Entscheiden über Regeln und Prinzipien: Eine kleine Anleitung

Des Öfteren habe ich das Thema der Unterscheidung von Regeln und Prinzipien im Kontext von Entscheidungen aufgegriffen, unter anderem hier in #connysgedanken auf der Leanbase.

Auf den Erkenntnissen dieser knapp 6 Minuten möchte ich nun aufsetzen und meine Ideen konkretisieren.

Ich möchte in einer bestimmten Situation eine Entscheidung treffen. Dieser zu bewertenden Situation ist nicht inhärent gegeben, ob ich diese Entscheidung über eine Regel oder über ein Prinzip treffen sollte. Genau das entscheide ich, und zwar wie folgt.

Ist es passfähig die zu bewertende Situation mit abzählbar vielen Kontexten zu modellieren, die auch noch alle messbar sind, dann kann ich eine Regel definieren, um eine Entscheidung zu treffen. Ist das nicht der Fall, kann ich also die Situation nicht mit abzählbar vielen Kontexten modellieren, um diese nicht zu sehr zu trivialisieren, oder ist mindestens einer der Kontexte nicht messbar, dann sollte ich keine Regel sondern ein Prinzip definieren, um zu entscheiden.

Das möchte ich an den beiden Beispielen, Seitenaus und Handspiel aus dem Fußball, denen ich mich auch im oben zugelinkten Podcast bedient habe, illustrieren.

Seitenaus

Ich stelle mir die Frage, wie viele und welche Kontexte ich benötige, um diese Situationen im Spiel passfähig zu modellieren. Ich komme zu dem folgenden Kontext:

  1. Hat der Ball die Seitenauslinie überquert?

Gibt es weitere Kontexte? Nein, denn es ist beispielsweise egal, wie die Körperhaltung des Spielers war, der den Ball ins Aus befördert hat, oder was sein Motiv war, dies zu tun, oder in welcher Minute sich das Spiel gerade befindet, oder ob es regnet etc. Es gibt genau den einen oben aufgeführten Kontext, um diese Situationen passfähig zu modellieren. Damit kann ich die folgende Regel definieren, über die eine Entscheidung in solchen Situationen im Spiel getroffen werden kann.

  1. Der Ball muss mit dem vollen Umfang die Seitenauslinie überqueren, um im Aus zu sein.

Nun stelle ich mir die Frage, ob dieser Kontext messbar ist und komme zu der klaren Antwort “Ja”. Hier helfen unsere immer ausgefeilteren Technologien weiter, um diesen Kontext zu messen. Es ist auch relativ schnell ersichtlich, dass diese Situationen über diese Regel maschinenartig entschieden werden können, denn hier gibt es eine eindeutige Bewertung einer Entscheidung in “richtig” und “falsch”. Eigentlich müssen diese Situationen gar nicht mehr entschieden werden, da die Entscheidung der Regel bereits innewohnend ist. Die Regel muss nur noch ausgeführt werden.

Auch wenn ein Schiedsrichter diese “Entscheidung fällt”, so tut er es doch wie eine Maschine. Klar ist auch, dass die gefällten Entscheidungen solcher Situation im nachhinein relativ klar in “richtig” und “falsch” eingewertet werden können. Es gibt dann auch keine großen Debatten. Das konnte man beispielsweise vor einigen Wochen im Spiel “Borussia Mönchengladbach gegen Bayern München” beobachten, wo Yann Sommer, der Torhüter Gladbachs, den Ball haarscharf mit den Fingerspitzen vor der Torlinie gestoppt hat. Auch wenn dieses Stoppen auch noch so knapp war, der Kontext konnte klar gemessen werden und es gab im nach hinein keine großen Diskussionen darüber, ob es ein Tor war oder nicht.

Handspiel

Wie im obigen Beispiel mit dem Seitenaus stelle ich mir die Frage nach den Kontexten, um diese Situationen im Spiel zu modellieren und komme zu

  • Hat der Ball die Hand eines Feldspielers berührt?

Genügt dieser eine Kontext? Ich denke nein, denn mit nur diesem einen Kontext würden wir solche Situationen im Spiel zu sehr trivialisieren. Das wissen wir auch, da wir weitere Kontexte hinzu nehmen, wie zum Beispiel

  • Hat der Feldspieler seine Hand zum Ball geführt?
  • Hat der Feldspieler seine Körperfläche verbreitert?
  • Hat der Feldspieler den Ball absichtlich mit der Hand berührt?

Gehen wir einmal davon aus, dass wir die Situation “Handspiel” in den Spielen mit abzählbar vielen Kontexten gut genug modellieren können, also meinetwegen mit den oben genannten 4. Nun sollten wir uns die Frage stellen, ob wir zu den 4 Kontexten Regeln definieren können, die messbar sind. Dafür definieren wir zum 4. Kontext eine Regel.

  1. Hat der Feldspieler den Ball nicht mit Absicht berührt, sondern ist ihm dieser an die Hand gesprungen, so liegt kein Handspiel vor.

Ist die messbar? Diese Frage ist relativ klar mit Nein zu beantworten, denn eine Absicht eines Spielers zu messen ist unmöglich. Demzufolge wird also aus der oben aufgestellten Regel mit dem gleichen Wortlaut ein Prinzip, da nun ein Prinzip und keine Regel für Entscheidungen in solchen Situationen herhalten muss.

Das impliziert aber auch, dass nun nicht mehr maschinenartig entschieden werden kann. Nun benötigen wir Menschen in Form eines Unparteiischen oder eines VARs. Nun ist aber auch klar, dass alle Entscheidungen in diesen Situationen nicht mehr in “richtig” und “falsch” einwertbar sind, was auch immer wieder zu oft beobachtbaren massiven Diskussionen im Nachgang von Spielen führt.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal anführen, dass Situationen, die einen hohen Anteil formal nicht handlungsleitend beschreibbarer Anteile (komplexe) besitzen, eher über Prinzipien als über Regeln entscheidbar sind. Regeln ziehen bei eher komplizierten, also formal handlungsleitend beschreibbaren Situationen. Und damit ist auch ersichtlich, dass wir Menschen gerade in Situationen gefragt sind, die einen hohen Anteil an Komplexität aufweisen.

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6 Responses to Entscheiden über Regeln und Prinzipien: Eine kleine Anleitung

  1. Ich finde die Unterscheidung spannend. Aber ich habe noch so meine Probleme mit der Unterscheidung von Regel und Prinzip. Zwar “fühle” ich einen Unterschied – doch je genauer ich hinschaue, desto verschwommener ist das Bild :-/

    Interessanterweise hast du in deinem Beitrag auch nur eine Regel definiert fürs Aus, nicht aber ein Prinzip fürs Handspiel. Wie kommt’s?

    Wikipedia sagt über Prinzip (https://de.wikipedia.org/wiki/Prinzip):

    > “eine gegebene Gesetzmäßigkeit dar, die anderen Gesetzmäßigkeiten übergeordnet ist […]. Im klassischen Sinne steht das Prinzip zwingend an oberster Stelle, im alltäglichen Sprachgebrauch wird dies aber weniger streng gehandhabt. Darüber hinaus gibt es einen Begriff von Prinzip, der eine Verkettung von Gesetzen (Regeln etc.) erlaubt (z. B. Prinzip der sozialen Marktwirtschaft). Die konkrete Bedeutung ist kontextabhängig.”

    Und

    > “Allgemeinsprachlich handelt es sich bei einem Prinzip um einen Grundsatz, eine feste Regel, an die man sich hält. ”

    Hm… ein Prinzip ist also (allgemeinsprachlich) eine Regel? Damit würde deine Unterscheidung hinfällig.

    Aber dann steht dort auch:

    > “eher eine Leitlinie, ein Ziel, das möglichst weitgehend verwirklicht werden soll. Aus diesem Grund werden Prinzipien-Normen auch vielfach als Optimierungsgebote bezeichnet. Prinzipien können dabei in unterschiedlichen Graden erfüllt werden.”

    Besteht dann der Unterschied zwischen Regel und Prinzip im Wenn-dann vs Sollen?

    Regel: “Wenn der Ball vollständig hinter der Seitenlinie ist, dann ist er im Aus.”

    Prinzip: “Der Ball soll nicht mit der Hand absichtlich in seiner Bewegung beeinflusst werden.” (Oder umständlicher: “Der Ball soll nur mit Körperteilen außer Arm und Hand absichtlich in seiner Bewegung beeinflusst werden.”)

    Übertragen vom Spiel auf den Ernst des Lebens: Der Einkauf kann z.B. durch Regeln definiert sein:

    “Wenn etwas zu beschaffen ansteht, dann sind mindestens zwei Preisangebote dafür einzuholen.
    Und beschafft wird, dann zum niedrigsten bekannten Preis.”

    Oder der Einkauf kann durch Prinzipien definiert sein:

    “Beschaffungen sollen in Kenntnis von Alternativen getätigt werden. Beschaffungen sollen kurzfristige Preisvorteile mit langfristigen Kosten ausbalancieren.”

    Bezogen auf deinen Beitrag – der mir für ein Prinzip zu stehen scheint – scheint es mir, dass in vielen Unternehmensbereichen Regeln die Komplexität reduzieren sollen. Klare Regeln reduzieren die kognitive Last und erlauben Entscheidungen durch Akteure mit weniger Zeit und weniger kognitiven Fähigkeit und machen eine Kontrolle der Entscheidungen einfacher. Regeln steigern die Effizienz – und reduzieren die Flexibilität.

    Prinzipien andererseits lassen mehr Spielraum für Entscheidungen, erfordern mehr Zeit, steigern die kognitive Last und erfordern womöglich sogar Kommunikation. Am Ende ist auch die Entscheidung schwerer auf Güte zu überprüfen (Entscheidungsgüte ist hier von Resultatsgüte zu unterscheiden!). Als Gewinn winkt beim Prinzip allerdings Flexibilität, ich möchte sogar sagen: Lebendigkeit.

    In dieser Weise würde ich auch die 10 jüdisch/christlichen Gebote oder den Begriff Tugend verstehen. Dabei geht es um Prinzipien, nicht Regeln. Das “Du sollst” der Gebote legt eine Richtung oder auch ein Ziel nahe – wohlwissend, dass man sich nicht immer dorthin ausrichten und es erreichen kann.

    Das Single Responsibility Principle (SRP) der Softwareentwicklung ist deshalb auch zurecht ein Prinzip. Es formuliert ein Sollen, keine wenn-dann Regel. Bei test-first würde ich hingegen von einer Regel sprechen: “Wenn Produktionscode geschrieben wird, dann ist vorher ein Test dafür zu schreiben.”

    Test-first hat den Auftrag, die Komplexität der Softwareentwicklung zu reduzieren. Das SRP hingegen erkennt an, dass Software am Ende eine unreduzierbare Komplexität hat, mit der man aber eben in gewisser Weise umgehen sollte.

    Aber vielleicht hast du ja eine andere Regel, um zwischen Prinzip und Regel zu unterscheiden? 😉

    • Hallo Ralf,

      danke für Deinen Kommentar.

      Meine Unterscheidung zwischen “Regel” und “Prinzip” in Entscheidungssituationen habe ich in den 6 Minuten Podcast erklärt und an den beiden Beispielen “Seitenaus” und “Handspiel” erläutert.

      Regeln lassen sich messen, Prinzipien nicht. Deshalb gibt es auch kein wirkliches Entscheiden nach Regeln, da die Entscheidung der Regel bereits hinein definiert ist.

      Und wie gesagt, ob man nach Regel oder Prinzip entscheidet, bestimmt der Mensch, in dem er die zu entscheidende Situation modelliert. Ist die Situation relativ reduktionsfrei komplett über messbare Kontexte modellierbar, kann man über Regeln “entscheiden”, wie beim Seitenaus. Funktioniert das nicht, müssen Prinzipien zum Entscheiden angewendet werden, da sonst die Situation zu starkt trivialisiert wird.

      Zu Deiner Frage, warum ich für Handspiel keine Regel definiert habe. Es gibt für Handspielsituationen keine Regel, um zu entscheiden, ob Handspiel vorliegt oder nicht. Es gibt nur ein Prinzip. Warum? Weil diese Situationen aus Kontexten bestehen, die zum Großteil nicht messbar sind. Ein mögliches Prinzip für Handspiel könnte lauten.

      Es liegt Handspiel vor, wenn …

      … der Ball die Hand eines Feldspielers berührt hat und
      … der Feldspieler seine Hand zum Ball geführt hat und
      … der Feldspieler seine Körperfläche verbreitert hat und
      … der Feldspieler dabei den Ball absichtlich mit der Hand berührt.

      Das ist wie gesagt, deshalb ein Prinzip, da diese Kriterien nicht messbar sind. Deshalb benötigt man dafür auch einen Menschen. Eine Maschine reicht hier nicht aus. Entscheidungen über Regeln lassen sich vollständig programmieren. Die Entscheidung ist quasi im Soure Code enthalten.

      Deshalb müsste ich Deine Frage konkreter beantworten. Ich könnte für die Handspielsituationen im Fußball eine Regel definieren, müsste dafür allerdings alle Kontexte eliminieren, die nicht messbar sind. Damit bliebe nur der eine Kontext “Hat der Ball die Hand eines Feldspielers berührt?” übrig. Was habe ich allerdings jetzt angestellt? Ich habe die Handspielsituationen zu sehr trivialisierend modelliert, in dem ich die komplexen Anteile eliminiert habe. Und damit habe ich das Spiel an sich entstellt.

      BG, Conny

  2. Ralf Westphal says:

    Danke für deine Reaktion, Conny! Leider bringt die mich noch nicht wirklich weiter.

    Ich habe nun deinen Podcast gehört, obwohl ich es gar nicht mag, Inhalte zu hören, statt zu lesen 😉 Aber egal. Ich habe also dir zugehört – nur leider keine (für mich) hilfreiche genauere Definition für Regel vs Prinzip herausgehört. Du sagst:

    * Regel: nur 1 Kontext; definiert, was und wie entschieden werden muss.
    * Prinzip: mehrere Kontexte; spannt einen Raum für mögliche Entscheidungen auf.

    Und am Schluss noch:

    * Entscheiden sei dann nötig, wenn es *keine* guten Gründe gibt.

    Wenn Entscheiden nur relevant ist, wenn es keine guten Gründe gibt, was passiert denn dann, wenn es gute Gründe gibt? Wie heißt das?

    Beim Aus im Fußball, wofür du eine Regel angegeben hast, definiert die ja “gute Gründe”. Eine Entscheidung findet deshalb gar nicht statt. Du sagst auch, eine Maschine könnte ein Aus erkennen.

    Die Regel definiert ein Kriterium. Wenn eine Messung mit anerkannt nur unerheblichen Fehlern möglich ist, kann “errechnet” (to compute) werden, ob ein Ball im Aus ist oder nicht. Das ist in deinem Sinn keine Entscheidung, sondern… Ich nenne das mal eine *Wahl*.

    Eine Wahl ist für mich, wenn Kriterien vorliegen, Beobachtungen gemacht werden – und Kriterien auf die Beobachtungen angewandt zu einer Wahl einer Option führen. Fertig. Ganz mechanisch.

    Beispiel: Ich will einen Fön kaufen. Meine Kriterien: Der soll eine Leistung von min. 1000 Watt haben. Der soll einen Preis zwischen 15€ und 30€ haben. Der soll schwarz sein. Meine Beobachtungen: 1. (Schwarzer Fön, 900W, 17€), 2. (Weißer Fön, 1100W, 25€), 3. (Schwarzer Fön, 1200W, 29€).
    Die Wahl kann eine Maschine treffen: Fön Nr. 3.

    Ich halte das für keine Entscheidung, selbst wenn man landläufig davon spricht in solchen Fällen. Es ist lediglich eine Wahl. Deshalb bekommen Entscheider in Unternehmen auch so viel Geld 😉 Sie sollen eben mehr tun als zu wählen.

    Wenn man Regeln hat, dann gibt es nur zu wählen, nicht zu entscheiden. Das Problem liegt “nur” in der Beobachtung.

    Hier kommen für mich auch deine Kontexte ins Spiel. Wie du den Begriff verwendest, habe ich ihn leider für mich nicht ganz in diesem Zusammenhang einordnen können. Aber ein Schuh wird für mich daraus, wenn ich den Beobachter ins Spiel [sic!] bringe:

    Jeder Beobachter (beim Fußball sind das z.B. Spieler, Schiri, Zuschauer) hat seinen Kontext *innerhalb dessen* er Beobachtungen macht. Und der, der die Fußballregeln aufgestellt hat, hat nochmal wieder einen eigenen, sozusagen abstrakten Kontext.

    Beobachtungen werden innerhalb eines Kontextes gemacht. Und auch wenn Kontexte sich überschneiden, gleichen sich die Beobachtungen nicht unbedingt. Kontexte sind wie Brillen: der eine sieht, dass ein Ball auf die Hand prallt, der andere sieht, dass sich die Hand dem Ball entgegenstreckt.

    Die Kontexte beim Handspiel können also ganz unterschiedliche Beobachtungen liefern. Beim Aus ist es viel einfacher, dass dieselben (!) verschiedenen Kontexte zur selben Beobachtung führen.

    Deshalb – so könnte ich dich nun verstehen – ist das Aus beim Fußball durch eine Regel definierbar und die Wahl (ob Aus oder nicht) könnte sogar einer Maschine überlassen werden.

    Beim Handspiel hingegen führen unterschiedliche Kontexte sehr leicht zu ganz unterschiedlichen Beobachtungen. Weil die Beobachtung so schwierig ist, also die entscheidende Wahrnehmung “Hand wurde absichtlich zur Ballführung ins Spiel gebracht” nur mit einer viel kleineren Wahrscheinlichkeit korrekt gemacht werden kann, sollte der Blick geweitet und ein bigger picture berücksichtigt werden.

    Eine Wahl ist nicht möglich. Es muss vielmehr entschieden werden.

    Wahlen brauchen Regeln. Entscheidungen brauchen Prinzipien. Das würde für mich Sinn machen.

    Prinzipien müssen ausgelegt werden. Das kann nur der Menschen. Der bezieht einerseits die Unsicherheit mit ein, andererseits weitet er den Blick unbestimmt nach Kontext. Zum Beispiel kann der Schiedsrichter trotz für sich klar erkanntem Handspiel das Spiel weitergehen lassen, weil der Manipulationsversuch der anderen Seite einen Vorteil gebracht hat.

    Statt eines Regelkatalogs für Handspiel gibt es dann zb das Prinzip “Eine Mannschaft soll keinen Vorteil durch die absichtliche Ballführung mit der Hand erzielen.”

    Das Prinzip gibt auch Hinweise, was aus einem Kontext zu beobachten ist, z.B. Hand, Vorteil, Absicht, Führung. Doch es lässt genug Spielraum für Interpretation, weil es anerkennt, dass Beobachtungen in dieser Hinsicht große Unsicherheit/Bandbreite aufweisen.

    Zurück zur Organisationswelt: Regel oder Prinzip, Wahl oder Entscheidung? Womit sollten sich die sprichwörtlichen Entscheider abgeben?

    Ich denke, es ist situationsbezogen zu fragen, wie klar Optionen sind und wie exakt Beobachtungen gemacht werden können und wie geradlinig gewünschte Zustände überhaupt erreichbar sind.

    Wenige Optionen, verlässliche Beobachtungen, hohe Geradlinigkeit? Dann mit Regeln wählen lassen. Je automatisierter, desto besser.

    Viele/unscharfe Optionen, unzuverlässige/lückenhafte Beobachtungen, unklarer Umsetzungweg? Dann im Rahmen von Prinzipien entscheiden lassen. Menschen mit Verständnis für Wahrscheinlichkeiten ins Spiel bringen.

    PS: Deine Bulletpoints, die du beim Handspiel als Prinzip verstehst, habe ich nicht als Prinzip erkannt. Die schlichte Form ist für mich viel zu regelmäßig 😉 Deshalb habe ich eine formale Unterscheidung versucht zu finden: “wenn-dann” für Regeln vs “soll” für Prinzipien.

    • Danke für Deine Antwort, Ralf. Ich erkenne nicht so wahnsinnig viele Unterschiede zu dem was ich geschrieben habe. Du hast es nur anders formuliert.

      Ein Beispiel. Du schreibst.

      Hier kommen für mich auch deine Kontexte ins Spiel. Wie du den Begriff verwendest, habe ich ihn leider für mich nicht ganz in diesem Zusammenhang einordnen können. Aber ein Schuh wird für mich daraus, wenn ich den Beobachter ins Spiel [sic!] bringe: …

      Ich schreibe.

      Und wie gesagt, ob man nach Regel oder Prinzip entscheidet, bestimmt der Mensch, in dem er die zu entscheidende Situation modelliert.

      Die Essenz ist für mich die Gleiche. Ein anderes Beispiel. Du schreibst.

      Ich will einen Fön kaufen. Meine Kriterien: Der soll eine Leistung von min. 1000 Watt haben. Der soll einen Preis zwischen 15€ und 30€ haben. Der soll schwarz sein. Meine Beobachtungen: 1. (Schwarzer Fön, 900W, 17€), 2. (Weißer Fön, 1100W, 25€), 3. (Schwarzer Fön, 1200W, 29€).
      Die Wahl kann eine Maschine treffen: Fön Nr. 3.

      Ich halte das für keine Entscheidung, selbst wenn man landläufig davon spricht in solchen Fällen. Es ist lediglich eine Wahl.

      Auch hier sind wir dicht zusammen. Wenn Du beim Kauf das Föns die von Dir beschriebenen Kontexte (Leistung, Preis, Farbe) und Kriterien (min. 1000 Watt, zwischen 15€ und 30€, schwarz) vorgelegt bekommst, dort also kein Mitspracherecht hast, dann wählst Du. Wenn Du aber die Kontexte und Kriterien selbst bestimmst, dann entscheidest Du. Du legst fest, was Dir für die zu entscheidende Situation wichtig ist.

      1. Kontexte: Was beobachte ich? Welche Sichtweisen und Blickwinkel sind mir zu einer Situation wichtig?
      2. Kriterien: Wie und wonach bewerte ich diese von mir aufgestellten Kontexte?

      Du als Beobachter hast die Möglichkeit, Kontexte und Kriterien festzulegen. Sind diese einmal festgelegt und sind die dazugehörigen Kriterien messbar, hast Du in meinem Sinne eine Regel. Ab dem Zeitpunkt entscheidest Du dann nicht mehr. Du wählst (nur noch). Du operationalisierst die Regel. Das kann eine Maschine auch.

      Aber was würde passieren, wenn ich zu Dir sage, als ein anderer Beobachter, dass diese Entscheidungssituation für mich nicht ausreichend genug modelliert ist, dass also Komplexität nicht passfähig reduziert wurde? Es fehlen Kontexte und damit Kriterien. Wenn ich beispielsweise meinen würde, dass der Fön auch noch der gesamten Familie gefallen sollte (Kontext: Aussehen und Gefallen, Kriterium: Der Fön soll allen Familienmitgliedern gefallen). Wenn ich der Meinung bin, dass dieses Kriterium messbar ist, dann bleibt die von Dir aufgestellte Regel für mich auch eine Regel. Es kommt nur ein Kontext und ein zu messendes Kriterium hinzu. Wenn ich allerdings der Meinung bin, dieses Kriterium nicht messen zu können, dann wird aus Deiner Regel für mich ein Prinzip, da jetzt mindestens ein Kriterium dabei ist, dass nicht messbar ist.

      Und damit stimme ich mit dem von Dir Geschriebenen

      Ich denke, es ist situationsbezogen zu fragen, wie klar Optionen sind und wie exakt Beobachtungen gemacht werden können und wie geradlinig gewünschte Zustände überhaupt erreichbar sind.

      auch komplett überein.

      BG, Conny

  3. Danke Dir für dieses Geschenk zu Heiligabend, Conny.

    zur Einordnung: Meine universitäre Ausbildung fand im Bereich der Rechtswissenschaft statt.

    @Ralf: Prinzip bedeutet nicht viel mehr als oberste oder erste Gesetzmäßigkeit, Vorgabe oder was auch immer man unter ‘Gesetz’ verstehen mag.
    ‘Recht’ ist dagegen ‘dem Gesetzten entsprechend’ … Also im weitesten Sinn: Integrität.

    @all: Ich biete folgende Unterscheidung an:
    Ein Prinzip gilt uneingeschränkt.
    Eine Regel ordnet unter Bedingungen eine zwingende – immer gleiche und damit nachvollziehbare – Folge an.
    Jur.: Eine Norm.

    @Conny: Auch Prinzipien sind überprüfbar.
    Das Prinzip ist erfüllt, wenn x, (y), (z) vorliegt.
    … Ist …
    Eine Regel gilt, wenn … Und dann folgt daraus.
    Voraussetzung > Rechtsfolge.
    … Wenn … Dann …

    Eine Regel ist automatisierbar.
    Die menschliche Kompetenz ist bei der Definition der Bedingung gefragt, die herbeizuführende Folge kann man Automaten überlassen.

    • Moin Alexander,

      danke für Deine Reaktion. Du schreibst

      Auch Prinzipien sind überprüfbar.

      Allerdings versuche ich meine Sicht in meinen Worten auszudrücken. Regeln und Prinzipien sind überprüfbar. Allerdings gibt es dabei ein paar Unterschiede.

      1. Regeln sind in algorithmisch und maschinell in “richtig-falsch” überprüfbar, Prinzipien nicht.
      2. Für die Überprüfung von Regeln reichen Maschinen aus, da diese Überprüfbarkeit programmiert werden kann. Bei Prinzipien geht das nicht. Das können nur Menschen.

      Dann schreibst Du

      Ein Prinzip gilt uneingeschränkt.

      Mit der Uneingeschränktheit bin ich nicht ganz einig. Auch bei Prinzipien greifen Kontexte der Situation, die allerdings wahrgenommen werden müssen. Deshalb sind für die Bewertung von Situationen über Prinzipien ja auch Menchen notwendig, denn Maschinen können nicht wahrnehmen.

      BG, Conny

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