“Wir müssen agil sein, um wettbewerbsfähig zu sein”. Diesen Ausspruch höre ich sehr oft. Ich glaube(!) auch an diesen Ausspruch. Wissen werde ich es erst dann, wenn dieser wirklich bewiesen ist. Aber zu dieser Thematik verweise ich gerne auf meinen Post Ohne Glauben ist keine Sinnkopplung möglich. Meinen Glauben an diesen Ausspruch möchte ich heute erhärten, aber ebenfalls die im Titel gestellte Frage beantworten, nämlich ob auch in diesem Sinne heutzutage schon in Unternehmen gedacht und gehandelt wird.
Was bedeutet eigentlich Agilität? Eine mögliche und wie ich finde passende Definition habe ich hier gefunden.
Agil sein oder Agilität bedeutet nicht nur Wandel zu akzeptieren. Agilität geht einen Schritt weiter und fordert Wandel, wenn dies sinnvoll erscheint. Demnach müssen zwei Bedingungen erfüllt sein, damit eine Organisation als agil bezeichnet werden kann:
- Die Organisation akzeptiert und bewältigt Wandel.
- Die Organisation nutzt und löst Wandel zum eigenen Vorteil aus.
Man muss also Notwendigkeiten für einen Wandel im Unternehmen erstens erkennen, zweitens bewerten und dann drittens abhängig von der Bewertung reagieren, sprich entweder den Wandel einleiten oder eben nicht. Wenn ich diese Definition lese, komme ich zu dem Schluss, dass diese Herausforderung ein Unternehmen schon immer meistern musste. Es kommt in unserer heute immer vernetzter werdenden Welt noch ein Faktor hinzu, der die Herausforderung größer werden lässt und die Unternehmenslenker vor große Schwierigkeiten stellt. Das ist die Geschwindigkeit der auftretenden Änderungen, denen die Unternehmen ausgesetzt sind und die vom Markt (Kunden, Lieferanten, Wettbewerber) getriggert werden. Das bedeutet, der oben beschriebene zirkuläre Prozess des Erkennens, Bewertens und Reagierens auf Änderungen, muss in immer kürzeren Abständen vollzogen werden.
Genau dieser Fakt wird aber bei der klassischen Denk- und Handelsweise nicht berücksichtigt. Nach der klassischen Denk- und Handelsweise, die ihre Sinnhaftigkeit mit dem Taylorismus begründet, ist Denken und Handeln voneinander separiert. Es gibt Menschen im Unternehmen, die denken müssen. Diese Menschen gehören in der Regel dem Führungsteam an und sind verantwortlich für die Definition der Vision und der Ziele, für das Planen etc. Dann gibt es die Arbeiter, die ausführen und handeln müssen. Diese müssen nicht denken. Es ist ja alles bereits vorgedacht und auf dem Silbertablett serviert. Diese Denk- und Handelsweise hat in den Anfangszeiten der Industrialisierung Erfolge aufzuweisen. Nur jetzt, wo Unternehmen im Zeitalter des Internets agieren müssen, kommen Änderungsbedarfe immer häufiger. Handlungen müssen viel frequentierter auf Sinnhaftigkeit und Nutzbarkeit reflektiert werden. Die klassische, ich habe in vielen meiner Posts auch von der mechanistischen Denk- und Handelsweise gesprochen, sind durch die agile Denk- und Handelsweise zu ersetzen. Best Practice is out, Own Practice is in.
Ich möchte nun den oben beschriebenen Prozess des Erkennens, Bewertens und Reagierens bildlich darstellen und daran die Unterschiede zwischen der klassischen und agilen Denk- und Handelsweise erklären.
Bei der agilen Denk- und Handelsweise ist man sich bewusst, dass es sinnlos ist, langfristige Ziele auszuloben, die man unbedingt erreichen möchte. Zum einen werden externe Einflüsse dazu führen, dass ein Plan, den man erstellt hat, um dieses Ziel zu erreichen, immer wieder obsolet wird, da Unvorhersagbarkeiten nicht im Plan enthalten sind. Zum anderen ist man sich auch bewusst, dass sich Ziele aufgrund der externen Einflüsse ändern werden. Dementsprechend wird in kleinen Iterationen gedacht und gehandelt. Änderungen sind also ganz bewusst eingeplant und gewollt. Sie werden als wünschenswert angesehen und sind Ergebnis eines Lernprozesses des gesamten Unternehmens. Ein Unternehmen ist quasi in einem nicht endenden Lernzyklus. Ein Reagieren führt zu einem Zustand, der erkannt und bewertet werden muss. Auf Basis der Bewertung wird dann wieder reagiert usw. usf. (Achtung: Keine Reaktion ist auch eine Reaktion, ebenso wie keine Entscheidung auch eine Entscheidung ist.)
Im Gegensatz dazu möchte man sich bei der klassischen Denk- und Handelsweise an Langfristzielen messen. Ein sehr gutes Beispiel für die Inthronisierung der klassischen Denk- und Handelsweise sind die klassischen Projektmanagementmethoden, die noch nach dem Wasserfallprinzip aufgebaut sind. Mit der Motivation, ein Langfristziel zu erreichen, ist es natürlich selbstverständlich Änderungen als unerwünscht anzusehen. Da man sich diesen Änderungen trotzdem nicht entziehen kann, das erkennen selbst die klassischen Projektmanager, hat man den Change Request Prozess institutionalisiert. Da Änderungen wie gesagt unerwünscht sind, legt man den Änderungsstellern “Steine in den Weg”. Sie müssen beschreiben und begründen, weshalb diese Änderung wichtig ist. Dieser Prozess dauert dann in der Regel oft so lange, dass ich oft erlebt habe, dass der eigentliche Änderungswunsch nach der Genehmigung, wenn er dann genehmigt wird, bereits obsolet ist. Mit dem Change Request Prozess im Rahmen eines klassischen Projektmanagements reagiert man also nicht auf den Fakt, dass ein Projekt immer frequentierteren Änderungen unterlegen ist.
Bei einer klassischen Denk- und Handelsweise unterzieht man sich auch einem viel größeren Risiko als bei der agilen. In dem man ein Langfristziel auslobt und dieses versucht zu erreichen, hat man genau einen Schuss und dieser muss sitzen. Sitzt dieser nicht, hat man in der Regel hohe Kosten ohne Ertrag gehabt. Bei der agilen Denk- und Handelsweise ist oft ein Langfristziel gar nicht bekannt. Man steckt kurzfristige Ziele ab und versucht diese zu erreichen. Die kurzfristigen Ziele werden immer wieder auf Sinnhaftigkeit validiert, was dazu führen kann, das weniger “Geld verbrannt wird”, da man schneller die Irrpfade bemerkt. Allerdings sind diese kurzfristigen Ziele notwendig, da man meiner Meinung nach ohne Ziele handlungsunfähig ist, da man keine Motivation für irgendein Agieren besitzt. Wohin jedoch diese Kurzfristziele langfristig zielen kann man nicht wissen, also muss man es auch nicht thematisieren. Die meisten Unternehmen berücksichtigen diesen Fakt nicht. Es gibt gar eigens abgestellte Abteilungen, meistens im Controllingbereich, die für nichts anderes verantwortlich sind, als für die Langfristplanung. Oft höre ich auch, dass detaillierte langfristige Projektpläne, Gantt-Charts, PERT-Diagramme etc. Sicherheit geben, die man benötigt, um den Status von Aktivitäten zu erkennen. Allerdings ist diese Sicherheit nur eine Scheinsicherheit. Glaubt man dieser Sicherheit, schippert man mit seinem Projekt in einer selbst konstruierten Scheinwelt. Den Schein erkennt man irgendwann und zwar aller spätestens zum Ende von geplanten Aktivitäten. Dann ist aber in der Regel alles zu spät.
Ich möchte Ihnen Effectuation als eine agile Denk- und Handelsweise empfehlen. Details finden Sie auf dieser Seite im Netz. Klicken Sie den dritten Registerpunkt “Über Effectuation” auf der linken Seite im Navigationsmenü an, erhalten Sie einführende Erklärungen. 4 handlungsleitende Prinzipien, die Effectuation hervorbringt und die Sie auf der Seite zu finden sind, sind aus meiner Sicht absolut bemerkenswert.
- Prinzip der Mittelorientierung: Beginnen Sie bei wer Sie sind, was Sie wissen und wen Sie kennen – nicht bei “mythischen Zielen”.
- Prinzip des leistbaren Verlusts: Orientieren Sie Ihren Einsatz am leistbaren Verlust – und nicht am erwarteten Ertrag.
- Prinzip der Umstände und Zufälle: Nutzen Sie Umstände, Zufälle und Ungeplantes als Gelegenheiten, anstatt sich dagegen abzugrenzen.
- Prinzip der Vereinbarungen und Partnerschaften: Treffen Sie Vereinbarungen und bilden Sie Partnerschaften mit denen, die mitzumachen bereit sind, anstatt sich abzugrenzen oder nach den “richtigen” Partnern zu suchen.
Welches Resümee möchte ich abschließend zur Diskussion stellen? Es wird nicht flächendeckend genug in Unternehmen agil gedacht und gehandelt. Dass die Notwendigkeit dafür besteht, habe ich hoffentlich plausibel genug dargelegt. Dass dieser Notwendigkeit aber nicht Rechnung getragen wird liegt wohl daran, dass in der Vergangenheit mit der klassischen Denk- und Handelsweise der Unternehmensführung Erfolg erwirtschaftet wurde und ein Vergessen uns Menschen schwer fällt (hier und hier). Also lassen Sie uns das Vergessen lernen um agil zu werden. Die 4 Prinzipien von Effectuation können nur den Platz in unserem Kopf finden, wenn wir es verstanden haben, unseren Erfolg der Vergangenheit zu vergessen. Let us learn to unlearn.
Hallo Conny,
Ich möchte Deine These gern noch weiter untermauern. Im einem Absatz verweist Du auf die erzielten Erfolge, die gerade im Rahmen der ersten industriellen Revolution und auch noch in der zweiten durch Managementtechniken erreicht wurden, die vorsahen, Entscheidungen und Anweisungen hierarchisch von oben nach unten in die Organisation zu tröpfeln und sie mit einer langfristigen Perspektive zu versehen.
Dies war tatsächlich so lange ein sehr gut funktionierendes Prinzip, wie unsere zentrale Gesell- und Marktwirtschaft durch autarke Denkweisen geprägt gewesen sind und wir dem einseitigen, newtonschen Grundgedanken von Ursache-und-Wirkung hinterher gerannt sind.
Doch ich geb Dir Recht. In Zeiten, der wir uns der dritten industriellen Revolution, das heißt die Etablierung von gewaltigen, lateralen Informations- und Kommunikationsnetzwerken sowie in zunehmender Gestalt auch größeren Netzwerken für die Energieallokation nähern (und Veränderungen in diesen beiden Medien war schon immer „Anstifter“ einer gewaltigen industriellen Veränderung), gilt es auch, ein Umdenken in Managementtechniken, Bildung und eben auch Projektmanagementmethoden herbeizuführen. Schnelligkeit und Dezentralität ist die – nicht mehr ganz – neue Philosophie. Doch Umdenken fällt schwer. Schließlich haben die guten alten Prinzipien seitdem das erste Buch mit Hilfe einer Dampfmaschine gedruckt wurde, erfolgreich funktioniert. Wir müssen aber mehr als anfangen, unser Denken umzustellen und unser Handeln nicht nur als eine lineare Ursache-und-Wirkung Beziehung zu begreifen. Für die Wirtschaft nach Adam Smith, gebaut auf den Ideen der „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“ und allen damit verbundenen Prinzipien heißt das, komplexere (entropische) Zusammenhänge zu erkennen, sie in Form von Netzwerken aktiv zu gestalten und durch laterale Führung und Agilität erfolgreich und schnell zu bearbeiten.
Viele Grüße, Jens
Hallo Jens,
ich kann Dir in allem uneingeschränkt zustimmen. Eine Anmerkung habe ich noch zum Verlernen.
Das Verlernen oder auch der Anschubpunkt zum Wandel liegt in der Regel auf der Höhe des Erfolgs. Das wiederspricht unserer Intuition, was auch der Grund ist, warum dieser Fakt ignoriert wird. Wir benötigen also Hilfsmittel, diese Muster zu erkennen. Hier spreche ich es schon an: Muster. Schaut man sich heutige BI Lösungen an, ich konzentriere mich jetzt mal auf das Führen von Unternehmen, obwohl dieser Fakt auf viele Bereiche zu übertragen ist, dann werden in den Darstellungsweisen der Kennzahlen und KPIs Muster nicht berücksichtigt. Entweder man konzentriert sich auf den “Wald”, der in Managementberichten reflektiert wird, oder eben auf die “Bäume”, die in operativen Berichten im Fokus sind. Um Musterbrüche, denn genau diese lassen einen möglichen Umbruch erkennen noch bevor dieser real wird, zu erkennen benötigen wir aber Darstellungsweisen, die beides, den Wald und die Bäume zusammen zeigen. Hier möchte ich auf das Unternehmen Tonbeller verweisen, die sich neueste Erkenntnisse aus der Erkenntnistheorie, einem Forschungsgebiet der praktischen Philosophie, der Kybernetik und der Systemtheorie zu Nutze gemacht haben, um zu validieren WAS und WIE den Managern und Führungskräften von Unternehmen Daten dargereicht werden müssen, damit diese in relevante Informationen transformiert werden können. Ich werde diesem Thema bei Zeiten einen separaten Post widmen.
Beste Grüße,
Conny
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