Kann ein freier Wille bedingt sein?

In seinem Buch Das Handwerk der Freiheit interpretiert Peter Bieri den freien Willen erfrischend neu. Er legt sehr spannend und ohne Philosophie-Kauderwelsch seine Gedanken und Ideen dar. Ich finde besonders beachtlich wie Bieri die Dinge extrem tiefgründig betrachtet und einfach ausformuliert.

Im ersten Teil befasst Bieri sich mit der bedingten Freiheit. Dabei geht er auf die Themen Wunsch, Willen und Handeln ein. Zäumen wir die Kette mal von hinten auf. Der Mensch tut etwas, wenn er etwas will und das Wollen hängt wiederum von einem zuvor in dem Menschen entstandenen Wunsch ab. Man erkennt also die Bedingtheit, die beim Wunsch beginnt. Das Ergebnis dieser Bedingtheit wird durch das Denken der Menschen bestimmt. Bieri geht ebenfalls darauf ein, dass das Denken der Menschen beeinflusst werden kann, was dann natürlich letztendlich einen Einfluss auf die Handlungen hat. Denken Sie beispielsweise an Hypnotisierte, an Zwanghafte oder an Menschen, die einer Gehirnwäsche unterzogen wurden. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass man nur dann von Freiheit sprechen kann, wenn diese bedingt ist. Würde man keine Bedingtheit zwischen Handlung und Wollen ausmachen können, würde die Freiheit des Willens an Sinn verlieren, denn der Wille wäre komplett zufällig und somit nicht dem Menschen zugehörig.

Wir Menschen benötigen Bedingtheit in Form von Kausalität, um Phänomene erklären zu können. Wäre allerdings unsere Welt komplett von Kausalität durchzogen, würde der freie Wille ebenfalls an Sinn verlieren, weil dann schon von Geburt an vorherbestimmt wäre, wie sich ein Mensch entwickelt. Er muss sich dann gar nicht mehr entscheiden, oder besser gesagt, er kann es gar nicht mehr.

Im zweiten Teil des Buches beleuchtet der Autor die Frage bzgl. der unbedingten Freiheit näher und stellt die Begriffe Bedingtheit vs. Unbedingtheit und Freiheit gegenüber. Bedingte Freiheit bedeutet, es gibt gänzlich keine Verantwortung für das Handeln. Das Denken ist quasi kein “unbewegter Beweger”. Setzt man Freiheit ausschließlich mit bedingter Freiheit gleich, kann Niemand für sein Handeln zur Rechenschaft gezogen werden. Wir würden keine Gefühle wie Scham, Reue, Wut etc. kennen, da alle Menschen das machen, was sie machen müssen. Es ist ja vorherbestimmt. Bedingte Freiheit bedeutet per Defintion nicht absolute Freiheit. Das drückt das Wort “bedingt” schon aus. Unbedingte Freiheit bedeutet, dass Menschen nicht mehr entscheiden können. Denn dann hat das Wollen und das Wünschen eines Menschen rein garnichts mehr mit dem Menschen an sich zu tun. Es ist komplett abgekoppelt, da es keine Wechselwirkung zu der Historie und auch nicht zum Denken des Menschen gibt. Das Entscheiden ist in diesem Fall ein “unbewegter Beweger”. Auch unbedingte Freiheit ist keine Freiheit im Sinne wie wir es wahrscheinlich gerne sehen würden. Wenn ich also nicht entscheiden kann, oder anders ausgedrückt, meine Gedanken überhaupt keinen Einfluss auf meine Entscheidungen haben, kann ich mich nicht als Mensch bezeichnen, der einen freien Willen besitzt und daraufhin agiert. Die Entscheidungen sind mir quasi fremd.

Aber was denn nun? Bedingte als auch unbedingte Freiheit sind Konstrukte, die keine absolute Freiheit ausmachen. Wir haben zwei Pole ausgelotet. Bei der absolut bedingten Freiheit sind wir für unser Handeln und Tun nicht zur Rechenschaft zu ziehen. Wir konnten ja nicht anders, da alles vorherbestimmt war. Bei der absolut unbedingten Freiheit nutzt Überlegen und Denken rein gar nichts, da es sowieso keinen Einfluss auf unser Handeln und Tun hat. Beides will ich mir nicht vorstellen, oder anders Beides kann es gar nicht geben. Es gibt aber einen signifikanten Unterschied zwischen absolut bedingter und absolut unbedingter Freiheit. Eine absolut unbedingte Freiheit kann niemals in Richtung Freiheit, wie wir es verstehen, wandern. Ein absolut unbedingter Wille beruht auf nichts, was wir von der Umwelt wahrnehmen. Dementsprechend kann sich dieser auch niemals aufgrund gemachter Erfahrungen ändern. Er ändert sich, oder auch nicht, ausschließlich komplett losgelöst von den Menschen. Das Geflecht zwischen Unbedingtheit und Freiheit ist also ein reines Wortkonstrukt, welches es nicht gibt. Bedingtheit ist Freiheit oder Unfreiheit immer als Basis vorangestellt.

Bieri deckt ein Paradigma auf, welchem wir unterlegen sind, wenn wir von bedingter Freiheit im Willens- und Entscheidungsprozess reden. Es geht um die Ohnmacht unserem Willen gegenüber. Auch wenn unser Denken und Handeln von unserer Historie (Erlebnisse, Erziehung, Freunde etc.) bestimmt und damit bedingt ist, stehen wir unserem Willen nicht ohnmächtig gegenüber. Dieser Wille passiert nicht einfach mit uns. Der Wille kann noch immer von uns beeinflussbar sein. Er spricht von “kann”, denn ein Hypnotisierter oder ein Zwanghafter kann das sicher nicht von seinem Willen behaupten. Peter Bieri zeigt damit auch eindrucksvoll, dass wir viel zu nachlässig und nicht tiefgründig genug mit unserer Sprache umgehen. Wir haben, und ich schließe mich da ein, Freiheit stets mit Unbedingtheit gleichgesetzt. Erst wenn mein Wollen und Handeln von nichts bedingt ist, fühle ich mich frei. Das ist aber ein Trugschluss, weil es das nicht geben kann.

Der Autor kommt ohne Anspielung auf Experimente aus, in denen Zeitpunkte bzgl. des Fließens von Gehirnströmen und des Entscheidens gegenüber gestellt werden. Das ist wichtig, denn schon durch den Experimentieraufbau verfälscht man die zu untersuchende Situation, in dem man eine Umgebung herstellt, die hierarchisch aufgebaut ist, wo also das Transitivitätsgesetz gilt. Dinge laufen streng nacheinander ab. Das ist aber beim Denkprozess nicht der Fall, wie ich im Artikel Ist der freie Wille Illusion bereits ausgeführt habe. Bieri benutzt seinen reinen Verstand und denkt das Thema tiefgründig zu Ende.

Fazit: Das Buch ist unbedingt lesenswert, weil die Freiheit bedingungslos in all ihren Facetten dargestellt und reflektiert wird. Für Jeden, der sich bereits mit dem freien Willen beschäftigt hat, ist dieses Buch eine absolute Pflichtlektüre. Den absolut freien Willen gibt es deshalb nicht weil er immer bedingt ist und der freie Wille kann nicht nur bedingt sein, er muss es sogar sein.

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9 Responses to Kann ein freier Wille bedingt sein?

  1. Peter Addor says:

    Wunderbares Thema, anregender Artikel! Vielen Dank, Conny.

    Du schreibst am Anfang Deines Artikels: “Der Mensch tut etwas, wenn er etwas will und das Wollen hängt wiederum von einem zuvor in dem Menschen entstandenen Wunsch ab”.
    Am Schluss schreibst Du, dass Prozesse im Gehirn nicht streng nacheinander ablaufen.

    Ich tendiere zu letzterer Behauptung und gebe zu bedenken, dass vielleicht der Wunsch aus einem kurz vorher erzeugten Willen geboren wurde (die entsprechende Volksweisheit ist ja sogar älter, als die Gehirnforschung). “Der Mensch tut etwas, wenn er etwas will” könnte auch heissen, dass er will, was er tut, weil ja die Prozesse im Gehirn nicht sich notwendigerweise bedingen sondern parallel ablaufen (oder sich überholen?) können.

    Bieri versucht mir etwas zu verbissen, die Freiheit hochzuhalten. Muss es denn unbedingt Freiheit sein? Freiheit ist meiner Meinung nach genaus so eine Illusion, wie das Ich-Gefühl oder die Realitätswahrnehmung. Beachte, dass Freiheit ein Begriff unseres Bewusstseins ist. Der Mensch könnte aber ganz gut ohne Bewusstsein funktionieren. Ich frage mich seit langem, wozu wir ein Bewusstsein bauchen. Um zu entscheiden? Vergiss es! Um zu handeln? Doch wohl kaum! Ich glaube, dass das Bewusstsein von der Evolution begünstigt wurde, weil wir durch unsere anwachsenden sozialen Strukturen immer mehr Unvorhergesehenes angetroffen haben und dadurch immer mehr komplexe Probleme lösen mussten. Das Unbewusste kann sehr schnell mehr oder weniger bekannte Situationen erfassen und darauf mit mehr oder weniger bekannten Schemen reagieren. Nur das Bewusssein kann mit neuen Situationen fertig werden, indem es analysiert, diagnostiziert und krative Strategien entwickelt. Langsam und aufwendig zwar, aber immerhin.
    Freiheit brauchen wir aber deswegen keine. Ich halte mich da eher an Wolf Singer oder Gerhard Roth.

    Übrigens: Die Belanglosigkeit der Freiheit finde ich nicht hoffnungslos und erschreckend, im Gegenteil. Sie gibt mir Kraft, die Vergänglichkeit zu besiegen.

    • Hallo Peter,

      vielen Dank für Deinen Kommentar. Dieser regt mich zu ein paar weiteren Gedankengängen an.

      Menschlichen Handlungen muss vorher ein Wunsch vorausgegangen sein. Wird dieser Wunsch so stark, dass er zu einer Umsetzung reift, beginnt sich der Wille des Menschen zur Handlung zu formieren. Diese dann gemachte Handlung kann dann wieder Einfluss auf weitere Wünsche haben. Allerdings wird nicht jeder Wunsch zu einem Willen transformiert, nämlich dann nicht wenn die Menschen auf Basis von Validierungen erkennen, das sie gar nicht fähig zur Umsetzung sind. Dann kann der Wunsch verblassen bis er letztendlich nicht mehr da ist. Man erkennt hier Wirkungskreise und keine Wirkungsketten.

      Auf der anderen Seite schreibe ich, dass Prozesse im menschlichen Gehirn nebengelagert ablaufen. Das menschliche Gehirn ist in der Lage, Prozesse auszuführen und simultan dazu jeden einzelnen Schritt zu analysieren und die Ergebnisse dieser Analyse in Wechselbeziehung zu der Ausführung der einzelnen Schritten zu setzen. Dadurch können die Schritte dann unter Umständen angepasst werden. Das bedeutet die Operatoren eines Prozesses werden simultan als Operand von Operatoren eines anderen Prozesses benutzt. Hieran beißen sich derzeit die KI-ler noch die Zähne aus oder genauer sie haben dieses Problem noch gar nicht erkannt, was gut für ihre Zähne ist. 🙂

      Beide Prozesse laufen aus meiner Sicht auf keinen Wiederspruch heraus, da sie in unterschiedlichen Ebenen ablaufen; die ersten auf einer Makroebene und die zweiten auf einer Mikroebene.

      Alle mir bekannten Hirnforscher versuchen das Phänomen des freien Willens auf der Mikroebene zum Teil mit Experimenten zu überprüfen. Der Knackpunkt ist nur, was aber Niemand sieht ist, das die oben angesprochene Simultanität der Gedankenprozesse durch den Versuchsaufbau zerstört wird. Bieri macht es anders. Er untersucht die Freiheit des willens auf der Makroebene einzig und allein durch scharfsinnige Gedankengänge.

      Du schreibst Freiheit ist ein Begriff unseres Bewusstseins. Da stimme ich Dir zu. Allerdings ist das Gedankenkonstrukt Freiheit absolut notwendig, was Du – so verstehe ich Dich – verneinst. Freiheit ist nichts Gott Gegebenes, was einfach da ist wie das Ding an sich. Menschen haben dieses Konstrukt geschaffen. Sie ist notwendig um Verantwortung zu konzipieren und das ist in einer Gesellschaft, jedenfalls in der unsrigen, immens wichtig. Stellen wir uns nur mal vor, wir würden Freiheit komplett negieren. Damit würden wir sagen, dass die Menschen absolut unfrei in ihrem Handeln sind, was dazu führt dass sie für ihr Handeln nicht zur Rechenschaft gezogen werden dürfen. Auf ein aktuelles Beispiel bezogen hieße das, dass Anders Breivik nicht verantwortlich wäre für seine in der letzten Woche in Norwegen begangenen Taten. Dem pflichte ich absolut nicht bei. Er war frei in seinem Handeln. Kausalitäten dafür findet man mit Sicherheit in seiner Vergangenheit, die aber für Niemanden nachzuvollziehen sind, nicht weil sie so abscheulich sind (das natürlich auch), sondern weil der Mensch eine “Black Box” ist. Auf Grund der Kausalitäten war er nicht absolut frei, was der Verantwortung, die er für seine Taten zu tragen hat, keinen Abbruch tut.

      In dem Freiheit negiert wird, wird auch Kausalität negiert. Allerdings gibt es auch keine absolute Freiheit, denn diese würde Kausalität ebenso negieren. Absolute Freiheit und absolute Unfreiheit sagen von dem Kausalitätsstandpunkt her das Gleiche aus. Beides gibt es nicht, jedenfalls nicht in unserem Denkgebäude. Denn absolute Freiheit wie auch absolute Unfreiheit würde bedeuten, dass Menschen in der Lage wären ihr Bewusstsein von dem Handeln zu entkoppeln. Bei der absoluten Unfreiheit wären die Menschen nur Durchlauferhitzer für das Zustandekommen ihrer Handlungen, bei der absoluten Freiheit würden die Menschen sich bei dem Ausführen von Handlungen ihres eigentlichen Wunsches und damit ihres Willens widersetzen können. In beiden Fällen wären die Handlungen nicht mehr unsere eigenen Handlungen, sondern irgend welche. Bieri ersetzt in seinen Überlegungen übrigens Kausalität durch Bedingtheit und kommt so zum Begriff des bedingt freien Willens.

      Freiheit des Willens kann man genau dann nicht debattieren, wenn es das menschliche Bewusstsein nicht gibt, wenn man also Abstand vom “Ich” nimmt. Im Buddhismus dürfte als solch eine Diskussion gar nicht erst zu Stande kommen.

      Es macht wie immer sehr viel Spaß mit Dir über verschiedene Themen zu diskutieren.

      Denkerische Grüße,
      Conny

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  6. Volker Murmann says:

    Freiheit ist kein Gedankenkonstrukt, sondern ein Wort, ein Marker, ein “tag” (von vielen), um den Menschen auf seine Bedingungslosigkeit aufmerksam zu machen.

    • Freiheit ist kein Gedankenkonstrukt? Schließen “Wort” und “Gedankenkonstrukt” einander aus? Können Sie diese These näher ausführen? Danke und BG, Conny Dethloff

  7. Volker Murmann says:

    Um es noch steiler auszudrücken: Freiheit steht dem “Gedankenkonstrukt” polar gegenüber. Das Verstehen im “absoluten” Gedankenkonstrukt kann zum absoluten “Verstehen” der Freiheit führen. Von daher ist die Freiheit ein “Marker” für das Gedankenkonstrukt.

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