Hierarchien sind Trivialisierungsstrukturen

Die Aussage im Titel ist auf dem ersten Blick wahrscheinlich sehr negativ besetzt. Diese negative Besetzung ist aber kontextabhängig. Auf der einen Seite braucht ein Unternehmen eine strenge hierarchische Aufstellung, um Geld zu verdienen. Auf der anderen Seite ist genau diese strenge hierarchische Struktur hinderlich, wenn es darum geht, die Basis für das Geldverdienen überhaupt erst zu schaffen.

Aber der Reihe nach.

Wenn ich in diesem Post die hierarchische Organisationsform anführe und diese in bestimmten Situationen in Unternehmen als nicht anwendbar deklariere, sollte es eine weitere Organisationsform in Unternehmen geben. Diese gibt es auch, nämlich die heterarchische Organisationsform oder das heterarchische Zusammenarbeitsmodell.

Die folgende Tabelle (Durch ein Klick auf die Tabelle sehen Sie diese größer dargestellt) stellt die beiden gegensätzlichen Zusammenarbeitsmodelle in Unternehmen gegenüber.

Hierarchie vs. Heterarchie

Wie das Muster der Zusammenarbeit in den jeweiligen Modellen zwischen den Menschen ausschaut, können Sie an den kleinen Bildchen in den Überschriftenspalten der Tabelle sehen. Die hierarchische Zusammenarbeit ist geprägt von herkömmlich bekannten Organigrammen, in denen jeder Mitarbeiter genau einen Vorgesetzten hat. Das heterarchische Zusammenarbeitsmodell wird eher durch netzwerkartige Strukturen bestimmt, in denen jeder Mitarbeiter je nach Kontext seine Beziehungen zu anderen Mitarbeitern aufbaut.

Auf einige der in der Tabelle aufgeführten Charakteristika werde ich im Rahmen meiner Argumentation eingehen. Die restlichen können Sie sich sicher selber aus der Reflektion Ihrer Erkenntnisse aus der Praxis erschließen.

Wenn ich nun die Frage beantworten soll, welches der beiden Modelle zu bevorzugen ist, sage ich „Beide“. Wenn Sie meinen Post Das innere Spiel – Wie Entscheidung und Veränderung spielerisch gelingt … noch in Erinnerung haben, wissen Sie wo wir uns nun wieder befinden. Richtig, wir befinden uns zwischen den Polen. Die beiden Autoren des Buches, Heinz-Peter Wallner und Kurt Völkl, welches ich in dem Post rezensiere, nennen es das Prinzip der Polarität.

In stabilen Zeiten ist das hierarchische Zusammenarbeitsmodell zur Anwendung zu bringen. In diesen Zeiten geht es hauptsächlich um Funktionsoptimierung. Die “Dinge”, die zu tun sind, sind klar. Deshalb geht es hauptsächlich darum diese “Dinge” richtig zu tun. Es dreht sich also Alles um Effizienz. Das Umfeld, in dem sich das Unternehmen bewegt, wird als unverändert angenommen. In diesen Phasen wird Wertschöpfung betrieben. Das Unternehmen verdient Geld. Jeder Mitarbeiter weiß, was er zu tun, da es ja in Form von Prozessen definiert ist. Entscheidungen seitens des Managements müssen nicht gefällt werden, da diese bereits in Form von Prozessen und Methodiken vorweg genommen wurden.

Instabile Phasen sind durch die Wahrnehmung einer hohen Veränderungsrate der Umwelt des Unternehmens geprägt. In diesen Zeiten ist nicht klar, welche “Dinge” zu tun sind. Deshalb geht es darum die richtigen “Dinge” zu tun. Es dreht sich also Alles um Effektivität. Das Unternehmen befindet sich in diesen Phasen in einem Change. Was zum Zeitpunkt einer Entscheidung “richtig” und “falsch” ist kann nicht beurteilt werden. In diesen Phasen kommen Entscheidungen zum Tragen. Sie sind wichtig. In diesen Zeiten legt das Unternehmen die Basis für die kommenden stabilen Phasen, in dem Funktionen weiter entwickelt werden. Das heterarchische Zusammenarbeitsmodell kommt zum Einsatz.

Will ein Unternehmen lebensfähig sein, muss es für beide Phasen gewappnet sein, für die stabilen als auch für die instabilen Phasen. In der Regel sind Unternehmen für die stabilen Phasen gut aufgestellt. Sie haben ja ihre Hierarchien. Das Agieren in Hierarchien ist mittlerweile allen Beteiligten in Fleisch und Blut übergegangen.

Ein Wechsel von stabilen zu instabilen Phasen und umgekehrt ist auch immer verbunden mit dem Wechsel der Zusammenarbeitsmodelle. Ich habe oben davon gesprochen, dass instabile Phasen durch große Veränderungsraten der Umwelt des Unternehmens geprägt sind. Grundsätzlich ist die Umwelt eines Unternehmens immer und stetig Veränderungen unterlegen. Hier sollte man keine Augenwischerei betreiben. Alles ist im Fluss. In stabilen Phasen werden diese Veränderungen eben nur ausgeblendet. Es wird trivialisiert. Das muss auch so sein, da ein Unternehmen sonst stetig nur im Umbruch wäre, sich nicht konsolidieren könnte und niemals produktiv sein könnte.

Der Trigger für einen Change und damit für einen Wechsel der Zusammenarbeitsmodelle kommt also stets aus dem Unternehmen heraus, niemals von außen.

Nun kommt der Titel dieses Posts zum Tragen. Hierarchien tragen eben genau zu dieser Trivialisierung bei. Wird aber diese Trivialisierung ausdauernd fortgeführt, sprich werden Veränderungen der Umwelt stetig ignoriert und nicht adäquat darauf reagiert, kann sie für ein Unternehmen “tödlich” enden. Hierarchien sind also gut, aber nicht immer. Wir bewegen uns zwischen den Polen.

Der stete und rechtzeitige Wechsel der Zusammenarbeitsmodelle ist ein erfolgskritischer Faktor. Jetzt könnte man behaupten, dass wir diesem Wechsel der Zusammenarbeitsmodelle bereits Aufmerksamkeit schenken, nämlich durch die Einführung der Matrixorganisationen im Kontext der Projekte. Das ist aber nur scheinbar der Fall. Warum? Matrixorganisationen führen nur dazu, dass zwei oder mehrere hierarchische Strukturen parallel eingeführt werden. Der Mitarbeiter ist dann in der Regel Diener mehrerer Herren, was eher kontraproduktiv ist.

Projekte sind in der Regel auch streng hierarchisch aufgestellt. Die Umwelt wird also stetig als stabil trivialisiert. In Projekten geht es aber eben genau darum etwas Neuartiges zu entwickeln. Es wird eine Funktionsweiterentwicklung betrieben, also eine Basis für spätere Wertschöpfung gebaut. Ein streng hierarchisches Zusammenarbeitsmodell ist hier also eher unangebracht. Die Verantwortlichkeiten für bestimmte Aufgaben müssten stetig wechseln, je nach Erfahrung und Talent der involvierten Mitarbeiter. Je nach Kontext würde es unter Umständen einen anderen Projektleiter im Projekt geben. Ein Projekt ist also nur eine Projektion des Agierens eines Unternehmens vom Großen ins Kleine. Auch im Projektkontext wird die Umwelt, das ist dann das Unternehmen, mal als stabil und mal als instabil angesehen. In Projekten sollten also ebenfalls beide Zusammenarbeitsmodelle zum Einsatz kommen. Im Rahmen der heterarchischen Zusammenarbeit werden Gedanken und Ideen konzipiert (“Die richtigen Dinge tun”), die dann im Rahmen der hierarchischen Zusammenarbeit umgesetzt werden (“Die Dinge richtig tun”).

Auch die Organisationsform von Unternehmen ist wieder ein Beleg, sich nicht auf den gegensätzlichen Polen aufzuhalten, sondern mittendrin zwischen den Polen, um damit lebensfähig zu sein.

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10 Responses to Hierarchien sind Trivialisierungsstrukturen

  1. Lieber Conny,
    das ist mal wieder ein wichtiger Beitrag, der gleich mehrere Aspekte unseres neuen Denkens klar macht: das “sowohl als auch” sowie die Notwendigkeit von Hierarchien als auch das Einlassen auf, das Einladen des Unbekannten, des nicht Erahnbaren, sich bewusst zu sein, in welcher Phase man steckt und worauf man sich dann besser konzentriert. Wobei mir das Vertrauen in das Kooperative auf jeden Fall in beiden Fälle besser schmeckt 😉
    VG Martin

  2. Jens says:

    Moin Conny,
    brillante Analyse…wie immer!

    Aber wie definiert sich die Stabilität des Unternehmens als Auslöser einer Form der Zusammenarbeit? Wie erkennen wir 2 Pole? Quantitativ? Qualitativ?
    Wo und wie kommt der Impuls zustande, der den Wechsel signalisiert?

    Sind wir selbst, also jeder Mensch für sich, bereits in der Lage, lose Führung und agile Arbeitsweisen zu akzeptieren? Oder sind wir nicht immer noch Sklaven einer freiwillig aufgegebenen Autokratie, die uns in hierarchische Muster pressen läßt? Das bestätigt sich für mich aktuell noch immer aufgrund von 2 Blickwinkeln. Blickwinkel 1…viele Menschen fühlen sich unwohl in losen Strukturen und wollen geführt werden. Blickwinkel 2…andere Streben selbst nach der “Macht” und befürworten somit jede Form der Hierarchie. Natürlich gibt es auch Blickwinkel 3…die Menschen, die bereits jetzt ohne Hierarchie, ohne Strukturen arbeiten und sich darin wohlfühlen…Stichwort Freelancing.

    Ich polarisiere mal ein wenig und behaupte, in Zukunft überlebt nicht die Hierarchie, sondern einzig die heterarchische Zusammenarbeit wird überleben und einen exponentiellen Einzug in unsere Arbeitswelt feiern.
    Wir leben bereits in Netzwerken und lassen uns von jenen tagtäglich bestimmen. Es ist eine Frage der Zeit, bis wir feststellen, dass wir auch in Netzwerken arbeiten müssen. Keine losen Netzwerke…jedes humane Neuron wird seinen Platz in einem Kollektiv haben. Aber dieses Kollektiv hat nur noch eine Dimension und das ist die Selbstbestimmung. Wann das passiert mag ich nicht abzusehen, aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir uns auf bestem Weg dahin befinden.
    Die Frage lautet aber wie kann so eine Transformation erfolgen?

    LG, Jens

    • Hallo Jens,

      danke für Dein Feedback. Du wertest mein Logbuch durch Deine Kommentare, die von sehr viel Tiefgang geprägt sind, immer wieder auf. Danke dafür. Du stellst sehr gute Fragen, die wohl nicht so leicht zu beantworten.

      Ich lege mal meine Sicht dar.

      1.
      Zum einen wird die Umwelt eines Unternehmens niemals stabil sein. Es ist einer steten Veränderung unterlegen. Wenn man aus Unternehmenssicht eine Stabilität annimmt, ist dies stets eine Trivialisierung. Diese muss aber sein, sonst würde das Unternehmen niemals produktiv sein können. Zu welchem Zeitpunkt also Impulse für Veränderungen gesetzt werden, wird stets einzig und allein aus dem Unternehmen heraus definiert, niemals von der Umwelt vorgegeben. Das ist eine wichtige Aufgabe, die Führungskräfte in Unternehmen annehmen sollten. Man sollte auf diese Impulse nicht warten. Man wartet nämlich umsonst.

      2.
      Des Weiteren sprichst Du einen weiteren wichtigen Fakt an. Ein Arbeiten in Heterarchien impliziert eine Übernahme von Verantwortung. In Hierarchien kann man diese leicht an Prozesse, Methoden oder an die Person, die stets über einem in der Hierachie steht, abgeben. Das ist in Heterarchien nicht mehr gegeben, auch nicht gewollt. Ob wir als Menschen überhaupt voll umfänglich so weit sind, bleibt zu hinterfragen. Die Strukturen müssen solch eine Übernahme von Verantwortung auch begünstigen. Ich denke hier beispielsweise an eine angemessene Fehlerkultur. Wenn der Überbringer schlechter Nachrichten gleich “gehenkt” wird oder bei Problemen stets nur nach Schuldigen gesucht wird, wird man sich wohl eher scheuen, Verantwortung zu übernehmen. Hier gilt es anzusetzen.

      Beste Grüße,
      Conny

    • Hallo Jens,

      Du hast mich mit Deinem Kommentar zu einem weiteren Post inspiriert, welchen ich in den nächsten Tag schreiben werde. In diesem werde ich die Themen Stabilität und Flexibilität in Bezug auf Unternehmensführung beleuchten. Danke dafür.

      Beste Grüße,
      Conny

  3. Jens says:

    …ich bin gespannt 😉

    LG, Jens

  4. Ilja Preuß says:

    Hallo Conny,

    hast Du ein Beispiel für ein Unternehmen in einer “stabilen Phase”?

    Ich würde momentan die These aufstellen, dass es nie ein komplettes Unternehmen ist, das sich in einer solchen befindet, sondern eher Teams. Und ich glaube auch weniger, dass es wirklich solche Phasen gibt, sondern vielmehr ein ständiges Bewegen in einem Kontinuum. Demnach müsste eigentlich jedes Team in jedem Moment für sich selber entscheiden können, wie viel Stabilität sie von ihrem Prozess gerade brauchen – und ihn selber entsprechend anpassen.

    • Hallo Ilja,

      da bin ich voll bei Dir. Ein Unternehmen müsste bestenfalls genau so aufgestellt sein. Das Schaffen dieser Rahmen, die es Teams und Menschen erlaubt und ermöglicht, eigenständig diese Entscheidungen zu treffen, steht für mich unter anderem für Management 2.0 oder Enterprise 2.0. Entscheidungen sollten stets dort getroffen werden, wo sie anfallen und notwendig werden. Denn dort ist die meiste Kompetenz für derartige Entscheidungen zu finden.

      Und da “stabile Phasen” stets für das jeweilige Unternehmen eigens definiert werden, gibt es viele Beispiele dafür. Immer dann wenn sich ein Unternehmen nicht im Wandel befindet, ist es in seiner speziellen “stabilen Phase”. Ob diese allerdings viabel ist zu der stets instabilen Phase der Umwelt sei dahin gestellt. Hier kommt das von mir in dem Post angesprochene Konstruieren der stabilen Phasen (Trivialisieren) zum Tragen.

      Beste Grüße,
      Conny

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