Blogparade: Musterbrechen heißt Widersprüche lieben

Eberhard Huber hat im Kontext des kommenden PM Camps in Dornbirn vom 19. bis zum 21. November 2015 zu einer Blogparade aufgerufen. Es geht um Musterbrechen und das im Zusammenhang mit Projektmanagement.

Dieses Thema verbindet sich sehr gut mit meinen derzeitigen Ideen und Gedankengängen. Deshalb mache ich bei dieser Parade mit.

Projekte und Musterbrechen gehören zusammen wie die Faust auf`s Auge.

Neues erschafft man nur durch Musterbrechen und Projekte sind genau dafür da, Neues in Unternehmen zu erschaffen. Also muss es ja schon in der DNA von Projekten verankert sein, Muster brechen zu wollen. Aber ist uns das auch wirklich immer so bewusst?

Um diese Frage zu beantworten möchte ich mich noch einmal dem Begriff “Musterbrechen” nähern. Mit Musterbrechen verbinde ich in erster Linie zwei Dinge.

  1. Die Vergangenheit wird nicht linear in die Zukunft extrapoliert.
  2. Dieses nichtlineare Fortschreiben geschieht durch Kontextwechsel.

Nur so entstehen Innovationen. Nehmen wir das Beispiel Apple mit dem iPhone. Nur in dem das “Handy” aus einer anderen Sicht mit anderen Prämissen betrachtet wurde, kamen Apple-Mitarbeiter wahrscheinlich auf die Idee der Smartphones. Sie haben dafür weder Kunden befragt, da diese wohl zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wussten, jemals Smartphones benötigen zu wollen, noch haben sie die zu der Zeit vorherrschenden Handymodelle einfach rillenoptimiert. Sie haben Muster gebrochen. Nokia hat beispielsweise dieses Muster nicht gebrochen oder brechen wollen.

Ein weiteres negatives Beispiel ist Kodak, die ebenfalls die Notwendigkeit eines Musterbrechens im Bereich der Fotografie nicht erkannt haben und so die Reise hin zur Digitalfotografie verschlafen haben.

Tradierte Projektmanagementmethoden und Musterbrechen schließen sich aus.

Okay, verstanden. Im Rahmen von Projekten sollen Muster gebrochen werden, um Neues entstehen zu lassen. Helfen uns dabei unsere derzeit vorherrschenden Projektmanagementmethoden? Oder genauer gefragt. Hilft uns dabei unsere derzeitig vorherrschende Geisteshaltung (Mindset), so viel wie nur irgend möglich im Projekt über Methoden und Best Practice zu standardisieren? Wohl eher nicht.

An dieser Stelle ist eine Unterscheidung sinnvoll (keine Trennung), nämlich zwischen den beiden Fragestellungen

  1. Wie tue ich die Dinge “richtig”?
  2. Welche “richtigen” Dinge tue ich?

Bei welchen Fragen helfen uns unsere Methoden weiter? Bei der ersten? Das könnte man vielleicht meinen, weil bereits klar definiert ist, was getan werden muss. Jetzt geht es nur noch um des effiziente Abarbeiten.

Aber wie oben bereits angedeutet, wird man beim Musterbrechen die zweite Frage zuerst beantworten müssen, auch wenn diese nicht klar zu entscheiden ist. Es geht um die Fragestellung, was zu tun ist. Und das ist in diesem Zusammenhang eine unternehmerische Entscheidung, die zum Zeitpunkt des Treffens der Entscheidung nicht mit “richtig” oder “falsch” einzuwerten ist. Musterbrechen eben.

Auch Apple hat zum Zeitpunkt des Experimentierens in Richtung der Smartphones nicht sicher vorhersagen können, ob die Kunden Smartphones lieben und kaufen werden. Es geht also um Probieren und Lernen.

Hat man die zweite Frage beantwortet, kann man sich dann der ersten stellen, wie die neuen Dinge umgesetzt werden sollen. Da es sich aber wie gesagt in der Regel um neue Themen handelt, die man in der Regel so in dieser Art noch niemals im Unternehmen getan hat, muss man auch mit alt bewährten Methoden vorsichtig sein.

Beim Musterbrechen helfen also alt bewährte Verfahren nur bedingt. Es geht in Projekten darum, einen Rahmen zu setzen, in welchem die beiden oben aufgeführten Fragen effektiv und effizient beantwortet werden können, und zwar von den Experten.

Spinnt man diesen Faden weiter, wird einem auch schnell bewusst, dass der Begriff “Projektmanagement” vielleicht nicht unbedingt der passendste ist, um diese Haltung einzunehmen. Vielleicht sollten wir eher von Projektführung reden, was Holger Zimmermann übrigens auch bereits angeregt hat.

Dieser neue Weg ist aber von Widersprüchen gepflastert, was Prozessanweisungen fehlschlagen lässt.

Alle Anweisungen, die nach Rezepte schmecken, haben den Anspruch immer zu gelten. Diese müssen also kontextunabhängig sein und gelten damit nur in einer toten Welt. Beispiel hierfür sind u.a. “Aufbauen eines Schranks”, “Reparieren eines Autos” oder “Sortieren von Briefen nach Empfänger”. Diese Aktivitäten können Maschinen durchführen, werden sie wahrscheinlich auch irgendwann in Summe. Artikel über solche und ähnliche Zukunftsszenarien sind ja zuhauf im Netz zu finden.

In einer lebendigen, und damit komplexen Welt, gibt es aber immer viele Kontexte, die bei einer Entscheidung und Handlung erst einmal wahrgenommen und bewertet werden müssen, um dann zu handeln. Dieses Wahrnehmen und Bewerten kann aber niemals ex ante aufgeschrieben und als Prozessanweisung geltend gemacht werden.

Leider versuchen wir viel zu häufig und unreflektiert, erfolgreiche Errungenschaften der toten komplizierten Welt in die lebendige komplexe zu übertragen.

Eine weitere Eigenschaft der lebendigen Welt ist, dass sie von Widersprüchen durchsetzt ist. Prozessanweisungen, die für eine lebendige Welt passfähig wären, müssten also jeden erdenklichen Kontext, in welchem bestimmte Handlungen ausgeführt werden sollten, inkludieren. Das ist aber schier unmöglich. Werden die Kontexte nicht inkludiert, müssten sich diese Anweisungen in sich widersprechen, was sie dann wieder sinnentkoppelt erscheinen lassen.

Die folgende Tabelle zeigt einige Widersprüche auf, die hochkommen, wenn man klare Konzepte für die Umsetzung eines Wandels in Unternehmen aufstellen wollte.

Widersprüche_Beispiele1

Diese Beispiele habe ich aus dem Artikel Entzauberung der lernenden Organisation von Stefan Kühl entnommen.

Eine ähnliche Konstellation findet man vor, wenn man nach Konzepten “Guter Führung” in Unternehmen fragt. Die Antworten sind meist von großer Ambivalenz geprägt. Das bedeutet, man kann diese Konzepte als “passfähig” oder “nicht passfähig” auslegen, je nach Kontext, in denen man diese bewertet. Beispiele dazu finden Sie im Artikel Gefangen im System des Forums Gute Führung.

Widersprüche_Beispiele2

Lebendigkeit und damit auch der Wandel im Bereich der Lebendigkeit ist von Widersprüchen durchsetzt. Das ist nun weder gut noch schlecht, sondern es ist. Dem müssen wir uns stellen, auch und gerade im Projektkontext.

Widersprüche annehmen heißt Menschlichkeit lieben.

Es ist zu beobachten, dass der notwendige Wandlungsprozess in Unternehmen, der in einem zunehmend dynamischeren Marktumfeld immer häufiger von statten gehen muss, den Unternehmen schwer fällt. Sehr häufig werden dafür Umsetzungsschwierigkeiten als Ursache genannt. Es wird aber nicht ansatzweise in Betracht gezogen, dass der eigentliche Denkrahmen, auf dem das Funktionieren von Unternehmen basiert, nämlich, dass Abläufe in Unternehmen zu 100% steuer- und kontrollierbar sind, das Übel darstellt.

Es wird schon unterstellt, das Alles irgendwie schwieriger wird. Dem möchte man aber mit ebenso schwierigen Methoden und Prozessen anheim kommen. Häufig wird für “schwierig”, gleichbedeutend mit kompliziert, das Wort “komplex” genannt. An dieser Stelle aber dann fataler weise falsch, denn wenn man wüsste, was Komplexität bedeutet, würde man keine starren Regeln und Konzepte zur Umsetzung eines Wandels anfertigen lassen und sich dann darüber aufregen, dass die Mitarbeiter diese nicht umsetzen, um dann wiederum auf Ausbildung der Mitarbeiter zu setzen, um zu glauben besser zu werden. Es geht hierbei aber nicht um Wissenszuwachs in Form von Lernen, denn bei Komplexität hilft kein Wissen, sondern Talent und Können. Wissen ist in einem komplexen Umfeld keine Kompetenz.

Konzepte und Regeln müssen stets widerspruchsfrei sein. Im Bereich der Lebendigkeit gibt es aber Widersprüche ohne Ende. Wäre es nicht so, würden wir von etwas Totem reden.

Welche Facetten muss man also beachten, um Muster brechen zu können?

Alle Entwicklung im Kontext von Menschen, also auch die Wirtschaft, ist geprägt von kurzen plötzlich auftretenden und nicht lange angekündigten Ereignissen, so genannte Tipping Points. Man sollte also nicht von “Entwicklungspfaden” sprechen, da dieses Wort falsche Vorstellungen über Unternehmensentwicklung in uns weckt. Deshalb lassen sich Unternehmen auch nicht mit linearen Methoden und Werkzeugen steuern, die man aus der toten Welt kennt. Denn es gilt: Kleine Ursachen können große Auswirkungen haben. Das hebt unsere übliche Vorstellung über Ursache-Wirkung aus den Angeln.

Ein Beispiel dazu. Ein Frosch, der in einem Topf mit Wasser sitzt, in welchem das Wasser ganz langsam erhitzt wird. Das langsame Erhitzen nimmt der Frosch nicht wahr. Es wird irgendwann eine Temperatur erreicht, wo der Frosch stirbt. Das ist dann der Tipping Point, der deshalb scheinbar aus dem Nichts auftaucht, da er sich nicht ankündigt. Warum ist das so? Lebewesen sind bestrebt, eine Stabilität aus Instabilitäten der Unwelt zu errechnen. Das ist Basis unserer Wahrnehmung. Ohne diese Fähigkeit gäbe es keine Wahrnehmung.

Zum Schluss möchte ich das Geschriebene noch einmal im Kontext “Musterbrechen” zusammenfassen.

  1. Muster brechen bedeutet Neues schaffen und Veränderungen einleiten, also die ureigenste Aufgabe von Projekten. Deshalb sollten wir ab sofort statt Projektmanagement eher Projektführung sagen, um genau das hervorzuheben.
  2. Für Veränderungsprozesse in Unternehmen gibt es keine Regeln und Vorschriften.
  3. Veränderungsprozesse sind ermergente Vorgänge, die sich nicht in einzelne Abfolgen von Aktivitäten teilen lassen.
  4. Erfolg oder Misserfolg von Veränderungsprozessen in Unternehmen lassen sich aufgrund dieser inhärenten Emergenz ex post, ex ante sowieso nicht, nicht über alt bekannte Ursache-Wirkungslogik erklären.
  5. Veränderung passiert einfach oder eben nicht. Man kann aber auf sie wirken, aber immer nur indirekt über einen Handlungsrahmen. Dieser muss groß sein, damit die Menschen im Unternehmen flexibel agieren können und klein, damit die Menschen eine einheitliche Basis des Agierens haben. Widerspruch? Logisch, muss doch sein.
  6. Bei Veränderungsprozessen muss man ganz bewusst Widersprüchlichkeiten annehmen. Zu viel Verschriftlichung ist hier schädlich, da unsere Sprache und Schrift diese nicht zulassen.
  7. Veränderungsprozesse lassen sich, wie grundsätzlich alle Prozesse in Unternehmen, nicht steuern und kontrollieren.
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10 Responses to Blogparade: Musterbrechen heißt Widersprüche lieben

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  2. Das ist ein guter Artikel und mir fällt eins in der Praxis auf. Die Eindeutigkeit wird gemocht. Unsere Organisationen sind darauf getrimmt.
    Wie kann es gelingen dann mehr Perspektiven zuzulassen und doch Handlungsfähig zu sein? Da müsste die Geschäftsführung ein gutes Beispiel für sein.

    Zum Frosch. Die Sache hatte ich auch mal gelernt und ohne Recherche wiedergegeben. Dann bekam ich Feedback und korrigierte das. Eigentlich auch eine Geschichte, die zu Deiner Geschichte passt. Wann, wie und welche Annahmen überprüfe ich?
    https://schlachte.wordpress.com/2013/04/22/der-frosch-wird-gekocht-wenn-die-temperatur-langsam-hoch-geht-wie-ist-das-bei-ihnen/

    Viele Grüße, Christoph

  3. Gratulation! Wieder ein ausgezeichneter Beitrag, wie auch die letzten, wo ich noch nicht zum Posten gekommen bin.

    Ja, die Widersprüchlichkeiten bzw. unser Entweder-Oder-Denken machen uns regelmäßig zu schaffen. Auch die Effizienzfixierung … die einerseits in wichtigen Infrastruktursystemen immer mehr lebenswichtige Redundanzen entfernt bzw. uns wie Lemminge ins Verderben rennen lässt.

    Ich habe gerade einen Post zum Thema “Vernetzung & Komplexität und die aktuelle Flüchtlingslage” (http://www.saurugg.net/2015/blog/gesellschaft/vernetzung-komplexitaet-und-die-aktuelle-fluechtlingslage) begonnen, den ich noch fortsetzen möchte. Aber da kommt so gesehen auch das Thema Musterbrechung vor – die Zivilgesellschaft nimmt die Sache einfach selbst in die Hand und bricht mit den bisherigen Machtstrukturen. Aber auch hier ist ein “sowohl-als-auch”-Denken erforderlich, alles andere führt, wie die Realität zeigt zu unnötigen Reibungsverlusten.

    Ein anderes Beispiel für Musterbrechen habe ich auch gerade aufgeschnappt: US Navy rüstet Schiffe gegen Cyber-Attacken (http://www.saurugg.net/2015/blog/cyber/us-navy-ruestet-schiffe-gegen-cyber-attacken) – unsere klassischen IT-Sicherheitsansätze sind weitgehend “more-of-the-same” und daher wenig erfolgsversprechend – zumindest nicht nachhaltig.

    Was “Kleine Ursachen können große Auswirkungen haben” bedeuten kann, zeigt ja einerseits auch die Flüchtlingslage bzw. noch besser der Absturz der VW-Aktie. Gleichzeitig zeigt sich dabei wohl auch der Irrsinn des Finanzmarktes.

    Es gibt noch viel zu tun 😉

    lg aus Wien
    Herbert

    • Moin Moin Herbert,

      vielen Dank für die “Blumen”. Cool, wie Du die Muster in scheinbar unterschiedlichen Sachverhalten miteinander verbindest und dabei auf den Kern der jeweiligen Problematik hinweist. Sehr gelungen. Danke.

      Und ja, es gibt noch viel zu tun. Tun wir es nicht, wird es für uns getan. Bin mir aber sicher, dass wir das nicht wirklich wollen, jedenfalls in der Nachbetrachtung dann nicht. Jetzt müssen wir erst einmal erkennen, das wir Muster brechen müssen.

      BG, Conny

  4. Hallo Conny,

    Danke ebenfalls für die “Blumen”! Ja, mein besonders Interesse ist den unterschiedlichen Querverbindungen (“unsichtbaren Fäden”) gewidmet. Dafür bleibt mir dann nicht die Zeit, es so präzise wie Du auf den Punkt zu bringen. Auf der anderen Seite erschüttert es mich immer wieder, wie “naiv” und blauäugig wir in vielen Bereichen unterwegs sind. Weil es genau an dem von Dir aufgezeigtem Wissen und Verstehen, sowie am vernetztem Denken mangelt. Wenn du hörst, welchen Aufwand etwa die Versicherungswirtschaft betreibt, um Simulationsmodelle für Sturm- oder Hochwasserereignisse zu modellieren und gleichzeitig die Verwundbarkeit unserer vernetzten Infrastrukturen noch kaum (k)ein Thema ist, dann wird es manchmal wirklich schwer. Gleichzeitig wird man dann noch von jenen gefragt, wie man da noch ruhig schlafen kann …

    “wird es für uns getan” … ja, aber viele verstehen die Tragweite nach wie vor nicht und da werde ich dann doch etwas pessimistisch. Nichtsdestotrotz gilt auch für mich, weiterzumachen ;-).

    BG, Herbert

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