Heute Morgen habe ich im ARD Morgenmagazin mit hohem Interesse einen Beitrag um die Problematik der Knappheit von Bewerbern für Lehrstellen verfolgt. In diesem Beitrag wurde mit Erstaunen betont, dass 2004 die Situation noch so war, dass es zu wenig Lehrstellen für die Bewerber gab, woraufhin beschlossen wurde, mehr Lehrstellen zu schaffen. Erreicht hat man damit das entgegengesetzte Extremum, nämlich zu viele Lehrstellen für die verfügbaren Bewerber. Mal schauen, was die Politiker nun entscheiden.
Das ist ein Phänomen, welches man sehr häufig in dynamisch komplexen Situationen beobachten kann. Ich spreche hier von Verzögerungen. Wir Menschen nehmen Situationen der Umwelt nicht nur gefiltert und selektiv wahr, sondern auch verzögert. Das bedeutet, Wirkungen, die wir in der Gegenwart erkennen und fühlen, haben ihre Ursache in der Vergangenheit. Wenn wir den Blick in die Vergangenheit nicht schärfen und auf Basis der jetzt wahrgenommenen Geschehnisse entscheiden und agieren, erlebt man sehr häufig ein Übersteuern. Man packt das Übel quasi nicht an der Wurzel, sondern es bleibt bei Symptombekämpfung. Am oben genannten Beispiel können Sie das sehr schön erkennen. Man nimmt wahr, dass es zu wenig Lehrstellen gibt, also setzt man Maßnahmenpläne auf, die Lehrstellen schaffen sollen. Das war im Jahr 2004 der Fall. Nach einer gewissen Zeit, nämlich heute im Jahr 2012, bemerkt man, dass zwar die Lehrstellen nun in ausreichendem Maße existieren, jedoch nicht die Bewerber für diese Lehrstellen. Ein typisches Entscheidungsmuster, welches Nichtlinearitäten außer Acht lässt, wäre nun, den Fokus vom Schaffen von Lehrstellen herabzusetzen. In x Jahren hätte man dann wieder zu wenig Lehrstellen und das Spiel beginnt von Neuem.
Um diesen Wirkungen, und nicht den Symptomen, entgegenzuwirken, müssten wir also in die Vergangenheit zurückgehen und mit dem Wissen von heute entscheiden, was selbstredend nicht möglich ist. Möglich und notwendig ist aber, die Sensibilität gegenüber Verzögerungen zu erhöhen. Das bedeutet, dass man so genannte Frühindikatoren definiert, mit denen in der Gegenwart Geschehnisse aus dem Möglichkeitsraum der Zukunft validiert werden können. Entsprechend dieser Indikatoren würde man also entscheiden und agieren, bevor man die Fehlentwicklungen wahrnimmt. Das hört sich vielleicht an wie Zauber oder Magie. Ist es aber nicht, denn ich spreche nicht davon die Zukunft vorherzusagen. Es geht eher darum, das lineare Denkschema abzustreifen. und Ursache-Wirkungs-Beziehungen in einem nichtlinearen Kontext zu betrachten.
System Dynamics als Methode aber auch als Werkzeug kann helfen diese nichtlinearen und deshalb verzögerten Vernetzungen zu identifizieren und Maßnahmen zu entwickeln. Nur, wer vermittelt es den Politikern? Haben wir im Jahre 1018 wieder zu wenig Lehrstellen? Ich glaube ja. Leider.
Guten Tag Herr Dethloff
Ist Politik systemisch? Ist ein Parteiprogramm systemisch? Wählt die Bevölkerung systemisch oder wird der gewählt, der am Meisten Versprechungen macht oder Erfolge vorweisen kann?
In der Politik müssen häufig schnelle Erfolge erzielt werden. Griechenland muss schnell gerettet werden (sonst rollen Köpfe), der Euro muss schnell gegenüber dem Schweizerfranken stabilisiert werden (sonst rollen Köpfe). Niemand ist bereit, auf Annehmlichkeiten zu verzichten. Vor allem, wenn sonst auch niemand darauf verzichtet. Rein die Hoffnung, dass etwas ohne Schmerz und Opfer geschehen könnte, hält dieses Verhalten am Leben.
Aus dem Grund verwundert mich die Aussage zu den Lehrstellen nicht. Vermutlich will auch niemand ein gut reguliertes und nachhaltiges System bzw. man ist nicht bereit dazu, seinen Beitrag zu leisten. Vermutlich verdienen viele Leute Geld mit diesem System. Sonst bräuchte es auch keine Massnahmenpakete um wieder etwas zu verbessern (erst investieren, dann sparen um wieder zu investieren).
In diesem Sinne: Weiter mit der Flickschusterei…
Freundliche Grüsse
Thomas Verasani
Hallo Herr Verasani,
ich denke auch, dass sich (viele) Politiker den Auswirkungen ihrer Entscheidungen bewusst sind. Leider sind es aber gerade die Politiker, die Nutznießer des vorherrschenden Systems sind. Warum sollten denn gerade die Akteure eines Systems, die am meisten von den gegebenen Rahmenbedingungen profitieren, diese ändern wollen?
Trotz allem oder vielleicht gerade deshalb besteht meine Intension darin, diese Zusammenhänge aufdecken zu wollen.
Beste Grüße,
Conny Dethloff
Guten Tag Herr Dethloff
Ich kann Ihrer Intention nur beipflichten.
Die Politiker profitieren zwar davon, die Wähler wählen und könnten auswählen. Offenbar ist die Wählermehrheit immer noch davon überzeugt, dass es für komplexe Themen einfache und schnelle Lösungen gibt.
Freundliche Grüsse
Thomas Verasani