Systemarchetypen enttrivialisieren Entscheidungssituationen – Grenzen des Wachstums

Situationen, in denen Menschen beteiligt sind, sprich in “lebendigen” Situationen, sind laut des Kybernetikers Heinz von Förster prinzipiell nicht entscheidbar; und zwar deshalb nicht, weil Menschen “nicht-triviale Maschinen” sind. Die Entscheidungen sind stets eine Wette in die Zukunft. Damit unterscheiden sie sich von Situationen, wie beispielsweise das Lösen einer Rechenaufgabe wie “1+1”. Diese Situation ist bereits entschieden, muss also deshalb nicht mehr von Menschen entschieden werden.

Trotzdem müssen wir aber in prinzipiell nicht entscheidbaren Situationen entscheiden. Genau diese Tätigkeit macht unter anderem das Führen von Unternehmen aus. Die Schwierigkeiten des Entscheidens in prinzipiell nicht-entscheidbaren Situationen haben sich in der Vergangenheit findige Menschen zu Nutze gemacht und Modelle entwickelt, die diese Entscheidungen unterstützen sollen. Nur leider haben viele dieser Modelle einen entscheidenden Nachteil. Sie erfassen nicht die Dynamik dieser Situationen. Diese Modelle sind nämlich statisch. Dynamik, die Situationen oftmals erst so komplex erscheinen lassen, können Sie in dem von der Consideo GmbH erstellten Fitnesstest in Entscheidungssituationen nachvollziehen. Selbst in scheinbar einfachen Situationen haben wir enorme Schwierigkeiten ohne adäquate Hilfsmittel zu entscheiden. Nehmen Sie sich beispielsweise die scheinbar einfache Aufgabe “Tuchstärke” in diesem Test vor und überprüfen Sie sich selbst.

Ich habe eben adäquate Hilfsmittel erwähnt. Was könnten adäquate Hilfsmittel sein? Auf jeden Fall müssten diese Hilfsmittel oder Modelle die Dynamik der Nichtlinearitäten erfassen. Diese Dynamik kommt in lebenden Situationen durch Rückkopplungsschleifen zu Stande. Und genau diese Rückkopplungsschleifen legt Peter Senge in seinen Archetypen als Basis zu Grunde. Senge beschreibt diese Archetypen unter anderem in seinem Buch Die fünfte Disziplin: Kunst und Praxis der lernenden Organisation.

Die Archetypen stellen Verhaltensmuster von Menschen dar, die immer wieder bei diesen beobachtet werden können. Damit will ich natürlich nicht behaupten, dass man diese Archetypen einfach lernen sollte und streng danach entscheidet. Würden wir das tun, würden wir den Menschen in komplexen Situationen zu sehr trivialisieren und er ist ja wie gesagt nicht-trivial. Archetypen stellen Strukturierungshilfen dar, anhand derer man seine Wahrnehmungen reflektieren kann.

In diesem Sinne war ich umso erfreuter dass seitens der Consideo GmbH kurz vor Weihnachten ein Modell kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, in welchem die Archetypen von Senge auf gewöhnliche Alltagssituationen basierend modelliert wurden. Sehr schön.

Diese Modelle haben mich dazu motiviert, selbst meine Erkenntnisse und Erfahrungen mit den Archetypen in Form von einer Postreihe zu veröffentlichen. Ich werde jedem Archetyp einen Post widmen und darlegen, in welcher Art und Weise ich diese Archetypen nutze, um “lebendige” Situationen einzuschätzen und in diesen zu entscheiden. Im Übrigen habe ich einen dieser Archetypen, nämlich “Erodierende Ziele” für die Beurteilung von typischen Situationen in Projekten genutzt. Details können Sie in dem Post Verhaltensmuster im Projektmanagement Teil 1: Zielanpassungen nachlesen.

Jeden dieser Archetypen erkläre ich an einem praktischen Beispiel aus der Wirtschaft und der Unternehmensführung, welches ich im iModeler dargestellt und im Präsentator erläutert habe. In dieser Postreihe nutze ich also den Webservice des iModelers. Der Vorteil besteht darin, dass Sie direkt im Browser, ohne das Sie eine Lizenz für den iModeler haben müssen, das Modell nachvollziehen, ändern (aber nicht speichern) und simulieren können.

Heute geht es um den Archetyp “Grenzen des Wachstums”.

Als erstes möchte ich die grundsätzliche Struktur und das Verhaltensmuster hinter diesem Archetyp erklären.

Grenzen des Wachstums

Am oberen Bild erkennen wir zwei Schleifen, eine verstärkende (links) und ausgleichende (rechts). Über einen bestimmten Zeitraum wird durch bestimmte eingeführte Maßnahmen das Ergebnis, welches man erreichen möchte, immer besser. Das wird durch die verstärkende Schleife dargestellt. Allerdings wird das Ergebnis durch ein im Sinne des Ergebnisses Hindernis (Begrenzende Bedingung) begrenzt, so dass sich die verstärkende Wirkung auf das Ergebnis durch die ausgleichende Schleife (rechts) abschwächt. Diese Abschwächung wird immer größer je näher das Ergebnis sich dieser Begrenzung nähert und schlägt gar ins Negative um, wenn die Grenze überschritten wird. Das Überschreiten der Grenze kann (muss aber nicht) durch Verzögerungen in den Effekten zu Stande kommen.

Ein Indiz, ob einer beobachteten Situation dieser Archetyp als Muster vorliegt (In der Regel kann man einer beobachteten Situation mehrere Archetypen zuordnen, die miteinander integriert sind), ist der, dass ein bestimmter Faktor über einen gewissen Zeitraum enorm anwächst und dann auf einmal sehr stark abfällt.

Ein Beispiel für diesen Archetyp, welches ich auch modelliert habe, ist das Einführen eines neuen Produktes eines Unternehmens im Markt. Nach Einführung macht das Unternehmen mit dem Produkt einen entsprechenden Umsatz. Nach und nach wird der Markt für dieses Produkt immer gesättigter, da immer mehr Kunden das Produkt bereits gekauft haben und es gibt ja nicht unendlich viele Kunden. Die Begrenzung stellen hier also die kaufwilligen Kunden dar. Bemerkt der Produktverantwortliche die abnehmende Tendenz zu spät, wird immer weniger Umsatz mit dem Produkt gemacht. Das kann bis zu einem Umsatz von Null so gehen.

An diesem Beispiel erkennt man auch sehr schön, wo Optimierungsmaßnahmen anzusetzen sind. Einen kurzfristigen Effekt erreicht man über die verstärkende Schleife, beispielsweise über Marketingaktivitäten. In dem Moment aber, wo der Grenznutzen (Im Graphen erkennt man den an der 1. Ableitung der zugehörigen Funktion der zu untersuchenden Kennzahl.) dieser Aktivitäten abnimmt, muss man seinen Fokus ändern, nämlich in Richtung Mittel-und Langfristigkeit. Hier muss man dann an der ausgleichenden Schleife ansetzen. Es geht dann im Detail um die Begrenzung. Man könnte vielleicht neue Features dem Produkt zufügen und damit eine neue Version auf den Markt bringen oder ein komplett neues Produkt lancieren. Neue Verkaufsregionen oder neue Kundengruppen würden die mögliche Anzahl zu verkaufender Produkte und damit die Grenze auch erhöhen.

Beide Schleifen sind also kombiniert zu betrachten und stets zur rechten Zeit. Details dazu habe ich einem Modell erstellt. Dieses inklusive der Graphiken können Sie im Präsentator des iModelers nachvollziehen (Klick auf das untere Bild).

Beispielmodell zu GDW

Sie können in dem Modell die beiden Inputfaktoren “Erfolgsrate Mundpropaganda” und “Kunden im Markt” ändern und damit testen, wie sich Maßnahmen zur Stärkung der bereits existierenden Verstärkungsschleife (Erfolgsrate Mundpropaganda) und eine Lockerung der Begrenzung (Kunden im Markt) auswirken. Falls Sie Fragen zur Handhabung des iModelers haben, können Sie mich gerne kontaktieren.

Die Anwendung dieses Archetyps, wie auch die aller Folgenden, helfen natürlich nicht, die Zukunft vorherzusagen. Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen. Sie helfen auch nicht dabei ein Rezept zu finden, welches man einfach nur Schritt für Schritt befolgen muss, und schon hat man eine Situation richtig entschieden. Es geht darum, in den Wahrnehmungen Muster zu erkennen, und sich dann anhand dieser Muster einen Möglichkeitsraum an validen Aktivitäten aufzuspannen und die invaliden auszugrenzen. Dafür müssen die erforderlichen Kennzahlen nach Mustern untersucht werden. In diesem Fall könnte man an einem dramatischen exponentiellen Wachstum der Ergebniskennzahl (beispielsweise Umsatz von Produkt x pro Monat) und einem anschließenden Abfall auf diesen Archetyp schließen und mögliche für diesen Archetyp validen Aktivitäten (Erweiterung der Begrenzung) in sein Portfolio möglicher Aktivitäten übernehmen.

Beispiele dieses Archetyps findet man in der Praxis stets dort, wo man eine bestimmte Größe zum quantitativen Wachstum treiben möchte. Denn nichts ist unbegrenzt, wie Meadows in seinem Bestseller Grenzen des Wachstums bereits ausgeführt hat. Mithilfe dieses Archetyps kann man dann die Begrenzung ausfindig machen.

Anknüpfend daran möchte ich zum Schluss noch eines anfügen. Die Diskussionen, die sich derzeit um das Weltklima ranken, basieren auf diesem Archetyp. Ich habe in diesem Post davon gesprochen, dass die negativen Wirkungen dieses Archetyps durch Erweiterung der Begrenzung umgangen werden können. Was ist aber, wenn diese Grenze unsere Natur ist? Können wir unsere Welt erweitern und damit die Grenze ausdehnen? Aus quantitativen Gesichtspunkten natürlich nicht. In Ausdehnung der Begrenzung in diesem Falle ist eher ein qualitativer Aspekt gemeint. Wir Menschen müssen lernen diese Begrenzung erst einmal anzuerkennen und danach zu denken und zu handeln. Und genau um dieses neue Denken geht es Prof. Dr. Hans-Peter Dürr in diesem Interview, auf welches mich einer meiner Weggefährten Martin Bartonitz in seinem Post, aufmerksam gemacht hat.

https://youtube.com/watch?v=pdv1rQUfrks

Dürr meint beispielsweise in dem Interview, dass wir endlich das Paradigma des Wettbewerbens abstreifen sollten. Denn im Wettbewerb machen wir nur das was wir bereits können, nur immer schneller. In der heutigen Zeit geht es aber darum, Dinge zu denken, die derzeit für uns noch undenkbar sind. Wir benötigen also Zeit und Freiraum, um kreativ zu sein und um zusammen zu denken. Das funktioniert unter der Spielregel Wettbewerb aber nicht.

In diesem Fall sind die Begrenzung also unsere derzeitigen Denkmuster. Und Sie wissen ja wo man beim Zugrundeliegen dieses Archetyps ansetzen muss.

Eine Auflistung aller bislang erschienenen Posts zu dieser Reihe finden Sie hier.

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