Verlernen alter Denkmuster am Beispiel des Homo Oeconomicus

Heute möchte ich einen Dialog posten, den ich mit einem meiner Weggefährten auf meiner Reise des Verstehens, der anonym bleiben möchte, geführt habe. In diesem geht es um das typische Verhaltensmuster der Menschen, wenn es darum geht alte Paradigmen umzustoßen und neue Wege zu gehen.

Herr …

Ich habe regelmäßig Ihre sehr interessanten und lesenswerten Beiträge zu verschiedenen Themen aus Verhaltensökonomik, Psychologie etc. gelesen. Daher interessiert mich Ihre Meinung zum Modell “Homo Oeconomicus” besonders. Ist dieses Modell noch zeitgemäß? Oder ist es wie mit der katholischen Kirche und Galileo Galilei: man weiß zwar längst, dass dieser Wissensstand überholt ist, kann es aber aus gesellschaftlichen Gründen nicht akzeptieren, dieses Konzept zu verwerfen? Ich danke Ihnen für Ihre Einschätzung. Über den folgenden Link können Sie eine aktuelle Debatte der Ökonomen zu notwendigen Änderungen in der Ökonomie verfolgen.

Conny Dethloff

Vielen Dank für Ihr Feedback. Ich denke mit dem Modell des Homo Oeconomicus erhält man sich eine Scheinsicherheit aufrecht, die die meisten Menschen brauchen, um ruhiger zu leben. Dieses Modell ist ein sehr gutes Beispiel, dass wir uns schwer tun, nichtlinear und zirkulär zu denken. Wir bevorzugen die lineare Variante. Diese wird ja auch in unseren Bildungseinrichtungen gelehrt. Theorie und Praxis wechselwirken aber beidseitig aufeinander. Man versucht Erscheinungen der Umwelt griffig zu machen und stellt dafür eine Theorie auf. Diese Theorie wirkt aber auch zurück auf die Praxis, da durch die Theorie Spielregeln aufgestellt werden, an denen sich die Spieler halten wollen oder müssen (aber nicht immer). Man erhält das Henne-Ei-Problem, also ein Paradoxon, was aus der zweiwertigen Wissenschaft ausgeschlossen ist, quasi als nicht existent deklariert wird. Nur weil wir aber etwas weg definieren ist es deshalb nicht gleich weg.

Man geht in der Mainstream-Ökonomie immer noch von einem komplett rational denkenden und handelnden Menschen aus. Man schafft damit Spielregeln, die die Menschen dann auch so handeln lassen. Das nimmt man dann als Beweis für das Modell. Mit dem Aufstellen von Modellen sind wir aber nicht nur Beobachter, sondern auch Akteur. Hat man dies erkannt, kommt man auch sehr schnell zu der Einsicht, dass Modelle regelmäßig validiert werden müssen und niemals fertig sein können. Aus der Spirale kommt man nicht heraus. Man zieht aber leider nur den linearen Schluss von der Theorie zur Praxis, leider nicht zurück. Verhalten sich Menschen nicht rational, sondern emotional, dann hakt man dies unter Ausnahme oder “Krankheit des Akteurs” ab. Die Theorie bleibt unangetastet. Das ist der Fehler.

Aus meiner Sicht kann man nicht entscheiden zu wie viel Prozent Rationalität oder Emotionalität in die Entscheidungen von Menschen einzahlen. Menschen sind nämlich “nichttriviale Maschinen”. Wenn die Ökonomen sich dieses Nichtwissen eingestehen würden, graben sie sich ihrer Meinung aber ihr eigenes Grab. Mehr Demut gegenüber dem Nichtwissen ist angesagt. Dann kann man auch ganz bewusst mit der Unsicherheit umgehen. Das ist dann aus meiner Sicht der Übergang von Quantitäten zu Qualitäten. Für Quantitäten haben wir Berechnungsvorschriften, die man anwenden kann. Geniale Scheinwelt. Für Qualitäten haben wir diese Berechnungsvorschriften nicht. Also weg damit. Komplexität muss reduziert werden.

Manchmal helfen Analogons, um eine Problematik plastischer darstellen zu können. Ich nehme das Beispiel Fußball. Wir haben Spielregeln aufgestellt, wie beispielsweise, dass Tore geschossen werden müssen, um zu gewinnen. Also versuchen Spieler Tore zu schießen. Niemand wundert sich darüber. Theorie wirkt auf Praxis. Spielregeln haben aber auch Schlupflöcher, die ausgenutzt werden können. Nimmt man wahr, dass ein Spieler kein Tor schießen will, hakt man dieses nicht einfach als Ausnahme ab, sondern hinterfragt. Ist hier vielleicht Mauschelei oder Betrug im Spiel? Man ändert unter Umständen die Spielregeln, also das Modell, bzgl. Wetten etc. Praxis wirkt auf Theorie. Hier macht man also den Rückschluss.

Wie stehen Sie zu dem Modell?

Herr …

Ich bedanke mich für Ihre Antwort. Ihrem Modell kann ich zu 100 Prozent zustimmen. Gerade Dan Ariely hat mit seinen Forschungsarbeiten in der Altruismusforschung einige wichtige Beiträge (ich drücke es jetzt mal nicht fachmännisch aus) zum “Schummel”-Verhalten in Gesellschaften und zu möglichen Anreizen einer “fairen” Welt gegeben. Ihr letztes Beispiel zum Fußball drückt dies perfekt aus. Menschen verhalten sich dann kooperativ, wenn sie erwarten, dass andere das auch tun. Es gibt eine tolle Forschungsarbeit mit Trustees und Kunden, wo im Versuchsmodell der Kunde an den Trustee Geld lieh und der Trustee dem Kunden nach einer bestimmten Zeit den “Gewinn” auszahlte. Das Ergebnis zeigte, dass sich alle Beteiligten vertrauen, je mehr Vertrauen der Kooperationspartner zeigte.

Ich möchte jetzt auch gar nichts mehr dazu sagen, weil Sie alle wichtigen Punkte auf den Punkt gebracht haben. Wie Sie es in einem Ihrer Artikel so schön ausgedrückt hatten: Emergenz und Black Box-Problematik etc. (nicht abschließende Aufzählung). Was ich nicht ganz verstehe, ist die Tatsache, dass ein System, das widerlegt worden ist, immer noch mit der Begründung gehalten wird, dass das neue System noch nicht alle Konstellationen erklären kann und somit unvollständig ist. Und sich Fachleute wie Michael Hüther und Hans-Werner Sinn sowie Bert Rürup eine “goldene” Nase mit ihren Talkshow-Auftritten verdienen.

Vielleicht muss es noch bessere mathematische Beweise geben, als es sie längst gibt.

Conny Dethloff

Zu Ihrer Frage am Schluss habe ich folgende Sichtweise.

1. Das Widerlegen der Systeme wird zum großen Teil nicht zugelassen. Ich möchte mich auf das Modell des Homo Oeconomicus beziehen. Viele Ökonomen sind mit diesem Paradigma groß geworden. Ihr ganzes Leben und ihre ganze Arbeit basiert auf diesem Modell. Ein Negieren dieses Modells bedeutet zwangsläufig ein Negieren ihres Lebenswerkes. Dass sie das verhindern wollen, kann ich emotional nachvollziehen, was nicht bedeuten soll, dass der Umsturz nicht notwendig ist. Kratzer am Modell werden also nicht zugelassen.

2. Auch wenn man Kratzer zulassen würde, sprich wenn man sich auf eine Diskussion bzgl. Pro und Contra einlassen würde, werden die gefundenen Fakten nicht fair auf die verschiedenen Behauptungen reflektiert. Ich möchte das an einem Beispiel konkretisieren, dem Modellieren. Wie Sie wissen, bin ich Verfechter der Methode des Modellierens. Beim Modellieren werden die mentalen Modelle der Diskursteilnehmer offen gelegt, in dem beispielsweise mittels Ursache-Wirkungsbeziehungen die Argumente zu einem Wirkungsnetz vervollständigt werden. Viele Gegner des Modellierens sagen, dass es unmöglich ist die Welt zu modellieren und auf dieser Basis objektive Entscheidungen zu treffen. Das ist richtig. Das ist aber grundsätzlich richtig. Egal wie ich zu Entscheidungen komme, sie sind stets subjektiv und basieren niemals auf der “richtigen” Realität. Ich entgegne, dann stets dass wir nicht nicht modellieren können. Auch wenn wir es nicht explizit betonen, aber stets wenn wir unsere Umwelt wahrnehmen und Faktoren gegeneinander abwägen und auf dieser Basis Entscheidungen treffen, modellieren wir. Das machen wir dann meistens im Kopf, ohne dass wir diese Beziehungen explizit machen. Dann bleiben diese Beziehungen für die Mitdiskutanten aber unsichtbar. Das Finden einer gemeinsamen Sprache, mit der man Probleme beschreiben und Lösungen formulieren kann, wird unmöglich. Man wird mit der Methode des Modellierens im schlechtesten Fall gleich gut bleiben, oft aber besser.

Neue Ideen werden also meist abgebügelt, weil Begründungen gefunden werden, die ein komplettes Heilen der Welt mit diesen Ideen im Wege stehen. Das die derzeitig vorherrschenden Ideen dies auch nicht tun, wird ausgeblendet. Warum blendet man diese aus? Hier ziehen wieder die Fakten aus 1. Wir tun uns leichter alte eingesessene Paradigmen zu bestätigen. als diese zu hinterfragen. Fakten, die zur Bestätigung der Paradigmen beitragen werden sehr hoch gewichtet, da sie die eigene Identität bestätigen.

Welche Erfahrungen machen Sie mit Mitmenschen, die “Paradigmenreiter” sind? Die Bezeichnung “Paradigmenreiter” soll nicht despektierlich klingen. Ganz im Gegenteil. Wie ich oben bereits ausgeführt habe, habe ich Verständnis für diese Menschen, da ich sie nachvollziehen kann. In bestimmten Bereichen kann ich mich sicherlich auch nicht davon frei machen. Wie versuchen Sie mit diesen Menschen umzugehen?

Herr …

Ich freue mich über unseren Diskurs. Natürlich bin ich mir der Tatsache bewusst, dass Paradigmen in der von Ihnen beschriebenen Weise wirken und Wissen somit nicht objektiv als richtig oder falsch, sondern der jeweiligen Gesellschaftsform und ihren Trägern dienlich sein müssen. Aber gerade da finde ich, sollten wir in der heutigen Zeit (mit einem Geschichtsverständnis, das die alten Fehler der Vergangenheit vielleicht einmal abschüttelt, um neue, für die Gesellschaft förderliche Sichtweisen und Erkenntnisse vorzubringen). Habermas hat mit seiner Diskursethik (herrschaftsfreie Kommunikation und die in einen Diskurs jeweils neu zu entwickelnden Geltungsansprüche durch Aushandeln des “besseren” Arguments als den Systemimperativen Macht, Geld oder reiner Zweckrationalismus einen -wie ich finde- wichtigen Beitrag geliefert.

Ich komme auf das Thema eigentlich deshalb, weil ich auf Phoenix eine Sendereihe zur “Inquisition” im Mittelalter gesehen habe und mir war gar nicht bewusst, dass es Päpste (Benedikt IV.) gab, die schon sehr früh neue Denkweisen der Naturwissenschaften zulassen wollten, aber von den Kardinälen, die Angst hatten, die katholische Kirche würde ihre Deutungshoheit verlieren, diese Denkweisen blockierten. Galileos Sichtweisen (hervorgerufen durch Kopernikus) wurden sogar intern in der Kirche als “allgemeines Wissen” anerkannt. Nur nach außen musste man den Schein wahren.

Natürlich kann ich Menschen verstehen, dass Sie Ihren Status und das Wissen, das diesen legitimieren soll, sichern wollen. Aber ich glaube, wir müssen in der heutigen Zeit, in der die Märkte und die Weltwirtschaft immer erbarmungsloser werden, neues, innovatives Wissen generieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und das entsteht meines Erachtens nur durch “Rulebreaker” (übrigens sehr empfehlenswertes Buch von S.G. Janszky), die eben nicht nur den Mainstream denken, sondern Innovationen schaffen.

Ich teile Ihre Auffassung zum Modellieren voll. Ich glaube, dass schafft Transparenz im Denken.

Conny Dethloff

Ich finde unseren Diskurs ebenfalls sehr interessant. Ich bin voll mit Ihnen. Wir müssen unsere Denk- und Handelsweise überdenken. Das ist eine lange Reise und beginnt bereits im Kindesalter, damit sie nachhaltig sein kann. Es gibt wahrscheinlich viele Ansätze. Nur derzeit sehe ich nur verschiedene kleine Puzzleteile, die erst zu einem Bild geformt werden müssen. Die Diskursethik von Habermas ist sicherlich eines dieser Puzzleteile. Haben Sie gutes Material dazu? Ich möchte mich da ein bisschen näher belesen.

Mir fehlt aber wie gesagt der Ausblick, diese vielen sehr guten Ansätze zu operationalisieren. Wir sind noch viel zu sehr in der heutigen Welt der Quantitäten verwurzelt. Das lässt ein Denken in Qualitäten zwar zu, jedoch nicht das Handeln. Wo könnten die Hebel sein?

Herr …

Informationen zu Habermas habe ich Ihnen gesendet. Ich habe in letzter Zeit begonnen, mich mit Akerlof und Stiglitz zu beschäftigen, die ein Modell der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Angebot und Nachfrage am Beispiel des Gebrauchtwagenmarktes herausgebracht haben. Dieses Modell haben sie erweitert und übertragen auf die Problematik von moral hazard, also gegenseitigem Vorenthalten von Informationen der obersten und untersten Ebene eines Unternehmens und der dadurch entstehenden Informations-Lücke. Hier kann ich auf das Buch Animal Spirits verweisen. Dort wird zwar nicht die eigentliche wissenschaftliche Theorie beschrieben, aber die Beschreibung der Ursachen der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 sowie das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten verschiedener Wirtschaftskrisen der Vergangenheit (z.B. Asienkrise) und möglicher Lösungsansätze für die Zukunft. Weitere Informationen finden Sie weiterhin hier und hier.

Conny Dethloff

Sie schreiben: “Habermas hat mit seiner Diskursethik (herrschaftsfreie Kommunikation und die in einen Diskurs jeweils neu zu entwickelnden Geltungsansprüche durch Aushandeln des “besseren” Arguments als den Systemimperativen Macht, Geld oder reiner Zweckrationalismus einen – wie ich finde – wichtigen Beitrag geliefert.”

Ich möchte darauf Bezug nehmen, soweit ich Habermas aus den von Ihnen mir zugestellten Dokumenten verstehe. Habermas geht bei seiner Diskursethik von einer idealen Sprechsituation aus. Das bedeutet:
1. Alle Subjekte verhalten sich in der idealen Sprechsituation rational.
2. Alle Subjekte haben die gleiche Möglichkeit, sich zu äußern.

Widerspricht dass nicht den Erkenntnissen Akerlofs, der klar formuliert, dass Menschen sich nicht rational verhalten, sondern in einem hohen Maße Werte und Normen eine Rolle spielen, und dass Informationen niemals gleichverteilt sind, sondern asymmetrisch? Mir kommt es so vor, als wenn Habermas zwar eine Theorie aufstellt, die Qualitäten integriert, diese aber nur in Umgebungen der Quantitäten praktisch umsetzbar sind. Man hat also nicht viel gewonnen.

Wie sehen Sie das?

Herr …

Sie haben vollkommen Recht. Akerlof und Habermas stehen diametral entgegen. Ich habe Habermas in den Diskus gebracht, um zu zeigen, dass wir eben nicht die (wie wir es durch unsere Sozialisation in der Schule, Ausbildung, Universität etc.) postulierten Werte wie z.B., dass es wirklich nach Leistung geht und das bessere Argument sich durchsetzt im Diskurs, leben. Habermas sagt nämlich, dass es Subsysteme (wie die Judikative und die Wirtschaft) gibt, die nicht den Regeln des kommunikativen bzw. verständigungsorientierten Handelns unterliegen. Diese Bereiche nennt er Bürokratie. Sie unterliegen seiner Meinung nach dem zweckrationalen, nutzenorientierten und auf der Basis von Macht basierenden Kriterien. Dadurch, dass seiner Meinung nach alle anderen Bereiche dem verständigungsorientierten Handeln unterliegen oder unterliegen sollten, kann es Schwierigkeiten bei der Verständigung in beiden Bereichen geben. Für mich ist Habermas daher weniger ein Philosoph im eigentlichen Sinne, der ein neues Denksystem erschafft, sondern das bestehende aufzeigt. Zu beachten ist auch, dass Habermas zwischen Lebenswelt (a tergo) und System (a fronte) unterscheidet.

Akerlof hingegen entwirft -meines Erachtens- ein Zukunftsmodell, da er den Menschen auf Basis von Forschungsarbeiten aus der Hirnforschung und Verhaltensökonomik neu definiert (oder vielleicht gerade nicht mehr definiert?!). Er möchte darauf aufmerksam machen, dass es einen Herdentrieb gibt, der die Menschen blind macht für Risiken, die die Grundlagen ihrer Gesellschaft zerstören können (Börsen, Rating, Derivate). Auf der anderen Seite will er aufzeigen, dass Unternehmen besser funktionieren, wenn sie die Mitarbeiter besser in ihre Prozesse einbinden, da diese dann auf der Mikroebene besser und engagierter zusammenarbeiten. Nicht mehr Geld soll ein Anreizsystem für mehr Leistung sein, sondern Beteiligung durch Einbindung in die Unternehmenskultur.

Ich hoffe, ich konnte den Unterschied deutlich machen. Habermas habe ich nur zitiert, da ich die bestehende Wirklichkeit der nicht auf rationaler Basis orientierten, aber so postulierten Diskurskultur kritisieren wollte. Natürlich haben Sie mit Ihrem Einwand recht. Beide stehen diametral entgegen. Ich favorisiere Akerlof, aber bin mir bewusst, dass wir noch meilenweit von dem entfernt sind. Also hoffe ich, dass wir mit Habermas und seinem “Rationalismus” die Systeme Geld und Macht etwas verschieben können. Ich hoffe, ich konnte diese Ungereimtheit etwas aufklären.

Conny Dethloff

Die Theorie der asymmetrischen Informationen von Akerlof lässt sich m.E. auch auf die Schwierigkeit reflektieren, die besteht, neue Denkrichtungen zu platzieren. Angenommen Ich habe eine neue Idee, die alte Paradigmen umstoßen. Wenn ich davon ausgehen kann, dass alle Menschen, denen ich diese Idee vortrage, die gleichen Informationen haben, müssten sie dieser Idee offen gegenüberstehen. Das ist aber nicht realistisch. Die Informationen sind ungleichverteilt. Bzgl. alter und neuer Denkweisen stellt sich stets ein Gleichgewicht ein, worauf sich auch auf die Erzeugung neuer Ideen auswirkt, denn die Menschen möchten ja, dass sie gehört werden. Eine Spirale nach unten beginnt, was dazu führt, dass “Inhaber” radikal neuer Ideen von der Bildfläche verdrängt werden. Dadurch verhindern wir einen Umsturz der alten überholten Paradigmen. An dieser Stelle ist ein Prozessmusterwechsel notwendig. Aufgrund der ungleich verteilten Informationen ist aber oft nur eine Funktionsoptimierung möglich. In einigen Bereichen, vor allem im Sport, kennt man einige Beispiele für diese Prozessmusterwechsel. Ein Beispiel ist der schwedische Skispringer Jan Boklöv, der den V-Stil erfunden hat. Vielleicht ist dieses Beispiel nicht ganz passend, denn Bokolöv hatte im Parallelstil keine Chance vorne mit zuspringen. Also konnte er sich entscheiden, zwischen Mittelmaß im Parallelstil oder Ausgrenzung, wegen Verlachens des V-Stils. Sein Risiko zu verlieren war also nicht so groß, wie beispielsweise, dass eines Wissenschaftlers, der sein ganzes Lebenswerk riskiert, wenn er unpopuläre Ideen vertritt.

Hier hat man es also mit einem Problem zweiter Ordnung zu tun. Probleme, die wir mit den alten Modellen erkennen, gründen auf dem Vorhandensein von asymmetrischen Informationen. Ein Umstoßen dieser alten Modelle ist aber genau deshalb schwierig, weil nämlich genau diese asymmetrischen Informationen bestehen.

Was denken Sie?

Herr …

Ich denke darüber genauso, wie Sie es dargestellt haben. Toll finde ich auch immer Beispiele aus dem Sport (wie Ihr Beispiel), weil diese uns eher einleuchten. Für mich ist es immer die gleiche Frage, die hinter solchen Überlegungen steht: Wollen wir effizienter handeln und das bestehende System optimieren oder effektiver werden und etwas Neues wagen. Dem Neuen fehlt natürlich die Akzeptanz und es fehlen praktische Erfahrungen. Deshalb sagen dann viele Menschen (sogenannte selbst ernannte Praktiker), das Neue lässt sich praktisch nicht umsetzen. Und so werden Chancen vertan, sich von anderen positiv abzusetzen.

Ich finde auch das Beispiel vom Affen, der eine Banane vom Baum holen will, geeignet. Wenn der Affe immer nur springen würde, bis er vielleicht mal die Banane erreicht hat, wird er lange brauchen. Wenn er aber nachdenkt und sich ein Hilfsmittel sucht, wird er zwar zunächst Zeit gebrauchen, um sich dieses Hilfsmittel zu besorgen bzw. ggfs. eine Konstruktion zu bauen, aber er wird letztlich auch wieder Zeit einsparen.

Genauso sehe ich das auch mit Innovationen. Diese sind notwendig, um uns im Wettbewerb auf wirklich wichtige Dinge konzentrieren zu können. Etwas Neues zu schaffen bedeutet immer auch Zeitverzögerung. Kein Reiz-Reaktions-Schema, sondern ganzheitlicher denken, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Übrigens, ein weiteres Beispiel aus dem Sport sehe ich im Tennis mit Roger Federer. Der spielt seit Jahren ohne Verletzung auf höchstem Niveau, weil sein Spiel und seine Schläge so harmonisch sind, dass er weniger Kraft aufwenden muss.

Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Daniel Kahnemann hat herausgefunden, dass der Mensch mehr Angst vor Verlusten hat, als mögliche Gewinne einzustreichen. Das hat mit dem Belohnungssystem im Gehirn zu tun. Deshalb haben es Neuerungen besonders schwer, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden.
Es schließt sich der Kreis. Wie ich eingangs in meiner ersten Email gesagt habe, bleibt es der Mathematik vorbehalten, den Beweis oder Gegenbeweis des Homo Oeconomicus zu führen. Da ich mathematischer Laie bin, möchte ich nur kurz stichwortartig Beispiele geben. Vielleicht können sie Licht ins Dunkel bringen.

Der Mensch lebt nach dem Modell des erwarteten diskontierten Nutzens – platt ausgedrückt – vom Nutzen, den er so früh wie möglich realisiert. Demnach ist der Mensch ungeduldig. Außerdem schaut er nach dem Modell des Nash-Gleichgewichtes auf die Erwartungen der anderen. Danach handeln sie rational, was in der Praxis so nicht vorkommt. Außerdem gibt es das Modell der optimalen Lebensplanung nach Samuelson, nach dem sein Vergnügen oder Missfallen am Leben durch Konsum ermittelt wird und er demnach vom Standpunkt der Gegenwart aus immer ein begrenztes Vergnügen am Konsum hat. Das ist von mir bewusst etwas provozierend formuliert. Ich habe diese Beispiele aus der Fachzeitschrift Spektrum der Wissenschaft Spezial “Wie entscheiden wir?” und finde diese geeignet, näher zu beleuchten.

Conny Dethloff

Vielen Dank für Ihre Ergänzungen. Unsere Unterhaltung gefällt mir ungemein, da sie Erkenntnis für mich generiert. Ich möchte kurz zusammenfassen, bevor ich auf die derzeitige Mathematik eingehe. Diese Zusammenfassung können Sie gerne ergänzen oder revidieren, falls Sie eine andere Sicht haben. Wir haben festgestellt, dass das Modell des Homo Oeconomicus längst überholt ist, dies auch von einigen Menschen hergeleitet wurde, die Ökonomie aber trotzdem noch an diesem Modell festhält. Folgende Gründe haben wir dafür herausgearbeitet.

1. Laut G. Akerlof haben wir es im Markt mit unvollkommenen oder asymmetrischen Informationen zu tun, die das Modell des vollkommen rational handelnden Menschen invalide werden lassen. Die Hürde, die dem Erkennen des Fehlleitens des Modells im Wege steht, ist wiederum der Aspekt, dass wir es mit asymmetrischen Informationen zu tun haben. Es handelt sich also um ein Problem zweiter Ordnung.

2. Der Mensch ist ungeduldig. Er lebt nach dem Modell des erwarteten diskontierten Nutzens, eines Nutzens, den er so früh wie möglich realisiert. Prozessmusterwechsel implizieren aber stets eine Zeitverzögerung. Funktionsoptimierungen helfen aber nicht immer weiter, gerade dann nicht, wenn es um gravierende Änderungen geht. Das haben wir am Beispiel Skispringen erläutert. Ein anderes Beispiel könnte der Hochsprung sein. Es gab mehrere Arten von Sprüngen, bis man letztendlich beim Fosbury Flop gelandet ist. Eine ähnliche Evolutionsstufe müssten wir auch beim Neuschreiben eines Modells für die Ökonomie durchleben, ein Prozessmusterwechsel.

3. Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Daniel Kahnemann hat herausgefunden, dass der Mensch mehr Angst vor Verlusten hat, als mögliche Gewinne einzustreichen. Das hat mit dem Belohnungssystem im Gehirn zu tun. Das Formulieren neuartiger Ideen, die ein allgemein anerkanntes Paradigma umstoßen könnten, kann zum Ausschluss aus der Gemeinschaft führen. Man wird als Verräter eingestuft. Menschen sind “Herdentiere” und stufen solch einen Ausschluss als Verlust ein.
Sie sprechen an, dass die Mathematik eine Vorreiterrolle übernehmen sollte, um die oben angesprochenen Hürden anzukratzen. Hier sind wir m.E. wieder bei dem Verhältnis Qualität vs. Quantität. Die heutige Mathematik ist auf der zweiwertigen Aristotelischen Logik aufgebaut. Diese kennt nur Quantitäten. Qualitäten werden von der Mathematik ausgeschlossen. Detaillierter habe ich das in meinem Logbuch der Reise des Verstehens im Post Behindert unser unzureichendes Zahlenverständnis unser Problemlösen? beschrieben. Das bedeutet aber nicht, dass ich Ihnen nicht Recht gebe. Die Mathematik sollte diese Rolle annehmen, nur muss man sich der Hürde bewusst sein, damit sie eingerissen werden kann.

Herr …

Wie bereits gesagt – freue ich mich über unseren Diskurs. Zu den Punkten 1 bis 3 herrscht Übereinstimmung und Klarheit, wie ich denke.
Die Aussage zur Mathematik hätte ich wohl eher als Frage formulieren müssen. Im persönlichen Gespräch hätte ich durch den Tonfall dieses Aussagesatzes das deutlich machen können. Nichtsdestotrotz möchte ich eine Aussage des Nobelpreisträger Prof. Manfred Eigen (Bio- und Physikchemiker), der auf dem Gebiet der Kinetik von schnellen biochemischen Reaktionen seinen Nobelpreis erhalten hat, in der Sendung “So gesehen” in einem Interview gesagt hat, die Mathematiker seien soweit, die gesamte Welt einschließlich sozialwissenschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme in mathematischer Ausdrucksweise zu erklären.

Gleichzeitig glaube ich (ich weiß es aber nicht), dass wir der Mathematik zu viel Glauben schenken. Ich denke, es verhält sich ähnlich wie mit Habermas Rationalismus. Da alle glauben, Menschen denken und handeln rational, wäre die Methode von Habermas, dem besseren Argument in einer herrschaftsfreien Umwelt Glauben zu schenken, rational. Dass dem nicht so ist, wissen wir und auch Habermas. Ansonsten hätte er nicht konstatiert, dass es Subsysteme wie die Bürokratie gibt. Ich kann ihre Aussage zum Verhältnis Quantität und Qualität nachvollziehen. Ich glaube aber, dass wir – soweit ich das beurteilen kann- auch an der quantitativen Aussagefähigkeit etwas verändern können, in dem wir transparentere Verfahren schaffen, die durch festgelegte Regeln bestimmt werden, die weniger Methodenwechsel erlauben.

Ich möchte gerne noch auf die Erwartungen von Menschen eingehen. Keynes und Nash haben dies schön aufgezeigt. Nach diesem Konzept gehe man im 1. Grad davon aus, dass andere sich keine Gedanken machen. Im 2. Grad geht man davon aus, die anderen denken, man selbst mache sich keine Gedanken. Im 3. Grad entscheidet man, dass die anderen in der Annahme entscheiden, sie machten sich keine Gedanken. Für mich klingt das ein wenig wie Herdentreib.

Ich fühlte mich bei Ihren Artikel über Zahlenverständnis und Problemlösen an meine Schulzeit und mein Abitur zurückerinnert, wo in Mathematik immer nur Übungsaufgaben mit theoretischen Aussagewert vorkamen, leider keine Systematik erklärt wurde (wie das in ihrer Darstellung der Fall ist) und keine praxisbezogenen Übungsaufgaben, womit der Aussagewert für einen Teenager gleich null ist.

Ich möchte aber auf einen mir wichtigen Punkt noch einmal zurückkommen. Das Verhältnis der abhängigen (endogene, erklärte) zur unabhängigen (erklärende, exogene) Variable in Gleichungssystemen. Auf Seite 36 des Buches „Animal Spirits“ von Akerlof wird davon gesprochen, dass Jan Tinbergen. der 1938 ein 48 Gleichungen umfassendes Modell der US-Wirtschaft schuf. 1950 wurde ein weiteres Modell zur Messung der Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten unter Lawrance Klein Ausgangspunkt für ein Projektnetzwerk “Project Link”, “das ökonometrische Modelle aller großen Länder weltweit miteinander verknüpfte und Tausende von Gleichungen umfasste.” S. 36 „Animal Spirits“. Als mathematischer Laie stelle ich mir vor, dass die Herren dort versucht haben, jeweils immer die unabhängige Variable zu erklären?

Conny Dethloff

Auf ihren letzten Punkt möchte ich gerne eingehen.

1. Die Ergebnisse, die ein Modell erzeugt, müssen nachvollziehbar sein. Ein Modell ist stets nur ein Ausschnitt einer zu untersuchenden Thematik. Deshalb gibt es in diesen Modellen auch abhängige und unabhängige Variablen. In der Realität existieren aus meiner Sicht keine unabhängigen Variablen, da alles irgendwie mit allem verknüpft ist. Ein Modell darf nicht zu schwierig aber auch nicht zu einfach sein. Teilweise habe ich das Gefühl, dass sich Menschen mit schwierigen Modellen eine Scheinsicherheit aufbauen, frei nach dem Motto: „Das ist so schwierig, das muss richtig sein.“. Wir müssen Demut gegenüber Unsicherheit zeigen. Wir werden Unsicherheit niemals ganz absorbieren können, auch nicht mit noch so schwierigen Modellen.

2. Beim Modellieren hält uns unsere lineare Denkweise gefangen. Wir glauben, dass komplexe Muster oder Verhaltensweisen auch nur mit komplexen Handlungsanweisungen erzeugt werden können. Das ist aber nicht der Fall. Die Natur lehrt uns das. Ich habe in meinem Post Komplexitäten entstehen aus Einfachheiten, sind aber schwer zu handhaben. dieses Phänomen beleuchtet. Ein gutes einprägsames Beispiel ist das Fangen eines Balles. In diesem Post stelle ich die Ideen von Stephen Wolfram, den Erfinder von Mathematica, vor, der zu diesem Komplex ein ganzen Buch geschrieben hat, A new kind of science.

3. Einen dritten Fehlschluss, den wir ziehen ist, dass wir nicht unterscheiden zwischen Determiniertheit und Vorhersagbarkeit. Das möchte ich gerne ausführen. Determiniert ist etwas, wenn Ursache-Wirkungsverhältnisse ausgemacht werden können. Vorhersagbar ist etwas, wenn man eine Formel definieren kann, die in endlicher Zeit lösbar ist und wenn alle Parameter der Formel beliebig genau bestimmt werden können. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Determiniertheit und Vorhersagbarkeit. Ist eine Situation vorhersagbar muss sie determiniert sein. Der umgekehrte Fall gilt nicht. Es gibt determinierte Situationen, die nicht vorhersagbar sind. Die Chaostheorie hat hier ein bisschen Licht ins Dunkel gebracht. Dazu empfehle ich Ihnen meinen Artikel Was hat Unternehmensführung mit Chaostheorie und Quantenmechanik zu tun?

Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Würfeln ist determiniert, denn die gewürfelte Augenzahl hängt ab von der Größe des Würfels, der Rutschfestigkeit des Untergrundes, Abstand der Hand zum Untergrund, Winkel des Aufpralls des Würfels auf dem Untergrund, der Kraft etc. Eine Formel dafür kenne ich nicht. Sie ist aber theoretisch denkbar. Aber auch wenn diese Formel in endlicher Zeit lösbar wäre, ist es schwierig, beliebig genau die oben angeführten Parameter zu bestimmen. Das Würfeln einer Augenzahl ist also nicht vorhersagbar. Statistisch gesehen wissen wir zwar, dass jede Augenzahl mit der Wahrscheinlichkeit 1/6 fällt. Dafür benötigt man aber sehr viele Versuche. Es bringt also nichts für einen bestimmten Wurf die Augenzahl vorherzusehen. Es bleibt ein Raten.
Es gibt auch einen Artikel im Netz, der die Erkenntnisse von Keynes aus der Sicht der Chaostheorie beleuchtet, wirklich sehr interessant.

Die Unterscheidung von Faktoren in abhängig und unabhängig ist also unserer Reduktion der Wahrnehmung der Umwelt geschuldet. In der Realität, die wir niemals wahrnehmen können, gibt es keine unabhängigen Variablen. Hier muss man natürlich sehr konkret werden, da man an dieser Stelle das Thema “Freier Wille” thematisiert. Details habe ich in meinem Post Kann ein freier Wille bedingt sein? reflektiert.
Ich hoffe ich habe sie jetzt nicht mit Lesestoff überladen. 🙂

Herr …

Ich möchte einige Punkte kurz herausstellen.

1. In dem Artikel über Keynes wurde George Soros erwähnt. Der hat mit seiner Boom-/ Bust-Theorie die Gleichgewichtstheorie widerlegt. Die Gleichgewichtstheorie geht auch mit dem Modell des “Homo Oeconomicus” einher. Wir haben dies bisher nicht explizit erwähnt, aber diese Theorie ist natürlich auch überholt.

2. Wir können Komplexitäten schon mit einfachen Mitteln überschauen: indem wir die Heuristiken der Intuition nutzen.(S. Gerd Gigerenzer)

3. Die Intuition baut auf dem Bewusstsein auf. Hier unterscheiden wir bedachte, unbedachte und unbewusste Zustände.

4. Darauf aufbauend können wir die Freiheit definieren durch die Urheberschaft und die Autonomie des Handelnden. Es bleibt aber das sogenannte prozedurale Gedächtnis, das auf rein unbewusstem Verhalten (nicht Handeln, das wäre intentional) basiert. Kann man dies wirklich als frei bezeichnen? Einen Reflex?

5. Freiheit ist begrenzt durch den Habitus – die „soziale Persönlichkeitsstruktur“ – die den Mitgliedern einer Gruppe gemeinsamen psychischen Merkmale innewohnt”, Pierre Bourdieu. Aber begrenzt heißt nicht determiniert. Jeder kann durch Bildung (kritisches Hinterfragen) aus den Schranken der ihm vorgegebenen Wert- und Normvorstellungen heraustreten.

6. Ein Freiheitsbegriff im Sinne der Hirnforschung müsste als eine Lücke im Kausalzusammenhang auf neuronaler Ebene zeitigen. Sie haben in Ihren Artikel zur Definition von Freiheit richtigerweise darauf hingewiesen, dass Freiheit nicht durch einen bis in seiner letzten Ursache aufgezeigten Wirkungszusammenhang entsteht. Das zeigen auch die Zusammenhänge der Unschärferelation, dass es einen “unbewegten Beweger” nicht geben muss, um naturwissenschaftliche Phänomene zu beschreiben. Nichtsdestotrotz können Hirnforscher mit Hilfe neuerer, genauerer Verfahren der fMRT, insbesondere durch bessere räumliche Auflösung auf unter einem Millimeter, des ASL (Artial Spin Labeling) Aufschluss von Veränderungen der Ergebnisse durch Einnahme von Medikamenten oder Kaffee- und dem Initial Dip (der kurzzeitigen Abnahme des Sauerstoffgehaltes im Blut, der bis dato nicht angemessen gemessen werden konnte) die Aussagefähigkeit ihrer Ergebnisse erweitern. Gedankenlesen wird aber hoffentlich nie möglich sein.

7. Ich möchte Ihnen die Semiotik von Charles Sander Peirce kurz vorstellen, da Sie in einem Ihrer Artikel auf Kommunikationsprobleme hingewiesen haben. Bei der Semiotik von Peirce handelt es sich hierbei um ein sehr differenziertes Kommunikationsmodell, das in der Tradition des Pragmatismus, dem auch Habermas unterliegt, steht. Es geht hierbei um ein Modell, dass Zeichen Ihren Ausdruck in Gedanken, Gefühlen, Handlungen, Dingen und Situationen in sprachlichen und nichtsprachlichen Kommunikationsmodellen finden. Ausgehend auf einem Modell von John Locke steht eine Erklärung einer triadischen Zeichenrelation (Zeichenmittel, Objekt, Idee), denen wiederum eine Triade von Möglichkeit, Realität und Regelhaftigkeit von Aussagen gegenübersteht. U.a. geht es hierbei darum, dass Zeichen einen Objektbezug sowie eine Metarepräsentation der Beziehung zwischen Zeichenmittel und Objekt darstellt.

8. Es gibt in der Genetik eine Unterscheidung zwischen aktuellen (veränderlichen) und potentiellen (praktisch unveränderliche) Einflussgrößen und den Begriff der kausalen Spezifität. Jede Ursache hat hierbei eine eindeutige Wirkung. Jede Wirkung nicht zu viele verschiedene Ursachen.

Conny Dethloff

Danke für den offenen Diskurs. Jetzt habe ich wieder ausreichend Stoff zum Nachdenken und Verbinden.

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Entscheidungsprozesse in Unternehmen unterliegen oft einer unangemessenen Trivialisierung

In Entscheidungssituationen erlebe ich es häufig, dass die Beteiligten aneinander vorbei reden und es häufig gar nicht merken. Der Grund dafür ist, dass sich die Beteiligten nicht oder zu wenig über ihre eigenen Prämissen, auf die ihre Entscheidungen beruhen, im Klaren sind. Diese Behauptung möchte ich an Erkenntnissen aus der Ethik erklären und an einem derzeit sehr prominenten Beispiel, dem bevorstehenden Konkurs Schleckers, erhärten. Doch bevor ich loslege, möchte ich einige Begriffe klären.

Was ist Moral, Ethik und Unernehmensethik?

Als Moral wird häufig der Gesamtbereich der Normen für menschliches Verhalten mit Anspruch auf unbedingte Gültigkeit bezeichnet. Ethik dagegen ist die Wissenschaft von Moral. Diese Definition wie auch viele meiner Ideen dieses Posts habe ich übrigens aus einer Vorlesung namens “Einführung in die praktische Philosophie”, die von Herrn Prof. Dr. Hübner an der Leibniz Universität Hannover gelesen wurde, generiert. Die Vorlesung können Sie über itunes U nachverfolgen.

Wenn Sie eifriger Leser meines Logbuchs sind, dann haben Sie jetzt sicherlich einen Unterschied in dieser Definition von Ethik und Moral zu den Ausführungen festgestellt, die ich in meinem Post Dialog zu den Themen Komplexität, Entropie, (Nicht)Wissen und ihre Auswirkungen auf Ethik und Entscheidungen getätigt habe. Dazu habe ich Prof. Dr. Hübner befragt, worauf er mir die folgende Antwort per Mail gesendet hat.

Försters Unterscheidung scheint mir mit der Begriffsverwendung von Diskursethikern (vor allem Habermas) verwandt zu sein: Dort betrifft das “Moralische” Fragen der zwischenmenschlichen Beziehungen, des gerechten Zusammenlebens, der verbindlichen Normen. Das “Ethische” gilt dort als der Bereich der privaten Lebensführung, des guten Lebens, der individuellen Werte. Diese andere Begriffsverwendung bei Habermas und seinen Nachfolgern führt leider immer wieder zu Verwirrung (genau genommen ist damit schon der Ausdruck “Diskursethik” falsch, was Habermas selbst auch erwähnt). In der Vorlesung fehlte leider die Zeit, diese Komplikation anzusprechen. Es scheint mir, dass von Försters Verständnis stark in diese diskursethische Richtung tendiert. Vielleicht hat Förster sich auch am englischen Sprachgebrauch orientiert. Dort kann “ethics” grundsätzlich synonym mit “morality” verwendet werden, steht aber auch dafür offen, bestimmte Sektoren des Gesamtbereichs des “Moralischen” auszuzeichnen. Evtl. hat er seine Begriffsverwendung also auch vom englischen Sprachraum aus entwickelt.

Unternehmensethik ist dementsprechend ein Teilgebiet der Ethik, in der man sich grundsätzlich mit Handlungen und Entscheidungen befasst, die in Unternehmen anfallen.

Die 3 Sichtweisen auf Handlungen

Aus der Definition von Ethik kann man relativ leicht einsehen, dass man sich bei der Bewertung von Handlungsoptionen auf Erkenntnisse der Ethik stützen sollte. Tut man dies nicht, wie sehr häufig in der Praxis zu beobachten ist, kann man sehr leicht in vertrackte Situationen hineinrutschen, da wichtige Aspekte nicht beachtet werden. Bewertungen von Entscheidungs- und Handlungsoptionen lassen sich von 3 verschiedenen Gesichtspunkten aus beleuchten:

  • aus Sicht der Motivation für eine Handlung
  • aus Sicht der Handlung an sich
  • aus Sicht der Konsequenzen der Handlung

Wenn die Beteiligten, die unterschiedliche Handlungsoptionen bewerten müssen, die Sichtweisen nicht mit in die Bewertung einbeziehen, wird in der Regel ein Ergebnis erzeugt, welches nicht valide sein kann, oder wenn dann nur zufällig, nämlich dann, wenn alle Beteiligten sich unbewusst auf eine gemeinsame Sichtweise beziehen. In der Ethik gibt es Richtungen, die sich mit den jeweiligen Sichtweisen befassen. Die Tugendethik beleuchtet Handlungen aus der Motivation der Handelnden heraus. Die Deontologie tut dies aus Sicht der Handlung an sich heraus und die Teleologie aus Sicht der Konsequenzen der Handlung. Alle 3 Richtungen haben entsprechende Befürworter. Aristoteles und Platon sind Befürworter der Tugendethik, bewerten Handlungen also hauptsächlich aus Sicht der Motivation der Handelnden heraus. Immanuel Kant und Jürgen Habermas sind Deontologen. Für sie sind bei der Bewertung von Handlungen die Handlungen an sich interessant. Utilitaristen konzentrieren sich auf die Konsequenzen von Handlungen, sind also Teleologen. Vertreter dieser Richtung sind Jeremy Bentham und Henry Sidgwick.

Ein konkretes Beispiel

Ich möchte, wie oben angedeutet, ein ganz konkretes Beispiel heranziehen, an dem ich die Gefahren demonstriere, die sich einstellen, wenn man Entscheidungssituationen unangemessen trivialisiert, sich also nicht auf die Erkenntnisse der Ethik beruft. Wenn Trivialisierung als unangemessen bezeichnet werden kann, muss es auch angemessene Trivialisierung geben, da sonst diese Bezeichnung keinen Sinn machen würde. Mit angemessener Trivialisierung meine ich die Reduktion, die wir Menschen bei der Wahrnehmung von Signalen aus der Umwelt machen. Da kommen wir gar nicht darum herum. Das habe ich schon des öfteren in meinem Logbuch beschrieben. Des Weiteren reduzieren wir auch, wenn wir unsere Ideen und Gedanken mittels Sprache äußern und diese mit den Mitdiskutanten abstimmen. Auch das ist notwendig und unumgänglich, da wir unsere Gedanken erst in Symbole der Sprache verpacken müssen. Dabei müssen wir Informationsverlust in Kauf nehmen. Diese Trivialisierung ist also angemessen, weil sie notwendig ist. Dagegen existiert aber auch unangemessene Trivialisierung, also Reduktion, die vermeidbar ist. Diese Reduktion beleuchten wir in dem kommenden Beispiel.

Das Management von Schlecker steht derzeit vor der Entscheidung, ob Mitarbeiter entlassen werden sollen oder nicht. Nehmen wir einfach mal an, das Management entscheidet sich dazu einen Teil der Belegschaft zu entlassen. Es gibt dann sicherlich viele Diskussionen über die Richtigkeit dieser Entscheidung. Ich möchte mich in diesem Post nicht über “richtig” oder “falsch” richten. Ich möchte die Entscheidung aus verschiedenen Positionen beleuchten und mögliche Argumentationsketten für Pro und Contra aufbauen. Bei der Auswahl der Positionen beziehe ich mich auf die 3 oben genannten Sichten der Ethik. Ein Tugendethiker könnte die Entscheidung, Mitarbeiter zu entlassen, positiv werten als Akt der Entschlossenheit oder der Entscheidungsfreudigkeit des Managements und negativ als Akt der Unüberlegtheit oder des Egoismus. Ein Deontologe könnte die Entscheidung positiv werten, da Manager einfach die Pflicht haben zu entscheiden, auch wenn es sich um so schmerzliche Entscheidungen handelt wie diese. Ein Deontologe könnte die Entscheidung negativ bewerten, da die Mitarbeiter keine Schuld an der Misere bei Schlecker tragen. Ein Teleologe könnte die Entscheidung befürworten, da die Mitarbeiter frühzeitig die Chance bekommen sich umzuorientieren, er könnte sie als negativ einstufen, weil die Mitarbeiter samt Familie ins Unglück gestürzt werden.

Stellen wir uns einmal vor, dass 2 Personen zu einer Handlung diskutieren und diese bewerten möchten. Jede Person kann jeweils eine der 3 Sichtweisen einnehmen. Nur dann, wenn beide Personen die gleiche Sichtweise, also entweder die Handlung aus der Sicht der Motivation für die Handlung, die Handlung an sich oder die Konsequenz aus der Handlung, einnehmen und aus dieser urteilen besitzt das Ergebnis einen Sinn, da die gleiche Basis gewählt wurde. Es gibt also 9 (3*3) verschiedene Variationen an paarweisen Sichtweisen, von denen nur 3 eine gemeinsame Basis bilden. Machen sich die beiden Personen also keine Gedanken um diese gemeinsame Basis besteht eine Chance von 33%, dass das Ergebnis valide ist. Und nun hinterfragen Sie sich einmal, an wie viel Diskussionen dieser Art Sie teilgenommen haben und bei wie vielen dieser erst einmal die gemeinsame Basis im Vorfeld geklärt wurde? In der Regel ist es so, dass die Teilnehmer nicht bewusst mit dem Fokus der Sichtweisen diskutieren, was dazu führt, dass sie nicht kommuniziert haben. Denn Kommunikation ist nur dann möglich, wenn Empfänger und Sender einander an die jeweiligen Argumente anknüpfen.

Um die Sichten, die jeder Diskussionsteilnehmer einnimmt, abzuklopfen, eignet sich die Methode des Modellierens. Beim Modellieren werden die mentalen Modelle der Diskursteilnehmer offen gelegt, in dem beispielsweise mittels Ursache-Wirkungsbeziehungen die Argumente zu einem Wirknetz vervollständigt werden. Viele Gegner des Modellierens sagen, dass es unmöglich ist die Welt zu modellieren und auf dieser Basis objektive Entscheidungen zu treffen. Das ist richtig. Das ist aber grundsätzlich richtig. Egal wie ich zu Entscheidungen komme, sie sind stets subjektiv und basieren niemals auf der “richtigen” Realität. Ich entgegne dann stets dass wir nicht nicht modellieren können. Auch wenn wir es nicht explizit betonen, wenn wir unsere Umwelt wahrnehmen und Faktoren gegeneinander abwegen und auf dieser Basis Entscheidungen treffen, modellieren wir. Das machen wir dann meistens im Kopf, ohne das wir diese Beziehungen explizit machen. Dann bleiben diese Beziehungen aber für die Mitdiskutanten unsichtbar. Das Finden einer gemeinsamen Sprache, mit der man Probleme beschreiben und Lösungen formulieren kann, wird dann unmöglich. Man wird mit der Methode des Modellierens im schlechtesten Fall gleich gut sein, oft aber besser.

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Veröffentlichung meines Logbuchs bei Trainerlink mit der höchsten Einstufung

Mein Logbuch der Reise des Verstehens wurde heute bei Trainerlink, angeboten vom Weiterbildungsportal managerSeminare, mit der höchst möglichen Einstufung (Top) bewertet und in die Datenbank aufgenommen. Meine Seite finden Sie hier, den Tweet hier. Diese Einstufung und die Veröffentlichung erfüllt mich mit großem Stolz und zeigt mir dass ich mit meiner Reise die richtige Fährte aufgenommen habe.

Danken möchte ich Gebhard Borck, der mich mit seinem Affenmärchen auf die Idee gebracht hat, mit Trainerlink in Kontakt zu treten und Daliah Karp von der Online-Redaktion von managerSeminare, die mein Logbuch auf Nutzen und Wertgehalt geprüft hat.

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Verhaltensmuster im Projektmanagement Teil 1: Zielanpassungen

Ich habe oft das zu statische Vorgehen nach den alt bekannten Methoden, wie beispielsweise PMI oder Prince2, im Rahmen von Projektmangement kritisiert. Dabei werden nämlich Dynamiken nicht erkannt und dementsprechend nicht behandelt. Diese Kritik möchte ich zum Anlass nehmen, eine Post-Reihe zu starten, in welcher ich prominente Verhaltensmuster, die wahrscheinlich jeder, der schon einmal in Projekten tätig war, kennt, beleuchte. Dies werde ich stets nach dem gleichen Muster tun. Starten werde ich mit der Beschreibung der Verhaltensmuster. Danach werde ich das Verhaltensmuster in einem qualitativen Modell auf Basis der Systemarchetypen von Peter M. Senge reflektieren. Abschließend werde ich das qualitative Modell quantifizieren und auf Basis von Simulationen Implikationen der Verhaltensmuster validieren. Für die Quantifizierung der Modelle werde ich die System Dynamics Methode nutzen. Die qualitativen und quantitativen Modelle erstelle ich mit dem CONSIDEO MODELER. Mit dieser Post-Reihe komme ich auch dem Wunsch nach, der mich häufig ereilt hat, nämlich aufzuzeigen, wie man von qualitativen zu quantitativen Modellen kommt.

Also legen wir los.

Heute möchte ein oft von mir beobachtetes Szenario thematisieren. Man startet ein Projekt mit hochgesteckten Zielen. Alle Beteiligten sind motiviert. Nach und nach werden in Statusberichten eine Diskrepanz zwischen dem Status und den Zielen festgestellt. Es werden Maßnahmen definiert, diese Diskrepanz zu schließen. Nach einer gewissen Projektlaufzeit, die verbliebende Zeit zum Go Live wird immer kürzer und die Maßnahmen, die man definiert hat, um den Status zu verbessern, fruchten nicht richtig, werden Scopediskussionen entfacht. Man diskutiert, in welchen Bereichen der Scope des Projektes minimiert werden kann. Einhergehend setzt man das ursprünglich gesteckte Ziel des Projektes herunter. Das macht man in dem Glauben, dass dann auf jeden Fall die Diskrepanz zwischen Status und Ziel gestopft wird. Das Datum des Go Live ist heilig, da ein Verschub ja eine große Außenwirkung hat. Kleinere Scopeminimierungen dringen ja nicht so nach außen und falls ja kann man sie ja schön reden oder gar wegdiskutieren. Nur sehr häufig stellt man wiederum nach einer gewissen Zeit auch bei dem minimierten Scope eine Diskrepanz zwischen Ist und Soll fest. Eine Abwärtsspirale wurde entfacht. Warum ist das so? Qualitativ möchte ich dies am Systemarchetyp Erodierende Ziele erklären. Die folgende Abbildung zeigt das qualitative Modell dieses Archetyps, erstellt im CONSIDEO MODELER.

In dem obigen Modell erkennen Sie 2 ausgleichende oder balancierende Schleifen bezogen auf das Gap zwischen Projektstatus und Projektziel. Innerhalb der linken Schleife wird nach der Wahrnehmung des Gaps zwischen Status und Ziel die Anstrenung erhöht, den Status zu verbessern. Das kennzeichnet das “+” an den Pfeilen. Man verfolgt damit die Intension, dass, wenn der Status besser wird, das Gap zum Ziel geschlossen werden kann. Das stellt das “-” dar. Schauen wir uns die rechte Schleife an. Hier reflektieren wir den Fakt, dass ein Projekt nicht losgelöst durchgeführt wird, sondern innerhalb einer Umwelt, die gewisse Erwartungen in das Projekt setzt. Mit Erwartungen geht natürlich der Druck einher. Wenn also das Gap zwischen Status und Ziel groß ist, steigt der Druck dieses schließen zu müssen. Das kann wahrscheinlich Jeder, der in Projekten gearbeitet hat, bezeugen. Diese Beziehung ist mit dem “+” dargestellt. Steigt also der Druck, steigt damit der Zwang, den Scope des Projektes zu verringern, da man dadurch die Ziele heruntersetzt, was wiederum zu einer Verringerung des Gaps führt. Beide Schleifen schwingen sich balancierend auf ein Fließgleichgewicht des Gaps ein. Das bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass das Gap geschlossen wird, was wünschenswert ist. Das Gap kann auch ein Fließgleichgewicht ungleich Null annehmen. Um zu untersuchen, wann je eine der Varianten eintritt und welche Implikationen diese haben, müssen weitergehende Untersuchungen angestellt werden, die man nur durch Quantifizierung des Modells erreicht.

Die folgende Abbildung stellt das finale quantitative Modell dar. Durch einen Klick auf die Abbildung können Sie das Bild vergrößern. Die grün hinterlegten Faktoren sind die Faktoren, die Sie bereits aus dem qualitativen Modell kennen.

Keine Angst, falls Ihnen das Modell zu unübersichtlich erscheint. Ich werde jetzt Schritt für Schritt dieses finale quantitative Modell aus dem qualitativen Modell herleiten, um dann Simulationen zu starten, die Aufschluss geben, wann das Gap Null werden kann und wann nicht. Die Bilder zu den Modellen finden Sie in dieser Datei.

Die Bilder werde ich auf Grund der Übersichtlichkeit in diesem Post nicht direkt einfügen. Ich beziehe mich in meinen Erklärungen stets auf die Folienseite, so dass Sie die Erklärungen gut nachvollziehen können. Des Weiteren werde ich in jedem Schritt, die neu aufgenommenen Faktoren blau hinterlegen.

Schritt 1: Quantifizierung des Modells mit Festlegung der Bestandsfaktoren Projektstatus und Projektziel

Die Folie 3 der oben gelinkten Datei stellt dieses Modell dar. Um ein qualitatives Modell zu quantifizieren, muss man entscheiden, welche Faktoren Bestandsfaktoren sein sollen. Daraus abgeleitet, muss man dann in der Regel Faktoren zufügen, die als Flussfaktoren fungieren. Bestandsfaktoren können im Sinne von System Dynamics nur durch Flussfaktoren erhöht oder gesenkt werden. Manchmal lassen sich auch bereits bestehende Faktoren zu Flussfaktoren umwandeln, aber eher selten. In unserem Fall ist es auch nicht so. Warum habe ich mich nun für Projektstatus und Projektziel als Bestandsfaktoren entschieden? Diese beiden Faktoren sind unsere zentralen Faktoren, über die wir Auswertungen, vor allem über die Zeit hinweg, machen wollen. Beide Faktoren tragen ihre Historie über den gesamten Zeitraum mit, beispielsweise hat der Projektstatus von vor 3 Wochen einen Einfluss auf den Status von heute. Bei Nicht-Bestandsfaktoren, wie beispielsweise der Anstrengung, ist das nur implizit der Fall, über die Historie des Projektstatus. Des Weiteren muss noch erwähnt werden, dass wir “Woche” als Simulationsschrittweite für das quantitative Modell definieren. Die Faktoren werden also bei der Simulation Woche für Woche errechnet. Das macht auch Sinn, da man in der Regel wöchentliche Statusmeetings durchführt. In diesem Dokument werden im Kapitel 2 Bestands- und Flussfaktoren sehr lehrreich und anschaulich eingeführt.

Im Modell gibt es 3 zusätzliche Faktoren, die als Flussfaktoren fungieren. 2 von diesen kann man sich aus dem qualitativen Modell relativ einfach herleiten. Der Faktor “Verbesserung des Scopes” erhält eine direkte Wirkung aus dem Faktor “Anstrengung” und der Faktor “Anpassung des Scopes” aus dem Faktor “Zwang für Anpassung”. Der Flussfaktor “Verschlechtern des Status” ist aus dem qualitativen Modell nicht so klar herleitbar. Es ist aber einleuchtend, dass der Projektstatus sich bei keinerlei Anstrengung, sprich wenn die Arbeit niedergelegt wird, schleichend verschlechtert. Das drückt dieser Faktor aus.

Schritt 2: Integrieren von Wahrnehmungsverzögerungen

Die Folien 3 bis 5 stellen die entsprechenden Zwischenmodelle dar. An den 3 Zwischenmodellen erkennen Sie, dass ich 3 Wahrnehmungsverzögerungen einbauen werde, und zwar sind dies

  • Wahrnehmungsverzögerung des Projektstatus (Folie 3)
  • Wahrnehmungsverzögerung des Gaps zwischen Projektstatus und Projektziel (Folie 4)
  • Wahrnehmungsverzögerung des Anpassungsdrucks des Projektziels (Folie 5)

Warum macht es überhaupt Sinn Wahrnehmungsverzögerungen zu modellieren? Ganz einfach, weil diese in der Realität vorhanden sind. Wir Menschen können nur verzögert Dinge unserer Umwelt wahrnehmen und verarbeiten. Also warum diese dann nicht modellieren? Grundsätzliche Informationen zu Wahrnehmungsverzögerungen und wie diese in System Dynamics modelliert werden, können Sie in meinem Post Mit System Dynamics Dynamiken und Verzögerungen von Handlungen verstehen nachlesen. Im Abschnitt “Verzögerungen nach Typ” finden Sie Wissenswertes zu Wahrnehmungsverzögerungen, in dem Post als Verzögerung in Informationsströmen deklariert. Ich möchte nur für die erste Wahrnehmungsverzögerung, die des Projektstatus, die quantitative Modellierung erklären. Die anderen beiden Verzögerungen lassen sich entsprechend herleiten.

Nehmen Sie sich also bitte die Folie 3 zur Hand. Sie erkennen 4 zusätzliche Faktoren (blau hinterlegt). Einer dieser 4, nämlich “Sickerzeit”, hat nichts mit der Wahrnehmungsverzögerung zu tun. Dieser Faktor gibt an, nach wieviel Wochen sich der Status verschlechtert, wenn nichts getan wird. Konzentrieren wir uns auf die 3 Faktoren mit denen wir die Wahrnehmungsverzögerung modellieren. Erst einmal ist ersichtlich, dass ein Projektstatus immer nur verzögert wahrgenommen werden kann. Es laufen beispielsweise Diskussionen und Ergebnisse dieser müssen in Dokumenten zusammengefasst und präsentiert werden. Um den Projektstatus überhaupt zu erkennen, müssen Aktivitäten durchgeführt werden, wofür man Zeit benötigt. Nicht nur das. Dieser Status muss dann auch noch verinnerlicht werden. Auch dieser Fakt sollte nicht unterschätzt werden. Oft ist es so, dass sich Projektbeteiligte eine Scheinwelt aufbauen, die nur mit Mühe und Aufwand umgestoßen werden kann. Der Projektstatus ist quasi in der “realen Welt” vorhanden. Die Projektbeteiligten, in diesem Falle Beobachter, müssen zu diesem vordringen. Dazu benötigen sie Zeit. Dieses Vordringen wird mit dem Faktor “Wahrnehmung des Projektstatus” dargestellt. Der Kenntnisstand über den Projektstatus ist im Modell ein Bestand, weil sich dieser über einen Zeitraum aufbauen muss. Das ist der Faktor “Wahrgenommener Projektstatus”. Der Faktor “Wahrnehmungszeit Projektstatus” gibt die Zeit an, die die Projektbeteiligten benötigen, um den Kenntnisstand aufzubauen. Damit ergibt sich also für den Faktor “Wahrnehmung des Projektstatus” die folgende Formel:

([Projektstatus]-[Wahrgenommener Projektstatus]) / [Wahrnehmungszeit Projektstatus]

An der Formel kann man erkennen, dass der wahrgenommene Projektstatus niemals größer sein kann als der Projektstatus. Dieser nähert sich Schritt für Schritt dem Projektstatus an. Wir haben es hier also erkenntnistheoretisch mit einem “idealen Beobachter” zu tun. Denn ein Beobachter wird niemals den “realen Projektstatus” wahrnehmen können, weil er stets seine Subjektivität in die Wahrnehmung mit einbringt. Aber das möchte ich hier nur anmerken und nicht weiter ausführen (Details zur Erkenntnistheorie finden Sie ebenfalls in meinem Logbuch). Wir sind trotz dieser Einschränkung schon weiter als im herkömmlichen Projektmanagement, weil wir überhaupt modellieren und dann auch noch die Wahrnehmungsverzögerungen integrieren.

Basis für weitere Überlegungen ist dann stets der wahrgenommene Projektstatus, nicht der “reale”, kann ja auch nicht, denn nur von dem wahrgenommenen Status kann der Beobachter wissen. Das erkennen Sie daran, dass von dem Faktor “Wahrgenommener Projektstatus” der Wirkungspfeil in den Faktor “Gap” läuft. Wenn Sie ähnliche Überlegungen zu den beiden anderen Wahrnehmungsverzögerungen vollführen, erhalten Sie das Zwischenmodell auf Seite 6, welches wir nun weiter detaillieren.

Schritt 3: Integrieren von Wirkungsverzögerungen

Die Folien 6 und 7 enthalten die Modelle, in denen die beiden Wirkungsverzögerungen

  • Wirkungsverzögerung der Änderung des Projektscopes (Folie 6)
  • Wirkungsverzögerung der Erhöhung der Anstrengung (Folie 7)

integriert sind. Ähnlich wie bei den Wahrnehmungsverzögerungen verhält es sich mit den Wirkungsverzögerungen. Es macht Sinn diese zu modellieren, weil sie schlichtweg vorkommen. Bei den Wahrnehmungsverzögerungen kam der Input noch aus der Umwelt der Projektbeteiligten, den diese verarbeiten mussten und dafür Zeit benötigten. Die Projektbeteiligten sind Beobachter. Die Wirkungsverzögerungen sind das Komplement zu den Wahrnehmungsverzögerungen. Die Projektbeteiligten werden zu Handelnden und agieren basierend auf ihren Wahrnehmungen. Die Wirkungen auf die Umwelt geschehen auch wieder mit Verzögerungen, den Wirkungsverzögerungen. In dem unter Schritt 1 bereits aufgeführten Post Mit System Dynamics Dynamiken und Verzögerungen von Handlungen verstehen können Sie Details zu den Wirkungsverzögerungen studieren. Dort sind sie unter Verzögerung in Materialströmen geführt. Auch hier möchte ich nur die erste Wirkungsverzögerung, bzgl. der Änderung des Scopes, ausführlich erklären.

Nehmen Sie also bitte die Folie 6 zur Hand. Sie erkennen hier 6 neue Faktoren, die für die Modellierung der Wirkungsverzögerung verwendet werden. Dabei sind 3 davon ausschließliche Zeitparameter, die man auch weglassen könnte. Sie dienen nur der Parametrisierung der Zeitkonstanten. Das sind die Faktoren “Anpassungszeit des Ziels”, “Operationalisierungszeit der Entscheidung” und “Entscheidungszeit”. Mittels der anderen 3 Faktoren “Entscheiden über Anpassung des Scopes”, “Gefällte Entscheidung über Anpassung des Scopes” und “Wirksamkeit der Anpassung des Scopes” möchte ich die Modellierung der Wirkungsverzögerung erklären. Die Projektbeteiligten werden wie bereits erwähnt zu Handelnden. Sie verändern, in diesem Fall verringern sie den Scope. Diese Änderung manifestiert sich aber nicht sofort in der Umwelt, quasi von jetzt auf gleich. Das tut es genauso wenig, wie eine Badewanne nicht sofort von einer Sekunde auf die nächste mit Wasser gefüllt ist. Das schrittweise Manifestieren der Verringerung des Scopes wird durch den Bestandsfaktor “Wirksamkeit der Änderung des Scopes” modelliert. Nur was bereits wirksam geworden ist kann für weitere Aktivitäten überhaupt relevant sein. Diese wirksamen Teile stehen dann über den Flussfaktor “Gefällte Entscheidung über Anpassung des Scopes” für weitere Wahrnehmungen und Handlungen zur Verfügung. Das erkennt man in dem Modell daran, dass dieser Faktor Inputgeber für den Faktor “Anpassung des Scopes” ist. Diese Beziehung wird über die Formel

[Wirksamkeit der Anpassung des Scopes]/[Operationalisierungszeit der Entscheidung]

modelliert. Dabei gibt der Faktor “Operationalisierungszeit” die Dauer an, die für das Herstellen der Wirksamkeit benötigt wird. Wenn Sie ähnliche Überlegungen zu der zweiten Wirkungsverzögerung durchführen, erhalten Sie das finale Modell, welches auf Folie 7 oder oben in der zweiten Abbildung dargestellt ist. Dieses Modell ist nun Basis für die Simulation und Erkenntnisgewinnung.

Schritt 4: Simulation und Erkenntnisgewinnung

Die folgende Abbildung stellt das Simulationscockpit dar.

Auf der linken Seite sehen Sie die einstellbaren Parameter, die zur Erstellung von Szenarien zu nutzen sind. Auf der rechten Seite erkennen Sie das Diagramm, in welchem die Abhängigkeit von Projektstatus und Projektziel dargestellt ist. Ich möchte Ihnen 2 Szenarien vorstellen, die der Beantwortung der Frage dienen, unter welchen Umständen, das Gap zwischen Projektziel und Projektstatus Null wird, sprich wann das Ziel erreicht wird und wann nicht. Wir modellieren über 4 Jahre mit einer wöchentlichen Schrittweite, stets zum wöchentlichen Projektstatusmeeting.

Im ersten Szenario möchte ich nur den Parameter “Effizienz” variieren. Alle anderen Parameter bleiben konstant. In der folgenden Abbildung steht der linke Graph für eine Effizienz von 0.1 und der rechte für eine Effizienz von 0.4.

Was erkennen wir? Wenn die Effizienz der Arbeit eines Projektteams kleiner ist, nähern sich Status und Ziel auf einem geringeren Level an, als wenn diese höher ist. Das ist intuitiv. Es bedeutet aber auch, es macht schon definitiv Sinn, das Ziel zu korrigieren, wenn es nicht im Bereich des Machbaren liegt. Das habe ich in meinem Post Sind Ziele sinnlos auch ausgeführt. Wenn durch bestimmte Rahmenbedingungen im Projekt die Schaffenskraft des Teams “künstlich” verringert wird, erzeugt man natürlich auch eine Umgebung der verpassten Möglichkeiten. Das tatsächlich Erreichte und das Gewünschte werden sich auf einem niedrigen Niveau einpendeln. Es wird sich an dem Ziel ausgerichtet und nicht mehr als notwendig getan. Ein gutes Pferd springt nur so hoch wie es muss. Rahmenbedingungen, die künstlich von den Teams geschaffen werden, sind beispielsweise zu viele kleine Teams, die viele Schnittstellen bedingen, die zu einer hohen extrinsisch bedingten Integrationsnotwendigkeit führen. Hier kann man auch fehlende oder nicht klar formulierte Verantwortlichkeiten nennen, die von einem Arbeiten an der Sache ablenken.

Im zweiten Szenario möchte ich nur den Parameter “Entscheidungszeit” variieren und wiederum alle anderen Parameter konstant lassen. Damit variiere ich die Druckresistenz der Projektverantwortlichen, sprich, wie schnell sie das Ziel nach unten korrigieren. In der unteren Abbildung steht der linke Graph für eine Entscheidungszeit von 1 Woche und der rechte für eine von 15 Wochen.

In der obigen Abbildung erkennen Sie das sich wie erwartet ein Fließgleichgewicht zwischen Status und Ziel einstellt, das Ziel aber in der rechten Variante verfehlt wird. Wir erkennen, wenn die Entscheidungszeit für das Ändern des Scopes hoch ist, das Ziel zwar verfehlt wird, der erreichte Status aber trotzdem höher ist als im anderen Fall. Das hat etwas von selbsterfüllende Prophezeiung. In diesem Szenario ist die Schaffenskraft des Teams konstant. Das niedrige Ziel, welches man in der linken Graphik schneller auslobt, ist unter den Möglichkeiten des Teams. Die Auslobung des niedrigen Ziels führt dazu, dass das Team die Möglichkeiten nicht ausschöpft. Erfolg ist in gewisser Weise definierbar. Werden die Ziele kurzfristig korrigiert, wird das Erreichbare mit nach unten gezogen. Am Ende des Projektes wurde das Ziel erreicht. In der rechten Graphik erkennt man, dass das Ziel nicht erreicht wurde, das Projekt aber trotzdem mehr Nutzen generiert hat. Das Nichterreichen des Ziels hat für die Verantwortlichen eine schlechte Außenwirkung zur Folge, obwohl sie mehr Nutzen generiert haben. Das ständige Hochhalten der Ziele, die nicht erreichbar sind, kann Projektteams demotivieren, weil sie eben nicht nur eine schlechte Außenwirkung haben, sondern auch mit dem ständigen Gefühl umgehen müssen, ihre Ziele verfehlt zu haben. Das ist also ein zweischneidiges Schwert. Die Verantwortlichen des Projektes müssen also ganz genau wissen, was dem Team zugemutet werden kann und was nicht. Weder zu hohe noch zu niedrige Ziele sind gut.

Des Weiteren erkennen sie in diesem wie auch im ersten Szenario die für Verzögerungen typischen Oszillationen. Dieses Phänomen habe ich im Post Mit System Dynamics Dynamiken und Verzögerungen von Handlungen verstehen beschrieben. Speichern sie sich das Modell gerne ab und kreieren ihre eigenen Szenarien. Vielleicht gewinnen Sie so noch weitere Erkenntnisse. Viel Spaß dabei.

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Business Intelligence – Das Konstrukt eines Core Datawarehouse ist überalterten Paradigmen geschuldet

Ich habe des öfteren in meinem Logbuch das Phänomen formuliert, dass wir Menschen uns in der Vergangenheit im Rahmen von Problemlösungen ein Paradigma geschaffen haben, was in der Gegenwart zu einer Denkblockade in neuen Lösungsprozessen führt. Ich möchte dies am Beispiel von Business Intelligence erhärten.

Ich bin in der Vergangenheit sehr oft mit Fagestellungen zu einem Core Datawarehouse, ab jetzt mit CDWH abgekürzt, konfrontiert worden. Ein CDWH soll in vielen Unternehmen die Schnittstelle zwischen der operativen und der dispositiven Welt bilden. Die operative Welt ist geprägt von vielen heterogenen IT-Systemen. Die Daten liegen in diesen Systemen in unterschiedlichen Strukturen und Formaten vor, die es nicht unmittelbar erlauben, auf dieser Basis Auswertungen und Analysen ganzheitlich zu fahren. Das muss dann also gesondert passieren, auf Basis eben erwähnter CDWHs, die damit als “single point of truth” dienen. Damit werden lange Datenextraktionswege von der operativen Schicht in das CDWH erkauft, die viel Tranformations- und Harmonisierungslogik enthalten. Um die Herausforderungen an Daten, wie beispielsweise schnelle Verfügbarkeit und hohe Qualität, zu erfüllen, muss man bereits an den operativen Systemen ansetzen und nicht mittendrin, beim CDWH. Warum fällt das so schwer?

Man hängt dabei noch immer dem Paradigma der IT von vor 40 Jahren an. SAP hat dieses Paradigma, ich möchte es einmal Modularisierung und Separierung nennen, teilweise durch SAP R/2 und SAP R/3 aufgebrochen, in dem betriebswirtschaftliche Prozesse und Vorgänge durch integrierte Software auf einer gemeinsamen Datenbank technisch und in real-time unterstützt wurden. Dieses Konzept wurde aber auch auf der operativen Ebene nicht ganzheitlich durchgezogen. Es wurde beispielsweise im Bereich des Opportunity Managements ein separates System mit einem zu R/3 unterschiedlichen Konzept und Modell der Geschäftsobjekte zzgl. einer separaten Datenbank konzipiert und entwickelt, das SAP CRM (Customer Relationship Management). Zum damaligen Zeitpunkt war diese Separierung vielleicht aus mehreren Gesichtspunkten notwendig. Zum einen musste man sich der Komplexität des Modellierens verschiedener betriebswirtschaftlicher Vorgänge Stück für Stück nähern. Das konnte man nur auf Kosten der Integration durchführen. Der Elefant musste erst einmal zerlegt werden. Zum anderen war diese Separierung aus rein technischer Sicht notwendig, da man damals bzgl. des Speicherns großer Datenmengen noch nicht den Stand heutiger Technik erreicht hatte. Diese Notwendigkeit, die dem damaligen Fortschritt der IT geschuldet war, impliziert aber noch lange keine Sinnhaftigkeit, da Geschäftsprozesse eben nicht modular linear ablaufen. Mittlerweile hat man einen großen Fortschritt erlangt, verschiedene Geschäftsprozesse aus verschiedenen Bereichen technisch abzubilden. Zu nennen wären hier das Opportunity Management in einem CRM-System oder das Bestands- und Beschaffungsmanagement in einem SCM-System (Supply Chain Management) oder aber interne und externe Rechnungswesenprozesse in einem ECC-System. Das ist schon mal ein Meilenstein, den man verbuchen kann. Nun ist es meines Erachtens an der Zeit, die Prozesse end-to-end bzgl. der Daten zu integrieren, denn auch der technische Stand bzgl. der Speichermöglichkeiten lässt dies zu. Schauen Sie sich beispielsweise den Purchase-to-Pay Prozess an, dann erkennen Sie Geschäftsprozesse aus mehreren Prozessbereichen, zum Beispiel Bestandsmanagent, Logistik oder Finanz. Liegen diese Prozesse nun auf mehreren operativen Systemen verteilt, kann das nur suboptimal sein. Zum einen für die operativen Tätigkeiten an sich, jedoch erst recht für die Datenbereitstellung für die dispositive Welt als Basis für Entscheidungen im Rahmen dieser operativen Tätigkeiten.

Das die Trennung von operativer und dispositiver Welt längst überholt ist habe ich in meinem Post Welche Bedeutung hat die Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen für Business Intelligence? bereits ausgeführt. Dort finden Sie auch die scheinbar wichtigen Unterscheidungsmerkmale zwischen operativen und dispositiven Tätigkeiten.

Ich stelle mir für die Zukunft das folgende Szenario vor. Es gibt aus logischer Sicht unternehmensweit genau eine Datenbasis mit genau einem Datenmodell. Auf dieser Basis gibt es verschiedene technische Anwendungen, operative als auch dispositive. Ich spreche mit Absicht in diesem Kontext nicht von Systemen, da ich mich von diesem technischen Systembegriff lösen möchte. Häufig habe ich den Eindruck, dass Projekte zu technisch angegangen und durchgeführt werden. Es scheint fast so, als würden Systeme um ihrer selbst willen eingeführt. Man muss sich aber immer wieder vor Augen führen, dass die Technik nur Mittel zum Zweck ist, um Geschäftsprozesse bestmöglich zu unterstützen, was die Bedeutung der IT aber keinesfalls schmälern soll. Es gilt ganz klar die Regel: “IT follows Business”. Man muss schon sehr gute Gründe haben, von dieser Regel abzuweichen. Die end-to-end Prozesse, wie Order-to-Cash, Opportunity-to-Order oder Purchase-to-Pay, um nur einige zu nennen, werden in den meisten Unternehmen auf vielen verteilten operativen Systemen durchgeführt. Diese Systeme speichern die Daten in heterogenen Strukturen und Semantiken ab. Damit erkaufen sich die Unternehmen lange Datenextraktionsstrecken in die Reporting- und Analyseschichten. Dann stehen die Daten aber nicht in der erforderlichen Zeit und Qualität zur Verfügung. Da helfen auch die bekannten CDWH Ansätze nicht, dieses Problem zu heilen. Die folgende Abbildung veranschaulicht dieses Szenario.

Ist dieses Szenario technisch machbar? Wenn ich bedenke, dass wir seit längerer Zeit in der Lage sind, Sonden in Richtung Mars zu schießen, stellt sich diese Frage aus meiner Sicht nicht. Sehen Sie sich die Strategie von SAP mit HANA an, dann erkennen Sie genau diese Gedanken wieder. Ich möchte hier keine Werbung für SAP machen. Das liegt mir fern. Aber die “Walldorfer” scheinen die richtigen Ideen zu haben und umzusetzen. Sie sind noch nicht angekommen, aber auf einem guten Weg.

Ist dieses Szenario sinnvoll? Selbstverständlich. Ich möchte Ihnen dafür einige Use Cases angeben, die dies belegen sollen.

Stellen Sie sich vor, Sie möchten einen Flug buchen und nicht nur das. Sie möchten das mit einem Verkaufserlebnis verbunden wissen. Was könnte das Buchen zu einem Erlebnis machen? Wenn Sie einen Hin- und Rückflug suchen, es aber nur noch einen Rückflug gibt, würden Ihnen zum Beispiel andere Optionen angeboten werden, vielleicht aufgeteilt auf verschiedene Flughäfen, gekoppelt mit Bahnverbindungen oder Mietwagenoptionen. Würden Ihnen ähnliche Optionen in der Vergangenheit bereits angeboten worden sein, Sie aber immer abgelehnt haben, weil Sie die Verteilung auf verschiedene Flughäfen nicht mögen, wären Sie sicherlich genervt, immer und immer wieder absagen zu müssen. Das würde entfallen. Auf Basis Ihrer Buchungshistorie ist beispielsweise der Callcentermitarbeiter über ihre Reiseaktivitäten informiert und fragt Sie nach diesen Reisen, ob sie Ihnen gefallen haben oder nicht. Das wird dann wiederum Ihrem Profil hinterlegt, um für zukünftige Buchungen Präferenzen parat zu haben. Wenn Sie im Internet beispielsweise einen Buchvorgang abbrechen, wird automatisch im Hintergrund über Eventsteuerung analysiert und entsprechend reagiert. Die Eventsteuerung könnte vielleicht auf Preise reagieren, weil Ihrem Profil Schwellwerte bzgl. Preise hinterlegt sind, die den Abbruch plausibilisieren. Mit jeder relevanten Aktivität, die Sie im Internet beim Buchen durchführen, werden Ihre Daten validiert und ggf. aktualisiert, um für den nächsten Vorgang aktuell zu sein. In Summe benötigten Sie also Daten in Echtzeit. Das schaffen Sie nicht, wenn die operativen Daten in verschiedenen Töpfen verteilt liegen, sondern nur dann, wenn die Analysen dort ansetzen, wo die Daten auch entstehen.

Oder. Stellen Sie sich vor, Sie sind Leiter eines großen Verkaufsmarktes. Sie bieten verderbliche Ware an. Diese Ware soll am Ende des Tages komplett verkauft sein, aber zu einem für Sie optimalen Preis. Sie benötigen dann in Echtzeit den jeweiligen Bestand der Ware und die Verkaufshistorie des Tages, damit automatisch ein optimaler Preis errechnet werden kann. Oder Sie haben eine bestimmte Angebotsaktion mit bestimmten Artikeln. Sie müssten stetig wissen, wieviel Ware noch im Regal vorhanden ist, um nachzulegen oder entsprechend Preise zu bestimmen. Tun Sie dies nicht, können Sie immer nur “after-the-fact” ermitteln, wieviel Umsatz Sie hätten machen können und sich dann ärgern. Die Preise müssten wie gesagt automtisch bestimmt werden und elektronisch an den Regalen angezeigt werden. Bei Entnahme durch Kunden gilt dann immer der jeweils aktuelle Preis. Auch hier gilt wieder. Wenn die Abverkaufsdaten der Artikel aus dem Kassensystem und die Bestandsdaten aus dem Bestandssystem erst mühsam in ein separates CDWH extrahiert werden müssen, dabei vielleicht noch der Artikelstamm konsolidiert und harmonisiert werden muss, um dann optimale Preise zu errechnen oder den Bestand zu validieren, wird zu viel Zeit benötigt, um schnell und flexibel zu reagieren. Hier lassen sich bestimmt aus ganz vielen anderen Branchen viele weitere Use Cases definieren.

Ich habe oben zwei Herausforderungen an Daten angesprochen, schnelle Verfügbarkeit und hohe Qualität. Das möchte ich nun noch ein wenig detaillieren. Ähnlich wie ich oben ausgeführt habe, dass IT Systeme nicht einfach um ihrer selbst willen eingeführt werden dürfen, müssen auch Daten nicht immer in Echtzeit vorliegen, schon gar nicht um ihrer selbst willen. Wir dürfen uns auch hier nicht von technischen Möglichkeiten treiben lassen, sondern stets von den Anforderungen aus Sicht des Business, startend mit dem Blick auf den Markt (Kunden, Lieferanten, Wettbewerber). Aus diesem Blickwinkel werden Anforderungen bestimmt und dann technisch, prozessual und organisatorisch intern im Unternehmen umgesetzt. Selbstredend müssen Daten nicht nur zur rechten Zeit am rechten Ort vorliegen, sondern dies auch noch in qualitativ hochwertiger Form, damit sie überhaupt Basis für Entscheidungen sein können. Daten müssen also duplettenfrei, semantisch und syntaktisch eineindeutig, korrekt und Vollständig im Zugriff der Entscheider und Handelnden sein. Beide Herausforderungen lassen sich schon aufgrund dessen ein Stück weit aushebeln, dass man eben die operativen Daten nicht mehr auf verschiedene Töpfe mit verschiedenen Datenmodellen verteilt. Auch ein CDWH heilt hier nicht die Schmerzen, wie wohl in vielen Unternehmen mittlerweile schon registriert. Die Notwendigkeit der Verschmelzung von operativer und dispositiver Welt ist schon lange keine Vision mehr. Sie war es aus meiner Sicht noch nie, da die Welt uns diese Trennung gar nicht vorgibt. Wir haben diese Welt nur künstlich geschaffen. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt war diese Trennung sicherlich hilfreich, das hatte ich oben schon angemerkt. Nur jetzt sollten wir den nächsten Schritt gehen, denn nun versuchen wir Probleme zu lösen, die erst durch die Trennung von operativer und dispositiver Welt existent sind. Das Paradigma sollte jetzt gekippt werden. Die Technik ist dafür schon lange bereit, nur unsere Köpfe noch nicht. Das belegen auch die Kommentare zu der Diskussion, die ich in 2 BI Gruppen in Xing gestartet habe: Link und Link.

Das meine ich keinesfalls despektierlich. Ich nehme diese Kommentare sehr ernst, da ich dadurch auch meine Gedanken, Ideen und Argumentationsketten stetig erweitern kann. Des Weiteren ist mir auch klar, dass das Verschmelzen von operativer und dispositiver Welt nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Man sollte es aber auf der BI Roadmap auf jeden Fall vorsehen und einplanen.

Zum Schluss möchte ich noch ein kleines Analogon anführen, auch aus dem Bereich BI. Dieses soll zeigen, dass es häufig sinnvoll ist, Probleme durch “Über-Bord Werfen” von Paradigmen zu lösen. DWHs wurden quasi schon immer spaltenbasiert als Snowflake konzipiert, da man auf die Daten dann performanter zugreifen kann. Operative Systeme besitzen, oder besser besaßen, zeilenbasierte Datenspeicherkonzepte. Da man aber erkannt hat, das man auf Daten, die zeilenbasiert abgelegt sind, nicht so performant zugreifen kann, wurden in operativen Systemen Umwege gebaut, in dem beim Speichern der Daten viele verschiedene Systemtabellen beschrieben oder Indizes angelegt wurden. Erkennen Sie den Bezug zum CDWH Paradigma? Man versucht Probleme zu lösen (Leseperformance verbessern), in dem sich andere Probleme eingekauft werden (Schreibperformance verschlechtern). Das Paradigma, in operativen Systemen müssen die Daten ausschließlich zeilenbasiert gespeichert werden, stand lange als Blockade im Weg. Dieses wird nun nach und nach aufgebrochen. Ich hoffe Ähnliches passiert mit dem Paradigma das CDWH.

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Welche Bedeutung hat die Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen für Business Intelligence?

Business Intelligence (BI) wird leider, und ich werde nicht müde das immer wieder gebetsmühlenartig zu wiederholen, technokratisch dargestellt und empfunden. Das ist genau der Grund für das Nichtausschöpfen der Potentiale vieler BI Projekte, und das ist noch positiv ausgedrückt. Dieser Fakt wurde oft analysiert aber leider nicht operationalisiert. Ich möchte mit diesem Post einen weiteren Anstoß für eine ganzheitlichere Sichtweise liefern, weg von einem alleinigen Fokus auf Technik und Software hin zu einem integrierten Fokus, der Technik und Software einschließt.

In meinem Post Der Business Intelligence Wirkkreis habe ich die ganzheitliche Sicht bzgl. Business Intelligence reflektiert. In der Zwischenzeit habe ich eine für mich handhabbare Definition von BI gefunden.

Unternehmensführung bedeutet unter anderem Entscheidungen zu treffen. Basis für Entscheidungen sind Informationen, die aus Daten gewonnen werden. Die Beschaffung und Verwaltung von Daten als auch die Transformation der Daten zu Information sowie die Darstellung dieser ist Kernaufgabe von Business Intelligence.

Implizit ist das Thema Wahrnehmung der Umwelt in dieser Definition vorhanden, denn die Beschaffung von Daten, die letztendlich zu Informationen transformiert werden, ist selbstredend abhängig von der Entscheidung, welche Daten wichtig sind. Das geht nur in einer Interaktion mit der Umwelt. Ähnliches kann man von der Transformation der Daten zu Informationen sagen. Ganz eindeutig wird aber der Einfluss von Wahrnehmung für Business Intelligence in der Darstellung des BI Wirkkreises, die Sie im oben aufgeführten Post “Der Business Intelligence Wirkkreis” einsehen können.

Es existiert ein Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen, wenn wir uns dem Thema Wahrnehmung und der Bedeutung für Business Intelligence annähern. Dieses Spannungsfeld möchte ich folgend malen. Als Basis dafür möchte ich die folgende Abbildung nehmen.

Reduktion und Separierung ist wichtig für das Wahrnehmen

Die Menschen stehen in einem ständigen Wechselspiel zwischen Wahrnehmen und Handeln, oder wie Gotthard Günther es in seinem gleichnamigen Artikel ausdrückt, zwischen Erkennen und Wollen. An der obigen Abbildung ist ersichtlich, dass wir das “Ding an sich”, um Immanuel Kant zu bemühen, nicht wahrnehmen können. Wir erzeugen unsere eigenen Modelle, in die wir die Wahrnehmungsinhalte der Umwelt projezieren. Diese Modelle sind aber reduziert und separiert. Es geht gar nicht anders. Durch diese Modelle absorbieren wir unsere Unsicherheit, was uns ein Handeln überhaupt erst ermöglicht. Wäre dies nicht der Fall, würden wir in eine Handlungsstarre verfallen. In dem Moment wo wir entscheiden, beziehen wir uns auf einen Snapshot der wahrgenommenen Umwelt. Die Welt hat sich inzwischen schon weiter entwickelt. Basis für Entscheidungen sind also stets vergangene Zustände der Umwelt, die wir in unsere mentalen Modelle transformiert haben.

Menschen haben den Drang zu unterscheiden und zu separieren, um etwas handhabbarer zu machen, oft aber auch um Verantwortlichkeiten klar abzugrenzen. Ich möchte nun noch zwei Beispiele anbringen, die veranschaulichen sollen, dass es oft essentiell sein kann, das Separieren zu unterlassen. Das erste Beispiel befasst sich mit, na klar, Business Intelligence, das zweite mit Integrationsmanagement im Rahmen von großen Projekten oder Programmen.

Kommen wir zum ersten Beispiel. Business Intelligence ist in Abgrenzung zum operativen Reporting entstanden. Man war damals der Auffassung, dass es wichtig ist, zwischen einem operativen und einem dispositiven Reporting zu unterscheiden. Das dispositive Reporting fiel dann in das Aufgabengebiet von BI. Die folgende Auflistung stellt beide Arten von Reporting gegenüber.

Diese Unterscheidung ist aus meiner Sicht längst überholt. Für Entscheidungen, die tagtäglich und in immer frequentierteren Abständen anfallen, macht diese Separierung keinen Sinn mehr. Hier möchte ich ein Analogon aus der Praxis bemühen. Für den Umgang mit einer Glasscheibe ist es unerlässlich zu erkennen, dass die Glasscheibe durchsichtig ist. Diese Eigenschaft kann man direkt am Gegenstand Glasscheibe wahrnehmen und kann damit dem operativen Reporting entnommen werden. Genauso wichtig ist aber die Eigenschaft der Zerbrechlichkeit. Diese Eigenschaft kann man nicht direkt am Gegenstand Glasscheibe wahrnehmen und kann damit dem dispositiven Reporting entnommen werden. Nichts anderes heißt nämlich dispositiv, also Zustände oder Eigenschaften von Objekten, die nicht direkt am Objekt abzulesen sind. Bezogen auf Unternehmen ist es also absolut unerlässlich, sich auch auf dispositive Eigenschaften zu beziehen, wie beispielsweise das Kaufverhalten der Kunden.

Nun zum zweiten Beispiel. In großen Projekten wird häufig ein zusätzliches Team institutionalisiert, das Integrationsteam. Aufgabe dieses Teams ist es Integration zwischen allen anderen Teams herzustellen. Je mehr Teile man aber hat, umso schädlicher ist dies für die Integration, da mehr Schnittstellen entstehen. Mit der Installation eines Integrationsteam hat man nun aber ein weiteres Teil. Dies erhärtet also erst die Argumente für die Notwendigkeit eines Integrationsteams. Konkret heißt das wohl, dass das Integrationsteam an sich die Begründung für sich selbst liefert. Jedem ist bewusst, dass eigentlich JEDER IM TEAM verantwortlich für Integration ist, aber im Eventualfall kann man sich ja auf das Integrationsteam berufen. Das Team trägt ja nicht umsonst diesen Namen und man kann sich dann wieder auf seinen abgesteckten Bereich zurück ziehen. Das Installieren eines Integrationsteams ist vergleichbar, als wenn der Verteidiger beim Fußball eine zentrale Instanz fragen müsste, ob er jetzt ein Tor schießen soll oder darf. Seine eigentliche Aufgabe ist es ja Tore zu verhindern und nicht zu schießen.

Reduktion und Separierung ist hinderlich für das Wahrnehmen

Mit den beiden letzt genannten Beispielen habe ich bereits angedeutet, dass Reduktion und Separierung nicht nur notwendigen Charakter besitzen, sondern auch überflüssigen und damit hinderlichen Charakter. Das möchte ich nun näher erläutern. Grundsätzlich kann man Wahrnehmung unterscheiden in beobachtbare und nicht beobachtbare Phänomene. Kommen wir zu nicht beobachtbaren Phänomenen.

Immanual Kant hat in seiner Kritik der reinen Vernunft bereits ausgeführt, dass das “Ding an sich” für uns Menschen nicht wahrnehmbar ist. Es gibt eben nicht beobachtbare Phänomene. Damit müssen wir uns abfinden. Beispiele wären die Kundenzufriedenheit oder die Mitarbeitermotivation. Beides können Sie niemals direkt wahrnehmen. Wir können nur Symptome und Wirkungen beobachten, die wir darauf zurückführen. Unbeobachtbare Phänomene sind so genannte theoretische Entitäten. Ein Beispiel, das hier ebenfalls gut passt, ist das rationale Käuferverhalten, welches ebenfalls eine theoretische Entität ist. Diese ist aber häufig Basis für Entscheidungen in Unternehmen. Wir entscheiden aber in diesen Fällen nicht auf Grund eines Faktums, weil dieses gar nicht erkennbar ist, sondern auf Basis von Symptomen und Wirkungen. Das kann die Entscheidungen konträr zu den eigentlich gewollten Zwecken und Zielen werden lassen. Ganz besonders noch dadurch verstärkt, dass man hier einem Zirkelschluss unterlegen ist. In diesem Fall des rationalen Käuferverhaltens haben wir Menschen die Spielregeln der Wirtschaft bestimmt. Die Akteure verhalten sich nun entsprechend dieser Spielregeln, was wir als Bekräftigung für die Richtigkeit der Spielregeln anerkennen. Wir wundern uns ja auch nicht, wenn ein Fußballspiel nach 90 Minuten plus Nachspielzeit vom Schiedsrichter abgepfiffen wird, oder? Grotesk ist aber, dass die Bestätigung der Spielregel auch dann noch wahrgenommen und als “richtig” erkannt wird, wenn diese von den Akteuren nicht eingehalten wird. Das passiert nämlich häufig in der Wirtschaft. Wir Menschen verhalten uns eben nicht vollständig rational wie ein Homo Oeconomicus. Trotzdem werden nur die Symptome und Wirkungen wahrgenommen, die die einmal definierte Spielregel bestätigen. Auf dieser Basis werden dann Entscheidungen getroffen und man wundert sich häufig über die Konsequenzen.

Kommen wir nun zu den beobachtbaren Phänomenen. Glaubt man nun, dass auf Grund der Beobachtbarkeit der Phänomene alles paletti ist, befindet man sich auf einem Irrpfad. Dinge der Umwelt existieren nämlich nicht unabhängig von einem Beobachter, da ein Beobachter diese Dinge erst wahrnehmen muss. Und eben unsere Sinne können uns so manches mal hinters Licht führen, was folgende Beispiele sehr gut belegen. Nun ist es mit dem Wahrnehmen an sich alleine nicht getan. Wir müssen die wahrgenommenen Signale zu Information verarbeiten. Das tun wir im Rahmen unserer Denkprozesse, in dem wir Modelle, Muster und kausale Zusammenhänge bilden, die wir dann in Worte und Begriffe fassen können. Aber auch der Verstand kann uns in die Irre führen. Details dazu finde Sie hier.

Wie wir gesehen haben ist also Reduktion und Separierung auf der einen Seite überhaupt erst die Basis für unsere Wahrnehmungsprozesse. Auf der anderen Seite hindert uns aber genau diese Reduktion und Separierung daran unsere Umwelt “richtig” wahrzunehmen. Das ist ein Spannungsfeld, welches wir niemals lösen werden. Wir können es aber lockern.

Lockerung des Spannungsfeldes zwischen Reduktion/Separierung und Wahrnehmung

Die Herausforderungen für Business Intelligence bzgl. des Erkennens und Messens der Geschäftsergebnisse kann man sehr schön an den Erkenntnissen von Gordon Pask, die er in seinem Buch “An Approach to Cybernetics” darlegt, ableiten. Pask analysiert in seinem Buch nicht, wie viele andere Kybernetiker vor ihm, Systeme an sich und wie diese gesteuert und geregelt werden können. Er geht ein paar Schritte zurück und stellt sich die Frage, wie ein Beobachter überhaupt ein System erkennt und welche Herausforderungen er dabei meistern muss. In diesem Falle wäre der Beobachter der Unternehmenslenker oder das Top-Management eines Unternehmens. Das System wäre hier im Sinne Pasks das Konglomerat und Zusammenspiel aller Variablen und Beziehungen, bestehend aus dem eigenen Unternehmen (Mitarbeiter, Prozesse, Produkte, …), Kunden, Wettbewerber und Lieferanten. Entscheidend für das Wahrnehmen, Beobachten und Beschreiben des Systems ist, welche Variablen zu Grunde gelegt werden, um einen Möglichkeitsraum aller Verhaltensvarianten des Systems aufzuspannen, wissend das es unmöglich ist, alle Variablen überhaupt in Betracht zu ziehen. Nicht nur weil es uns aufgrund unserer beschränkten Wahrnehmungsfähigkeit verwehrt bleibt, das hatten wir ja schon, sondern auch weil die Menge “alle Variablen” für uns unbestimmt ist und bleibt. Die Auswahl der Variablen unterliegt also einer Unsicherheit, die abhängig ist vom Ziel, die der Beobachter, in diesem Fall der Unternehmensleitung, erreichen möchte. Konzentriert sich die Unternehmensleitung eher auf die Kunden, wird man sich auch auf Variablen konzentrieren, die eher die Kunden reflektieren.

Das bedeutet also, dass das Wahrnehmen der Erreichung der Ziele, die wiederum Einfluss auf zu definierende Aktivitäten haben, die dann wiederum einen Einfluss auf die Ziellerreichung haben, die dann wieder wahrgenommen werden müssen, … entscheidend ist vom Wissens- und Erkenntnisstand der Unternehmensleitung. Es ist also nicht nur ein zirkulärer Prozess, sondern auch im höchsten Maße abhängig von der Unternehmensleitung an sich. Erschwerend kommt auch noch hinzu, dass selbst die Ziele, ein Unternehmen hat ja in der Regel nicht nur genau ein einziges, untereinander in Konkurrenz treten. Diese Konkurrenz ist abhängig von Variablen des Systems. Da diese nicht exakt wahrgenommen werden können, aber das hatten wir ja schon, sind selbst die Ziele unscharf und müssen deshalb regelmäßig angepasst werden. Pask nennt dies “Purposiveness”, also Zweckhaftigkeit.

Zieht man die Bedeutung der Wahrnehmungsfähigkeit, die wir Menschen besitzen, in die Betrachtung, ist es aus meiner Sicht schwer verständlich, warum genau diese Aspekte aus den herkömmlichen Definitionen von Business Intelligence und damit natürlich auch aus den Methoden komplett ausgeschlossen sind. Wundern wir uns da noch über die mäßigen Erfolge von BI Initiativen? Es gilt also Beschränkungen der Wahrnehmung in das Führen von Unternehmen zu integrieren, um genau diese dann kleiner werden zu lassen und damit stetig besser zu werden. Man eröffnet damit quasi den Kreislauf des Lernens, der, wie das Wort “Kreislauf” schon sagt, niemals endet.

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Dialog zu den Themen Komplexität, Entropie, (Nicht)Wissen und ihre Auswirkungen auf Ethik und Entscheidungen

Im Post Muss man einen Wettlauf mit der Komplexität eingehen? habe ich bereits über den Zusammenhang zwischen Komplexität und Entropie und die Auswirkungen auf das Führen von Unternehmen berichtet. Die Ideen im Vorfeld zu diesem Post waren Ankerpunkt einer Diskussion, die ich mit Daniel Juling geführt habe, die ich hier posten möchte.

Vorweg ein paar Worte zu Daniel. Der Nick von Daniel Juling ist Schnittmenge. Der studierte Maschinenbauer veranstaltet einmal im Monat ein virtuelles [Philosophisches Café]. Denn Schnittmenge liebt es, wenn Fachexperten aus verschiedenen Bereichen über ein Thema diskutieren. Es ist die Quelle für Irritationen, die verarbeitet gehören. Es ist die Quelle für Lernen und neue Ideen. Es ist die Quelle, die immer wieder aufzeigt, wie wenig man eigentlich weiß. Genau das interessiert ihn am meisten: Wie managt man NICHTWISSEN.

Nun zum, wie ich finde, überaus spannenden Dialog.

Conny Dethloff

Hallo Daniel,

Komplexität, Wissen, Nichtwissen, Entropie. Gibt es zwischen diesen Themen einen Zusammenhang? Ich denke ja, er konvergiert im Thema Ethik und Entscheidungen. Hier meine Gedanken dazu.

Ich lese gerade einige Arbeiten von Heinz von Foerster. Darin geht es ja immer wieder um prinzipiell unentscheidbare Fragestellungen und der Feststellung, dass nur diese Fragestellungen von uns überhaupt entschieden werden können. Bei entscheidbaren Fragestellungen existieren bereits Spielregeln, die von uns Menschen festgelegt wurden. Eine Entscheidung ist deshalb nicht mehr notwendig. Ein Beispiel dafür wären die Rechenoperationen mit Zahlen. 1+1 kann von uns nicht entschieden werden. Die Spielregeln der Mathematik sind von uns bestimmt. Bezüglich dieser Regeln ist 1+1 gleich 2.

Hier zieht von Foerster auch die Unterscheidung zwischen Moral und Ethik. Moral bezieht sich stets auf die Anderen. Sätze wie “Du sollst nicht töten” oder “Du darfst nicht stehlen” sind prominente Beispiele dafür. Hier bestehen also Spielregeln, die von Menschen aufgestellt wurden. Ethik ist das Gegenstück zur Moral. Ethik bezieht sich immer auf einen selber. Hier bestehen keine Spielregeln. Im Rahmen von Entscheidungen hat man es also stets mit Ethik zu tun, niemals mit Moral. Über Ethik kann man auch nur implizit sprechen, da man stets etwas über sich und seine Handlungen aussagt.

Nun der Bezug zum Wissen/ Nichtwissen. Das ist meine Spiegelung. Immer dann und nur dann, wenn wir Spielregeln bereits festgelegt und definiert haben, kann man auch von diesen wissen. Wenn wir also wissen, kann man nicht mehr entscheiden, da es sich dann um entscheidbare Fragestellungen handelt. Dann hat man es mit Moral zu tun. Also nur im Falle von Nichtwissen sollte man sich über Ethik Gedanken machen, weil es nur dann Sinn macht. Deshalb kann man über Ethik auch nur implizit reden. Man kann es ja nicht wissen.

Nun der Bezug zur Komplexität/ Entropie. Sind Spielregeln festgelegt, sind die Möglichkeiten des Handelns eingeschränkt, damit also auch die Entropie und die Komplexität gering. Also auch hier, nur im Falle von Fragestellungen hoher Komplexität, haben wir es mit ethischen Fragestellungen zu tun. Fragestellungen, die nicht komplex sind, können von uns nicht entschieden werden, da sie bereits entschieden sind.

In dem Moment wo wir versuchen Wissen aufzubauen, verringern wir die Möglichkeit entscheiden zu können, da dann ja schon alles entschieden ist. Mit dem Aufbau von Wissen legen wir Spielregeln fest. Und genau das ist die Aufgabe von Managern und Führungskräften in Unternehmen. Ihre Daseinsberechtigung ist, unentscheidbare Fragestellungen zu entscheiden. Ihre Daseinsberechtigung ist, Entscheidungen zu treffen. Nur leider ziehen sie sich viel zu oft auf entscheidbare Fragestellungen zurück und merken dabei nicht, dass sie dafür nicht benötigt werden. Sie schaufeln sich quasi ihr eigenes Grab.

Beste Grüße,
Conny

Daniel Juling

Hallo Conny,

abenteuerliche Gedankengänge. Hier meine Anmerkungen.

zu (Zitat Conny)

Ich lese gerade einige Arbeiten von Heinz von Foerster. Darin geht es ja immer wieder um prinzipiell unentscheidbare Fragestellungen und der Feststellung, dass nur diese Fragestellungen von uns überhaupt entschieden werden können. Bei entscheidbaren Fragestellungen existieren bereits Spielregeln, die von uns Menschen festgelegt wurden. Ein Beispiel dafür wären die Rechenoperationen mit Zahlen. 1+1 kann von uns nicht entschieden werden. Die Spielregeln der Mathematik sind von uns bestimmt. Bzgl. dieser Regeln ist 1+1 gleich 2.

Dafür braucht man nicht Foerster lesen. Das kann man auch mit dem Wortpaar Induktion – Deduktion erklären => http://de.consenser.org/node/2059

zu (Zitat Conny)

Hier zieht von Foerster auch die Unterscheidung zwischen Moral und Ethik. Moral bezieht sich stets auf die Anderen. Sätze wie “Du sollst nicht töten” oder “Du darfst nicht stehlen” sind prominente Beispiele dafür. Hier bestehen also Spielregeln, die von Menschen aufgestellt wurden. Ethik ist das Gegenstück zur Moral. Ethik bezieht sich immer auf einen selber. Hier bestehen keine Spielregeln. Im Rahmen von Entscheidungen hat man es also stets mit Ethik zu tun, niemals mit Moral.

Ich kann mich entscheiden den anderen zu achten oder missachten. Das ist der Code von Moral.

zu (Zitat Conny)

Nun der Bezug zum Wissen/ Nichtwissen. Das ist meine Spiegelung. Immer dann und nur dann, wenn wir Spielregeln bereits festgelegt und definiert haben, kann man auch von diesen wissen. Wenn wir also wissen, kann man nicht mehr entscheiden, da es sich dann um entscheidbare Fragestellungen handelt.

Erinnerst Du Dich ans [Philosophische Café]? Es bestand Konsens in der Wette ohne zu wissen, wie die Wette ausgeht. Dein Gedankengang mag auf Trivialmaschinen anwendbar zu sein. Das Handeln nach Spielregeln kann weiterhin komplex sein. Anderes Beispiel: Schwarmintelligenz entstehen indem die Agenten wissen nach welchen einfachen Regeln handeln sollen, doch kennen sie nicht das Ergebnis als Schwarm.

zu (Zitat Conny)

Nun der Bezug zur Komplexität/ Entropie. Sind Spielregeln festgelegt, sind die Möglichkeiten des Handelns eingeschränkt, damit also auch die Entropie und die Komplexität gering. Also auch hier, nur im Falle von Fragestellungen hoher Komplexität, haben wir es mit ethischen Fragestellungen zu tun. Fragestellungen, die nicht komplex sind, können von uns nicht entschieden werden, da sie entscheidbar sind.

Gefährliche Mischung. Wäre die Verwendung der Unterscheidung zwischen determinierten und komplexen Situationen unverfänglicher?

zu (Zitat Conny)

In dem Moment wo wir versuchen Wissen aufzubauen, verringern wir die Möglichkeit entscheiden zu können, da dann ja schon alles entschieden ist. Mit dem Aufbau von Wissen legen wir Spielregeln fest. Und genau das ist die Aufgabe von Managern und Führungskräften in Unternehmen. Ihre Daseinsberechtigung ist, unentscheidbare Fragestellungen zu entscheiden. Ihre Daseinsberechtigung ist, Entscheidungen zu treffen. Nur leider ziehen sie sich viel zu oft auf entscheidbare Fragestellungen zurück und merken dabei nicht, dass sie dafür nicht benötigt werden. Sie schaufeln sich quasi ihr eigenes Grab.

Ich kann Dir folgen, sehe es aber anders 😉 Der Fußballmanager Trainer, versucht innerhalb der zulässigen Spielregeln, die richtigen Entscheidungen zu treffen, damit sein Team gewinnt. Doch ein Unternehmer kann neue Spielregeln schaffen oder im Kontext bestehender Spielregeln entscheiden. Beides kann erfolgreich sein und beides kann ins Grab führen. Was wann geschieht weiß man im Voraus leider nicht genau 😉 Doch finde ich es eine spannende Aufgabe neue und “bessere” Spielregeln zu schaffen, die die kollektiven Intelligenz eines Unternehmens vergrößert. So wie wir es gerade mit Marinas Betriebssystem versuchen => http://de.consenser.org/node/2504

Saludos,
Daniel

Conny Dethloff

Hallo Daniel,

wow. Da habe ich ja etwas angezettelt. 🙂 Ich möchte kurz auf Deine Anmerkungen reagieren.

1. Ethik vs. Moral.
Ob ich jemanden achte oder missachte, ist eine Frage von Moral. Es wurde die Spielregel festgelegt: “Du sollst Deine Mitmenschen achten”. Ich habe hier nicht wirklich die freie Entscheidung, dass nicht zu tun, da ich im Falle, wo ich es nicht tue, mit einer “Bestrafung” rechnen muss.
Von Foerster gibt sinngemäß ein gutes Beispiel in der Unterscheidung zwischen Ethik und Moral: Man lernt eine Frau kennen und bereitet ihr in den ersten Tagen stets Frühstück. Das macht man aus freien Stücken. Es ist meine Entscheidung, da es dafür keine Spielregel gibt. Das ist Ethik. Dann macht man es nicht mehr. Die Frau hinterfragt immer wieder. Man tut es dann wieder, nicht ganz aus freien Stücken, da man die Nachfragen der Frau nicht mehr hören kann. Hier hat sich in der Situation eine Spielregel entwickelt. Man entscheidet nicht mehr ganz aus freien Stücken. Man handelt aus moralischen Gesichtspunkten.

2.
Bei Wissen gibt es keine Entscheidungsmöglichkeit, da man es mit entscheidbaren Fragestellungen zu tun hat
Wissen ist stets etwas Subjektives. In dem jeweiligen Moment glauben wir daran. Wir glauben daran, weil wir uns auf die jeweils definierten Spielregeln stützen. Ändern diese sich, wird dieses spezielle Wissen obsolet. Vor Kopernikus haben auch “fast” alle Menschen geglaubt, dass die Sonne sich um die Erde dreht. Das war auch Wissen mit den damaligen Spielregeln. Wenn ich also Spielregeln anerkenne, agiere ich dementsprechend. Dann haben gewisse Herren entschieden, nicht mehr an die Spielregeln zu glauben. Das war in dem Sinne eine Entscheidung.

3. Manager/ Trainer
Entscheiden bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich mich auf Spielregeln verlasse, schiebe ich Verantwortung auf die Spielregeln. Es ist dann keine Entscheidung mehr. Das passiert doch im Management von Unternehmen viel zu oft. Manager sagen, sie können nicht entscheiden, da sie noch mehr Information benötigen, um die Spielregeln spielen zu können. Dann benötigen wir die Manager nicht mehr, da sie nicht mehr entscheiden wollen, was aber ihre ureigenste Aufgabe ist. Das bedeutet es auch mit dem Beispiel Deines Trainers. Der Trainer entscheidet dann nicht mehr. Er verlässt sich auf die Spielregeln.

Ich glaube wir hängen ein bisschen an der Definition von Entscheiden. Von Foerster macht an dieser Stelle eine digitale Unterscheidung. Diese finde ich absolut einleuchtend, widerspricht aber natürlich der umgangssprachlichen Definition von Entscheiden. Hast Du einige Arbeiten von von Foerster gelesen. Am Beispiel mit dem Frühstück kann man es, glaube ich, am besten nachvollziehen.

Immer dann, wenn ich auf Grund meines Agierens etwas von meiner Umwelt erwarte, ist es keine Entscheidung mehr, da ich in den aufgestellten Spielregeln gefangen bin. Denn bei prinzipiell unentscheidbaren Fragestellungen, kann ich nichts erwarten.

Beste Grüße,
Conny

Daniel Juling

Hallo Conny,

siehe Text – ich hoffe diesmal werden meine Kommentare besser ersichtlich. Grundsätzlich, denke ich, dass wir die Begriffe Spielregeln, Wissen und Entscheidung unterschiedlich verwenden. Ich verstehe, was Du mir sagen möchtest, jedoch ist die Formulierung nicht wasserdicht.

zu (Zitat Conny)

1. Ethik vs. Moral.
Ob ich jemanden achte oder missachte, ist eine Frage von Moral. Es wurde die Spielregel festgelegt: “Du sollst Deine Mitmenschen achten”. Ich habe hier nicht wirklich die freie Entscheidung, dass nicht zu tun, da ich im Falle, wo ich es nicht tue, mit einer “Bestrafung” rechnen muss.
Von Foerster gibt sinngemäß ein gutes Beispiel in der Unterscheidung zwischen Ethik und Moral: Man lernt eine Frau kennen und bereitet ihr in den ersten Tagen stets Frühstück. Das macht man aus freien Stücken. Es ist meine Entscheidung, da es dafür keine Spielregel gibt. Das ist Ethik. Dann macht man es nicht mehr. Die Frau hinterfragt immer wieder. Man tut es dann wieder, nicht ganz aus freien Stücken, da man die Nachfragen der Frau nicht mehr hören kann. Hier hat sich in der Situation eine Spielregel entwickelt. Man entscheidet nicht mehr ganz aus freien Stücken. Man handelt aus moralischen Gesichtspunkten.

Ich habe diese Unterscheidung verstanden. Es ist nicht mehr als eine Festlegung, mit der Du Deine Argumentation aufbaust. Du erklärst die Spielregeln. 😉 Man hätte sie auch anders wählen können.

zu (Zitat Conny)

2. Bei Wissen gibt es keine Entscheidungsmöglichkeit, da man es mit entscheidbaren Fragestellungen zu tun hat. Wissen ist stets etwas Subjektives. In dem jeweiligen Moment glauben wir daran. Wir glauben daran, weil wir uns auf die jeweils definierten Spielregeln stützen. Ändern diese sich, wird dieses spezielle Wissen obsolet. Vor Kopernikus haben auch “fast” alle Menschen geglaubt, dass die Sonne sich um die Erde dreht. Das war auch Wissen mit den damaligen Spielregeln. Wenn ich also Spielregeln anerkenne, agiere ich dementsprechend. Dann haben gewisse Herren entschieden, nicht mehr an die Spielregeln zu glauben. Das war in dem Sinne eine Entscheidung.

Wissen (Spielregeln) => Erwartungsstrukturen => begrenzen die Auswahl von Möglichkeiten => Wissen vermindert die Wahlmöglichkeiten zwischen denen man sich entscheiden kann. Im Extremfall gibt es nur eine Möglichkeit (determiniert). Du sprichst von einem Extremfall und nicht vom Normalfall (komplexe Situation).

zu (Zitat Conny)

3. Manager/ Trainer
Entscheiden bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich mich auf Spielregeln verlasse, schiebe ich Verantwortung auf die Spielregeln. Es ist dann keine Entscheidung mehr. Das passiert doch im Management von Unternehmen viel zu oft. Manager sagen, sie können nicht entscheiden, da sie noch mehr Information benötigen, um die Spielregeln spielen zu können. Dann benötigen wir die Manager nicht mehr, da sie nicht mehr entscheiden wollen, was aber ihre ureigenste Aufgabe ist. Das bedeutet es auch mit dem Beispiel Deines Trainers. Der Trainer entscheidet dann nicht mehr. Er verlässt sich auf die Spielregeln.

Jetzt ist wichtig, was wir unter Spielregeln verstehen. Ich verstehe Deine Argumentation nicht. Es kann sinnvoll sein nach den Regeln zu Spielen (Faires Fußballspiel) oder auch diese Regeln zu brechen (gute Spieler des Gegners durch schlechte eigene Spieler vom Spielfeld treten lassen, oder den Schiedsrichter kaufen). Bei einer konstanten Umwelt wird ein erfahrender Manager mit viel Wissen mit hoher Wahrscheinlichkeit “bessere” Entscheidungen treffen, als einen Manager, der nicht nach den “Spielregeln” entscheidet.

zu (Zitat Conny)

Ich glaube wir hängen ein bisschen an der Definition von Entscheiden. Von Foerster macht an dieser Stelle eine digitale Unterscheidung. Diese finde ich absolut einleuchtend, widerspricht aber natürlich der umgangssprachlichen Definition von Entscheiden. Hast Du einige Arbeiten von von Foerster gelesen. Am Beispiel mit dem Frühstück kann man es, glaube ich, am besten nachvollziehen. Immer dann, wenn ich auf Grund meines Agierens etwas von meiner Umwelt erwarte, ist es keine Entscheidung mehr, da ich in den aufgestellten Spielregeln gefangen bin. Denn bei prinzipiell unentscheidbaren Fragestellungen, kann ich nichts erwarten.

Wie gesagt, Du gehst von einem Extremfall aus. Denn wenn ich gleichzeitig unterschiedliche Erwartungen habe, muss ich mich zwischen diesen entscheiden. Spielregeln reduzieren die Wahlmöglichkeiten, doch immer steht mir die Möglichkeit offen andere Spielregeln zu verwenden. Die Frage ist, für welche Spielregeln man sich entscheiden soll? Für die der Ethik oder für die der Moral?

Saludos,
Daniel

Conny Dethloff

Hallo Daniel,

die Arroganz möchte ich gar nicht an den Tag legen, zu meinen, dass meine Argumentation für andere Menschen wasserdicht ist. Das geht meiner Meinung nach nicht. Für mich ist sie zu einem bestimmten Zeitpunkt wasserdicht, was sich in der nächsten Sekunde schon wieder ändern kann, nämlich dann wenn ich lerne und mein Wissen erweitere. (siehe zu 4.)

Zu 1.
Selbstverständlich ist es eine Festlegung, auf ich meine Argumentation aufbaue. Jeder Mensch baut seine Argumentationen auf Festlegungen auf. Diese Festlegungen müssen natürlich mit denen Anderer nicht übereinstimmen. Kennst Du eine andere Möglichkeit, wo man seine Argumentationen nicht auf Festlegungen aufbaut?

zu 2.
Bist Du der Meinung, dass man eine deterministische Situation stets vorhersehen kann, da es nur eine Möglichkeit gibt? Was ist mit dem deterministischen Chaos, dem so genannten “Schmetterlingseffekt”? Ich glaube nicht daran, dass jede deterministische Situation genau eine Möglichkeit in der Zukunft ergibt und damit vorhersagbar ist. Dazu habe ich diesen Artikel verfasst.

zu 3.
Bezüglich dem Begriff Spielregel bin ich noch nicht konkret genug. Das merke ich jetzt auch. Bleiben wir beim Fußball. Darunter fällt mit Sicherheit, dass man 11 Spieler pro Mannschaft aufstellen und 3 Spieler pro Spiel ein- bzw. auswechseln darf etc. Das ist aber noch nicht alles. Es gibt derzeit keine konkrete Spielregel für das Gewinnen von Spielen. Manchmal kann es sein, dass man auf einer bestimmten Position den individuell technisch stärksten Spieler einsetzt. Es kann aber eben auch sein, dass in bestimmten Situationen der kopfballstärkste Spieler der Mannschaft mehr hilft. Diese Situation ist für den Trainer prinzipiell unentscheidbar. Deshalb muss er auch entscheiden und übernimmt dafür die Verantwortung, da er sich nicht auf etwas wie eine Spielregel stützen kann. Verliert seine Mannschaft und jemand wirft dem Trainer vor, dass er nicht 12 Spieler aufgestellt hat, kann er sich auf die Spielregel berufen und diesen speziellen Vorwurf von sich weisen. Der Trainer muss nicht entscheiden, ob er 11 oder 12 Spieler aufstellt. Bezüglich des speziellen Aufstellens von Spielertypen kann man ihm bei verlorenen Spielen einen Vorwurf machen. Es gibt dafür keine Spielregel, weshalb der Trainer entscheiden muss und dafür die Verantwortung übernimmt. Angenommen es gäbe eine Spielregel bzgl. des Aufstellens spezieller Spielertypen, dass man beispielsweise bei einem Torrückstand stets den Torwart gegen einen kopfballstarken Spieler ersetzt, der Trainer dies tut und trotzdem verliert, hat der Trainer nicht entschieden. Er hat sich auf die Spielregel verlassen und übernimmt keine Verantwortung mehr. Das Kennen dieser Spielregeln gehört zum Wissen. Wenn sich ein Trainer bewusst gegen eine Spielregel stellt, landet er wieder bei einer prinzipiell unentscheidbaren Situation. Er übernimmt dann wieder die Verantwortung. Er entscheidet dann wieder.

zu 4.
Die Thematik Ethik und Moral in Bezug auf Entscheidungen muss ich noch einmal durchdenken. Bei der Unterscheidung zwischen Ethik und Moral bleibe ich. Hier ist die Argumentation von von Foerster für mich sinnvoll. Wie jetzt aber das Thema Entscheiden hier einfließt, erschließt sich mir noch nicht. Hier kann ich meine vormals gemachte Argumentationskette nicht mehr glauben.

Beste Grüße,
Conny

Daniel Juling

zu (Zitat Conny)

Zu 1.
Selbstverständlich ist es eine Festlegung, auf ich meine Argumentation aufbaue. Jeder Mensch baut seine Argumentationen auf Festlegungen auf. Diese Festlegungen müssen natürlich mit denen Anderer nicht übereinstimmen. Kennst Du eine andere Möglichkeit, wo man seine Argumentationen nicht auf Festlegungen aufbaut?

In diesem Punkt sind wir uns seit Anfang an einig.

zu (Zitat Conny)

Zu 2.
Bist Du der Meinung, dass man eine deterministische Situation stets vorhersehen kann, da es nur eine Möglichkeit gibt? Was ist mit dem deterministischen Chaos, dem so genannten “Schmetterlingseffekt”? Ich glaube nicht daran, dass jede deterministische Situation genau eine Möglichkeit in der Zukunft ergibt und damit vorhersagbar ist. Dazu habe ich diesen Artikel verfasst.

In diesem Punkt sind wir uns auch einig. Ich kenne den Parameterwert 3,57 vom Bifurkationsdiagramm.

zu (Zitat Conny)

Zu 3.
Bezüglich dem Begriff Spielregel bin ich noch nicht konkret genug. Das merke ich jetzt auch. Bleiben wir beim Fußball. Darunter fällt mit Sicherheit, dass man 11 Spieler pro Mannschaft aufstellen und 3 Spieler pro Spiel ein- bzw. auswechseln darf etc. Das ist aber noch nicht alles. Es gibt derzeit keine konkrete Spielregel für das Gewinnen von Spielen. Manchmal kann es sein, dass man auf einer bestimmten Position den individuell technisch stärksten Spieler einsetzt. Es kann aber eben auch sein, dass in bestimmten Situationen der kopfballstärkste Spieler der Mannschaft mehr hilft. Diese Situation ist für den Trainer prinzipiell unentscheidbar. Deshalb muss er auch entscheiden und übernimmt dafür die Verantwortung, da er sich nicht auf etwas wie eine Spielregel stützen kann. Verliert seine Mannschaft und jemand wirft dem Trainer vor, dass er nicht 12 Spieler aufgestellt hat, kann er sich auf die Spielregel berufen und diesen speziellen Vorwurf von sich weisen. Der Trainer muss nicht entscheiden, ob er 11 oder 12 Spieler aufstellt. Bezüglich des speziellen Aufstellens von Spielertypen kann man ihm bei verlorenen Spielen einen Vorwurf machen. Es gibt dafür keine Spielregel, weshalb der Trainer entscheiden muss und dafür die Verantwortung übernimmt. Angenommen es gäbe eine Spielregel bzgl. des Aufstellens spezieller Spielertypen, dass man beispielsweise bei einem Torrückstand stets den Torwart gegen einen kopfballstarken Spieler ersetzt, der Trainer dies tut und trotzdem verliert, hat der Trainer nicht entschieden. Er hat sich auf die Spielregel verlassen und übernimmt keine Verantwortung mehr. Das Kennen dieser Spielregeln gehört zum Wissen. Wenn sich ein Trainer bewusst gegen eine Spielregel stellt, landet er wieder bei einer prinzipiell unentscheidbaren Situation. Er übernimmt dann wieder die Verantwortung. Er entscheidet dann wieder.

Ich verstehe, was Du meinst, möchte nur die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass zu oft die Klarheit fehlt, welche Spielregeln anzuwenden sind. Einfach ist es, ob die Mannschaft draußen oder in der Halle spielt. Denn in der Halle gibt es andere Spielregeln, dort darf er maximal 5 Spieler aufstellen. Übertragen auf die Unternehmungsführung gibt nicht es viele verschiedene Spielregeln, deren Konditionen, wann welche Spielregel anzuwenden ist, nicht so klar definiert ist wie beim Fußballbeispiel (Draußen oder Halle). Alleine die Auswahl nach welchen Spielregeln gemanagt werden soll, bedarf der Entscheidung und Rechtfertigung.

Saludos,
Daniel

Conny Dethloff

Hallo Daniel,

auf diesem Wege auch noch einmal ein dickes Danke für unseren Dialog.

zu 3.
Spielregel verwende ich so, dass es für eine Situation genau eine Spielregel gibt, keine zweite. Wenn es zwei mögliche Spielregeln geben würde, dann liegt quasi keine Spielregel vor. Dann müsste man wieder entscheiden und man hätte eine prinzipiell unentscheidbare Situation.

zu 4.
Ich habe das Thema Ethik und Moral noch einmal durchdacht. Bei einer Moral existieren Spielregeln, also für eine spezielle Situation genau eine. Das heißt bei moralischem Handeln entscheidet man nicht, da man laut der Spielregel handelt. Man handelt einfach. Bei ethischem Handeln entscheidet man vorher, da keine Spielregeln existieren. Wenn man sich gegen die Spielregel in einer speziellen Situation stellt, stellt man sich gegen die aufgestellten moralischen Prinzipien. Dann entscheidet man wieder.

Beste Grüße,
Conny

Daniel Juling

Hallo Conny,
Ich würde es so formulieren: Wissen => Erwartungsstrukturen => begrenzen die Auswahl von Möglichkeiten => Wissen vermindert die Wahlmöglichkeiten zwischen denen man sich entscheiden kann. Im Extremfall gibt es nur eine Möglichkeit, was Du als Spielregel bezeichnest. Das ist das Gegenteil von Komplexität und Nichtwissen.
Auch ich bedanke mich für diesen Dialog und für Deine Präsentation über Komplexität und Entropie im [Philosophischen Café].
Saludos,
Daniel

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Managementliteratur des Mainstreams steht dem Lernen und Fortschritt im Wege

Der Titel dieses Posts klingt wahrscheinlich für einige Leser provokant und pauschal. Zweiteres möchte ich mit der Argumentationskette, die ich in diesem Post ausführe, ausräumen. Provokant allerdings soll es bleiben, denn ich möchte gerne auch gegenteiliges Feedback bekommen, um meine Gedanken und Ideen zu validieren.

Managementliteratur des Mainstreams ist voll von Tautologien und bringt damit den Lesern keine neuen Informationen. In Büchern des Mainstream-Managements werden Projekte und Aktivitäten retrospektiv deskriptiv analysiert und daraus dann normativ Regeln aufgestellt. Genau hier liegt oft der Bruch, den ich aufzeigen möchte. Der Leser findet in diesen Lektüren ausschließlich das bestätigt, was er bereits kennt, nur vielleicht in anderen sprachlichen Konstrukten. Der Grund dafür ist, dass auf der einen Seite die Autoren sich einer inhaltlichen Diskussionen entziehen wollen und deshalb definitorische Prämissen setzen, die damit zu keinen Begründungen führen, sondern eben zu Tautologien. Angedeutet habe ich diese Ausage bereits in meinem Post Die Managementliteratur ist gespickt mit Plattitüden und inhaltsleerem Text. Aber nun zu meiner Argumentationskette.

Belegen möchte ich meine im Titel dieses Posts postulierte Behauptung in zwei Schritten. Im ersten Schritt möchte ich den schottischen Philosophen David Hume (1711-1776) zu Rate ziehen, genauer gesagt, den Fehlschluss vom Sein zum Sollen, den er in seinem Buch “A Treatise of Human Nature” ausführt. Dieser Fehlschluss ist auch als Humes Gesetz bekannt. Aufsetzend darauf werde ich in einem zweiten Schritt, die Ideen und Gedanken des englischen Philosophen George Edward Moore (1873-1958) nutzen. Moore hat in seinem Buch “Principia Ethica” den so genannten naturalistischen Fehlschluss hergeleitet. Beide Gesetze zählt man zum Bereich der Metaethik. Aber das nur so nebenbei.

Schritt 1: Sein-Sollen Fehlschluss (Erkenntnistheoretische Betrachtung)

David Hume meint, dass man von Fakten nicht auf Normen schließen darf. Das geht schlichtweg nicht. Schematisch dargestellt, kann man nicht von “A ist B” auf “A ist gut” schließen. Dieser Schluss ist laut Hume nicht zulässig, weil die Prämisse fehlt, die da heißen könnte “B ist gut”. Also aus “B ist gut” und “A ist B” kann man ohne weiteres schließen “A ist gut”. Jetzt würde man formallogisch keinen Fehler machen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt habe ich noch keine Aussage über den Inhalt gemacht, sondern lediglich über die Form.

Eines möchte ich noch einschieben. Ich werde stets die schematischen Darstellungen aus Gründen der leichteren Verständlichkeit auf Beispiele reflektieren. Dabei möchte ich mich stets nur auf einen Beispielkomplex beziehen, um die Durchgängigkeit und damit einhergehend die Verständlichkeit zu erhöhen. Es geht um den Methodizismus, sprich das unbedingte Festhalten an Best Practices. Dieses Verhalten habe ich übrigens in meinem Beitrag Best Practice ist das Ergebnis verzweifelter Trivialisierung reflektiert.

Um zu einer inhaltlichen Betrachtung zu kommen, möchte ich also ein Beispiel heranziehen. Sehr häufig höre ich bzgl. des Anwendens von Methoden Aussagen wie “In der Methode xyz stehen für die Phase abc folgende Aktivitäten an.” Das ist ein Fakt, wenn wir davon ausgehen wollen, dass dies auch wirklich so geschrieben steht. Das ist also die Form “A ist B”. Daraus wird aber viel zu oft geschlossen, dass genau deshalb diese Aktivitäten auch jetzt in diesem Projekt durchgeführt werden müssen, also das “A gut ist”. Mit diesem Schluss begeht man also einen formallogischen Fehler. Es wäre notwendig, den Konstrukteur dieses Schlusses nach der Prämisse zu fragen. Erst dann kann man in eine inhaltliche Diskussion gehen. Die Prämisse könnte sein “Die Methode ist richtig, da sie bereits häufig in Projekten angewendet wurde”, also “B ist gut”. Prämissen dieser Art sind aber inhaltlich stets angreifbar. Denn ich könnte entgegnen, dass dieses Projekt nun anders ist und die Methode nicht mehr passen würde. Wenn ich also die Prämisse anzweifle, zweifle ich auch automatisch die Begründung für eine bestimmte durchzuführende Handlung an, dass nämlich die Aktivitäten durchgeführt werden müssen. Das kann weh tun, weshalb häufig versucht wird, Diskussionen im Keim zu ersticken oder erst gar nicht aufkommen zu lassen, aber immer unter dem Deckmantel den Sein-Sollen Fehlschluss nicht zu machen. Damit kommen wir zum Schritt 2.

Schritt 2: Naturalistischer Fehlschluss (Sprachanalytische Betrachtung)

Wie eben erwähnt, erlebe ich häufig, dass in Diskussionen sehr oft statt Prinzipien Definitionen als Prämissen gesetzt werden. Hier ziehen wir nun George Edward Moore zu Rate. Prinzipien der Art “Die Methode ist richtig, da sie bereits häufig in Projekten angewendet wurde” (B ist gut) kann man inhaltlich angreifen. Darüber lässt sich diskutieren. Definitionen, die folgende Form haben “Gut bedeutet B” aber lassen sich inhaltlich nicht angreifen. Über Definitionen diskutiert man eben nicht. Diese stimmen stets. Auf das Beispiel bezogen könnte eine Definition als Prämisse die folgende sein “Wir arbeiten streng nach der Methode und dort sind eben diese Aktivitäten aufgeführt”. Das Setzen von Definitionen als Prämissen ist aber laut Moore nicht zulässig, da dann die Argumentationskette zu einer Tautologie verkommt. Sie wird quasi nichtsagend, liefert also keine Begründung für Handlungen. Nehmen wir also noch einmal die 3 Aussagen her.

“Wir arbeiten streng nach der Methode und dort sind eben diese Aktivitäten aufgeführt”
“In der Methode xyz stehen für die Phase abc folgende Aktivitäten an.”
“Die Aktivitäten müssen durchgeführt werden.”

Wenn Sie jetzt Jemanden fragen “Warum müssen die Aktivitäten durchgeführt werden?”, bekommen sie die Antwort “Weil sie laut Methode vorgegeben sind”. Das ist ein typischer Methodizismus. Sie bekommen quasi keine neue Information, also nichts was sie nicht auch schon wissen. Bei einem anderen Beispiel wird das wahrscheinlich deutlicher.

“Junggesellen sind unverheiratete Männer.”
“Joachim ist ein unverheirateter Mann.”
“Joachim ist ein Junggeselle.”

Die erste Aussage ist eine Definition. Wenn Sie fragen würden: “Warum ist Joachim ein Junggeselle” und Sie die Antwort erhalten “Weil er unverheiratet ist”, würden Sie sich wahrscheinlich recht herzlich bedanken. Sie erhalten keine neue Information. Anders ist es, wenn Sie Folgendes vor sich haben.

“Männer, die sich nicht pflegen, bleiben häufig Junggeselle.”
“Joachim pflegt sich nicht.”
“Joachim ist ein Junggeselle.”

Stellen Sie nun wieder die Frage: “Warum ist Joachim ein Junggeselle”, bekommen Sie die Aussage: “Weil er sich nicht pflegt”. Damit erhalten Sie eine Information, die neu für Sie ist (Deshalb ist es ja erst eine Information für Sie). Natürlich baut die Argumentationskette “Joachim ist Junggeselle, weil er sich nicht pflegt” auf die postulierte Prämisse auf “Männer, die sich nicht pflegen, bleiben häufig Junggeselle.”, die natürlich diskutierbar ist, wodurch auch die Begründung, warum Joachim Junggeselle ist, diskutierbar ist.

Fazit

Die Diskutierbarkeit der getroffenen Aussagen und Handlungsempfehlungen wollen aber viele Autoren von Managementbüchern vermeiden. Die Autoren entziehen sich dem formallogisch Fehlschluss vom Sein zum Sollen. Das ist fein. Sie begehen aber den naturalistischen Fehlschluss, da sie Definitionen als Prämissen ihrer Handlungsbegründungen setzen. Das ist aber nicht immer so leicht ersichtlich für uns Menschen, da sich hier zwei Ebenen begegnen, die erkenntnistheoretische und die sprachlogische Ebene. Wenn beide Ebenen nah beieinander liegen, wie beim Beispiel des Junggesellen, ist der Fehlschluss leicht wahrnehmbar und wir fragen nach einer “richtigen” Begründung. Wenn dies aber nicht der Fall ist und deshalb der Unterschied nicht so intuitiv erkennbar ist, wie bei dem Beispiel mit dem Methodizismus, nehmen wir die Begründung oft so hin, obwohl sie keine ist, sondern eine Tautologie.

Und genau so definiere ich auch Mainstream. Im Mainstream werden Definitionen als Prämissen gesetzt. Man ist dadurch nicht angreifbar, trägt aber auch nichts zum Erkenntnisgewinn bei.

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Wer keine Verzögerungen erkennt ist und bleibt ein Symptombekämpfer

Heute Morgen habe ich im ARD Morgenmagazin mit hohem Interesse einen Beitrag um die Problematik der Knappheit von Bewerbern für Lehrstellen verfolgt. In diesem Beitrag wurde mit Erstaunen betont, dass 2004 die Situation noch so war, dass es zu wenig Lehrstellen für die Bewerber gab, woraufhin beschlossen wurde, mehr Lehrstellen zu schaffen. Erreicht hat man damit das entgegengesetzte Extremum, nämlich zu viele Lehrstellen für die verfügbaren Bewerber. Mal schauen, was die Politiker nun entscheiden.

Das ist ein Phänomen, welches man sehr häufig in dynamisch komplexen Situationen beobachten kann. Ich spreche hier von Verzögerungen. Wir Menschen nehmen Situationen der Umwelt nicht nur gefiltert und selektiv wahr, sondern auch verzögert. Das bedeutet, Wirkungen, die wir in der Gegenwart erkennen und fühlen, haben ihre Ursache in der Vergangenheit. Wenn wir den Blick in die Vergangenheit nicht schärfen und auf Basis der jetzt wahrgenommenen Geschehnisse entscheiden und agieren, erlebt man sehr häufig ein Übersteuern. Man packt das Übel quasi nicht an der Wurzel, sondern es bleibt bei Symptombekämpfung. Am oben genannten Beispiel können Sie das sehr schön erkennen. Man nimmt wahr, dass es zu wenig Lehrstellen gibt, also setzt man Maßnahmenpläne auf, die Lehrstellen schaffen sollen. Das war im Jahr 2004 der Fall. Nach einer gewissen Zeit, nämlich heute im Jahr 2012, bemerkt man, dass zwar die Lehrstellen nun in ausreichendem Maße existieren, jedoch nicht die Bewerber für diese Lehrstellen. Ein typisches Entscheidungsmuster, welches Nichtlinearitäten außer Acht lässt, wäre nun, den Fokus vom Schaffen von Lehrstellen herabzusetzen. In x Jahren hätte man dann wieder zu wenig Lehrstellen und das Spiel beginnt von Neuem.

Um diesen Wirkungen, und nicht den Symptomen, entgegenzuwirken, müssten wir also in die Vergangenheit zurückgehen und mit dem Wissen von heute entscheiden, was selbstredend nicht möglich ist. Möglich und notwendig ist aber, die Sensibilität gegenüber Verzögerungen zu erhöhen. Das bedeutet, dass man so genannte Frühindikatoren definiert, mit denen in der Gegenwart Geschehnisse aus dem Möglichkeitsraum der Zukunft validiert werden können. Entsprechend dieser Indikatoren würde man also entscheiden und agieren, bevor man die Fehlentwicklungen wahrnimmt. Das hört sich vielleicht an wie Zauber oder Magie. Ist es aber nicht, denn ich spreche nicht davon die Zukunft vorherzusagen. Es geht eher darum, das lineare Denkschema abzustreifen. und Ursache-Wirkungs-Beziehungen in einem nichtlinearen Kontext zu betrachten.

System Dynamics als Methode aber auch als Werkzeug kann helfen diese nichtlinearen und deshalb verzögerten Vernetzungen zu identifizieren und Maßnahmen zu entwickeln. Nur, wer vermittelt es den Politikern? Haben wir im Jahre 1018 wieder zu wenig Lehrstellen? Ich glaube ja. Leider.

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Muss man einen Wettlauf mit der Komplexität eingehen?

Ich möchte gleich mal vorweg die Frage beantworten und anschließend herleiten. Die Frage stellt sich nicht wirklich. Sie ist, wenn ich an dieser Stelle den Kybernetiker Heinz von Förster bemühen darf, entscheidbar. Die Frage beantwortet sich quasi von selbst. Dazu braucht es keinen Menschen. Die Spielregeln, die uns Komplexität und Entropie vorgeben, zwingen uns zu einem Wettlauf. Wir haben keine andere Wahl, wenn wir leben wollen. Allerdings, und damit möchte ich nicht pessimistisch wirken, werden wir diesen Wettlauf niemals gewinnen. Komisch, oder? Würden Sie in einem Sportwettkampf antreten, wo sie von vornherein wissen, nehmen wir einmal an, das wäre theoretisch denkbar, dass sie verlieren. Und das immer und immer wieder, egal wie sie sich auch anstrengen? Wahrscheinlich nicht. Bezüglich der Komplexität müssen wir das aber tun.

In meinem Post Den Wettlauf mit der Komlexität können wir nicht gewinnen habe ich diesen Aspekt schon einmal auf das Führen von Unternehmen beleuchtet. Ich möchte dieses Thema hier noch einmal aufgreifen, da ich neue Erkenntnisse gewonnen habe, nicht zuletzt durch meinen Vortrag Entropie und Komplexität, den ich am 23. Januar 2012 im Rahmen des Philosophischen Cafes gehalten habe. Dort finden Sie auch die Folien, die ich präsentiert habe. Also noch einmal ganz deutlich.

Den Wettlauf mit Komplexität werden wir niemals gewinnen, so sehr wir uns auch anstrengen. Wir müssen ihn aber annehmen. Da bleibt uns nicht anderes übrig.

Die Gründe für meine Sichtweise möchte ich gerne herleiten. Am Anfang möchte ich zwei Definitionen von Heinz von Förster anbringen, die sich auf Komplexität und Entropie beziehen.

Eine Situation ist ist je komplexer, desto größer die Anzahl der Zustände sind, die diese Situation in der Zukunft annehmen könnte.

und

Ein System ist je kleiner von Entropie, desto kleiner die Beschreibung von ihm ist.

An den Definitionen erkennt man die Beziehung zwischen Komplexität und Entropie. Diese Beziehung werde ich u.a. in meiner Argumentationskette nutzen. Ein Unternehmen ist ein energetisch offenes System. Um Lebensfähigkeit herzustellen, muss ein Unternehmen stetig seine Entropie verringern. Diese Entropie wird an die Umwelt des Unternehmens (Markt, Kunde, Lieferant etc.) entsorgt. Das bedeutet, ein Unternehmen muss in regelmäßigen Abständen seine Komplexität verringern. Damit wird aber automatisch die Komplexität der Umwelt erhöht. Wenn man dem Satz der erforderlichen Varietät von William Ross Ashby Glauben schenkt, und das tue ich, dann muss ein Unternehmen auf Grund der Erhöhung der Komplexität der Umwelt auch seine eigene Komplexität erhöhen. Ein Unternehmen bewegt sich also im Spannungsfeld steter Komplexitätsschwankungen, die es selbst herbeiführen muss. Da auf einer Makroebene betrachtet, die Komplexität der Umwelt des Unternehmens stetig steigt und Dennis Meadows uns schon gelehrt hat, dass nichts ohne Begrenzung wachsen kann, bleiben einem Unternehmen genau 2 Alternativen. Die erste, den Wärmetod zu sterben, da man die Komplexität der Umwelt nicht mehr handhaben kann und quasi in “Unordnung” (hohe Entropie) zu Grunde geht, ist wohl die unerwünschte Alternative. Bleibt die zweite Alternative. Das Unternehmen muss die Komplexität der Umwelt verringern. Das genau passiert in Change Initiativen. Die folgende Graphik zeigt diese Konstellation.

Ein Unternehmen stellt sich im Rahmen von Changes neu auf, erschließt beispielsweise neue Marktsegmente oder neue Kundengruppen, launcht neue Produktgruppen oder harmonisiert bzw. konsolidiert interne Prozesse. Dadurch schränkt ein Unternehmen die Handlungsalternativen oder Freiheitsgrade des Marktes ein, da sich beispielsweise das neue Produkt noch nicht in der Sättigungsphase befindet. Oder weil beispielsweise die Mitbewerber und auch Kunden sich auf die neue Situation erst einstellen müssen. Auf der anderen Seite verringert das Unternehmen auch seine eigene Komplexität, da auch die eigenen Freiheitsgrade verringert werden. Wer kennt das nicht? In bekannten Prozessen finden Mitarbeiter im Laufe der Zeit immer wieder Schlupflöcher, um sie zu ihrem Gunsten zu nutzen. Oder es entstehen im Laufe der Zeit Prozessvarianten. Beim Initiieren neuer Prozesse müssen sich die Mitarbeiter erst einmal daran gewöhnen und handeln strikt nach diesen.

Aus meiner Sicht liegt die Bedeutung von Change Initiativen also darin, die Komplexität der Umwelt des Unternehmens zu verringern, um die Lebensfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen. Die obere Graphik suggeriert aber, dass Unternehmenslenker alle Handlungsoptionen und Freiheitsgrade der Umwelt, sprich der Kunden, der Mitbewerber, der Liefranten etc. erkennen kann. Das ist aus meiner Sicht nicht der Fall und wird nie der Fall sein. Unternehmenslenker haben stets eine eingeschränkte Sicht auf die Umwelt. Das ist auf der einen Seite der gefilterten und bereits durch subjektiv gemachte Erfahrungen reflektierten Aufnahme der Signale der Umwelt geschuldet. Menschen können nicht alle Daten und Signale der Umwelt aufnehmen. Das für Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich der elektromagnetischen Strahlung von 380 bis 780 nm Wellenlänge. Menschen hören Schwingungen zwischen 20 und 20000 Hz. Das menschliche Auge nimmt pro Sekunde 10 Mio. Bits Daten auf, wovon nur 40 Bits vom Gehirn für den Menschen unbewusst verarbeitet. Das menschliche Ohr nimmt pro Sekunde 100 Tsd. Bits Daten auf, wovon nur 30 Bits vom Gehirn für den Menschen unbewusst verarbeitet. Ein praktisches Beispiel möchte ich Ihnen auch noch geben, welches widerspiegelt, dass wir nicht nur Daten und Signale der Umwelt filtern, sondern auch noch anders wahrnehmen. Halten Sie einen Einsenstab ins Wasser, dann sehen Sie den Eisenstab an der Wasseroberfläche gebrochen. Obwohl Sie ganz genau wissen, dass dieser Stab nicht gebrochen ist und sich das auch einreden, sehen Sie trotzdem den Bruch.

Auf der anderen Seite ist dies aber auch die Unsicherheitsabsorption geschuldet, die Menschen benötigen, um überhaupt handlungsfähig zu sein und nicht in Angststarre zu verfallen. Planung ist beispielsweise eine solche Unsicherheitsabsorption. Planungsprozesse haben die Aufgabe den Möglichkeitsraum potentieller Ereignisse in der Zukunft auf wenige einzuschränken. Dadurch werden also die Freiheitsgrade der Umwelt auf natürliche Weise, durch unsere Erkenntnisprozesse und auf künstliche Weise, durch Planungsprozesse, eingeschränkt. Übrig bleibt eine Sicht auf die Umwelt, die nicht die Umwelt an sich sein kann, niemals. Damit einhergehend müssen wir natürlich auch eine weitere Komplexität betrachten, nämlich die Komplexität, die ein Unternehmen von seiner Umwelt wahrnimmt. Folgende Graphik inkludiert diese dritte Komplexität. Eine Anmerkung habe ich zu den beiden Graphiken. Diese sollen eine rein schematische Darstellung sein. Also nageln Sie mich bitte nicht auf ganz konkrete Werteverhältnisse zwischen den aufgezeigten Komplexitäten fest.

Diese dritte Komplexität, die Komplexität, die ein Unternehmen von seiner Umwelt wahrnimmt, ist natürlich stets kleiner als die reale Komplexität der Umwelt. Und ich bin mir relativ sicher, dass es genau diese ist, die in vielen Managementlehrbüchern behandelt wird, wenn davon gesprochen wird, dass Komplexität beherrschbar sein soll. Denn wenn man sich vor Augen führt, dass Komplexität korreliert mit allen möglichen Handlungsalternativen und dann die des Unternehmens und die seiner Umwelt gegenüberstellt, scheint klar zu sein, dass ein Unternehmen niemals alle möglichen Alternativen der Umwelt in Betracht ziehen kann, sondern sich auf eine bestimmte Auswahl fokussieren muss.

Aus diesem Blickwinkel beleuchte ich auch die Aussagen von Fredmund Malik, der immer wieder behauptet, dass Unternehmen die Komplexität des Marktes beherrschen müssen und genau dies von den Managern einfordert. Andererseits kann ich ihn verstehen. Denn wie will er sonst seine Managementmodelle und -instrumente verkaufen, wenn er dazu betont, dass man auch mit diesen Instrumenten Komplexität nicht beherrschen kann. Jedenfalls haben mich seine Ausführungen und Arbeiten zum Thema nicht vom Gegenteil überzeugen können. Was nicht heißen soll, dass dies niemals passieren wird. Deshalb möchte ich auch noch einmal betonen, dass die hier dargelegte Sichtweise meine eigene ist und ich diese derzeit mit dem Wissen und den Erkenntnissen, die ich auf meiner Reise des Verstehens gewonnen habe, sinnhaft herleiten kann. Ich bin aber offen, diese Sichtweise mit guten Argumenten ins Wanken zu bringen. Dazu möchte ich Sie ermuntern.

Fazit

Effektives und effizientes Führen von Unternehmen bedeutet nicht, die Komplexität der Umwelt des Unternehmens zu steuern oder zu managen usw. usf., da dies unmöglich ist. Es ist eher wichtig die wahrgenommene Komplexität der Umwelt und damit zwangsläufig die eigene Komplexität des Unternehmens an die reale Komplexität des Unternehmens anzunähern. Das passiert einerseits durch “richtige” Planung. Unter richtiger Planung verstehe ich nicht, wie heute zu häufig praktiziert, das Einengen des gesamten Möglichkeitsraumes der Zukunft auf genau eine und dann daran dogmatisch festzuhalten. Richtige Planung ist aus meiner Sicht das Durchspielen verschiedenster Szenarien mittels Modellierung und Simulation, um dann im Fall des Eintreffens flexibel und schnell agieren zu können. Ich schreibe mit Absicht agieren und nicht reagieren, denn “richtige” Planung bedeutet in meinen Augen die Zukunft zu gestalten. Eine Annäherung schafft man aber auch in dem in regelmäßigen Abständen die reale Komplexität der Umwelt des Unternehmens im Rahmen von Change Initiativen verringert wird. Da Komplexität und Entropie korrelieren und Entropie eine Größe ist, die bei Raumvergrößerung sinkt, gilt gleiches Abinken auch für die Komplexität. Raumvergrößerung übersetzt in die Sprache der Wirtschaft bedeutet beispielsweise ein Erschließen neuer Märkte oder neuer Kundengruppen oder das Launchen neuer Produkte.

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