Heinz von Förster, der wohl größte Impulsgeber für mich auf meiner Reise des Verstehens, hat in diversen Beiträgen unsere Schulen angeprangert. Mit dem im Titel formulierten Satz
2 mal 2 ist grün.
hat er wie so oft aufrütteln wollen, Zusammenhänge in unserem Denken und Tun tiefgründiger zu beleuchten. In diesem Falle bezog er sich auf den Umgang mit Kindern und Jugendlichen in den Schulen.
Schüler werden in den Schulen trivialisiert. Sie werden dazu animiert, genau eine Antwort auf eine Frage zu geben, da nur diese eine Antwort vom Lehrer als “richtig” bewertet wird. Und um dem Ganzen dann auch noch die Krone aufzusetzen, motivieren wir die Schüler nicht nur dazu Ergebnisse auswendig zu lernen, sondern dies auch nur zu tun, um gute Zensuren zu bekommen.
Ein absoluter Wahnsinn.
Wie viele seiner Bücher, die von Förster im Laufe seiner Schaffenszeit geschrieben oder die über ihm geschrieben wurden, kann ich auch folgende Audio CD empfehlen.
Folgende Geschichte habe ich just zu diesem Thema auf dieser Seite gefunden, die das oben Gesagte eindrucksvoll verdeutlicht.
Vor einiger Zeit rief mich ein Kollege an und bat mich, ihm als Sachverständiger bei der Benotung einer Prüfungsaufgabe zu helfen.
Offensichtlich wollte er einem Schüler für die Bearbeitung einer Physikaufgabe keinen Punkt geben. Der Schüler jedoch meinte, er müsste die volle Punktzahl bekommen, wenn es mit rechten Dingen zuginge. Lehrer und Schüler waren übereingekommen zur Klärung dieser Frage einen Unparteiischen heranzuziehen und hatten mich dazu auserkoren. Ich ging in das Arbeitszimmer meines Kollegen und las mir die Prüfungsaufgabe durch: “Zeigen Sie, wie man mit Hilfe eines Barometers die Höhe eines Hochhauses bestimmen kann.” Die Antwort des Studenten: “Man nimmt das Barometer mit aufs Dach, bindet es an eine lange Schnur und lässt es daran auf die Straße hinunter. Dann holt man es wieder herauf und misst die Länge der Schnur. Diese Länge entspricht der Höhe des Gebäudes.”
In der Tat war das eine außerordentlich interessante Antwort, nur – konnte man dem Schüler dafür die volle Punktzahl geben? Zuerst wies ich einmal darauf hin, dass der Schüler das Recht ohne Zweifel auf seiner Seite habe, denn er hatte die Aufgabe vollständig und richtig gelöst. Andererseits jedoch: Wenn der Schüler die volle Punktzahl erhielt, dann konnte das dazu beitragen, dass er auch eine gute Note in Physik erhielt. Eine gute Note sollte dem Schüler bescheinigen, dass er Kenntnisse in Physik hat, gerade das aber wurde durch diese Art der Beantwortung der Prüfungsaufgabe nicht nachgewiesen.
Nachdem ich das überlegt hatte, schlug ich vor, dem Schüler noch einmal die Möglichkeit zur Bearbeitung der Aufgabe zu geben. Nicht überrascht war ich, dass mein Kollege diesem Vorschlag zustimmte. Dass auch der Schüler zustimmte, überraschte mich dann doch.
Aufgrund dieser Vereinbarung gab ich dem Schüler sechs Minuten zur Bearbeitung der Aufgabe und wies ihn darauf hin, dass seine Antwort Kenntnisse in Physik zeigen sollte.
Nach fünf Minuten hatte er noch kein Wort geschrieben Ich fragte ihn, ob er aufgeben wolle, weil ich mich noch um eine andere Klasse kümmern musste. Aber er sagte nein, er wolle noch nicht aufgeben. Er habe eine Reihe von Lösungsvorschlägen für dieses Problem und überlege sich gerade, welches der beste Vorschlag sei. Ich bat ihn um Entschuldigung für meine Unterbrechung und forderte ihn auf weiterzumachen.
In kürzester Zeit hatte er folgende Antwort zu Papier gebracht: „Man nimmt das Barometer mit auf das Dach des Gebäudes und lehnt sich über die Dachkante. Dann lässt man es fallen und stoppt die Dauer des Falls mit einer Stoppuhr. Schließlich ermittelt man die Höhe, indem man folgende Formel benutzt: 1/2 mal g mal t ins Quadrat.“
An dieser Stelle fragte ich meinen Kollegen, ob er aufgeben wolle – er wollte. Als ich das Arbeitszimmer meines Kollegen bereits verlassen wollte, fiel mir ein, dass der Schüler behauptet hatte, er habe noch andere Lösungsvorschläge. Ich fragte ihn danach.
“O ja”, sagte der Schüler, “es gibt noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten um die Höhe eines Hochhauses mit einem Barometer zu ermitteln. Zum Beispiel können Sie an einem sonnigen Tag das Barometer mit nach draußen nehmen und seine Höhe sowie die Länge seines Schattens abmessen. Dann messen Sie, wie lange der Schatten des Hochhauses ist, und bestimmen mit einer einfachen Verhältnisgleichung die Höhe des Gebäudes.”
“Prima”, sagte ich. “Wissen Sie noch eine andere Möglichkeit?”
“Ja”, erwiderte der Schüler. “Da gibt es noch eine sehr grundsätzliche Methode, die Ihnen gefallen wird. Sie nehmen das Barometer und gehen die Treppen hoch. Dabei markieren Sie die Höhe der Wand jeweils in Barometer-Einheiten. Dann brauchen Sie nur diese Barometer-Einheiten zusammen zu zählen und Sie erhalten die Höhe des Gebäudes in Barometer-Einheiten. Es ist allerdings eine sehr handgreifliche Methode. Sollten Sie an einer etwas subtileren Methode interessiert sein, dann könnten Sie das Barometer an eine Schnur binden und es als Pendel schwingen lassen. Sie bestimmen den Wert von ‘g’ (Schwerebeschleunigung) in der Formel ‘T = 2 mal Wurzel aus 1 durch g’ auf Straßenniveau und auf dem Dach. Aus der Differenz zwischen g1 und g2 können Sie prinzipiell die Höhe des Gebäudes errechnen.”
Schließlich meinte er: “Wenn Sie mich nicht auf eine physikalische Lösung festlegen, dann gibt es noch viele andere Möglichkeiten. Zum Beispiel könnten Sie das Barometer nehmen und beim Hausmeister anklopfen. Wenn er sich meldet, dann sprechen Sie wie folgt: ‘Lieber Herr Hausmeister, ich habe hier ein wunderbares Barometer. Wenn Sie mir die Höhe dieses Hauses verraten, dann gehört es Ihnen.’ ”
Hier endlich fragte ich den Schüler, ob er die erwartete Lösung wirklich nicht wisse. Er gab zu, dass er sie wusste. “Aber”, so fügte er hinzu, “er sei es leid, dass die Lehrer immer versuchten, ihm beizubringen, wie er denken und seinen kritischen Verstand gebrauchen sollte, statt ihm grundsätzliche Zusammenhänge zu zeigen und zu erklären. Deswegen habe er beschlossen, an einem Beispiel einmal zu zeigen, was für ein Theater das sei.
(Angeblich war der Schüler Niels Bohr.)