Im letzten Post habe ich das Thema End-to-End (ab sofort E2E abgekürzt) in Prozesssichten von Unternehmen aufgegriffen und meine Sicht dazu dargelegt. In diesem Post möchte ich nun diese Erkenntnisse nutzen, um ein Handelsunternehmen E2E zu skizzieren. Dabei gehe ich auf die im letzten Post am Ende aufgestellten Fragen ein.
Nach welchen Kriterien lassen sich notwendige externe E2E Prozesse in Unternehmen definieren und wie sehen diese aus?
E2E in Prozessen bedeutet für mich wie bereits erläutert, dass alle Trennungen in Prozessen, Rollen, Methoden, Standards etc. marktrelevant sein sollten. Da der Kunde beispielsweise ein Unternehmen nicht in Einkauf und Vertrieb einteilt, sollten diese Trennungen auch nicht in Prozessen vollzogen werden.
Was könnten also marktrelevante Trennungen sein?
Man könnte die Wünsche des Kunden in 3 große Bereiche, vereinfacht natürlich, einteilen. Der Kunde möchte Produkte finden, die er sucht. Er möchte sich inspirieren lassen, sprich er möchte auch Produkte finden, die er gar nicht sucht und an die er vielleicht noch gar nicht denkt. Zum Schluss möchte er natürlich auch diese Produkte, hat er sie dann bestellt, schnell geliefert bekommen. Diese 3 Wunschbereiche kann man auf die Kernprozesse eines Handelsunternehmens Vertrieb, Einkauf und Logistik projizieren.
Wenn man es nun ernst meint mit dem unbedingten Ausrichten auf den Kunden, also Bedürfnisse der Kunden befeuern und wahrnehmen, so wie diese dann auch befrieden, sollte man hier als Erstes nach Differenzierungsmerkmalen bei den Wunschbereichen suchen. Beispielsweise haben die Kunden unterschiedliche Erwartungen in der Liefergeschwindigkeit von Möbel, Elektro und Fashion. Diese unterschiedlichen Artikelgruppen werden auch unterschiedlich gelagert oder auch auch unterschiedlich vermarktet. Ist es da nicht sinnvoll, unternehmensintern bzgl. dieser Artikelgruppen auch Unterschiede in den Prozessen, Rollen und Methoden zu definieren, als diese gleichgetaktet über alle Produktgruppen hinweg operationalisiert zu haben und damit auf die Spezifika nicht oder nur unzureichend eingehen zu können?
Die folgende Abbildung stellt diese Konstellation dar.
Damit ist dann auch offensichtlich, dass es beispielsweise keinen zentralen Vertriebs- oder Einkaufsbereich mehr geben muss. Diese Bereiche sind dezentral auf die einzelnen E2E Prozessstreams aufgeteilt. Nun kann man sich natürlich richtigerweise die Frage stellen, ob denn überhaupt keine Synergien mehr zwischen den einzelnen E2E Prozessstreams gehoben werden sollen. Natürlich sollten sie, aber nicht zu Lasten des Durchsatzes der Marktbedürfnisbefriedigung in den einzelnen Prozessstreams. Das habe ich im letzten Post ausgeführt.
Wo ist es sinngekoppelt, da dem Mehrwertstrom in den Prozessstreams zuträglich, über das Heben von Synergien zwischen den externen E2E Prozessen nachzudenken? Wo ist es sogar notwendig, Synergien zwischen den externen E2E Prozessen zu heben?
Gehe ich erst einmal auf die notwendig zu teilenden Assets ein. Da fallen mir die Daten ein. Daten sind für ein Unternehmen wie das Blut für den menschlichen Körper. Daten müssen im gesamten Unternehmen überall hin ohne Barriere fließen können. Die einzelnen Prozessstreams müssen in der Lage sein, Daten untereinander austauschen zu können. Bestenfalls liegen die Daten zentral vor, so dass sich dann die einzelnen Prozessstreams davon bedienen können. Oft höre ich, dass dadurch die Eigenständigkeit der einzelnen E2E Prozessstreams beschnitten wäre. Das ehe ich nicht so, denn grundsätzlich können alle E2E Prozessstreams auf alle Daten zugreifen, welche sie allerdings verwenden, liegt in ihrer Verantwortung. Ob beispielsweise im E2E Prozessstreams “Möbel” Daten vom Kunden “Dethloff” des E2E Prozessstreams “Fashion” verwendet werden ist den “Möbel” Verantwortlichen überlassen. Für einige Fragestellungen mag es sinnvoll sein, für andere vielleicht weniger.
Am obigen Beispiel “Daten” kann man gut erkennen, wie man die Frage beantworten kann, welche Assets unbedingt zwischen den einzelnen E2E Prozessstreams geteilt werden müssen, um effektiver zu werden, und wo sie geteilt werden können, um effizienter zu werden. Sie erinnern sich an meinem letzten Post, in dem ich ausgeführt habe, das in komplexen Umgebungen Effektivität vor Effizienz kommt.
Weitere so genannte Assets eines Unternehmens, denen ich das Prädikat “muss geteilt werden” gebe, fasse ich mal unter die Begriffe “Wissen”, Erfahrung” und “Skills” zusammen.
Kommen wir nun zu den Assets, die geteilt werden, um dadurch Kosten zu sparen, sprich Synergien zu heben. Dazu zähle ich beispielsweise “IT Systeme”, “Hardware”, “Server”, aber auch zentrale Stabsfunktionen, wie Risikomanagement, Testmanagement oder Qualitätsmanagement. Gerade bei den zentralen Stabsfunktionen bekomme ich, ob dieser Einteilung, oft ein Stirnrunzeln entgegnet. Es gibt innerhalb der E2E Prozessstreams ebenfalls diese Funktionen, aber mit dem Unterschied, dass diese sehr nah am Inhalt sind und damit den Durchsatz an Marktbedürfnisbefriedigung erhöhen. Sie halten den Mehrwertstrom nicht auf, was man bei zentralen Stabsfunktionen häufig beobachten kann. Wenn man über solche zentrale Stabsfunktionen nachdenken sollte, dann nur mit der Haltung, dass diese warten, dass sie um Hilfe gefragt werden und sich nicht per gesetzlicher Vorschrift in die E2E Prozessstreams einklagen. Und dann sollten sie auch nur auf einer Metaebene beratend unterstützen, da sie keine Verantwortung besitzen.
Schaut man sich dieses Konstrukt der E2E Prozessstreams inklusive der zwischen ihnen auszutauschenden obligatorischen und fakultativen Assets und Funktionen genauer an, kommt man schnell auf das Gebilde einer Matrixorganisation. In diesem Dokument, in welchem knapp aber eingängig beschrieben wird, wie die Menschen bei Spotify arbeiten, stammt das folgende Zitat von S. 11.
In matrix terms, think of of the vertical dimension as “what” and the horizontal dimension as “how”.
Ich würde dieses Zitat ein wenig auf meine Gedanken anpassen wollen. Die hier angesprochene vertikale Dimension, also die E2E Ausrichtung, ist verantwortlich für das “Was” (Effektivität) und das “Wie” (Effizienz). Die horizontale Dimension befeuert mit dem Austausch der obligatorischen Assets das “Was” und “Wie” und mit den fakultativen Assets das “Wie”. Im Kontext zur eigentlichen Matrixorganisation, wo die Linienorganisation die horizontale Dimension und die Projektorganisation die vertikale Dimension bildet, ist die hier angesprochene Matrix einmal auf die Seite gekippt.
Wie ist das Zusammenspiel zwischen internen und externen E2E Prozessen in Unternehmen?
Nun komme ich auf die so genannten internen E2E Prozessstreams zu sprechen, die die Aufgabe haben, über das Bereitstellen von Services an die externen Prozessstreams, den Durchsatz an Marktbedürfnisbefriedigung zu erhöhen. Das möchte ich am Beispiel von Business Intelligence (BI) erklären. Aufgabe von BI in Unternehmen ist es, Entscheidungen, die in den einzelnen externen E2E Prozessstreams zu treffen sind, auf Basis von Daten mehrwertgenerierender im Sinne Durchsatzerhöhung zu gestalten. Die dafür notwendig zu erstellenden Services sind beispielsweise “Reporting” und “Data Science”. Reports dienen den Menschen in Unternehmen, durch Betrachten und Analysieren dieser, Erkenntnisse zu generieren und dann auf Basis dieser manuelle Entscheidungen zu treffen. Über Data Science werden analytische Modelle zur Verfügung gestellt, die es erlauben, automatisierte Entscheidungen auszuspielen. Die folgende Abbildung stellt dies am Zusammenspiel zwischen BI und dem E2E Prozessstream Elektro beispielhaft dar.
Wie gesagt, der so genannte interne BI E2E Serviceprozess ist nur ein Beispiel für einen internen E2E Prozessstream. Weitere kann man sich schnell überlegen. Nämlich immer dann, wenn der Reifegrad eines Unternehmens in bestimmten Teilen der externen E2E Prozessstreams nicht ausreichend ist für die Befriedigung der Marktbedürfnisse, kommen diese ins Spiel. In puncto Entscheidungen ist es also BI. Damit ist auch ersichtlich, dass je höher der Reifegrad ist, desto weniger erforderlich sind die internen E2E Prozessstreams, obwohl sie wohl niemals ganz aussterben werden, da ein Unternehmen sich ja stetig weiter entwickeln muss.
Was ist essentielle Voraussetzung für das Schaffen und Leben von internen und externen E2E Prozessen?
Nun kann man sich die Frage stellen, was in Unternehmen gegeben sein muss, um entlang der dargestellten E2E Prozessstreams zu denken und zu agieren. Als erstes sticht ja die absolute Marktnähe der jeweiligen Prozessstreams ins Auge, die letztendlich dazu führt, dass der Durchsatz an Marktbedürfnisbefriedigung hoch ist. Diese unterschiedlichen Marktnähen, denn es ist ja nicht nur “eine”, erreicht man aber nur mit einer vernetzten Architektur. Ich möchte hier gar nicht auf die immer wieder strapazierten Hypebegriffe wie “SOA” (Service Oriented Architecture) oder “MSA” (Microservice Architecture) eingehen. Aber letztendlich meine ich inhaltlich genau das, was in diesen Konzepten dargelegt ist: Das Bereitstellen einer vernetzten IT-Architektur, über welche man in der Lage ist, schnell den Reifegrad in den externen E2E Prozessstreams zu erhöhen.
Und hier erkennen wir es sehr deutlich. Das vernetzte Arbeiten in Unternehmen und das Erschaffen einer vernetzten IT-Architektur bedingen sich gegenseitig. Es ist müßig darüber zu diskutieren, was hier was verursacht oder bedingt (Henne-Ei-Thematik). Macht man sich diesen Fakt nicht immer wieder neu deutlich, sorgt man dafür, dass auch in Zukunft die Mode- und Hypewörter der IT aussterben und durch neue ersetzt werden.
Für SOA, um in unserem Kontext zu bleiben, wurde nun das Wort MSA erfunden. Neuer Name, gleiches Konzept. Wenn wir nicht begreifen, dass das Umsetzen neuer IT-Konzepte in der Regel auch mit neuen Konzepten der Führung und Zusammenarbeit einher gehen muss, werden wir weiterhin die neuen IT-Konzepte verdammen. Hoffen wir, dass es “Big Data” nicht in absehbarer Zukunft ähnlich ergehen mag. Ich habe bereits etwas von “Huge Data” gehört. Oh Mann!!!!
Das folgende Zitat von Melvyn Conway aus dem Jahre 1967 (!!!!) bringt es schön auf den Punkt.
Any organization that designs a system (defined broadly) will produce a design whose structure is a copy of the organization’s communication structure.
Es gibt einige Frameworks, so genannte agile Skalierungsrahmen, die genau den Fakt des vernetzten Arbeitens in Unternehmen “scheinbar” thematisieren. Ich möchte hier kurz auf das Scaled Agile Framework (SAFe) eingehen, da für mich derzeit am meisten von vielen Beratern “wie die Sau durch’s Dorf getrieben”. Über die folgende Abbildung gelangen Sie auf die Hauptseite dieses Frameworks, wo man sich viele detaillierte Informationen anlesen kann.
Hier ist natürlich Vorsicht geboten, wie bei jeder Methode oder bei jedem Framework. Häufig, so meine Wahrnehmung, verkommt eine Methode zum Selbstzweck und wird so zu einer Autorität für Denken und Handeln. Wenn man das nicht zulässt, können Methoden hilfreich sein. Methoden und Frameworks dürfen nicht als Rezept gesehen werden. Jedes Unternehmen ist anders. Dazu ebenfalls ein Link zu einem Post.
Nun bin ich noch das Thema “Kennzahlenorientierung in Unternehmen” schuldig, was ich aber auf einen weiteren Post verlagern, um diesen nicht zu lang werden zu lassen. Ich werde auf Basis des bislang Ausgeführten folgende weitere Fragen dazu beantworten.
- Welche Grenzen existieren beim Steuern von Unternehmen in komplexen Umgebungen?
- Welche Grenzen bestehen damit beim Aufstellen von Steuerungsmodellen in Unternehmen und damit einhergehend beim Definieren von Kennzahlen und KPIs zum Steuern dieser Modelle?
- Welche Sichten auf Kennzahlen und KPIs zum Messen von Erfolg in Unternehmen sind wichtig (Gegenwart vs. Zukunft, Innen vs. Außen, Lokal vs. Global)?
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