Warum Kybernetik für mich ab sofort KybernEthik heißt

Es gibt ja derzeit eine Debatte, ob die Kybernetik eine Steuerungsobsession von uns Menschen befeuert oder eben nicht. Dieser Beitrag ist ein weiterer meinerseits, wo ich meine Ideen und Gedanken in diesem Kontext weiter konkretisiere.

Zu Beginn möchte ich in meinen Worten kondensieren, was genau der Kybernetik und seinen Gründern angelastet wird. Dies kann ja für einen Dialog häufig zuträglich sein. Es wird formuliert, dass die Kybernetik Modelle liefert, die insbesondere den Menschen technokratisieren, also zu Maschinen trivialisieren. Die Erkenntnisse der Kybernetik helfen Menschen zu manipulieren und zu kontrollieren. Es steckt quasi etwas Menschenabgewandtes, ja sogar -feindliches als Motiv für die Entwicklungen rund um die Kybernetik.

Grundsätzlich, und das habe ich in vielen meiner Beiträge ausgeführt, nehme ich in unserer Gesellschaft ebenfalls eine Technokratisierung und Entmenschlichung wahr. Der Kybernetik und seinen “Vätern” dafür aber die Schuld zu geben, wäre für mich zu kurz gesprungen. In meinem Beitrag “Wir haben uns nicht für Digitalisierung entschieden, …” habe ich ausgeführt, dass diese Entmenschlichung bereits mit dem Aufblühen unserer Wissenschaft im 17. Jahrhundert begonnen hat. Gerade die Kybernetik zweiter Ordnung hat hier erstmalig einen Gegenpol gesetzt, da der Mensch, im Gegensatz zu allen anderen Wissenschaftsdisziplinen, eben wieder mit einbezogen wurde. Mit diesem Einbezug des Menschen wurde dann aber auch offenbar, warum alle anderen Disziplinen den Menschen ausgrenzen mussten. Diese Disziplinen basieren nämlich alle auf dem Denkrahmen der Zweiwertigen Aristotelischen Logik, die beispielsweise den Widerspruch, damit Lebendigkeit und damit eben den Menschen ausschließen.

Genau das war unter anderem auch der Grund, warum die Gründer der Kybernetik damals Gotthard Günther konsultierten. Günther hat nämlich begonnen, die Zweiwertige Logik so zu erweitern, dass man mit dieser auch Lebendigkeit formalisieren kann. Er nannte diese dann Polykontexturallogik. So lange wir nicht im Stande sind, auf Basis dieser erweiterten Logik Technologie voran zu treiben, werden wir unsere Gesellschaft immer weiter entmenschlichen. Wie Gotthard Günther über Kybernetik gedacht hat, findet man in diesem Dokument.

Des Weiteren gibt es eine Reihe weiterer Bücher von Vertretern der Anfänge der Kybernetik, die von einer Menschenzugewandtheit nur so strotzen. Warum? Weil sie den Menschen thematisieren und nicht einfach nur als trivialisiertes Objekt betrachten; die vor allem auch immer wieder auf die Gefahren des Missbrauchs der Erkenntnisse hinweisen. Denn ein Modell oder eine Methode ist weder gut noch schlecht. Diese Bewertung kann man erst mit der Anwendung dieser durch den Menschen ansetzen. Nehmen Sie alleine den Hammer, welcher auch schon als Instrument eingesetzt wurde um Menschen zu töten. Nutzen Sie diesen deshalb nicht mehr, um einen Nagel in die Wand zu schlagen?

Hier nur ein kleiner Auszug der angesprochenen Literatur.

  1. Heinz von Foerster: KybernEthik
  2. Norbert Wiener: Mensch und Menschmaschine
  3. Gregory Bateson: Geist und Natur: Eine notwendige Einheit
  4. Humberto Maturana und Francisoc Varela: Der Baum der Erkenntnis: Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens

Wie gesagt, ich könnte diese Liste noch lange fortsetzen.

Noch einmal aus meiner Sicht klipp und klar formuliert. Menschen sind keine Maschinen. Gerade die Kybernetik hat mir geholfen, nicht unbedingt diesen Fakt zu verinnerlichen, denn klar war mir das schon immer, aber in meinem täglichen Leben zu operationalisieren. Denn aus den Erkenntnissen der Kybernetik leite ich für mich Modelle ab, die es mir ermöglichen, stets den Menschen in den Mittelpunkt allen Schaffens zu stellen, aber nicht um ihn zu manipulieren.

Aber wie oben bereits angedeutet. Kybernetik an sich ist weder gut noch schlecht. Erst in ihrer Anwendung lässt sich eine Bewertung vollziehen. Und auch diese Bewertung ist dann stets subjektiv, denn eine Bewertung wird immer von einem Bewerter gemacht.

Gib für eine Bewertung niemals dem Bewertungsgegenstand die Schuld. Du hast die Bewertung gemacht.

Genau dieser Fakt wurde auch im Bezug zur Kybernetik in dem Beitrag Sozialingenieure im Steuerungswahn — Über das kybernetische Erbe der Macy-Konferenzen angesprochen. Hier wurde die Frage angerissen, ob nicht die Erkenntnisse der Macy Konferenzen missinterpretiert wurden.

Die Karriere der kybernetischen Steuerungsideologie beginnt mit einem Missverständnis auf den geheimnisvollen Macy-Konferenzen in den USA nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit Elitewissenschaftlern, die fast alle in militärischen und geheimdienstlichen Projekten gearbeitet haben.

Ja, kann sein. Ich weiß es nicht. Ich war weder bei den Macy-Konferenzen dabei, noch war ich bei den Interpretationen dieser am Start. Wer, warum und wie welche Theorie interpretiert oder mit welchem Motiv welche Theorien erfunden wurden, kann ich nicht beurteilen. Es mag sein, dass das, was Gunnar Sohn zu Norbert Wiener und John von Neumann schreibt, stimmt. Ich kann es nicht beurteilen, ist für mich auch nicht wichtig. Interessant zu lesen ist es trotzdem. Für mich ist wichtig, wie ich diese Modelle interpretiere und einsetze. Das kann ich nämlich beeinflussen.

Ich kann nur aus den Büchern, die ich lese, interpretieren. Und da erkenne ich an der Literatur der Kybernetiker der ersten Stunde absolut nichts Menschenabgewandtes, ganz im Gegenteil. Aber es ist ja meine Interpretation, nicht ihre. Ich kann nur beurteilen, was eine Theorie oder ein Modell mit mir macht, und ob und wie ich diese einsetze. Für mich ist die Kybernetik passfähig, weshalb ich andere Menschen diesbezüglich nicht bekehren möchte. Auch wenn ich das wollte. Ich kann es eh nicht. Auch diese Erkenntnis ziehe ich aus der Kybernetik. Also von wegen Manipulation und Kontrolle.

Wir nehmen unsere Umwelt nur durch Modelle wahr, also niemals die Umwelt an sich. Deshalb sollten wir auch immer wieder unsere Modelle überprüfen, also schauen ob unsere Handlungen, die ja auf Modelle beruhen, für die Umwelt noch zuträglich sind oder nicht. Aber wie machen wir das? Natürlich auch wieder über Modelle? Hmmm. Teufelskreis? Ja, kann man so sagen. Denn selbst Modelle interpretieren wir in unserem Denkrahmen, also über Modelle. Man erkennt also die Selbstbezüglichkeit, die wir formal-logisch nicht abbilden können. Jeder versteht also Kybernetik in seinem Denkrahmen. Denn nicht Modelle konditionieren unser Verhalten, sondern unsere Interpretation der Modelle. Deshalb sollten wir ja auch viel mehr Demut über unsere Fähigkeiten im Umgang mit der Natur an den Tag legen.

Wenn Sie also noch einmal dem Versuch erlegen sein sollten, eine Theorie, wie eben auch die Kybernetik oder seine Begründer, kritisieren zu wollen, denken Sie immer daran, wer für diese Kritik die Verantwortung trägt. Das hat mich die Kybernetik gelehrt. Und das finde ich gut. 🙂

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4 Responses to Warum Kybernetik für mich ab sofort KybernEthik heißt

  1. Pingback: [Reise des Verstehens] Warum Kybernetik für mich ab sofort KybernEthik heißt

  2. Thomas Braun says:

    … in allen Punkten einverstanden – am Ende ist die Kybernetik ein Hilfsmittel des Sichverständlichmachens und des Verstehens. Die klassische kybernetische Darstellung mit den Wirkungsgefügen ist aus neuro physiologischer nicht sehr geeignet, das Auge bekommt nur einen scheinbaren Überblick und man ist fast gezwungen der Verdrahtung der Modelle zu folgen – das einfügen von neuen Elementen führt dazu, dass im Grunde das ganze Modell neu geschaffen werden müsste. Um das zu verbessern, stelle ich nun kybernetische Modelle mit sogenannten SokratesKarten dar – falls Interesse vorliegt, bitte melden. Freundliche kybernetische Grüsse, Thomas Braun

  3. Thomas Braun says:

    … ja, dann schlage ich einen Austausch per skype vor ;-)) meine Skype Adresse lautet tbmorphologie.
    Beste Grüsse
    Thomas.Braun@sokratesgroup.com

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