Gebhard Borck thematisiert in seinem Blog und gleichnamigen Buch Affenmärchen – Arbeit frei von Lack und Leder unter anderem die Sinnkopplung. Hier meine interpretierte Kurzform
Tätigkeiten, die von Menschen ausgeführt werden sollen, müssen für diese Sinn machen. Dieses „Sinn machen“ wird nicht, wie von vielen Mainstreamquellen aufgezeigt, durch Sinnstiftung, sondern durch Sinnkopplung erreicht. Sinnstiftung ist deshalb eine Illusion, weil den Menschen nicht von außen Sinn eingetrichtert werden kann. Menschen erzeugen in sich einen Sinn in dem sie koppeln.
Details können Sie in Gebhards Blog und eben in seinem Buch recherchieren. Mir geht es in meinem heutigen Post darum zu evaluieren, was es unter anderem braucht um überhaupt Sinn zu koppeln. Der Titel dieses Posts sagt es ja schon aus. Es ist der Glauben. Auf dem Weg zu dieser Erkenntnis half mir vor allem die Mathematik weiter. Sie lesen richtig. Mathematik bestärkt mich darin, dass der Glaube wichtig ist und eben nicht das Wissen, denn der Volksmund sagt ja: “Glauben ist nicht wissen.” Wie es dazu kam möchte ich jetzt kurz darlegen.
Ich bin vor geraumer Zeit durch Zufall auf das Buch Eine gewisse Ungewissheit oder Der Zauber der Mathematik von Gaurav Suri und Hartosh Sigh Bal gestoßen, von dem das Cover nebenstehend abgebildet ist. Ich habe es mir bestellt und regelrecht verschlungen. In diesem Buch wird in Romanform der Zauber der Mathematik enthüllt, in dem mathematische Erkenntnisse auf das praktische Leben gespiegelt werden.
Die Hauptfigur dieses Buches ist Ravi. Als kleiner Junge bekommt er von seinem Großvater den Mathematikvirus eingeimpft, in dem er kleine mathematische Knobeleien von ihm vorgesetzt bekommt. Nach dem Tod seines Großvaters verblasst sein mathematisches Interesse und wird erst wieder während seines Studiums Stanford wieder zum Leben erweckt. Ravi belegt ein Seminar über Unendlichkeit. Durch die gewonnenen Erkenntnisse in diesem Seminar und vor allem auch durch die Gespräche mit dem Dozenten dieses Seminars, Nico, und mit seinen Kommilitonen wird die Frage nach der absoluten Gewissheit oder Wahrheit debattiert. Verstärkt wird die Wichtigkeit der Klärung der Frage nach der absoluten Gewissheit noch durch die Recherchen, die Ravi anstellt, nachdem er herausgefunden hat, dass sein geliebter Großvater, der in ihm das Mathematikfieber geweckt hat, im Jahre 1919 in New Jersey wegen Verstoßes gegen das Blasphemiegesetz im Gefängnis saß. Im Zuge dieser Recherchen analysieren er und seine Kommilitonen Gespräche zwischen seinem Großvater, einem Atheisten, der absolut sicher ist, die Nichtexistenz Gottes mathematisch zu beweisen, und dem Untersuchungsrichter, der streng gläubiger Christ ist. An dieser Stelle möchte ich nicht vorgreifen, um Ihnen die Spannung nicht zu nehmen. Aber eines muss ich los werden, bevor ich den Glauben thematisieren möchte.
Es ist atemberaubend, wie der Mathematik, die die meisten von uns aus der Schulzeit wohl als trocken und verstaubt in Erinnerung haben, hier Leben eingehaucht wird. Zweieinhalbtausend Jahre abstraktes Denken, von Pythagoras und Euklid bis hin zu Riemann, Hilbert, Cantor und Gauß, werden benutzt um sehr praxisnah die Frage nach absoluter Gewissheit zu beantworten. Man kann die Begeisterung von Ravi und seinen Kommilitonen richtig fühlen, die sie für die Mathematik entwickeln. Nico, der Dozent des Seminars über Unendlichkeit, stellt sehr oft einfache Fragen, die von den Studenten relativ leicht zu beantworten sind. Die Antworten zahlen aber in die finalen Ergebnisse und den gewonnenen Erkenntnissen ein. Die Studenten haben also Erfolgserlebnisse und auch das Gefühl beteiligt zu sein. Der Dozent und sie sind ein Team, die gemeinsam Erkenntnisse gewinnen. Ich bin mir sicher, wenn der Mathematikunterricht in den Schulen und die Mathematikvorlesungen in den Hochschulen ähnlich ablaufen würden, gäbe es mehr Mathematikinteressierte. Diese Thematik habe ich in meinem Post In der Schule verlernen Schüler das Denken thematisiert.
Bei der Offenlegung der Wichtigkeit des Glaubens spielt das 5. Postulat von Euklid eine wichtige Rolle. Denn nachdem Ravi und seine Kommilitonen auf dem Weg der Erkenntnissuche auf Basis dieses Postulats herausfanden, dass es mehrere konsistente Theorien mit unterschiedlichen Aussagen geben kann, erschien ihnen das Leben irgendwie sinnlos. Denn sie haben gerade Mathematik studiert, um echte wahre Gewissheiten aufzuspüren. Da das nun nicht mehr möglich schien, gab es aus ihrer Sicht keinen Weg aus der Sinnlosigkeit. Ein kleiner Monolog von Adin, einem von Ravis Kommilitonen, den sie im Buch auf den Seiten 377 und 378 finden, macht dieses Unbehagen deutlich.
Dieses Unbehagen verflog dann gerade bei Ravi sehr schnell nachdem er einen Tagebucheintrag des Untersuchungsrichters las, welchen dieser im Jahre 1930, also gut 11 Jahre nach den Gesprächen mit Ravis Großvater im Gefängnis, verfasste. In diesem Tagebucheintrag, welchen Sie in dem Buch auf den Seiten 387 bis 417 finden, zog der Richter Resümee über die Begegnung mit Ravis Großvater. Er kam für sich zu der Erkenntnis, dass es unmöglich ist irgendetwas zu beginnen ohne zunächst an etwas zu glauben. Für ihn ist es beispielsweise der Glaube an Gott. Für Ravis Großvater ist es der Glaube dass mathematische Objekte außerhalb des menschlichen Denkens, unabhängig vom Bewusstsein existieren. Es gibt also ganz unterschiedliche Schattierungen von Glauben. Jeder Mensch muss im Anfang an etwas glauben, um Sinnkopplung betreiben zu können. Sinnkopplung setzt also Glauben voraus. Da der Glaube aber nicht beweisbar ist, sonst wäre es kein Glaube, kann es in dem Sinne wie wir absolute Gewissheit verstehen, diese nicht geben. Es ist also sinnlos nach der absoluten Gewissheit zu suchen. Vielmehr ist es bedeutend, dass jeder Mensch einen Ausgangspunkt hat, der für ihn als einigendes Prinzip dient, nach dem dieser dann denkt und agiert. Die Frage nach der Wahrheit dieses Ausgangspunktes ist unbeantwortbar. Die Frage nach der Passbarkeit schon, denn aus dieser entscheidet sich, ob Menschen miteinander koppeln können oder eben nicht. Damit will ich natürlich nicht die Wichtigkeit des Wissens bestreiten, sondern einzig und allein die Existenz von absolutem Wissen.
Hallo Conny,
vielen Dank für diesen Artikel und den Buchtip!
Es ist eine wunderbare Perspektive auf die Anwendbarkeit von Sinnkopplung und die Unendlichkeit von Sinn selbst.
Gruß
Gebhard
Hallo Gebhard,
das mache ich immer wieder gerne, da ich zwischen uns eine Sinnkopplung wahrnehme. 🙂 Ich möchte zwei Punkte meines Posts noch einmal schärfen.
1.
Ich schrieb von Passbarkeit von Glauben. Damit meine ich nicht, dass Glaubensinhalte zweier Menschen übereinstimmen müssen, damit sie sinnkoppeln können. Das erkennt man im Roman an dem Untersuchungsrichter und Ravis Großvater. Der eine ist Atheist, der andere Christ. Das ändert sich auch bis zum Ende nicht. Im Laufe ihrer Gespräche erkennen sie aber jeweils beide, dass sie einen Sinn darin sehen, die Gespräche zu führen. Sie können gar nicht genug davon bekommen. Das blinde Verstehen kann man quasi fühlen beim Lesen. Ähnliches hat sicherlich jeder schon im “wirklichen” Leben erfahren. Gründe für diese Sinnkopplung lassen sich dann meistens sehr schwer rational begründen.
2.
Ich schrieb, dass der Anfang von irgendetwas immer ein Glaube sein muss. Wann kann man sagen, dass man etwas ganz genau weiß? Wenn man dieses auf etwas gesichertes zurückführen, es also beweisen kann. Ich habe beispeilsweise das Wissen A, weil dieses auf Wissen B zurückführt. Das ist eine Kausalkette. Die benötige ich für meine Beweise. Mit dem Wissen B kann ich vielleicht ähnlich hantieren. Ich habe Wissen B, weil ich es auf Wissen C zurückführen kann. Das kann ich vielleicht beliebig oft fortführen. Irgendwann aber habe ich das Ende der Kette erreicht. Dann bin ich vielleicht bei Wissen Z angelangt. Woher weiß ich Wissen Z? Entweder kann ich es auf Wissen A bis Y zurückführen. Dann befinde ich mich aber in den Fängen des Zirkelschlusses. Denn ich beweise eine Erkenntnis 1 auf Basis einer anderen Erkenntnis 2, die ich aber erst besitze weil ich die Erkenntnis 1, die ich jetzt beweisen möchte als Basis gesetzt habe. Das funktioniert also nicht. Damit bleibt nur ein anderer Ausweg. Ich glaube ganz einfach an Wissen Z. Auf Basis dieses Glaubens an Wissen Z kann ich dann mein Wissen konstruieren und erzeugen. Was passiert aber, wenn ich merke, dass ich nicht mehr an Wissen Z glauben kann? Dann ist das gesamte darauf aufgebaute Wissen regelrecht futsch.
Deshalb kann es aus meiner Sicht kein absolutes Wissen oder keine absolute Gewissheit geben. Deshalb sage ich auch immer wieder, dass meine Reise des Verstehens niemals enden wird.
Beste Grüße,
Conny
Sehr schön, Conny! Du erinnerst Dich an unsere Diskussion über die Wahrheit im letzten Winter. Ich habe damals gerade das Buch von Suri und Singh Bal gelesen und bin zum Schluss gekommen, dass alles nur Glaube ist, keine Gewissheit und keine Wahrheit. Ich habe mehrere Blogeinträge darüber geschrieben, z.B. “Es gibt keine absolute Wahrheit” (http://bit.ly/NjL0sM) in welchem ich das Buch ebenfalls empfahl oder bereits 2009 “Am Anfang steht der Glaube” (http://bit.ly/Lu2c9j).
Interessant ist der Eindruck, den das Buch bei uns beiden hinterliess und was wir daraus schliessen. Auch das basiert auf Glauben. Während ich zum Schluss gekommen bin, dass es keine Wahrheit gibt, siehst Du einen gemeinsamen Glauben als Schlüssel zur Sinnkopplung.
Ich kann Dir absolut beipflichten. Der Glaube macht den Sinn aus, den wir in eine Sache legen. Ich verstehe nur das Wort “Sinnkopplung” nicht. Glaube ist für mich sinnstiftend. Aber ja, Sinn kann nicht von Aussen kommen. Ich ahne, dass Du mit “sinnkoppeln” meinst, dass zwei Menschen gleichen Glaubens gegenseitig Sinn induzieren können.
Auch das Gegenteil der Entkoppelung ist zu beobachten, leider noch viel mehr. Der Glauben trennt, sät Hass und Zorn. Nicht nur des religiösen Glaubens wegen haben Menschen Kriege geführt, noch vielmehr wegen nicht-religiösen Schattierungen des Glaubens. Der Glaube an “das Richtige” ist es auch, der Organisationsentwicklungs- und Changeprojekte so schwer macht. Der drohende Verlust eines Glauben hat auch etwas mit Existenzängste zu tun.
Ich finde die Erkenntnis, wie wichtig der Glaube ist, sehr faszinierend. “Glauben” kann auch mit “mentale Modelle” übersetzt werden. Aber woher kommen eigentlich Glaubenssätze und mentale Modelle? Wie gelangen sie in unsere Köpfe? Ich identifiziere zwei Quellen: 1. Autoritäten, Traditionen, Kultur, Geschichte. 2. Eigene Anschauung und Wahrnehmung. Meistens entwickelt sich 1. aus 2.
Das Parallelenaxiom basiert auf Anschuung. Es ist doch sonnenklar, dass es zu einer gegebenen Garde durch einen Punkt, der ausserhalb dieser Geraden liegt, nur eine parallele Gerade geben kann. Mehrere Millionen Menschen glaubten mehrere Tausend Jahre lang an diesen Hafenkäse. Und als es einigen endlich dämmerte, kam es sogar unter Mathematikern zu hässigen Anfeindungen.
Ich werde dem Thema “Glauben” wieder vermehrt Aufmerksamkeit schenken. Es ist eine grundlegende Voraussetzung für ein erfolgreiches Management, was man glaubt.
Vielen Dank für Deinen Blog, lieber Conny.
Hallo Peter,
danke für Dein Feedback. Das ist richtig. Deine Reaktion zu meinem Post “Lässt sich über Wahrheit wahr sprechen”, den ich in diesem Post auch zugelinkt habe, hat mich zum Weiterdenken in dieser Thematik animiert. Danke dafür.
Beste Grüße,
Conny
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