Das Fundament der Naturwissenschaft trägt nicht das Haus der Wirtschaftswissenschaft

Wissen muss auf ein Fundament, dem alles Erkennen und Wissen vorausgeht, basieren, auf welches man Argumentationsketten und Beweise letzten Endes zurückführen kann. Wäre dieses Fundament nicht gegeben oder zu brüchig, würden Beweise nie zu einem q.e.d. führen. Dieses Fundament ist nach Immanuel Kant die apriorisch reinen Formen Raum und Zeit und die apriorisch reinen Begriffe, die Kategorien. Ausschließlich für diejenigen Sachlagen und Probleme, für die ein äquivalentes Fundament besteht, kann man das Wissen, welches darauf aufbaut, auch auf diese anwenden. Das bedeutet beispielsweise, nur wenn die Naturwissenschaft und die Wirtschaftswissenschaft auf dem gleichen Fundament gebaut sind, lässt sich das Wissen der Naturwissenschaft auf die Wirtschaftswissenschaft übertragen. Aber trägt das Fundament der Naturwissenschaft die Wirtschaftswissenschaften? Nein. Trotzdem wenden wir die Erkenntnisse der Naturwissenschaft unreflektiert auf die Wirtschaft an. Das bedeutet, wir unterstellen, das Vorgänge der Wirtschaft, Naturgesetzen folgen. Das wir hier einem Irrtum erlegen sind habe ich bereits in meinem Post Wie das Messparadigma uns in die Irre führen kann ausgeführt. Umso erfreuter war ich, ein Dokument im Netz recherchiert zu haben, in welchem Prof. Dr. Wolfgang Deppert diese Thematik aufgreift und sehr anschaulich erläutert.

Deppert greift die oben angesprochenen Fundamente des Wissens auf und zeigt dass diese für verschiedene Systeme unterschiedlich sein können. Deppert nennt diese Fundamente übrigens Festsetzungen oder auch wissenschaftstheoretische Kategorien (ref. Seite 2 und 3). Deppert legt auf der Seite 7 Folgendes dar.

Der physikalische Reduktionismus, …, erweist sich als eine wissenschaftliche Sackgasse. Gerade die wissenschaftlich hochkomplexen Probleme der mordernen Zivilisation bishin zu den ökologischen Überlebensfragen kann er weder behandeln noch lösen.

Und stellt dementsprechend die Frage.

Welche anderen normativen Festsetzungen hinsichtlich der räumlichen, zeitlichen und gesetzesartigen Abhängigkeiten sind denkbar und welche Begründungen gibt es für sie?

Im Kapitel 6 behandelt Deppert die Zeit. Hier wird es für mich besonders interessant. Es geht konkret um die Metrisierung der Zeit, sprich um die Messbarkeit von Zeit. Deppert erklärt warum es grundsätzlich unmöglich ist, Zeit objektiv zu messen. Darauf bin ich in meinem Post Wie das Messparadigma uns in die Irre führen kann auch schon eingegangen. Aber Deppert geht den Weg weiter und erklärt als Ausweg den Begriff der periodischen Äquivalenz.

Periodisch äquivalent sollen zwei periodische Vorgänge dann heißen, wenn in einem Zeitraum, der durch eine bestimmte Anzahl von Perioden des einen Vorgangs gegeben ist, die Anzahl der Perioden des anderen Vorgangs gleich bleibt.

Vorgänge, die periodisch äquivalent sind gehören zu einer Klasse. So existiert beispielsweise die physikalische Klasse (Schwingungen eines Pendels, Oszillation von Atomen etc.), auf die die physikalischen Naturgesetze wunderbar anwendbar sind. Es gibt aber weitere Klassen, die nicht periodisch äquivalent zu der physikalischen Klasse sind. Die Perioden gehen also nicht im gleichen Takt. Das wären zum Beispiel die biologische oder auch die der Wirtschaft. Und das ist genau der Punkt, den Deppert auf der Seite 11 so schön ausmalt.

… so ist es inadäquat, die physikalische Zeit für die Beschreibung von zeitlichen Verhältnissen eines Organismus zu benutzen. So geschieht es jedoch heute in der Forschung ausschließlich.

Genauso inadäquat ist es die physikalische Zeit zur Beschreibung von Vorgängen in der Wirtschaft zu verwenden, da die Klasse der Wirtschaft ebenso wie die der Biologie nicht zu der physikalischen Klasse periodisch äquivalent ist. Ähnliche Aussagen lassen sich zum Raum treffen. Der Raum einer periodischen Äquivalenzklasse spannt quasi einen Möglichkeitsraum für Merkmalskombinationen dieser auf. Auch bezüglich dieser Möglichkeitsräume weisen Systeme gleicher periodischer Äquivalenzklassen gleiche Muster auf. Anhand der Kategorien Zeit und Raum lassen sich damit Muster und Strukturen ableiten, die für Systeme gleicher periodischer Äquivalenzklassen identisch sind; sie bilden die Gesetzmäßigkeiten.

Und genau an dieser Stelle befindet sich unser “blinder Fleck”. Wir übertragen Gesetzmäßigkeiten von einem System auf ein anderes System unabhängig davon ob diese in der gleichen periodischen Äquivalenzklasse liegen. Da nämlich die Fundamente unterschiedlich sind, ist auch das Wissen, das auf dieser Basis generiert wird, nicht per se kompatibel und einfach übertragbar. Wir müssen also annehmen und verinnerlichen, dass das Wissen welches wir aus den Naturwissenschaften generiert haben, nicht vollends und unreflektiert auf andere Bereiche angewendet werden darf. Was passiert, wenn wir es trotzdem tun, sehen wir wohl gerade an der derzeit stattfindenden Gesellschaftskrise, die nicht mehr nur eine Wirtschaftskrise ist.

Es gilt viel mehr die Fundamente der einzelnen Systeme, Natur, Wirtschaft, Medizin etc., zu ergründen und darauf aufbauend das Wissen zu generieren. Die Erkenntnisse, die auf den Gesetzmäßigkeiten der physikalischen Systeme Gültigkeit besitzen und von den Naturwissenschaften erzeugt wurden, sind nicht grundlegend falsch, sie muss nur erweitert werden, um damit auch das Wissen über die Grenzen der Systeme verschiedener periodischer Äquivalenzklassen hinweg anwendbar zu machen. Das Fundament der Naturwissenschaft muss ausgebaut werden.

Ein hervorragendes Beispiel für eine Synchronisation zwischen Systemen verschiedener periodischer Äquivalenzklassen ist der menschliche Körper, der sich im Laufe der Evolution an die verschiedenen Zyklen der Natur (z.B. Schlaf-Wach-Periode) angepasst hat.

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3 Responses to Das Fundament der Naturwissenschaft trägt nicht das Haus der Wirtschaftswissenschaft

  1. Joerg B. aus B. says:

    Hallo Conny,
    sehr interessant und auch in der Theorie nachvollziehbar. Hast Du für mich ein Beispiel, wo wir versuchen Gesetzmäßigkeiten der Naturwissenschaften auf die Wirtschaftswissenschaften anzuwenden. Kurzum, ein praktisches Beispiel, bei der wir aktuell Dinge versuchen in der Wirtschaft zu bewegen, die lediglich sinnvoll wären, wenn das Fundament der Naturwissenschaften auch das der Wirtschaft wäre und von daher bereits aus heutiger Sicht zum Scheitern verurteilt sind.
    Viele Grüße
    Joerg

  2. Hallo Jörg,

    vielen Dank für Dein Feedback. Gerne möchte ich Dir ein Beispiel nennen: Projektmanagement.

    Schaut man sich alle herkömmlichen PM-Methoden (PMI, Prince2, …) an, wird in ihnen suggeriert, dass man nur alle Aktivitäten, Ressourcen, Issue, Risiken etc. in Listen verwalten und steuern muss, um Erfolg zu haben. Selbst Business Benefits oder auch das Rechnen eines Business Case läuft so ab. Alles muss formal logisch darstellbar, rechenbar und messbar sein. Das haben wir vom Geiste der Naturwissenschaften übernommen. Nehmen wir wahr, dass es gewisse Thematiken oder Situationen nicht sind, werden diese einfach negiert und trivialisiert.

    Du kennst doch sicherlich auch die Einteilung der menschlichen Charaktere nach dem Myers-Briggs-Typindikator oder nach der Farbenskala rot, grün, blau (Mir ist der Name entfallen). Es kann und darf für uns nicht sein, dass sich Menschen in scheinbar gleichen Situationen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich verhalten. Wie will man das denn darstellen? Ist der Mensch nun grün oder blau? Auch Menschen werden also trivialisiert.

    Dabei sind es doch gerade im Projektmanagement die Menschen, die den Erfolg vom Misserfolg separieren. Das wird auch sicherlich Niemand abstreiten. Gehandelt wird jedoch nicht danach. Das ist wohl auch der Grund, warum in vielen Unternehmen eine für mich unverständliche Unterscheidung zwischen Führungskräften und Projektmanagern gemacht wird. Ein erfolgreicher Projektmanager muss Menschen führen können, um Erfolg zu haben. Das Gros der Gilde führen leider nur Listen.

    Diese Denk- und Handelsweise basiert auf dem Identitätsgesetz, welches Basis der Aristotelischen zweiwertigen Logik und damit der gesamten modernen Naturwissenschaft ist. Dieses Gesetz besagt, dass alles mit sich identisch und verschieden von anderem ist. Des Weiteren sagt der Satz aus, dass das Ding mit sich selbst identisch stabile Merkmale und Attribute besitzt. Beim genauen Hinsehen erkennt man das Ignorieren der Dynamik. Dieser Satz ist auf der einen Seite Ausdruck unseres statischen Denkens und auf der anderen Seite Ausdruck der Vereinfachung und Abstraktion, die wir von der Umwelt vornehmen, um überhaupt lebensfähig zu sein. Vom Standpunkt des Identitätsgesetzes existiert das Kontinuum nicht. Menschen ändern aber ihre Wünsche und ihre Meinung und Einstellung zu Themen etc. Das was heute zum Erfolg geführt hat, kann morgen Misserfolg hervorbringen. Diese Fakten werden mit diesem Satz ignoriert.

    Wissen aus den Naturwissenschaften eignet sich also sehr gut, um nicht-lebende Prozesse, wie zum Beispiel ein Uhrwerk oder ein Atomkraftwerk zu steuern, nicht jedoch lebende Prozesse, wie es ein Projekt ist, da es von Menschen gemacht wird. Dafür muss das Wissen der Naturwissenschaften angereichert werden. An dieser Stelle muss man auch erwähnen, dass der Leitspruch des PM Mainstream-Gurus Tom deMarco,

    Was man nicht messen kann, kann man nicht kontrollieren

    die er in seinem gleichnamigen Buch erörtert, ausschließlich für nicht-lebende Prozesse gilt, also für Projekte mit Vorsicht zu genießen ist.

    Mit dieser mechanistischen Denk- und Handelsweise, die in den Naturwissenschaften ihren Ursprung hat, stehen wir uns zwecks Neuerungen in der Wirtschaft, aber nicht nur dort, selber im Weg. Denn es werden Sicherheiten vorgegaukelt, wo doch gerade Unsicherheiten in dem Funktionieren des Bestehenden die Saat für Umbrüche sind. Wer diese Sicherheiten nicht vorgaukeln möchte, wird aus der Mainstream Managergilde ausgeschlossen, mit dem Vermerk der Inkompetenz.

    Ich hoffe ich habe Deine Frage nach einem Beispiel damit beantwortet.

  3. Hallo Jörg,

    ich habe noch ein sehr prominentes Beispiel: Assessment Center für potentielle Führungskräfte in Unternehmen.

    Was ist die Basis an die Effektivität und Effizienz solcher ACs zu glauben? Man muss Menschen als Maschinen betrachten und wahrhafte Objektivität bzgl. des Messens sieht man als möglich an. Nur wenn man also glaubt, Erkenntnisse der Naturwissenschaften auf den Menschen zu übertragen, sollte man ACs durchführen. Genauer gesagt, man überträgt Wissen, die für tote Materie gilt, auf das Leben, den Menschen. Das möchte ich kurz begründen.

    Beginnen wir mit dem ersten Part: Menschen sind Maschinen. Menschen sind dann am leistungsfähigsten, wenn sie mit Herz und Verstand bei der Sache sind. Bei einem AC kann man sicherlich nur die kognitiven Fähigkeiten, also den Verstand abtesten. Es ist eine durch und durch künstliche Atmosphäre mit künstlich zu bewältigenden Aufgaben. Fragt man Menschen nach Charaktereigenschaften, die eine gute Führungskraft ausmacht, hört man sehr häufig Authentizität. Wie will man sich aber authentisch in einer künstlichen Umgebung verhalten? Oder anders gefragt, was bedeutet es, wenn ein Mensch sich authentisch in einer künstlichen Umgebung verhält? Sucht das Unternehmen Schauspieler?

    Kommen wir zum zweiten Part: Objektivität beim Messen. Hier ist es wieder, das Messen. Im AC wird gemessen, wieviel Einheiten Führungskraft in dem Menschen bereits steckt und es wird analysiert, in welchen Bereichen noch wieviel Einheiten dazugepackt werden müssen, damit der erforderliche Level an Einheiten Führungskraft erreicht ist. Dabei muss noch bedacht werden, dass Diejenigen, die entscheiden, ob der Level an Einheiten Führungskraft bereits erreicht ist, Menschen sind, also Subjekte. Und Subjekte können niemals objektive Urteile abgeben. Da wird natürlich gleich entgegnet, dass die Prüfer speziell geschult und ausgesucht sind. Ja, richtig und von wem? Von Menschen.

    Wahre Führungskräfte bewähren sich im “richtigen Leben”, sprich bei der täglichen Arbeit. Hier gibt es keine künstlich definierten Arbeitspakete. Hier kann ein Mensch mit Herz und Verstand bei der Sache sein. Hier können auch Blender oder Schauspieler viel einfacher entlarvt werden, denn hier reicht es nicht alleine aus zu reden, sondern hier müssen Taten folgen, und das tagtäglich. Des Weiteren kann man hier auch auf die Meinungen Vieler bauen, nämlich die der Mitarbeiter und Kollegen, ob die potentielle Führungskraft auch wirklich Führungsqualitäten besitzt, sprich ob sie Menschen begeistern und mitreißen kann, und ob und wie sie sich in andere Menschen hineinversetzen kann.

    Warum halten wir weiter an ACs fest? Ich denke, weil wir es schon immer so gemacht haben, nicht genügend unsere Handlungen und Denkweisen reflektieren und weil wir eben an die Übertragbarkeit der Gesetze der Naturwissenschaften auf alle Bereiche des Leben glauben. Sehr fatal. Denn Schauspielern und Blendern wird im AC die Tür geöffnet, die ohne diese verschlossen bliebe. Ob dass den Personalabteilungen der Unternehmen präsent ist?

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