Das duale System der Unternehmensführung

“Sag niemals nie!” Dieser Leitspruch passt hier wieder ganz gut. Eigentlich sollte der vierte Post “Hierarchien können zu Mehrwertvernichter mutieren” der letzte Beitrag im Kontext “Führung und Zusammenarbeit in Unternehmen” sein. Allerdings habe ich in den letzten Woche gespürt, doch ich noch etwas nicht gesagt bzw. geschrieben zu haben, was ich mit diesem Post nachholen möchte.

Aber zuerst möchte ich noch einmal auf die vorigen Posts dieser Reihe kurz eingehen, damit ich für diesen Post einen Ankerpunkt setze.

Im ersten Post der Reihe Der blinde Fleck in den Diskussionen rund um Führung und Zusammenarbeit habe ich den Grundgedanken, auf dem das heutige Modell unserer Zusammenarbeit in Unternehmen beruht, beleuchtet und seine Entstehungsgeschichte verargumentiert. Denn, möchte man die grundlegende Art und Weise, wie wir heutzutage in Unternehmen miteinander agieren, ändern, muss man verstehen warum wir überhaupt so agieren.

Im zweiten Post der Reihe Den blinden Fleck in den Diskussionen rund um Führung und Zusammenarbeit auflösen habe ich den emotionalen Kontext mit hinein gebracht. Im ersten Post habe ich eher rational dargelegt, warum das derzeitige Modell der Führung und Zusammenarbeit nicht mehr funktionieren kann. Nur alleine diesen Fakt wissend, startet man aber noch lange nicht die Reise in den Wandel. Gründe dafür können Sie in diesem Post nachlesen.

Im dritten Post Die Geisteshaltung einer Führungskraft – Das positive Annehmen von Widersprüchen gehe ich noch ein Stufe tiefer. Es geht nun nämlich um die Geisteshaltung der Menschen, die in einem Unternehmen zusammenarbeiten. Konzepte sind nämlich das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen, wenn man nicht mit einer “richtigen” Einstellung zu Werke geht, diese umsetzen zu wollen.

Der vierte Post Hierarchien können zu Mehrwertvernichter mutieren hat dann noch einmal eindringlich das Thema Hierarchie am Wickel. Hier belege ich ganz klar, dass Hierarchien in Unternehmen nicht grundsätzlich schlecht, nur eben zu bestimmten Themen- und Fragestellungen nicht viabel sind, und man dafür auf Netzwerke als Modell der Zusammenarbeit ausweichen sollte. Hier beleuchte ich also erstmalig ein Zielbild, das “Duale System” der Unternehmensführung.

Dieses Zielbild möchte ich nun noch weiter beleuchten und dabei die Frage reflektieren, warum es uns derzeit so schwer fällt, dieses Zielbild zu erreichen. Dabei stütze ich mich auf ein Video von John Kotter, der in seinem Buch Accelerate: Strategischen Herausforderungen schnell, agil und kreativ begegnen zum ersten Mal den Begriff “Duales System” einführt.

Unternehmen gründen sich häufig im Netzwerkmodell. Warum fällt es den Menschen in Unternehmen zu Anfangszeiten so leicht, diesem Modell Leben einzuhauchen? Sie haben nichts zu verlieren, da noch nichts da ist, was verloren gehen kann. Es herrscht also noch kein Sicherheitsdenken vor. Dann werden Werte geschaffen. Mit dem Zuwachs an geschaffenen Werten wächst parallel das Gefühl des Bewahrens. Unsicherheit kommt hoch, dass das Geschaffene zu Grunde geht. So entstehen Hierarchien, in dem Prozesse, Regeln, Rollen etc. definiert werden, die stets und unbedingt in alle Aktivitäten integriert werden müssen. Irgendwann überlagern diese Hierarchien komplett das Netzwerk, und zwar so lange bis das Netzwerk nicht mehr existiert. Man erinnert sich an die Zeiten des Netzwerkes, und das dieses Modell auch seine guten Seiten hat. Allerdings bleibt die Hierarchie tonangebend. Es wird versucht, den Netzwerkgedanken irgendwie in Hierarchien zu pressen, was allerdings “weder Fisch noch Fleisch ist”. Das erkennt man an den Bemühungen, Projektorganisationen in die bestehende Linienorganisationen in Unternehmen funktionstüchtig zu integrieren. Sehr oft scheitern diese Versuche.

Der Glaube, dass starre Regeln, Prozesse, Rollen etc., welche Sinnbild für Hierarchien sind, Sicherheit bringen, die geschaffenen Mehrwerte zu bewahren und damit die Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu sichern, ist ein Irrglaube. Warum? Weil die Hierarchien Innovationen im Wege stehen. Wir benötigen also Beides, Hierarchien und Netzwerke. Warum allerdings fällt es uns Menschen so schwer, beide Modelle der Zusammenarbeit in Unternehmen koexistieren zu lassen? Warum können wir uns immer nur auf einem Pol bewegen, entweder auf dem Pol des Netzwerkes oder auf dem der Hierarchie?

Hier entblößt wieder einmal unser zweiwertiges Denken sein Antlitz. Es gibt nämlich für uns in Diskussionen ein “Entweder-Oder”, welches durch unser zweiwertiges Denken befeuert wird. Das “Sowohl-Als-Auch” fällt uns schwer. Grundsätzlich erschwert dieser Denkrahmen eine mehrwertgenerierende Diskussion rund um diesen Kontext. Befürworter des “Dualen Systems” müssen beide Pole als sinnhaft darstellen, also auch die Hierarchie, was allerdings die Befürworter der Hierarchie dazu bringt, zu meinen, dass man bereits genau in diesem Modell arbeitet. Sie blenden den Pol des Netzwerkes ja aus, da sie sich nur auf einem Pol, dem “guten”, bewegen. Der andere Pol, der des Netzwerkes, also der “böse”, wird ausgeblendet (Entweder-Oder). Überziehen daraufhin die Befürworter des “Dualen Systems” den Pol des Netzwerkes, um die Vorzüge des Netzwerkes für dedizierte Themenstellungen hervorzuheben, laufen sie Gefahr, ähnlich zweiwertig zu argumentieren, wie die Befürworter der Hierarchie. Es wird eine Debatte entfacht, die in der Regel nicht zum Erfolg, sondern zu tiefen Gräben zwischen den Parteien führt, da die Übereinstimmungen, die beide Lager in sich beherbergen, nicht erkannt werden. Sie liegen im blinden Fleck.

Dieser blinde Fleck wird durch die HX-Verwirrung in den Diskussionen sehr anschaulich aufgedeckt. Die HX-Verwirrung, eingeführt vom österreichischen Physiker und Philosophen Herbert Pietschmann, spiegelt nämlich den so genannten Schattenkampf beider Lager wieder.

Befürworter der Hierarchie unterstellen den Befürwortern des Netzwerkes, dass sie für kontextlose Basisdemokratie einstehen. ALLE Mitarbeiter eines Unternehmens sollten sich zu ALLEN Themen, die innerhalb eines Unternehmens auftauchen, Mitspracherecht haben. Dem ist natürlich nicht so. Denn auch innerhalb eines Netzwerkes werden zu bestimmten Themen nur die Mitarbeiter zugelassen, die auch etwas zu diesem dedizierten Thema beitragen können. Alle anderen Mitarbeiter werden von ganz alleine das Team verlassen, weil das Team ihnen das indirekt nahe legt, da sie keinen Mehrwert generieren, sondern behindern. Dadurch bilden sich Hierarchien innerhalb von Netzwerken, aber eben nicht per “per order de mufti”, sondern per Selbstorganisation innerhalb des Netzwerkes.

Befürworter des Netzwerkes wiederum unterstellen den Befürwortern der Hierarchie, dass sie für kontextlosen Befehl und Gehorsam einstehen. Für ALLE Themen gibt es immer stets EINEN, der das sagen hat, komme was wolle. Und dieser Eine steht stets “oben” in der Hierarchie. Natürlich gibt es innerhalb eines Unternehmens Aufgaben, für die diese Konstellation absolut erfolgversprechend ist, nämlich für die so genannten Routineaufgaben, für die sich nämlich in der Vergangenheit innerhalb des Unternehmens Wissen und damit auch Experten heraus gebildet haben. Warum sollten diese Experten dann nicht auch für diese Aufgaben tonangebend sein?

Beides, die kontextlose Basisdemokratie als auch der kontextlose Befehl und Gehorsam, liegen jeweils im Schatten des eigentlichen Zielbildes der jeweiligen Parteien. Wird dieser nicht aufgelöst, ergeben sich erbitterte nicht endend wollende Kämpfe zwischen beiden Lagern. Also bitte mal wieder auf die Sonnenseite der Diskussion treten und erkennen, dass beide Lager mit ihren Ansichten gar nicht so weit von einander entfernt liegen.

Mir fällt in diesem Sinne eine schöne Analogie zum Sport ein. Jeder Sportler, egal welcher Sportart, muss sich jeden Tag immer wieder neu beweisen. Erfolge der Vergangenheit zählen dann nicht mehr, wenn diese im Heute nicht wiederholt werden. Man beobachtet es manchmal im Fußballgeschäft, dass ein Trainer auf Stars zurück greift, die früher mal Stars waren, heute deshalb vermeintlich immer noch sind, die Leistungen aber nicht mehr bringen. Diese Trainer geraten dann sehr schnell in die Kritik, wenn diese Spieler immer noch aufgestellt werden. Oder aus dem Kinderalltag geplaudert, um den Unterschied zwischen dem dualen und dem hierarchischen Modell transparent zu machen. Sie können sich vielleicht noch erinnern. Eine Gruppe von Kindern möchte Fußball spielen und am Anfang werden die Mannschaften gewählt.

Wie reagiert das Kind mit einer “hierarchischen” Geisteshaltung?

Ich muss auf jeden Fall gewählt werden, denn ich habe ja den Ball, werde ich nicht gewählt, gehe ich nach Hause und nehme den Ball mit. Ohne Ball könnt ihr nicht spielen.

Wie reagiert das Kind mit einer “dualen” Geisteshaltung?

Okay, wenn ich nicht gewählt werde, bin ich wohl Stand heute nicht gut genug um mitzuspielen. Wenn ich doch mitspiele, macht es Euch nicht so viel Spaß. Ich werde üben, um irgendwann gewählt zu werden. Auf jeden Fall könnt Ihr meinen Ball haben und ich gucke zu, um zu lernen.

Zum Schluss möchte ich noch eine letzte Anmerkung im Kontext Digitalisierung vornehmen. Der Begriff ist ja in aller Munde und wird mittlerweile aus meiner Sicht schon wieder über strapaziert. Leider, wie ich finde, nur in eine Richtung, nämlich in Richtung Technologie. Für mich beginnt Digitalisierung in Unternehmen im Kopf der Menschen. Es geht nämlich um die Haltung eines jeden einzelnen Mitarbeiters, wie er die jeweils anderen Menschen des Unternehmens wahrnimmt und auf dieser Basis mit ihnen zusammen arbeiten möchte, unabhängig von Rang und Titel. Denn im Netzwerk zählt kein Status und keine Rolle per auferlegtem Gesetz. Jeder Mitarbeiter muss tagtäglich auf`s Neue für seine Identität arbeiten, in dem er sich mehrwertgenerierend einbringt. Mit dieser “richtigen” Geisteshaltung verspricht der Einsatz von neuer innovative Technologie auch Erfolg.

Buch_Alle Macht für Niemand

In diesem Zuge möchte ich gerne auf einen Post eines meiner Weggefährten, Andreas Zeuch, verweisen, aber natürlich ebenfalls auf sein neues Buch Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten.

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