbeite im Onlinemarketing)

    Einer bestimmten Methode habe ich mir dabei nie bedient. Mit der Zeit habe ich aber gelernt solche komplexen Zusammenhänge mit einer simplen Formel oder linear darzustellen. Z.B. lassen sich die wesentlichen Hebel im Geschäftsmodell eines Unternehmens auf diese Art darstellen. Auch ist es hilfreich ein bestimmtes Problem zunächst analytisch zu zerlegen und dann erst vernetzt zu denken.

    Ja und tatsächlich fallen mir oft Dinge auf einer Mikroebene auf, die ich auf die Makroebene transferiere. Beispielweise fiel mir auf, dass die Elemente auf der Mikroebene ein bestimmtes Verhalten (abnehmender Grenzertrag bei zunehmenden Kosten) aufweisen. Ich fragte mich damals (2010), ob man dieses Verhalten nicht im kompletten Onlinemarketing vorfinden würde, tatsächlich war zu diesem Zeitpunkt dieses Denken in Grenzertragsmodellen (und ist auch heute noch längst nicht überall best practice) bei meinem damaligen Arbeitgeber noch völlig unbekannt. Es wurde eher in linearen Funktionen gedacht.

    Heute transferiere ich diese Problematik sogar in fachfremde Gebiete, ich bin der Meinung, dass die Problematik der abnehmenden Grenzerträge bei zunehmenden Mitteleinsatz (Ausbeutung von endlichen Ressourcen) in Verbindung mit einem Geldsystem das sich exponentiell vermehrt (Zinseszins) und daher eigentlich auf exponentielles Wachstum ausgelegt ist, dass grösste Problem der Menschheit ist.

    Vereinfacht ausgedrückt: Man braucht immer mehr Menschen, die immer mehr Schrott konsumieren. Für einen einfachen Einstieg in die Thematik empfehle ich “the story of stuff”

    • Moin Carsten,

      danke für Dein ausführliches Feedback. Zu Deiner Frage. Ja, ich bin immer noch der Meinung, dass wir nicht vernetzt denken können. Oder anders ausgedrückt, durch unser Denken zerstören wir die Vernetzung der Dinge, über die wir denken.

      Dazu möchte ich erst einmal Denken näher erklären, jedenfalls wie ich Denken auffasse. Unser Denkrahmen, also die Art und Weise WIE (nicht WAS) wir denken, fußt auf 4 Prinzipien.

      1. Alles, was messbar ist, soll gemessen werden: Komplexe Probleme sind aber genau deshalb komplex, weil sie für uns nicht vollständig beschreibbar sind. Und was wir nicht beschreiben können, können wir auch nicht messen. Machen wir komplexe Probleme messbar, zerstören wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht lösbar. Wir lösen stattdessen Scheinprobleme.

      2. Alles in kleinste Teile zerlegen: Komplexe Probleme sind emergent. Das bedeutet das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelteile. Zerlegen wir komplexe Probleme zerstören wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht lösbar. Wir lösen stattdessen Scheinprobleme.

      3. Entweder – Oder: Komplexe Probleme sind in sich widersprüchlich und sind damit also “Sowohl-Als-Auch”, nicht “Entweder-Oder”. Trennen wir komplexe Probleme in Entweder-Oder zerstören wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht lösbar. Wir lösen stattdessen Scheinprobleme.

      4. Ursache – Wirkung: Ursache und Wirkung von komplexen Problemen sind in Ort und Zeit versetzt. Dazu kommt das aufgrund von Rückkopplungen Ursache zu Wirkung und Wirkung zu Ursache wird. Trennen wir komplexe Probleme in Ursache-Wirkung zerstören wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht lösbar. Wir lösen stattdessen Scheinprobleme.

      Mehr dazu gerne in diesem Podcast, in dem Herbert Pietschmann in faszinierenden 45 Minuten unseren Abendländischen Denkrahmen beschreibt.

      Du beschreibst sehr schön, wie Du mit vernetzten und damit komplexen Themen umgehst und Du kannst es nicht wirklich gut beschreiben. Na klar, weil Du über unseren Zweiwertigen Denkrahmen hinausgehend an die Dinge heran gehst, willst die Art und Weise aber im Rahmen des Zweiwertigen Denkrahmens beschreiben, damit andere Menschen das verstehen. Das funzt nicht. 😉

      BG, Conny

  14. Pingback: Handhaben von Komplexität erfordert NEUES Denken | Reise des Verstehens

Leave a Reply to Conny Dethloff Cancel reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *