Auf dem ersten Blick hört sich die im Titel postulierte Aussage vielleicht paradox oder zumindest eigenartig an. Ich werde in diesem Post ein wenig Licht in diese These bringen und Reflexionen auf Denk- und Handlungsschemata im Umgang mit komplexen Situationen geben.
Komplexitäten entstehen aus Einfachheiten …
Wir Menschen sind der festen Überzeugung, kommend aus einer mechanistisch-technokratischen Sicht, die im 17. Jahrhundert mit dem Aufblühen der Naturwissenschaften geweckt wurde, dass komplexes Verhalten oder komplexe Zusammenhänge stets aus komplexen Verfahrensanweisungen oder komplexen Teilen bestehen muss. Das wir hier einem Irrglauben erlegen sind, möchte ich an einem Beispiel aus der Praxis belegen.
Es geht um das Fangen eines Balles, was ein sehr komplexer Vorgang ist. Würden wir als Ballfänger beginnen, diesen Vorgang in seine Einzelteile zu zerlegen, diese zu evaluieren und zu lösen und dann letzten Endes zu einem Algorithmus zu integrieren, welche das Verhalten abbildet, müssten wir nicht nur ballistische Berechnungen anstellen, sondern auch noch die aktuellen Umgebungsparameter wie Windrichtung und -geschwindigkeit, den aktuellen Luftwiderstand des Balles, die Oberflächenbeschaffenheit des Balles, die Beschaffenheit des Bodens, auf dem wir uns bewegen usw. mitberechnen. Würde diese Prozedur ausgeführt, ganz abgesehen davon die notwendigen Variablen überhaupt messen zu können, wäre der Ball längst auf dem Boden, während wir noch rechnen würden. Des Weiteren beobachten wir selbst Kinder, die von solchen Berechnungen kein Wissen haben, dass sie in der Lage sind, Bälle zu fangen. Die intuitive Regel, die wir Menschen anwenden ist jedoch sehr einfach. Sie lautet: Richte den Blick auf den Ball, beginne zu laufen und passe die Geschwindigkeit so an, dass der Blickwinkel zum Ball konstant bleibt. Prof. Dr. Gerd Gigerenzer beschreibt in seinem Buch Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition diesen Vorgang als Blickheuristik, welcher in der folgenden Abbildung dargestellt ist, die ich seinem Buch der Seite 18 entnommen habe
Wir erkennen an dem Beispiel, dass eine einfache Regel zu einem komplexen Verhalten führt, welches bewusst-rational gar nicht ausgeführt werden könnte.
Dieses Thema hat Stephen Wolfram, der Erfinder von Mathematica, einem mathematischen Softwarepaket für symbolische Berechnungen, aufgegriffen und eine neue Art der Wissenschaft, a new kind of science, wie er es nannte, zu kreieren. Das gleichnamige Buch finden Sie beispielsweise bei Amazon oder auch direkt im Netz. Nach einem kostenlosen Registrieren können Sie sein gesamtes Werk (ca. 1.000 Seiten) im Internet verinnerlichen. Was meint Wolfram mit “a new kind of science”? Er deckt genau dieses oben angesprochene Paradigma auf, welchem die Naturwissenschaften heute immer noch erlegen sind, dem Glauben, dass komplexe Sachverhalte nur durch komplexe Handlungsschemata darstellbar sind. Dieses Aufdecken macht er sehr plastisch mit Hilfe von zellulären Automaten. Er zeigt mit diesen auf, dass mit sehr einfachen Algorithmen sehr komplexe Muster erzeugt werden können. Ich habe einige seiner zellulären Automaten in MS Excel und VBA nachprogrammiert. Es ist wirklich sehr eindrucksvoll.
Eine kritische Anmerkung habe ich allerdings, obwohl ich sein Buch noch nicht final zu Ende gelesen habe. Die von mir im Netz recherchierten Rezensionen zu seinem bestärken mich aber teilweise in meiner Sicht. Denn, es ist zwar richtig, dass mit einfachen Handlungsanweisungen komplexe Muster erzeugt werden können. Wolfram spiegelt dies aber sehr pauschal auf beliebig komplexe Naturphänomene und Naturgesetze so, dass diese sich auf kleinste Skalen durch einfache, elementare Entwicklungsregeln beschreiben lassen. Ich nehme in seinen Worten eine sehr große Euphorie wahr, mit dieser Erkenntnis komplexe Phänomene abzubilden und sogar zu beherrschen. Diese Euphorie teile ich nicht komplett, denn die zu Grunde liegenden Denkprozesse sind deshalb nicht auch gleich trivial. Die Frage bleibt also wie man zu diesen einfachen Algorithmen kommt, die komplexe Phänomene abbilden können. Das möchte ich im Folgenden beleuchten.
… und sind aber trotzdem schwer zu handhaben, …
Unsere technokratische Denk- und Handelsweise, die aus den Anfängen der modernen Naturwissenschaft stammt, vermittelt uns den Irrglauben, dass komplexe Strukturen und Verhaltensweisen aus komplexen Vorgängen oder Algorithmen entstehen müssen. Diese Denkstrukturen haben ohne Zweifel einen sehr großen Beitrag zu den Erfolgen in der Physik beigetragen. Sie haben eine solide Basis geschaffen, astronomische Entdeckungen der Planeten- und Sonnenbewegungen oder auch der Mechanik in Axiome zu fassen und damit einen Einklang zwischen experimenteller Überprüfbarkeit und theoretischer Beschreibbarkeit dieser Phänomene herzustellen. Diese Vorgänge beziehen sich aber ausschließlich auf tote Materie. Im Überschwang der Euphorie des Erfolges hat man versucht diese Denkweise auf lebende Materie 1:1 zu übertragen.
Das führte dann dazu, dass mit Hilfe der Erkenntnisse der Infinitesimalrechnung von Leibniz und Newton, also mit Differential- und Integralgleichungen lebende Prozesse modelliert werden sollten. Man erkannte die Schwierigkeit dieser Approximation, was aber die Intuition der Menschen bestätigte, denn komplexe Prozesse müssen aus komplexen Teilen bestehen. Mit dem Aufkommen der Computer war hier ein weiteres Aufblühen zu erkennen. Denn nun war man in der Lage viele Rechenoperationen in geringer Zeit auszuführen. Der Erfolg war trotzdem nicht da. Die erstellten mathematischen Modelle waren nur noch von Experten zu verstehen, waren aber nicht in der Lage komplexe Phänomene zu simulieren. Das Paradigma wurde aber trotzdem nicht umgestoßen. Es war ja klar, die Modelle müssen komplex sein, wahrscheinlich noch komplexer, damit sie komplexe Phänomene abbilden können. Selbst die Erkenntnisse aus der Systemtheorie haben an dieser Stelle nicht zu einem Umdenken animiert. Hier möchte ich die Emergenz nennen. Emergenz ist die spontane Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen auf der Makroebene eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht, oder nicht offensichtlich, auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die diese isoliert aufweisen.
Stephen Wolfram hat sich diese Erkenntnis zu Herzen genommen und ist einen anderen Weg gegangen. Er hat Computer benutzt, um die Ergebnisse einfacher Algorithmen graphisch aufzubereiten und zu analysieren. Er hat damit die Emergenz bestätigt. Die erhaltenen komplexen Muster haben rein gar nichts mit den zu Grunde liegenden einfachen Algorithmen zu tun.
Francis Bacon, englischer Philosoph und Wegbereiter des Empirismus hat als erstes formuliert, dass der Sinn der Naturwissenschaften darin besteht, die Natur zu beherrschen. Rene Descartes, französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler, hat dieser Forderung Leben eingehaucht, in dem er eine Methode definierte, wie Problemstellungen wissenschaftlich untersucht werden sollen. Im Rahmen dieser Methode werden Problem- und Fragestellungen in Teile zerlegt, sprich analysiert, diese Teile werden dann untersucht und anschließend wieder zu einer Gesamtlösung zusammengesetzt, sprich synthetisiert.
Das bedeutet, komplexe Probleme müssen zerlegt werden, um sie zu erfassen. Das ist auch notwendig, da unserer kognitiven Beschränkung geschuldet. wir können Problem- und Sachlagen nicht in Gänze auf einmal erfassen. Das ist die Analyse, in welcher für Teilbereiche des Problems Teillösungen gefunden werden wollen. Bei der späteren Zusammenführung dieser Teillösungen, also in der Synthese, ist dann Vorsicht geboten. Eine Linearisierung ist nicht möglich. Wir können nicht einfach die Teillösungen zu einer Gesamtlösung synthetisieren und glauben, dass es damit getan ist. Schwerwiegender ist noch, dass wir nicht genau wissen können, ob die Teillösungen überhaupt in die richtige Richtung der Gesamtlösung führen. Sie können vielleicht rein gar nichts miteinander zu tun haben, haben sie in der Regel auch nicht, da bei der Analyse und anschließenden Synthese die Dynamik der Wechselwirkungen der Teillösungen nicht berücksichtigt werden.
Das bedingungslose unreflektierte Anwenden der Methode von Descartes, Analyse und Sytnhese, führt bei Komplexitäten also in die Sackgasse. Mit dieser Vorgehensweise wird das Auffinden von einfachen Lösungen niemals möglich sein. Diese Methode wird allerdings in unseren Bildungseinrichtungen als das Allheilmittel für das Problemlösen angepriesen. Das macht den Umgang mit komplexen Situationen damit auch so schwierig, weshalb ich auch stets vom Handhaben und niemals vom Beherrschen von komplexen Situationen spreche. Ich möchte aber noch einmal deutlich betonen, dass diese Methode für Fragestellungen nichtlebender Materie zum Erfolg führt, aber eben nicht für lebende.
… weshalb folgende Denk- und Handlungsschemata relevant werden.
Jetzt bleibt natürlich noch die Frage offen, wie wir auf diese Erkenntnisse reagieren müssen. Worauf sollten wir achten, wenn wir mit komplexen Fragestellungen umgehen, die lebende Materie betreffen. By the way. Genau diese Problemstellungen machen uns derzeit so große Kopfzerbrechen, wenn ich an die Umweltproblematik oder an die Finanzdiskussionen denke.
Wir haben gelernt, dass keine lineare Beziehung zwischen den Teillösungen und der Gesamtlösung existiert. Die Teillösungen lassen sich nicht einfach zu einer Gesamtlösung integrieren. Das bedeutet aber auch, dass es keine direkt sichtbare Beziehung zwischen den Handlungen und dem Ergebnis geben kann. An dieser Stelle erinnere ich noch einmal an die Erzeugung der komplexen Muster durch ganz einfache Anweisungen, wie Wolfram sie eingeführt hat. An dieser Stelle müssen also bestehende Methoden und Prozesse ganz genau evaluiert werden. Immer dann wenn man es mit komplexen Problemen zu tun hat, wo also Menschen involviert sind, führen ganz detailliert definierte Prozesse häufig nicht zum Erfolg. Es darf nicht vorgeschrieben sein, was genau getan werden soll, sondern was mit diesen Prozessen erreicht werden soll. Es gibt kein Rezept zum Lösen komlexer Probleme. Und auch die Fragestellung, was mit den Prozessen erreicht werden soll, muss regelmäßig evaluiert werden, da sich Ziele in komplexen Umgebungen häufig ändern. Details dazu habe ich in meinem Post Sind Ziele sinnlos? ausgeführt.
Des Weiteren erkennt man sehr schnell die absolute Bedeutung von Kommunikation beim Lösen komplexer Probleme. Kommunikation ist bei der Synthese der Teillösungen zu einer Gesamtlösung immens wichtig. Sehr häufig geht es beim Problemlösen nicht darum im Sinne einer Lösung zu diskutieren. Es geht viel zu oft einfach nur um das “Recht haben”. Man benötigt also bei den Kommunikationsprozessen zum Lösen von komplexen Problemen eine gemeinsame Bezugsbasis. Hat man diese, ist eine Voraussetzung geschaffen, die Probleme in Teams zu lösen. Dann geht es nämlich um die “Wahrheit”. Hat man diese Bezugsbasis nicht, geht es ausschließlich um Macht. Das Finden einer tragfähigen Lösung gerät dann in den Hintergrund.
Dann möchte ich zum Schluss nicht vergessen auf die oben angesprochene Wechselwirkung und die so entstehende Dynamik zwischen den Teillösungen zu verweisen. Diese Dynamik muss nämlich bei der Analyse und anschließenden Synthese beachtet werden. Dazu eignet sich System Dynamics als Methode und Handwerkszeug sehr gut. Details dazu finden Sie in meinem Post Entscheidungen: Mit System Dynamics dem BI Wirkkreis Leben einhauchen.
Guten Tag Herr Dethloff
Sie greifen mal wieder ein Interessantes Thema auf. Dazu habe ich in meinen Systemikunterlagen ein Bild der Systemtypen gefunden.
Systeme werden grundsätzlich in 4 Typen unterschieden:
– Kompliziertes System deterministisch (z.B. Uhr)
– Komplexe System selbstregulierend (z.B. Natur)
– Komplexe System selbstbewusst (z.B. Mensch)
– Komplexe System selbstorganisierend (z.B. Firma)
Wichtig dabei ist zu wissen, dass nur der Freiheitsgrad des Ganzen und/oder des Teiles bestimmt, ob etwas komplex ist oder nicht. Eine Uhr kann nicht entscheiden, etwas anderes zu sein, ihr Ziel ist fix vorgegeben.
Sie zeigen an Ihrem Beispiel sehr schön auf, wie das “Wenn -> Dann -> Dann” denken bei Komplexität nicht zeitgemäss ist. Wir vergessen häufig, dass bei “Komplexen Systemen” wie einer “Firma” beispielsweise die Mitarbeiter die Freiheit haben, etwas zu tun oder eben zu lassen.
Wir müssen nicht jeden einzelnen Aspekt verstehen. Es reicht aus, sich dessen bewusst zu sein. Steuern? Naja… Ein wenig “lenken” vielleicht. Wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt hab ist es wohl folgendes: “Gewisse Dinge und ihren Lauf kann man vorhersagen. Bei jeder Veränderung, die jemand zu initiieren versucht, frage ich mich: Wie viel Energie ist der Betreffende bereit aufzuwenden und gegen welche Widerstände hat er zu kämpfen. Nur wenn der Aufwand grösser ist als der Widerstand, kommt man vorwärts.” Steuern? Hmm…
Nicht die Kontrolle zu haben kann frustrierend sein. Zum Glück gibt es die Systemtheorie die uns – wenn wir es zulassen – hilft, statt Frust eine Systemlust zu entwickeln. In diesem Sinne: Happy Modeling.
Hallo Herr Verasani,
vielen Dank für die Response.
Die Einteilung der Systeme in (A) kompliziertes deterministisches System, (B) komplexes selbstregulierendes System, (C) komplexes selbstbewusstes System und (D) komplexes selbstorganisierendes System finde ich sehr interessant. Diese Einteilung habe ich so noch nie gehört oder gelesen. Haben Sie dazu nähere Informationen?
Ich habe mir vor geraumer Zeit die Einteilung der Systeme nach dem Cynefin-Modell zu Gemüte geführt. Dave Snowden, von dem dieses Modell stammt, hat die Einteilung der Systeme wie folgt abgeleitet
1. einfach: erkenne-beurteile-reagiere
2. kompliziert: erkenne-analysiere-reagiere
3. komplex: probiere-erkenne-reagiere
4. chaotisch: handle-erkenne-reagiere
Details dazu sind hier zu finden.
Beste Grüße,
Conny Dethloff
Guten Tag Herr Dethloff
Ja, das Modell finden Sie in den Unterlagen auf Seite 41:
http://www.bsk-org.ch/pdf-files/Systemik-V14.pdf
Ich bin mir nicht sicher, von wem das Modell ist, da keine direkte Referenz zum Literaturverzeichnis in der Anlage gemacht wird.
Freundliche Grüsse
Thomas Verasani
Hallo Herr Verasani,
danke für das Dokument. Es ist aus meiner Sicht absolut lesenswert. Für ein spezielles Thema bin ich besonders dankbar: die Notwendigkeit des Vorhandenseins gerichteter Variablen in einem Ursache-Wirkungs-Diagramm. Das macht absolut Sinn. Am Beispiel Umsatz erkennt man dies ganz gut. Wenn ich nämlich eine Variable mit dem Namen “Hoher Umsatz” habe, dann hat die Variable “Hohe Kosten” eine entgegengesetzte Richtung, also ein “-” in der Verbindung auf den hohen Umsatz. Heißt die Variable “Niedrige Kosten” steht ein “+” in der Verbindung, da die Wirkung gleichgerichtet ist. Habe ich nur die Variablen “Umsatz” und “Kosten” vorhanden, muss ich eine Richtung beider Variablen implizit annehmen, weil ich sonst keine Wirkung von Kosten auf Umsatz definieren kann, da sie unbestimmt ist. Also schreibe ich diese Richtung dann doch besser hin, um Missverständnissen vorzubeugen.
Bei harten Variablen, wie bei Umsatz und Kosten ist das explizite Nennen der Richtung vielleicht noch nicht so wichtig, da hier die Missverständnisse nicht so groß werden, da teilweise common sense. Entscheidender wird es bei qualitativen weichen Variablen, wie beispielsweise Kommunikation. Hier müsste ich dann die Variable beispielsweise “Offene transparente Kommunikation” nennen.
Wenn ich allerdings anschließend das Ursache-Wirkungs-Diagramm quantifiziere und simuliere, beispielsweise mit System Dynamics, können die Richtungen in den Namen wegbleiben. Sie sollten vielleicht sogar weg bleiben, um nicht zu verwirren. Hier ist die Richtung dann in den Formeln zwischen den Variablen inkludiert. Dann hat man auch in den Simulationsergebnissen keine Wertung in den Namen, sondern ausschließlich in den Simulationsergebnissen.
Beste Grüße,
Conny Dethloff
Hallo Herr Verasani,
Autsch. Da bin ich aber gewaltig in eine Denkfalle getappt. Genauer beim Beispiel mit Umsatz und Kosten. Gewahr wurde mir die, als ich mir die Frage gestellt habe, warum ich bislang beim qualitativen Modellieren keine Probleme wahrgenommen habe, obwohl ich nicht darauf geachtet habe, harte Faktoren genauer zu benennen.
Was war meine Denkfalle?
Ich habe nicht auf die Beziehung zwischen beiden Faktoren Kosten und Umsatz geschaut, sondern auf die Faktoren selbst. Ich benötige nämlich keine Differenzierung von Kosten und Umsatz in hoch oder niedrig. Die Wirkung von Kosten auf Umsatz ist stets entgegengesetzt. Denn werden die Kosten erhöht/ minimiert, wird der Umsatz kleiner/ größer.
Da komme ich auch gleich auf die Frage, warum es wichtig ist, Faktoren zu richten, wie es im Dokument beschrieben steht. Grundsätzlich verstehe ich darunter, dass Faktoren ganz genau benannt werden müssen. Kommunkation reicht beispielsweise alleinstehend nicht aus. Hier muss genauer benannt werden, was man genau meint, wie beispielsweise offen, transparent, faktenbasiert oder zeitgerecht. Umsatz oder Kosten stehen für sich alleine und sind aussagekräftig genug. Es sei denn man benötigt eine detailliertere Spezifizierung der Kosten (Gemeinkosten, Fixkosten, …).
Den Sinn und Zweck einer Richtung der Variablen verstehe ich also noch nicht. Aus dem Dokument glaube ich zu entnehmen, dass mit einer Richtung der Faktoren Teilziele dieser abgebildet werden, also nicht unbedingt eine genauerer Spezifizierung der Faktoren.
Ist das so? Und wenn ja, was hat man damit gewonnen?
Beste Grüße,
Conny Dethloff
Guten Tag Herr Dethloff
Es freut mich, dass Ihnen das Dokument gefällt. Das ist Unterrichtsmaterial der Berner Fachhochschule. Hier wird vor allem Systemik nach Vester unterrichtet.
Zu den Denkfallen:
Der im Dokument beschriebene Ansatz ist bezüglich der Erarbeitung sehr hart. Ich hatte bisher zwei Workshops abgehalten (plus weitere Modellierungen) und muss sagen: Harte, aber lohnenwerte Arbeit für alle Beteiligte. Mit diesem Ansatz wird der Bewusstsein zu den notwendigen Variablen erhöht. Das heisst für mich: Ich weiss bereits anhand der Bezeichnung, was die Variable bewegt. Jeder, der im System arbeitet, kennt die Wirkung der Variable meist nur zu gut.
Das Modell arbeitet mit Schärfe/Unschärfe in einer hohen Wechselwirkung. Das heisst: Beim Modellieren berücksichtigen Sie die Wirkungen nach den subjektiven Elementen Hoch, Mittel, Tief/Niedrig.
Ich beschreibe zum besseren Verständnis kurz das Vorgehen/den Ablauf, um ein System zu designen:
1. Sie bestimmen (in der Regel mit einer Gruppe) die Systemische Umweltturbulenzen-Kennzahl.
Hier diskutieren Sie, z.B. anhand des St. Galler Managementmodells (oder des systemischen Ganzheitlichkeitsmodells) verschiedene Aspekte, welche Ihre Firma beeinflussen. Erst mal produzieren Sie viel, um danach eine Kennzahl zu erhalten (Reduktion). Die Kennzahl hilft Ihnen zu erkennen, ob es sich um ein träges oder hoch dynamisches System handelt und Sie wissen danach, warum es so ist.
Bei einem hoch dynamischen System brauchen Sie später sehr viel Fingerspitzengefühl, um Änderungen zu initiieren.
2. Variablen definieren
Hier erarbeiten Sie erst mal die Variablen. Im ersten Schritt noch ohne Wertung.
3a. Variablen “richten”
Sie bewerten die Variablen in der Skala nach 1 – 5, ähnlich dem Schritt 1.
3b. Variablen beschreiben
Nun kommt die in Schritt 1 beschriebene Kennzahl ins Spiel: Variablen, die oberhalb der Systemischen Umweltturbulenzenkennzahl liegen, werden eher “positiv” beschrieben (z.B. Gut rekrutiertes Personal), Variablen, die unterhalb der Kennzahl liegen, werden eher negativ beschrieben (z.B. Rekrutieres Personal hat Fähigkeiten, kann sie aber nicht anwenden)
Warum ist dies wichtig:
Stellen wir uns einen Sportschwimmer vor, der gegen den Strom schwimmt. Die Umweltturbulenzenkennzahl sagt, wie stark der Strom ist. Die gerichtete Variabel sagt, ob der Schwimmer schon heute vorwärts kommt oder nicht. Liegt die Stärke drunter, muss man den Schwimmer (die Variabel) erst mal befähigen, vorwärts zu kommen. Dies ist für die kreative Lösungsfindung später wichtig. Hier kann man z.B. bestimmen, ob man den Schwimmer mehr trainieren will, dopen will, oder ob man im System “Hindernisse” deponiert, um das System (den Gegenstrom) abzubremsen.
Zu Ihrer Frage:
Es ist wichtig, Variablen zu richten, um zu wissen, wie viel Aufwand Sie in die Umsetzung investieren müssen. Beispiel: Sie möchten ein Produkt besser vermarkten. Sie stellen fest, dass Ihr Produkt viel zu teuer ist. In der Systemischen Analyse haben Sie ein System, das Sie sich in einem schnell veränderbaren Markt befinden. Eine Variabel möchten Sie korrigieren, die aktuell sehr langsam ist (Annahme: Ältere, recht träge Verkäufer). Nun: Mit welchem Aufwand kriegen Sie diese Verkäufer nun auf einen Wert von mind. grösser vier? Und einen Wert von 4.1 müssen Sie mind. erreichen, um überhaupt vorwärts zu kommen… Bei einem Wert von 4 bewegt sich nichts und darunter verlieren Sie je länger je mehr an Boden.
Tauschen Sie die Verkäufer nun aus? Schicken Sie diese an Schulungen oder lassen Sie die Verkäufer noch als Coach stehen aber stellen sehr junge, hoch motivierte Einsteiger ein? Vielleicht stellen Sie auch fest, dass Ihre Mitarbeiter ausgelaut sind, ev. sogar nahe einem Burnout weil sie sich bereits bei früheren Aktionen verausgabt haben und Sie erlauben den Mitarbeitern während einer gewissen Zeit, sich neue Kräfte zu sammeln.
Das Eine ist es zu erkenne, welche Lösung man initiieren muss, das Andere ist zu erkennen, mit welchem Aufwand man das Ganze betreiben müsste. Vielleicht muss man im Beispiel auch erkennen, dass es aktuell nicht möglich ist eine Lösung zu initiieren und man zieht sich vom Markt zurück.
Hier sind wir wieder beim Punkt aus früheren Diskussionen: Der Wille, ein Ziel zu erreichen, reicht nicht. Ich muss auch noch genügend Energie aufwenden können, etwas zu bewegen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Erläuterung das Richten der Variablen ein wenig näher bringen.
Freundliche Grüsse
Thomas Verasani
Ach ja: Es ist sehr wichtig, die Variablen nach dem IST-Zustand zu beschreiben und nicht nach einem Wunsch-/Soll-Zustand. Dieser Fehler passiert häufig und man merkt es ev. nicht direkt. Wenn Ihre Kommunikation offen ist, ist sie offen. Aber vielleicht haben Sie eine “offene Kommunikation, welche manche Mitarbeiter als zu offen empfinden” und so kommen wir der Sache schon etwas näher.
Die Gerichtete Variabel kann kurz und knapp gehalten werden, den Detailbeschrieb macht man in den Feldern “Ziel, Sinn” und “Beschreibung”.
Hallo Herr Verasani,
vielen Dank für die Erklärung. Ich werde bei meiner nächsten qualitativen Modellierung die Gedanken und Ideen im Kopf haben.
Beste Grüße,
Conny Dethloff
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