Systemtheorie kann mich verwirren

Das liegt dann aber nicht an der Theorie an sich, sondern daran, wie ich diese Theorie beim Beobachten von Welt einsetze.

Ich höre oder lese häufig das Folgende

  • Unternehmen bestehen nicht aus Menschen. oder
  • Menschen sind nicht Teil eines Unternehmens.

Diese Aussagen verwirren mich, weil sie mit meinen Beobachtungen nicht immer passfähig sind.

Unterschreibe ich einen Arbeitsvertrag bei einem neuen Arbeitgeber, bin ich damit Mitglied dieses Unternehmens und habe Ansprüche an dieses Unternehmen. Würde mir jetzt Jemand unterstellen, dass ich nicht Teil dieses Unternehmens wäre, würde ich ihn schon schmal und verständnislos anschauen. In diesem Kontext beobachte ich, dass dieses Unternehmen aus mir und anderen Menschen, die ebenfalls einen Vertrag unterschrieben haben, besteht.

Würde jetzt Jemand zu mir sagen, dass sich alleine dadurch, dass ich dort in dem neuen Unternehmen agiere, die DNA oder die Ausrichtung des Unternehmens verändern wird, würde ich ihn schmal anschauen. Das werde ich nämlich mit Sicherheit niemals beobachten. Diese Wirkmächtigkeit und diesen Einfluss kann ich, aber auch irgendein anderer Mensch, niemals erreichen. In diesem Sinne bin ich also nicht Teil des Unternehmens. In diesem Sinne besteht das Unternehmen nicht aus mir.

Es ist in meiner Beobachtung stets wichtig, welche Fragen ich beantworten möchte. Und abhängig von diesen Fragen, komme ich dann zu der Erkenntnis, ob ein Unternehmen aus Menschen besteht oder eben nicht.

Ich denke kontextlos, also ohne diese für mich zu beantwortenden Fragen, nicht mehr in Dimensionen “besteht aus” oder “besteht nicht aus”. Diese Dimension ist für mich eher nicht passfähig beim Beobachten.

Oder genauer. Je mehr komplexe Anteile ein Phänomen hat, welches ich beobachte, desto weniger passt diese Dimension kontextlos. Bei einer Uhr, also einem Phänomen, bei dem ich mehr komplizierte Anteile beobachte, passt diese Dimension eher, auch kontextlos, also unabhängig davon, welche Fragen ich mir beim Beobachten der Uhr beantworten möchte. Eine Uhr besteht aus jedem der in ihr verbauten Teile, denn, fehlt ein Teil, ist die Uhr nicht mehr funktionstüchtig und kann ihrem eigentlichen Zweck nicht mehr dienen.

Das ist bei einem Unternehmen anders, wenn ein Mensch das Unternehmen verlässt. Dann hört das Unternehmen nicht gleich auf zu existieren.

Mit dem Satz “Ein Unternehmen besteht nicht aus Menschen.” bin ich also vorsichtig, da dieser zu Irritation führen kann. Sobald ein Mensch mir diesen Satz entgegnet, frage ich, was er genau beobachten und welche Fragen er sich beantworten möchte.

Bei der Frage, was er oder sie tun müsste, um Geld bei einem Unternehmen beziehen zu können, würde ich antworten, dass er Mitglied und damit Teil dieses Unternehmens werden müsste. Bei der Frage, was er oder sie tun müsste, um einen Wandel direkt und intentional zu forcieren, würde ich ebenfalls antworten, dass er Teil des Unternehmens werden müsste. In diesem Kontext ist dieses Vorhaben aber unmöglich, weshalb es auch unmöglich ist, dass dieser Mensch direkten intentionalen Einfluss ausüben kann.

Eine Theorie, wie auch Systemtheorie, funktioniert für mich wie eine Brille beim Beobachten von Phänomen, die ICH mir aufsetze. Setze ich mir beispielsweise im Sommer eine Sonnenbrille auf, beobachte ich Farben in Welt anders als Menschen, die gerade keine Sonnenbrille benutzen. Dann kann ich diesen Menschen nicht vorwerfen Farben anders zu beobachten als ich es tue.

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5 Responses to Systemtheorie kann mich verwirren

  1. Ralf Westphal says:

    Ich verstehe, dass dich die Formulierungen irritieren. Allemal, wenn sie so aus einem Kontext gerissen sind. Was war damit ursprünglich gemeint?

    Andererseits möchte ich genauer hinschauen: Was bedeutet “besteht aus”?

    Ein Motor besteht aus Kolben, Zündkerzen, Kurbelwelle usw. Das sind seine Teile. Die Teile machen das Ganze, seine Funktionsfähigkeit aus. Fehlt ein Teil oder verliert es an notwendigen Eigenschaften, dann verringert sich die Funktionstüchtigkeit des Ganzen.

    So scheint es auch bei Unternehmen: Menschen als Teile von Unternehmen müssen präsent und gesund sein, dann leistet das Unternehmen, was es leisten will.

    (Dass es nicht nur um Teile, sondern auch um Beziehungen zwischen Teilen geht, ist mir klar. Ein Sack voller Kolben und Zündkerzen usw. ist noch kein Motor. Die Teile müssen passend in Beziehung gesetzt werden. Dito die Menschen in einem Unternehmen.)

    Wenn ich die Entwicklung von Unternehmen in den letzten 50 aber anschaue, dann stelle ich fest: sie entledigen sich zusehends der Menschen – und funktionieren nicht schlechter. Wie kann das sein, wenn Unternehmen doch aus Menschen bestehen? Man kann doch nicht einfach Teile entfernen und erwarten, dass das Ganze weiter seinen Zweck erfüllt.

    Für mich löst sich das Paradoxon auf, wenn ich vom Menschen absehe. Unternehmen bestehen nicht aus Menschen, sondern aus Rollen oder Funktionseinheiten. Eine Eisdiele als Unternehmen hat vielleicht die Funktionseinheiten Führung, Einkauf, Eisproduktion, Verkauf. Zweck der Eisdiele: die Nachfrage nach Eis in einem Stadtviertel befriedigen. Das wäre die Marktperspektive. Die Eigentümerperspektive wäre andererseits: Profit erwirtschaften mittels Eisverkauf.

    Die Eisdiele ist insofern eine Maschine. Sie wird mit initialem Kapital angestoßen – und erhält sich fortan sogar selbst. Ok, Maschinen erhalten sich nicht selbst. Dann ist ein Unternehmen ein sozialer Organismus – allerdings einer, der einen identifizierbaren Schöpfer hat, der damit auch noch etwas bestimmtes bezweckt hat. Aber diesen Unterschied finde ich nicht so wichtig.

    Die Eisdiele als Unternehmen hat nun das Bestreben, sich zu erhalten (und den Zweck möglichst lange zu erfüllen). Sie ist bestrebt, mit ihren Kompetenzen ihre Funktion zu erfüllen und ihre Kompetenzen mindestens zu erhalten, wenn nicht gar zu steigern.

    Aber ist dafür auch nur ein Mensch nötig? Das bezweifle ich. Und wenn es heute nicht anders geht, dann bestimmt morgen schon. Alles an einer Eisdiele können Computer und andere Hardware-Werkzeuge erledigen, wenn es darauf ankommt. Lediglich die Rollen müssen ausgefüllt sein, die Funktionseinheiten müssen ihren Dienst tun. Das ist alles.

    Menschen sind Unternehmen daher egal. Unternehmen sind amoralisch in Bezug auf Menschen. (Ich spreche von Unternehmen und nicht menschlichen Geschäftsführer oder menschlichen Gründern.)

    Unternehmen bestehen deshalb für mich nicht aus Menschen, sondern aus Rollen. Wenn Rollen von Menschen gespielt werden, ist das ok – aber nicht zwingend notwendig. Menschen sollten also nicht auf den Gedanken der Unersetzbarkeit kommen, der leicht in “besteht aus” hineininterpretiert werden könnte.

    Dass Unternehmen aus Menschen bestehen, halte ich für eine verständliche, aber überkommene und begrenzende Sichtweise. Früher war es nicht anders möglich, Unternehmen zu betreiben, als mit Menschen in ihren Rollen. Doch nur, weil das nicht anders ging, heißt das nicht, dass das mit der Natur von Unternehmen zu tun hätte.

    Unternehmen bestehen nicht aus Menschen und haben deshalb auch kein eingeborenes Interesse daran, Menschen zu beschäftigen. Menschen im Unternehmen sind nur Mittel, die ersetzt werden, sobald es bessere gibt.

    Seitdem ich diese Brille abgesetzt und eine andere aufgesetzt habe, bei der Unternehmen nicht mehr aus Menschen bestehen, verstehe ich besser, was in Unternehmen und Politik passiert.

    • Danke für Deine Reaktion, Ralf.

      Bis hierhin

      (Dass es nicht nur um Teile, sondern auch um Beziehungen zwischen Teilen geht, ist mir klar. Ein Sack voller Kolben und Zündkerzen usw. ist noch kein Motor. Die Teile müssen passend in Beziehung gesetzt werden. Dito die Menschen in einem Unternehmen.)

      kann ich mitgehen. Nur ganz kurz zu Deiner Frage. Ich beobachte, dass mit der Brille der Systemtheorie häufig postuliert wird, dass Unternehmen nicht aus Menschen bestehen, dass diese Menschen trotzdem meinen, dass Menschen wichtig sind für das Bestehen von Unternehmen. Hier wollte ich ein bisschen Klarheit hinein bringen, wie man diese beiden Aussagen zusammen denken kann. Die Unterscheidung “Rolle-Mensch” mag ich in diesem Zusammenhang nicht so sehr, denn eine Rolle wird ja auch wieder von einem Menschen ausgefüllt. Also bringt diese Unterscheidung für mich keine Klarheit.

      Auch glaube ich, dass Unternehmen nicht komplett auf Menschen verzichten können. Ein Unternehmen, was komplett wie eine Maschine läuft, beobachte ich zu uunterkomplex. In diesem Zusammenhang mache ich dann eher die Unterscheidung “Routinearbeit-kreative Arbeit”. Routinearbeiten sind solche, die immer gleich ablaufen, und wo auf die Umwelt nicht reagiert werden muss. Es fehlt quasi die Wahrnehmungs- und Beobachtungsfunktion. Diese Arbeiten können, ja sollten sogar, Maschinen übernehmen. Dann gibt es aber noch die kreativen Arbeiten. Hier spielen Menschen eine wichtige Rolle, was auch noch in Zukunft so sein wird. Wir haben noch nicht ansatzweise Technologie entwickelt, die beispielsweise die Funktion der Wahrnehmung und Beobachtung adäquat abbilden kann.

      Das in unseren derzeitig geschaffenen Strukturen, Menschen, Mitarbeiter als auch Kunden, nur Mittel zum Zweck des Selbsterhalts von Unternehmen sind, stimme ich zu. Darüber habe ich auch ein Paper verfasst. Diese Beobachtung hat aber nichts mit meiner Intention zu tun, Klarheit in die Aussage zu bekommen, wenn man meint, Unternehmen bestünden nicht aus Menschen.

      BG, Conny

      • Ralf Westphal says:

        Wenn ich es richtig erinnere, sagt die Systemtheorie, dass soziale Systeme aus Interaktionen bestehen, das Wichtige also “das Dazwischen” ist, die Beziehungen, die Nachrichten – nicht die Elemente.

        Und das würde auch zu meine Brille passen: Wer oder was in einem Eisdiele-Unternehmen die Nachricht “Einkaufen(Erdbeeren, 10kg)” austauscht, ist für die Funktionsweise letztlich egal.

        Die Elemente, die ein Unternehmen konstituieren, reduzieren sich damit auch I/O-Einheiten, die Input in Output verwandeln (unter Zuhilfenahme von Zustand).

        Wenn dir “Rolle” als Konstituent von Unternehmen nicht gefällt, dann bin ich auch bei Funktion(seinheit) dabei.

        Aber ich würde ansonsten dafür plädieren, von einem Antroprozentrismus abzusehen. Nur weil eine Rolle gespielt wird, heißt das nicht, dass überhaupt Menschen beteiligt sind. Eine Zündkerze spielt im Motor auch eine wichtige Rolle, oder? Es ist einfach eine Redewendung. (Das Theaterstück mit seinen Rollen, die von Menschen gespielt werden, ist insofern für mich der Spezialfall.)

        Wer oder was also eine Funktion in einem Unternehmen erfüllt, ist egal – solange eben die Funktion erfüllt wird. Wenn heute noch ein Mensch das einzige System ist, das das kann, dann ist das halt so. Aber auch das stimmt ja nicht so richtig, denn wo gestern noch eine Funktion von einem Menschen erfüllt wurde, da ist es morgen ein anderes Unternehmen. Stichwort Outsourcing. Und wie hinter das Serviceunternehmen einen Kontrakt erfüllt, ist dem Servicenehmer dann egal. Ob Erwin in der Zentrale in Hamburg durch Frieda beim Serviceunternehmen in Dresden ersetzt wird oder durch Dimitar in Sofia oder Sanjay in Bengaluru oder durch AI123 in einem Container im Atlantik… Hauptsache, die Funktion wird erfüllt.

        Noch ist es so, dass Menschen den Maschinen etwas an Kreativität usw. voraus haben. Das mag von mir aus auch noch 1000 Jahre so bleiben oder ewig. Aber an dem Konstrukt Unternehmen ändert das doch nichts.

        Wofür ich plädiere, dass wir Unternehmen und Menschen entflechten. Wir müssen sie gedanklich auseinanderdividieren. Wir sollten die romantische Vorstellung aufgeben, dass Menschen nötig, gar gewünscht in Unternehmen seien. Das ist aus meiner Sicht nicht der Fall – und solange wir das missverstehen, werden wir uns immer wieder die Augen reiben, warum die Dinge so schwierig sind.

        Du sprichst von Unterkomplexität, die Unternehmen ereilen kann, wenn sie keine Menschen mehr beschäftigen zu Ausfüllung von Funktionen. Ja, das kann sein. Aber es ist nicht im Widerspruch zu meiner Sichtweise. Dann ist eben der Mensch für bestimmte Funktionen noch das beste Modell 😉

        So wie ich an mein MacBook ein Apple Netzteil anschließen kann oder ein kompatibles – aber ich habe gemerkt, dass die kompatiblen irgendwie schlechter sind (heißer werden, nicht so schnell das MachBook laden). Also nehme ich noch Apple Netzteile. Aber das bedeutet nicht, dass mein MacBook-Ensemble aus einen Apple-Netzteil besteht. Vielmehr gibt es darin eine Funktionseinheit Netzteil neben Bildschirm, Board, Tastatur usw. Und die Rolle des Netzteils spielt derzeit am besten ein Modell von Apple.

        Ich könnte sogar mal spekulieren und sagen: Diese Sache mit der Komplexität, die nötig ist und nur von Menschen erbracht werden kann, ist vielleicht nur ein Folgeproblem. Weil man zuviele Menschen in Unternehmen für die Funktionen einsetzt, entstehen durch die in menschengefüllten Unternehmen inhärenten Zielkonflikte Komplexitäten, die man dann wieder mit Menschen kompensieren muss. Feuer mit Feuer löschen. Warum also nicht radikal, bis zum Anschlag auf Menschen verzichten? So wenige wie möglich. Warum nicht relativ dumme KIs nur schlauer in Beziehung setzen und dadurch die dann noch nötige Komplexität herstellen?

        Bottom line für mich: Unternehmen brauchen Menschen heute noch – aber sie wollen sie nicht. Solange “besteht aus” noch suggeriert, dass Unternehmen Menschen wollen (sollten), kommt es zum Konflikt/zu Verwirrung.

  2. Wer überlegt, ob er Systemtheorie als nützliches Denkwerkzeug nutzen kann, sollte sich erinnern, dass diese Theorie nicht mit Identitäten, sondern mit Differenzen arbeitet. Dass die Welt aus Ganzheiten und ihren Teilen sowie den Beziehungen dazwischen besteht ist alteuropäische Dogmatik. Die wichtigste Differenz in der Systemtheorie ist die zwischen System und Umwelt. Das führt auf die Paradoxie: Ein System ist die Differenz von System und seiner Umwelt. Ein System ist also gleichzeitig das was es ist (System) und das was es nicht ist (Umwelt). Ein System kann also nur aus etwas bestehen, was diese Paradoxie durch Bewegung zeitlich entfaltet. Diese vergänglichen Operationen heißen bei Sozialsystemen Kommunikation. Entitäten wie: Gebäude, Verträge, Bankkonten, Patente, Materiallager sowie Menschen und ihre Handlungen sind keine Operationen, die die Differenz eines Unternehmens aufrechterhalten könnten. Da sie andererseits aber unverzichtbar notwendig sind gehören sie zur Umgebung eines Unternehmens. Dieser Denkaufwand lohnt sich nur, wenn die Dynamik der „Dinge“ so groß wird, dass konventionellen Abbildungen zu verwackelt sind.

    • Danke für die Reaktion. Diesen Satz finde ich treffend.

      Ein System ist also gleichzeitig das was es ist (System) und das was es nicht ist (Umwelt).

      Deshalb denke ich nicht in der Kategorie “besteht aus”.

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