BI Lösungen gaukeln eine scheinbare Sicherheit vor und birgen deshalb Gefahr

Kennen Sie das Lied vom Scheitern von Die Ärzte, in welchem sie im Refrain singen “Du bist immer dann am besten, wenn’s Dir eigentlich ganz egal ist…”? Oder haben Sie auch schon die Erfahrung gemacht, dass Sie etwas suchen, dieses nicht finden, sondern das was sie gestern gesucht haben? Oder Sie sind auf einer Party eingeladen worden, gehen fröhlich hin, weil Sie Spaß haben möchten und ganz große Erwartungen an diese Party haben. Sie werden jedoch enttäuscht. Beim nächsten mal gehen Sie mit wenig Erwartung zur Party oder haben eigentlich gar keine Lust und die Party wird großartig.

Was sagen uns diese Beispiele?

Wir fokussieren uns auf etwas Bestimmtes und vernachlässigen dabei andere Sachverhalte. Diese nicht beachteten Komponenten führen aber dazu, dass das, worauf wir uns fokussieren und wollen, negativ beeinflussen. Die Eigenart von komplexen Sachverhalten ist, dass, wenn man etwas ganz besonders will, meistens das Gegenteil erreicht. Komplexe Systeme sind durchzogen von Rückkopplungen, Ursache wird zur Wirkung und Wirkung zur Ursache. Genau diese Rückkopplungen werden aber in den Betrachtungen und Analysen oft ausgeblendet, so dass man am Ende vor Resultaten steht, die unerwünscht sind. Allerdings heisst das natürlich nicht, das man nichts mehr wollen darf, um etwas zu erreichen. Der Wille ein bestimmtes Ziel zu erreichen ist immer noch immens wichtig. In meinem Post Projektmanagement ohne Herz und ohne Kopf habe ich die Notwendigkeit des mit dem Herzen bei der Sache sein ausgeführt. Man muss eben bedenken, dass die Umsetzung dieses Willens nicht per Direktive durchgesetzt und kontrolliert werden kann.

Und genau daran krankt es: Wir denken, messen zu müssen

Wenn wir etwas messen fokussieren wir uns auf das zu Messende. Wir nehmen das Messobjekt aus dem Zusammenhang mit den anderen Dingen heraus. Dadurch zerstören wir das Wirkungsgefüge des Ganzen. Tom deMarco, Projektmanagement-Guru des Mainstreams, meint nun in seinem gleichnamigen Buch Was man nicht messen kann, kann man nicht kontrollieren. Das mag stimmen. Aber komplexe Systeme, wie es auch alle Projekte sind, darf man nicht kontrollieren wollen, da man es nicht kann. Also muss man auch nicht messen. Das verkennt Tom deMarco komplett. Ich habe das Buch trotzdem gelesen und kann es auch weiterempfehlen, denn auch von schlechten Beispielen oder von Fehlern kann man sehr gut lernen. Im Übrigen ist aus meiner Sicht jede Sachlage, jede Situation oder jedes Problem, in dem Menschen involviert sind, komplex und damit nicht kontrollierbar. Haben Sie beispielsweise schon mal versucht ihren Herzschlag oder ihre Atemzüge zu kontrollieren?

Was hat das alles nun mit Business Intelligence zu tun?

Auf dem Paradigma des Messen und Kontrollieren müssens bauen alle derzeitigen Business Intelligence Lösungen in Unternehmen auf. Es werden Kennzahlen und KPIs (Key Performance Indicators) definiert, die in den aller meisten Fällen die Rückkopplungen der einzelnen Kennzahlen nicht beachten oder schlichtweg diese nicht messbar sind. Gerade Qualitäten sind mit den Zahlen, die heute Basis für die Mathematik und Wissenschaft sind, nicht mit Zahlen darstellbar. Ich möchte das gar nicht tiefgründiger ausschmücken, sondern auf meine Posts zum Thema Zahlen verweisen. Ich werde vielmehr ein Beispiel anbringen, welches die Auswirkungen des Messparadigmas belegen.

Die Kennzahl Auslastung

Die Kennzahl Auslastung (engl.: Utilization) stammt aus der Zeit der Industrialisierung. Menschen wurden als Maschinen angesehen, in der Fließbandarbeit vorherrschend war. Kopfarbeit kann man aber nicht mit Fliessbandarbeit vergleichen. Trotzdem wird diese Kennzahl noch sehr häufig als oberster Maßstab für das Messen von Leistungen von Mitarbeitern verwendet, auch und gerade bei servicelastigen Tätigkeiten. Ich habe ein qualitatives Modell im CONSIDEO MODELER erstellt, in welchem ich die Kennzahl Auslastung im Rahmen von Projekten ganzheitlich analsiert habe.

Die Erkenntnisse der in der oberen Abbildung gezeigten Ursache-Wirkungsbeziehungen zwischen den Faktoren möchte ich nachfolgend erläutern. Eine erste Erkenntnis ist, dass die Auslastung kurzfristig eine starke positive Auswirkung auf den Umsatz hat. Allerdings müssen Festpreisprojekte oder Zeit-und-Material Projekte diesbezüglich differenzierter betrachtet werden. Eine höhere Auslastung der Mitarbeiter macht bei Festpreisprojekten überhaupt keinen Sinn, denn der Kunde zahlt nicht für diese scheinbar höheren Kosten. Bei Zeit-und-Material Projekten erzielt die höhere Auslastung nur dann einen positiven Effekt auf den Umsatz, wenn der Level an Erhöhung auch mit der Abrechnungsbasis übereinstimmt. Werden die Auslastungen der Mitarbeiter beispielsweise auf Stundenebene erhöht, die Abrechnung in Richtung Kunde erfolgt aber auf Tagesbasis, ist der Effekt gleich 0.

Des Weiteren muss man bei der Analyse bedenken, dass Festpreisprojekte häufig über Preise vergeben werden. Daraus ergibt sich in der Regel bereits von Beginn an ein hoher Kostendruck auf das Projekt. Eine Erhöhung der Auslastung der Mitarbeiter erzeugen noch mehr Kosten, die das Projekt tragen muss, was den Druck auf das Projekt weiter erhöhen lässt, denn der zu erwartende Umsatz ist nicht kostenabhängig. Ein weiterer nicht zu verachtender Aspekt ist, dass die Notwendigkeit stets ausgelastet zu sein, einen hohen Druck bei den Mitarbeitern generiert. Man muss immer beschäftigt sein. Nachdenken scheint nicht erlaubt, da es kurzfristig keinen gesicherten und werthaltigen Output erzeugt. Der eigentliche Sinn der Kopfarbeit, kreativ zu sein, geht verloren. Ergebnisse, die über kreative Aktivitäten erzielt werden, lassen sich nicht nach Stechuhr abrechnen.

Wenn alle Mitarbeiter ausgelastet sind, sind keine Mitarbeiter verfügbar, qualitativ gute Angebote zu erstellen, die die Basis für neue Projekte darstellen. Die Pipeline wird also nicht mit neuen validen Opportunities bestückt. Des Weiteren wird die Flexibilität genommen, kurzfristig auf Kundenanfragen zu reagieren oder neue Projekte zu staffen. Das wirkt sich dann negativ auf die Kundenzufriedenheit aus.

Haben wir also oben angedeutet, dass eine hohe Auslastung kurzfristig eine positive Auswirkung auf den Umsatz hat, dreht sich dieser Effekt mittel- und langfristig gesehen um. Beim Messen der Auslastung wird diese Kenzahl aus dem Gesamtzusammenhang des Wirkungsgefüges gerissen, was damit Ergebnisse ans Tageslicht befördert, die nicht gewollt sind, nämlich niedriger Umsatz. Es wird direkt in Richtung hohe Auslastung agiert, was zu vergleichen ist mit dem Verabreichen von Suchtmitteln an einen Suchtkranken. Kurzfristig fühlt er sich besser, mittel- und langfistig aber verschlechtert sich sein Zustand. Diesen Effekt sehen Sie in der Erkenntnismatrix in der folgenden Abbildung an dem Fakt, dass der Faktor 6:Utilization im rechten unteren Quadranten ganz außen liegt.

Welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus?

Bevor ich meine Ideen formuliere, die die erkannten Schlussforgerungen verarbeiten, möchte ich noch einmal auf das Fokussieren eingehen. Der Buddhismus hat die Notwendigkeit des Nichtfokussierens erkannt. Denn wie oben angedeutet wird eine zu analysierende Ausgangslage zerstört, in dem auf bestimmte Themen fokussiert wird, da diese aus dem Gesamtzusammenhang gerissen werden. Das passiert übrigens auch beim Denken. Das ist der Grund, warum Buddhisten häufig vermeiden zu denken. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne auf die Homepage von Rudolf Matzka verweisen. Er reflektiert Erkenntnisse des Buddhismus auf die derzeitigen kulturellen und gesellschaftlichen Probleme, um neue Sichtweisen zu generieren. Wirklich sehr spannend und erhellend.

Ziele müssen nicht handlungsleitend sein. Sie müssen im Sinne einer Vision aufgestellt werden, mit denen sich alle Mitarbeiter des Unternehmens oder des Projektes identifizieren. Die Mitarbeiter sind also emotional und mit dem Herzen dabei. Das hatten wir bereits. Es kommt nicht darauf an einen Plan zu erfüllen oder überzuerfüllen. Wichtig ist zu erkennen, dass sich aus solchen Zielen keine sinnvollen und konkreten Teilziele herunter brechen lassen, nach denen die Leistungen der Mitarbeiter dann “von Oben” gemessen werden. Es existieren keine Handlungsvorgaben, Pläne, Meilensteine und dergleichen auf Mikroebene, die “von Oben” definiert werden müssen. Und genau darauf kommt es an. Die Mitarbeiter müssen selber denken. Sie müssen stetig Signale der Umwelt aufnehmen, um auf Basis dieser Informationen zu generieren, die ihnen behilfreich sind Entscheidungen zu treffen. Damit wird Transparenz über Erfolg und Misserfolg geschaffen, die wichtig ist, damit die Mitarbeiter marktabgeleitete Belohnungen, im positiven wie auch im negativen Sinne, akzeptieren. Jeder Mitarbeiter gibt den eigenen Aktivitäten damit einen Sinn. Derzeit sind die meisten Belohnungssysteme zu einem Glücksspiel verkommen. Das demotiviert. Besser wäre es, wenn jeder Mitarbeiter aus sich heraus entscheidet, was getan werden muss, um das gesamtheitlich gestellte Ziel zu erreichen, welchem er mit dem Herzen anhängt. Zur Validierung der Tätigkeiten sind natürlich Kennzahlen nicht verboten. Der Unterschied zu dem derzeitigen Einsatz besteht aber darin, dass diese nicht “von Oben” vorgegeben werden. Die Mitarbeiter sind sich damit ebenfalls bewusst, dass man nicht alle Aktionen nur den Kennzahlen zu Grunde legen darf, die messbar sind. Mitarbeiter wollen mehr Verantwortung übernehmen. Was legitimiert einen Manager oder eine Führungskraft eigentlich einen Mitarbeiter auf Mikroebene zu managen? Im privaten Umfeld handhaben die Mitarbeiter doch auch sehr komplexe Themen und das in der Regel sehr gut. Denken Sie nur an die Kindererziehung.

Einen weiteren Aspekt, den ich anführen möchte ist, das Lernen von der Natur und vom menschlichen Körper, die sehr positive Beispiele dafür darstellen, wie komplexe Systeme gehandhabt werden. Hartmut Bossel hat die Fragestellung analysiert, nach welchen Leitwerten ein komplexes System agieren muss, um lebensfähig zu sein. Die Antwort hat er in der Natur gefunden, in dem er folgende Leitwerte definiert hat: Existenz, Wirksamkeit, Handlungsfreiheit, Sicherheit, Wandlungsfähigkeit und Koexistenz. Details dazu finden Sie unter anderem in meinem Rucksack.

Wolfgang Deppert reflektiert in seinem Artikel Natur und Wirtschaft oder Das Überlebensproblem Funktionen, die die Natur anwendet, die aber in der Wirtschaft sträflich bis gar nicht Anwendung finden, um lebensfähig zu sein. Es geht dabei um die Wahrnehmungs-, Erkenntnis- und Maßnahmenfunktion.

Ich möchte einen Ausblick wagen

Ich bin gerade dabei meine Gedanken zu sammeln und zu sortieren, die die angesprochenen Themen dieses Posts die Fragestellung beantworten lassen, wie Business Intelligence der Zukunft gestaltet werden muss, um die komplexen Sachverhalte rund um das Führen von Unternehmen zu handhaben. Dabei werde ich ebenfalls die Klammer zur Systemtheorie und zur Kybernetik spannen. Die Zutaten sind also alle vorhanden, es fehlt nur noch das Rezept. Da wir Menschen bereits schon durch Worte und deren hinein interpretierte Bedeutung in eine bestimmte Richtung gelenkt werden, werde ich in dieser Ausarbeitung den Begriff Business Intelligence durch Business Systemics ersetzen und damit zum Ausdruck bringen, das beide Vorgehensweisen fundamental verschieden sind.

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1 Response to BI Lösungen gaukeln eine scheinbare Sicherheit vor und birgen deshalb Gefahr

  1. Ich möchte zum Thema Auslastung noch etwas anmerken. Ich schreibe im Post, dass die Kennzahl Auslastung aus dem Zeitalter der Industrialisierung stammt, was nicht bedeutet, dass sie damals schon irgend eine Daseinsberechtigung hatte. Eliyahu Goldratt hat das in seinen Ausarbeitungen zu Theory of Constraints (ToC) immer wieder eindrucksvoll nachgewiesen. Es ist eben nicht so, dass jede Ressource maximal ausgelastet sein muss, um eine optimal Auslastung einer gesamten Produktionskette zu erreichen. Wenn ich ein globales Optimum suche, darf ich mich nicht ausschließlich auf die lokalen Optima stürzen.

    Leider ist Goldratt am 11. Juni 2011 viel zu früh gestorben. Zu ToC können Sie in meinem Rucksack und in meinem Logbuch einige Ideen und Gedanken finden. Sehr empfehlen kann ich Goldratts Roman Das Ziel, in dem er auf sehr anschauliche und amüsante Art und Weise das Paradigma der Auslastung in Produktionsketten widerlegt.

    Immer wieder erstaunlich, wie selbst nicht valides Wissen in andere Teilbereiche übernommen wird ohne ausreichend zu reflektieren.

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