Fördert Kybernetik die Steuerungsobsession von uns Menschen?

In letzter Zeit wird die Diskussion befeuert, dass die Gedanken und Ideen rund um die Kybernetik eine Steuerungsobsession befeuert. Es wird kritisiert, so jedenfalls meine Wahrnehmung, dass auch die Kybernetik, wie viele andere Lehren auch, nur Modelle anreicht, die den Menschen zu Maschinen trivialisieren. In diesem Kontext möchte ich Gunnar Sohn aus diesem Beitrag zitieren.

Es ist an der Zeit, solche Steuerungsheinis in der Öffentlichkeit mit einer kritischen Debatte zu konfrontieren. Helfen könnten paradoxe Interventionen: Steuerungssysteme entlarven, so dass ihre Modelle ins Leere laufen. Systeme mit Daten zu scheißen, so dass am Ende falsche Muster rausspringen. Mein eigenes Verhalten kann dafür sorgen, dass das System durch die Aufdeckung der dahinter stehenden Logik nicht mehr funktioniert – ganz ohne Demut.

Mit meinem heutigen Beitrag möchte ich in diesem Thema meine differenzierte Sichtweise darlegen. Verschweigen möchte ich nicht, dass Mark Lambertz, einer meiner Wegbegleiter auf meiner Reise des Verstehens und Autor des Buches Freiheit und Verantwortung für intelligente Organisationen, mich nach dem von Gunnar Sohn arrangierten Google-Hangout Wie Kybernetik-Technokraten die Welt beherrschen wollen, dazu ermutigt hat.

Also legen wir los. Starten möchte ich mit Begriffsklärungen. Dabei möchte ich auf zwei Begriffe dediziert eingehen, nämlich auf Steuern und Kybernetik.

Was ist Steuern?

Für die Definition des Begriffes “Steuern” möchte ich einen weiteren, nämlich “Regeln” hinzunehmen. Beiden gemein ist, dass ein bestimmtes System, nämlich das gesteuerte oder geregelte, einen bestimmten Zweck erfüllen soll, wodurch sich eine bestimmte Variable in gewünschter Weise verhalten soll. Das bedeutet, es wird in das System eingegriffen. Der große Unterschied zwischen Steuerung und Regelung besteht nun darin, dass bei der Steuerung eine lineare Ursache-Wirkungsbeziehung vorliegt, was dazu führt, dass im Rahmen von Steuerung der erreichte Endzustand der zu steuernden Variable selbst bei starken Abweichungen vom gewünschten Verhalten oder Variablenwert ein endgültiger ist, also nicht mehr geändert wird. Es gibt also keinen regulierenden Mechanismus hinsichtlich der Abweichungen des Istwertes vom Sollwert. Der angesprochene regulierende Mechanismus wird auch als negative Rückkopplung bezeichnet. Auf positive Rückkopplungen komme ich später noch zu sprechen. In der unteren Abbildung erkennt man den Unterschied zwischen Steuerung und Regelung. Bei einer Steuerung existiert keine Rückkopplung auf den Sollwert.

Steuerung_Regelung

Nun möchte ich diese Definition auf die Führung reflektieren. Dabei möchte ich auf Ideen von Maria Pruckner zurückgreifen, die sie in ihrem fantastischen Buch Komplexität im Management – InFormation dem Leser anreicht. Steuern geht stets vom Input aus, sprich es wird etwas mit einer bestimmen Absicht getan, ohne die Wirkung zu überprüfen. Hier geht es also statt Wirkung um die Ursache. Logisch oder? Es fehlt ja die Rückkopplung. Es gibt keinen geschlossenen Regelkreislauf. Beim Regeln wird vom Output her gedacht, sprich von der Wirkung, und dann bei Abweichung zum Sollwert am Input nachjustiert, eben geregelt. Regeln ist also ein zirkulärer Vorgang (Regelkreis). Beim Regeln erkennt man Fehler also als Chance zu lernen und besser zu werden. Beim Steuern hasst man Fehler. Man neigt dann dazu nicht zuzuhören und wahrzunehmen, sondern sein Ding einfach durchzuziehen.

Führen bedeutet also nicht von Beginn an etwas richtig zu machen, da das nicht funktioniert, sondern das Gemachte so schnell wie möglich zu regeln und zu steuern, wenn es als nicht passfähig im Kontext Zweck und Ziel wahrgenommen wird. Genau dafür müssen aber die notwendigen relevanten Informationen schnell vorliegen. Beim Steuern ignoriert man den Menschen, Feedback ist ja egal. Der Mensch wird trivialisiert auf Objektivität, also auf eine Maschine reduziert. Das erkennt man übrigens an vielen Regularien und Methodiken in Unternehmen.

Was ist Kybernetik?

Norbert Wiener gibt die aus meiner Sicht treffendste Definition von Kybernetik, wenn er sagt.

Kybernetik ist die Lehre von Regelung/ Steuerung und Kommunikation im Lebewesen und in der Maschine.

Die Kybernetik hat als erste Wissenschaft angefangen, auf interdisziplinäre Art und Weise Natur- und Geisteswissenschaften zu verschmelzen. Wenn man über Kybernetik spricht, kommt man an Heinz von Förster nicht vorbei. Von Förster hat die Kybernetik zweiter Ordnung ins Leben gerufen, in dem er den Beobachter mit in die Beobachtungen integriert (“Jede Beobachtung wird von einem Beobachter gemacht”). Erstmalig werden also Subjektivität und die Selbstbezüglichkeit in die Untersuchung von Systemen aufgenommen. Dieses Interview, welches Bernhard Pörksen mit Heinz von Förster im Vorfeld des Erscheinen des absolut empfehlenswerten Buches Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners führt, stellt die Ideen und Gedanken von Heinz von Förster sehr anschaulich dar.

Alleine an der Definition der Kybernetik erkennt man, dass den oben definierten Begriffen “Steuern” und “Regeln” eine sehr große Bedeutung beigemessen werden, allerdings differenziert nach Kybernetik erster und zweiter Ordnung, was ich nun detaillierter ausführen möchte.

Rücken wir noch einmal “Steuern” und “Regeln” in den Fokus, und zwar in Bezug auf Kybernetik erster Ordnung. Wir werden später noch erkennen, dass Kybernetik erster Ordnung ausschließlich auf tote Systeme angewandt werden sollte, was aber häufig missachtet wird, woher auch das Missverständnis in Bezug zu Kybernetik und Steuerungsobsession resultiert.

Nehmen Sie Ihre Heizungsanlage zu Hause, was ja ein totes System ist. Die eingestellte Solltemperatur für die einzelnen Zimmer ist die Führungsgröße. Die Regelgröße ist die derzeitige Zimmertemperatur, die vom Fühler, in diesem Fall vom Thermostat, gemessen wird. Stellt der Fühler eine Abweichung der derzeitigen Temperatur zur Solltemperatur fest, so wirkt der Regler, in diesem Falle wieder der Thermostat, dem entgegen. Bei zu niedriger Isttemperatur gegenüber der Solltemperatur wird die Isttemperatur erhöht und vice versa. Dieses Entgegenwirken wird durch die negative Rückkopplung erreicht. Störfaktoren könnten in diesem Fall offene Fenster sein, welche die Isttemperatur in der Regel senken, oder viele Menschen im Raum, welche die Isttemperatur in der Regel erhöhen. Die Heizungsanlage regelt also die Temperatur im Zimmer. Von Steuern kann man in diesem Kontext nicht reden, da dadurch eine Solltemperatur im Zimmer, wenn überhaupt, nur durch Zufall erreicht werden würde.

Aufgrund der fehlenden Justierung auf einen Zielwert ist es ersichtlich, dass ein irgendwie funktionierendes System nicht auf negative Rückkopplungen verzichten kann. Einige Teilsysteme eines Systems können vielleicht ausschließlich gesteuert werden. Rückkopplungen in Wirkungsschleifen von Systemen sind verantwortlich für nichtlineares Verhalten dieser Systeme. Dazu ein kleines Beispiel. Stellen Sie sich vor Sie hätten die Aufgabe ein Blatt Papier von 0,1 mm Dicke 48 mal zu falten. Wie hoch wäre dann der Stapel Papier den Sie erhalten würden? Man würde auf unvorstellbare 48 Mio km kommen. Zum Vergleich. Der Wert der mittleren Entfernung Erde-Mond beträgt 384.401 km. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass Menschen im Umgang mit Systemen, welche Rückkopplungen in den Wirkungsschleifen enthalten, sehr oft kontraintuitives Verhalten aufweisen.

Kann man die Mechanismen, die mit Steuern und Regeln in Bezug zu toten Systemen einhergehen, einfach auf lebende, organische oder soziale Systeme übertragen, kann man also durch ausschließliches Steuern und Regeln ein Unternehmen führen? Um die Frage zu beantworten, schauen wir uns erst einmal an, welche möglichen Fragestellungen wir dafür thematisieren müssten.

  1. Wie lernt ein lebendes oder organisches System?
  2. Wie erkennt ein lebendes oder organisches System seine Umwelt?
  3. Wie wird in einem lebenden oder organischen System ein einmal gestelltes Ziel revidiert oder korrigiert?

Bei der Kybernetik erster Ordnung wird das Erreichen einer Stabilität durch eine Kontrollinstanz in den Vordergrund gestellt, was dem Führen eines Unternehmens nicht gleich gestellt werden darf. Es muss ein Paradigmenwechsel vollzogen werden hin zur Akzeptanz einer instabilen Dynamik von Entscheidungen. Das bringt uns zum Thema der Kybernetik zweiter Ordnung, oder auch Kybernetik der Kybernetik genannt.

Bei der Kybernetik zweiter Ordnung werden die Prinzipien der Kybernetik erster Ordnung wie bereits angemerkt auf Beobachter selbst angewendet. Es wird bezweifelt, dass es da draußen objektiv vom Beobachter erkennbare Systeme gibt. Der Beobachter muss als Teil des Kontextes, den er beobachtet, mit konzeptualisiert werden. Hier stehen die beobachtenden Systeme und nicht mehr nur wie in der Kybernetik erster Ordnung die beobachteten Systeme im Fokus. Befasst man sich also mit lebenden Systemen, wie auch Unternehmen welche sind, kommt man nicht umhin sich mit der Kybernetik zweiter Ordnung zu befassen. Es sind nicht mehr nur stabilisierende negative Rückkopplungen im Fokus der Untersuchung, sondern auch verstärkende und aufschaukelnde positive Rückkopplungsprozesse. Solche aufschaukelnde Prozesse können auf der einen Seite zum Chaos führen. Auf der anderen Seite sind sie aber Antriebsmotor für die Weiterentwicklung eines Systems. Sie können also für ein System zerstörend wirken, obwohl sie lebensnotwendig sind. Denn Systeme, die weit weg sind vom Gleichgewicht, also instabil sind, sind offen für Veränderungen und Wandel. Dieses Entfernen vom Gleichgewicht erreicht man durch verstärkende positive Rückkopplungsschleifen. Dieses Ungleichgewicht ist die Triebfeder für Veränderungen. Allerdings sollte dieses Ungleichgewicht nicht stetig anhalten, sondern durch stabilisierende negative Rückkopplungsschleifen nach einer gewissen Zeit wieder nahe an das Gleichgewicht (genauer Fließgleichgewicht) herangeführt werden.

Aktivitäten, die ein System in Ungleichgewicht und Gleichgewicht bringen, wechseln sich stetig ab. Ohne positive Verstärkungen ist also kein Fortschritt möglich. Reines Agieren innerhalb eines Systems mit der Command-and-Control Philosophie ist gleichzusetzen mit Steuern und Regeln toter Systeme. Dies reicht aber nicht aus, um komplexe Systeme, wie sie Unternehmen nun einmal sind, zu führen.

Was ist Selbstorganisation?

Selbstorganisation ist ein Vorgang, der aus Unordnung Ordnung entstehen lässt und den die Elemente eines Systems durch ihr Interagieren von sich selbst heraus aus anstoßen.

Was bedeutet das konkret? Systeme, die einem überkritischen, das heißt mit der momentanen Struktur nicht bewältigbaren, asymmetrischen Energieeintrag (Einflüsse aus dem Markt, die durch derzeitig aufgesetzte Prozesse in den Unternehmen nicht verarbeitbar sind) ausgesetzt sind, werden chaotisch. Dieser hohe Energieeintrag wird durch die positiven verstärkenden Rückkopplungsschleifen erzeugt. Das Chaos ist aber nicht das Ende der Geschichte, vielmehr suchen und erfinden Systeme im Chaos neue Strukturen, die geeignet sind, um mit dem asymmetrischen Energieeintrag umgehen zu können. Dazu möchte ich gerne ein eingängiges Beispiel geben.

Wenn man gleichzeitig mit den Zeigefingern beider Hände auf einen Tisch klopft und den Takt immer weiter erhöht, kommt man an einen Punkt, an dem die Hände ungleichmäßig und unrhythmisch trommeln bis sich nach kurzer Zeit ein abwechselndes, rhythmisches Klopfen einstellt. Für Unternehmen bedeutet das, dass es eine gute Ausgewogenheit zwischen Effektivität (“Die richtigen Dinge tun”) und Effizienz (“Die Dinge richtig tun”) schaffen muss. Es müssen also die richtigen Dinge richtig getan werden.

Der Grad der Effektivität drückt die Fähigkeit des Unternehmens aus, sich selbst zu organisieren und damit neue Muster (Prozesse, Produkte, Verfahrensweisen etc.) zu erschaffen. Man kann auch sagen, dass Effektivität für eine hohe Eigenkomplexität des Unternehmens steht. Unternehmen können beispielsweise in diesem Zusammenhang auf unterschiedlichste Kundenanfragen stets adäquat reagieren. Es herrscht eine hohe Vielfalt in den Produkten, Prozessen etc vor. Effizienz steht in diesem Falle für eine geringe Eigenkomplexität. Prozesse sind beispielsweise schmal und kostengünstig angelegt. Das geht dann zu Lasten der Vielfalt. Beides muss im Gleichklang (Fließgleichgewicht) gehalten werden.

Fördert Kybernetik denn nun die Steuerungsobsession?

Ich denke, ich habe die Antwort implizit bereits in den Definitionen und Erläuterungen zu den Begriffen gegeben, möchte es hier aber noch einmal explizit heraus stellen.

Trivialisiert man Menschen und Unternehmen zu “tote” Systeme, lässt sich die Kybernetik erster Ordnung anwenden, was aber letztendlich dazu führt, dass dann diese Systeme zerstört werden. Komplexe Systeme widersetzen sich ganz einfach Kontrollversuchen. Leider muss ich feststellen, dass heutige tradierte Managementmethoden genau das tun. Sie sind auf Erkenntnissen der Kybernetik erster Ordnung aufgebaut. In diesem Kontext kann ich der Kritik von Gunnar Sohn absolut verstehen, allerdings diese nicht auf die gesamte Kybernetik ausweiten. Es gibt ja noch die Kybernetik zweiter Ordnung.

In meinen Augen sind diesem Trugschluss, nämlich die Kybernetik zweiter Ordnung komplett auszublenden, fast alle Bewegungen rund um Big Data und KI aufgesessen. Wenn beispielsweise Ray Kurzweil behauptet den Punkt der Singularität bald erreicht zu haben, weil jedwede Entscheidung von Maschinen besser als von Menschen getroffen werden können, kann er gedanklich Menschen nur zu Maschinen trivialisieren. Anders ist es gar nicht möglich solch eine Aussage zu tätigen. Zu diesem Thema gibt es eine schöne brand eins Kolumne von Wolf Lotter, aus der ich kurz zitiere.

Wer die Digitalisierung nur für ein weiteres Werkzeug der Menschheit auf dem Weg in eine bessere Zukunft hält, begeht beinahe Gotteslästerung. Die Digitalisierung, sagen Größen wie der Unternehmer, Erfinder und Google-Entwicklungschef Ray Kurzweil, wird uns nicht nur verändern, sondern überflüssig machen: Singularität nennt er den Vorgang, bei dem sich künstlich intelligente Roboter als Fortsetzung der Evolution präsentieren. Noch ein paar Jahre, dann es ist so weit. Das ist, neben vielem anderen, der bisherige Höhepunkt westlichen Kulturpessimismus. Wir sind so schlecht, dass wir uns – durch unsere Kopie – selbst abschaffen wollen.

Es ist aus meiner Sicht fatal, die Väter der Kybernetik, wie Stafford Beer oder Heinz von Förster, um nur zwei zu nennen, die auch die Kybernetik zweiter Ordnung im Blick hatten, mit beispielsweise Ray Kurzweil auf eine Stufe stellen zu wollen, und ihnen eben diese Steuerungsobsession zu unterstellen. Erkenntnisse der Kybernetik zweiter Ordnung lassen einem bzgl. des Vorhabens “lebendige” Systeme steuern zu wollen demütig werden. Es ist an der Zeit, die Ideen und Gedanken rund um Big Data und KI zu erden. Denn Maschinen kennen nur das “Was”, niemals das “Warum”.

Warum ändern wir denn nicht einfach unsere Sichtweise und gehen zur Kybernetik zweiter Ordnung über?

Ganz einfach, weil wir diese Erkenntnisse heute nicht technologisch umsetzen können. Hier möchte ich Ihnen eine weitere Begriffsklärung mit auf dem Weg geben, nämlich die Unterscheidung zwischen trivialen und nichttrivialen “Maschinen”, wie sie Heinz von Förster ins Leben gerufen hat. Das Verhalten einer nichttrivialen “Maschine” ist stets abhängig vom Zustand dieser und dem Reiz, den diese aus der Umwelt wahrnimmt und verarbeitet. Da für einen externen Beobachter der interne Zustand der nichttrivialen “Maschine” zu keinem Zeitpunkt einsichtig ist, ist auch das Verhalten der nichttrivialen “Maschine” für einen externen Beobachter nicht vorhersagbar. Bei der trivialen “Maschine” ist das Verhalten einzig und allein vom Reiz aus der Umwelt abhängig. Mit einer Analyse der Input- und Outputpaare dieser kann ein externer Beobachter das Verhalten einer trivialen “Maschine” vorhersagen. Eine Heizungsanlage ist also eine triviale “Maschine”, ein Mensch und damit auch ein Unternehmen eine nichttriviale. Mehr dazu können Sie gerne in meinem Beitrag Ist Objektivität eine Illusion? nachlesen.

Lebendigkeit ist von Rückbezüglichkeit und damit von Widersprüchlichkeit geprägt, die sich aber nun einmal nicht formal-logisch mit unserer heutigen Mathematik abbilden lässt, da diese auf der Zweiwertigen Logik aufgebaut ist, die den Widerspruch ausschließt. Wir benötigen also eine erweiterte Mathematik, von der wir heute noch weit entfernt sind, obwohl Gotthard Günther, ein berühmter deutsch-amerikanischer Logiker und Philosoph, hier bereits erste entscheidende Schritte gegangen ist. Näheres dazu finden Sie in meinem jüngsten Beitrag Kennzahlen forcieren eine Entmenschlichung der Wirtschaft. Dieser fehlende wissenschaftliche Entwicklungsstand darf aber nicht der Grund sein, die Kybernetik an sich zu verdammen.

Fazit

Wenn man über Kybernetik urteilt, egal in welche Richtung, sollte man diese differenziert betrachten. Ich möchte natürlich nicht behaupten, dass ich mit diesem Beitrag die Differenzierung weit genug getrieben habe. Es ist aber zumindest ein Anfang, den wir gerne zusammen ausbauen können.

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11 Responses to Fördert Kybernetik die Steuerungsobsession von uns Menschen?

  1. Pingback: [Reise des Verstehens] Fördert Kybernetik die Steuerungsobsession von uns Menschen?

  2. Danke für den Beitrag!
    Der von Dir gemachte Unterschied zwischen Kybernetik erster und zweiter Ordnung ist sicherlich richtig und wichtig. Leuten wie Heinz von Foerster zu unterstellen, sie würden Menschen mit Maschinen verwechseln, verkehrt ja auch deren Intentionen und Forschungsergebnisse ins Gegenteil!

    Allerdings scheint es mir im Zusammenhang mit der Kybernetik als modernem Management-Ansatz wirklich ein Problem zu geben. Ich denke da weniger an Informatiker mit Allmachts- bzw. Ohnmachtsphantasien als an den Grundkonflikt, der immer dann auftaucht, wenn kluge und gebildete Leute sich anschicken, den Zustand sozialer Systeme zu überdenken und zu verändern: Da gibt es z.B. das bekannte Beispiel von Platon und seine Philosophenkönigen, die zum Wohle der Allgemeinheit mehr oder wenig autokratisch wirken sollten. Und zwar mittels eines Wissens oder genauer gesagt einer Weisheit, die sie allen anderen voraus hatten.
    Wegen der hohen Komplexität ihrer Einsichten (bei Platon heißt das bekanntlich Dialektik und ist ähnlich anspruchsvoll wie die Kybernetik zweiter Ordnung) ist es aber für Dritte schwer bis unmöglich diese noch zu kritisieren.

    So ist das eben auch mit der Kybernetik, jedenfalls da, wo sie richtig spannend wird. Als interessiertem Amateur aber MINT-Laie in diesem Bereich fällt es mir jedenfalls schwer, solche Überlegungen abschließend auf Richtigkeit oder sagen wir besser Angemessenheit zu überprüfen. So richtig und umfassend dann die Beschreibung eines lebenden Systems durch die Kybernetik ausfallen mag, so unpassend könnte sie aber sein, um sie den Akteuren lebender Systeme – Menschen, von denen die meisten wahrscheinlich wenig von Kybernetik zweiter Ordnung verstehen werden und dies vielleicht auch nicht wollen – nahe zu bringen. Für die kann schon SCRUM o.ä. eine große Herausforderung sein. Deshalb finde ich, könnte es sich lohnen, die Dinge für den ANWENDUNGSkontext, sprich Management oder eben besser Selbstorganisation, so einfach wie möglich zu gestalten. Denn wenn ein Ansatz nicht verständlich gemacht werden kann, ist auch keine Akzeptanz zu gewinnen. Und dann wird er als Oktroi wahrgenommen und auch so umgesetzt – oder gar nicht. In der THEORIE mag die Kybernetik dagegen das Beste sein, um sich die Wirkprozesse in lebenden Systemen und das Problem Komplexität vor Augen zu führen.

    In diesem Sinne möchte ich am 13.10. in Düsseldorf ja auch Mark Lambertz ein wenig piksen. Siehe hier: https://arbeitmorgen.wordpress.com/2016/09/01/savethedate/

    Herzliche Grüße,
    Andreas

    • Hallo Andreas,

      lieben Dank für Deine Replik. Ich bin voll bei Dir. Soziale Systeme sind komplex. Wollen wir diese mit unseren Worten beschreiben, sind wir allenfalls im komplizierten Raum unterwegs. auch Modelle helfen da nur bedingt. Einfach ist immer gut. Allerdings ist einfach ja nicht immer gleich einfach. Dazu habe ich hier mal etwas geschrieben, nämlich im Kontext der Kategorien “kompliziert” und “komplex”.

      Das bedeutet natürlich nicht, aufzugeben, Sachverhalte so einfach und verständlich wie möglich ohne Informationsverlust zu beschreiben. Hier kann man immer weiter dazu lernen, was letztendlich auch einer der Beweggründe für mich ist, dieses Logbuch zu betreiben.

      Übrigens, weil Du Mark ansprichst. Mark ist es in seinem Buch vorzüglich gelungen, das VSM in einfacher und verständlicher Sprache zu beschreiben.

      BG, Conny

  3. Hi Andreas,

    ich denke Dir unterläuft ein Kategorienfehler (das ist ja im Moment hip zu behaupten ;)).

    Es geht ja gar nicht darum eine Organisation ab sofort kybernetisch zu organisieren – sie handelt ohnehin schon im “Wechselwirkungs”-Rückkopplungsrahmen.

    Wir sprechen über bei der Kybernetik vielfach über Referenzmodelle und theoretische Grundlagen.

    Die praktische Anwendung ist wesentlich weniger spektakulär. Da reichen schon ganz einfache Workhacks um besser mit organisatorischer Komplexität umzugehen. Ein basaler Trick: Die Rückkopplung. Ein Prozess ohne Rückkopplung deutet meistens auf ein Problem hin. That’s it. No magic.
    😉

    Außerdem erscheint mir das schlicht eine Frage der Brain-friendlyness zu sein. Der eine präferiert das Narrativ, der nächste zeichnet ein künstlerisches Modell und ein anderer Mensch bevorzugt eine technische Sprache.

    Deswegen von meiner Seite: Jeder hat seinen “Code” und seine Kompatibilität. Keiner muss die Kybernetik lieben um glücklich zu werden. Es gibt auch ganz andere Metaphern mit den man leben kann.

  4. Gehts wirklich um eine Steuerungsobsession? Oder geht es um eine Kontrollobsession?

    Mir scheint, die Obsession immer noch bei der Kontrolle zu liegen. Dafür sucht man immer noch panisch nach besseren Methoden. Wie kann besser kontrolliert werden: das Unternehmen, der Kunde, der Mitarbeiter, die Zulieferer usw. usf.

    Das Mittel ist egal. Hauptsache, mit der Kontrolle wird es endlich wieder besser. Wenn dafür Agilität nötig ist, dann eben Agilität. Oder neumodisch Kybernetik allgemein oder VSM konkret? Egal! Hauptsache wieder mehr Kontrolle.

    Mir scheint, dass der wirklich radikale Gedanke der Aufgabe der Kontrollillusion noch gar nicht recht vordringt.

    Und so lange ist auch unverständlich, was es mit Kybernetik 2. Ordnung oder Komplexitätsbewältigung oder Selbstorganisation auf sich hat, glaube ich.

    Wer wirklich, wirklich die Maschinenmetapher aufgibt, der muss auch den Kontrollgedanken aufgeben.

    Was bleibt? Nichts als Einladungen und Reaktionen. Nichts als der reine Bezug auf sich selbst, d.h. Selbstsorge.

    Autonome Systeme (Menschen und Unternehmen) können immer nur eingeladen werden, etwas zu tun. Oder soll ich sagen: gelockt werden?

    Wer Einladungen ausspricht, muss jedoch immer damit rechnen, dass sie abgelehnt werden. So ist das halt im Leben. Dann kann man versuchen, die Einladung noch verlockender zu gestalten – doch am Ende ist es immer noch eine Einladung. Auch mit bester Werbung gewinnt man keine Kontrolle über autonome Systeme. Das geht nur mit Gewalt.

    Bei der sind wir inzwischen angekommen, meine ich zu beobachten. Denn je mehr die Kontrolle durch die Finger gleitet, je größer die Illusion, desto panischer die Reaktion auf die Hinweise auf diese Wahrheit. Dann werden Kontrollanstrengungen verstärkt – und Gewalt entsteht. Den heutigen Lobbyismus kann ich mir zB nicht anders erklären.

    Dass die Kybernetik die Steuerungs-, nein, die Kontrollobsession fördert, sehe ich da gar nicht. Denn hier wird die Autonomie von Systemen ja deutlich anerkannt. Die Obsession liegt nicht in der Kybernetik, sondern in dem, der sie betrachtet: Man kann sie darin vielleicht sehen, wenn man sie dringend, dringend sucht. Der confirmation bias vermag viel 😉

  5. Pingback: Reise des Verstehens » Blog Archiv » Warum Kybernetik für mich ab sofort KybernEthik heißt

  6. Eugen Barbula says:

    Ohne mich jetzt mal mit Kybernetik irgendwie befasst zu haben, würde ich sofort folgern, dass das erste System dem Untergang geweiht ist. Eine direkte Parallele, die mir wohl zu Kybernetik einfällt, wären GAN’s (Generative Adversarial Networks). Im ersten System kann weder der Steuerprozess, noch der Fühlerprozess jemals etwas lernen. Das zweite System dagegen kann nach einem GAN-Model entwickelt werden, wobei hier der Reglerprozess jedes mal feindselig (adversarial) einen “erlogenen” Sollwert für den Fühlerprozess generiert, welcher dann entscheiden soll, ob es ein richtiger oder falscher Wert ist. Auf diese Weise lernt der Fühlerprozess immer besser die richtigen von den “erlogenen” Werten zu unterscheiden, während der Reglerprozess ebenfalls immer besser darin wird, “erlogene” Werte so zu generieren, dass es immer schwerer wird den Unterschied zu bemerken. Besser lügen zu lernen ist für die Führung ja ein sehr erstrebenswerter Zustand, ist das wieder eine Fake-News vom Trump, steigt der Kurs jetzt oder doch nicht?…

    • Spannende Gedanken. Allerdings würde ich nicht unbedingt sehen, dass die Kyberntik erster Ordnung dem Untergang geweiht ist. Der Unterschied zwischen der Kybernetik erster und zweiter Ordnung ist auf dem Blickwinkel zum beobachteten System zu begründet. Bei der Kybernetik erster Ordnung ist der Beobachter exkludiert, bei der zweiten Ordnung inkludiert.

      Betrachtet man z.B. ein Heizungssystem ohne Einbeziehung des Menschen sollte man Erkenntnisse der Kybernetik erster Ordnung heran ziehen. Wenn man hingegen, warum auch immer, den Menschen mit einbeziehen möchte, dann sollte man Erkenntnisse der Kybernetik zweiter Ordnung heran ziehen.

      Ein System an sich ist also per se nicht erster oder zweiter Ordnung. Es kommt immer auf den Beobachtungskontext an.

  7. Eugen Barbula says:

    Vor einiger Zeit war ich das Buch “Deep Learning” am Lesen und dann sehe ich da auf einmal, dass Deep Learning einfach nur ein moderner Begrif für Kybernetik aus den 1940ern ist. 1980 Wurde Kybernetik unter dem Begriff Konnektionismus wieder populär und ab den 90er / 2000 rum war schließlich die nötige Rechenleistung vorhanden um es als Deep Learning in der ganzen Welt einzuführen.

    Wobei ich da noch eine andere Theorie letztens mal angedacht hatte, es sticht nämlich der Begriff Kybernetik zweiter Ordnung mehrfach ins Auge, während ich den Artikel eben noch einmal durchgelesen habe. Wäre es nicht auch denkbar, dass es nicht an Rechenleistung gemangelt hat in der Vergangenheit, sondern weil man sich schlicht nur mit Kybernetik 1. befasste. Für Kybernetik 2. aber, braucht man die Kybernetik 1. Systeme, die das K. 2. System quasi als eine nötige Ressource zum Lernen und zum Existieren braucht? Auffallend wären da z.B. in den letzten 2 Jahren um Aufmerksamkeit konkurrierende Systeme, die scheinbar die Aufmerksamkeit ganz oben auf der Prioritätenliste stehen haben. Das erklärt nämlich auch warum an jeder Ecke neue Deep Learning – Frameworks raussprießen, ein Anbieter, der kein eigenes DL – Framework rausbringt, kann sein Firmeninternes K. 2. System nicht ausbilden, da ihm diese wichtige Ressource K. 1. fehlt, die jedes K. 2. System am liebsten in unausweichlichen Mengen verschlingen würde um konkurrenzfähig mit den rivalisierenden K. 2. Systemen zu bleiben. Die Ware sind also wieder einmal die DL-Framework Benutzer diesmal.

    Interessant finde ich auch den Textteil, bei dem es um die Singularität geht. Hier is auch eine komplett andere Sichtweise über den Stellenwert von uns Menschen möglich. So wäre es durchaus denkbar, dass wir z.B. in Form einer einzigen lebenden Zelle die ideale Eigenschaft besitzen um sehr große Entfernungen im Universum sehr effizient zurück zu legen um uns auf diese Weise auf Lichtjahre weit entfernten Planeten, wie ein Virus aus dieser Zelle auszubreiten. Die Information, die in so eine Zelle reinkodiert ist, steuert sie und lässt sie unausweichlich immer wieder die gleiche Evolution durchlaufen, bis wir schließlich irgendwann soweit sind, dass wir K. 2. Systeme, die die nächste Stufe unserer Evolution dann steuern werden. Mag ein wenig erschreckend klingen, aber denkbar allemal :).

    • Deep Learning würde ich nicht unbedingt mit Kybernetik gleich setzen. Aber Stand heute basiert die gesamte KI auf Erkenntnissen der Kybernetik erster Ordnung. Denn Stand heute ist die Mathematik nicht in der Lage einen Beobachter zu inkludieren. Der Mensch wird exkludiert. Das bedeutet, sollten wir Menschen nicht ganz unsere Fähigkeiten der Wahrnehmung, des Fühlens, des Denkens etc. aufgeben, sollten wir keine Angst vor Maschinen haben, dass sie uns in naher Zukunft überholen könnten.

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