Methoden und Komplexität – eine brisante Kombination

Am 4. Mai habe ich das PM Camp Hamburg besucht. Es war das erste Mal, dass ich auf einem der PM Camps zu Gast war und teilgeben durfte. Einige Menschen spotteten schon, mich gäbe es gar nicht im realen Leben, sondern nur in der Bloggingsphäre. Diese Hypothese habe ich nun ins Reich der Fabeln verwiesen. 🙂 Mein generelles Fazit zum PM Camp fällt extrem positiv aus. Die Organisation war Weltklasse. Der Fokus der Diskussionen lag hauptsächlich auf dem “Menschen”. So muss es sein. Lasst uns diese Richtung konsequent fortsetzen.

Gleich am Anfang des PM Camps am ersten Tag habe ich einen Pecha Kucha Vortrag halten dürfen. Der Titel war “Komplexität verspeist Methodik, oder warum Wasserfall auch agil sein kann”. Nachfolgend sehen Sie den Videomitschnitt zu dem Vortrag.

Hier nun auch in Worten mein Vortrag nachgezeichnet.

Was sind Methoden und warum haben wir sie?

Menschen in Unternehmen übersetzen Signale des Marktes (Kundenbedürfnisse, Produkt-Launches von Wettbewerbern, Kauf von Teilen bei Lieferanten, …) in interne Signale. Damit schaffen wir Strukturen in Unternehmen, die etwas Gemeinsames darlegen. Sie erzeugen eine Sprache für Verständigung und sparen dadurch Zeit und Ressourcen. Man muss sich nicht jedes Mal neu zusammen justieren.

Welche Prämisse setzt man hier aber voraus? Diese Transformation der Marktsignale in interne Signale sollte nicht allzu häufig passieren. Es geht also nur um Effizienz, da im Unternehmen klar ist, was getan werden muss. Es muss nur schnell und kostengünstig getan werden. Effektivität steht hinten an. Stimmt diese Prämisse denn? Nein, sie hat noch nie gestimmt. Nur früher wurde das Agieren nach dieser Prämisse vom Markt nicht abgestraft. Früher hatten wir einen Verkäufermarkt. Heute aber, wo Kunden nicht nur konsumieren, sondern auch produzieren, haben wir einen Käufermarkt. Effektivität wird immer wichtiger.

Das bedeutet, es ist eben nicht klar, was in Unternehmen getan werden muss, um den Markt zu bedienen und zu gestalten. Damit stehen aber auch die Methoden immer wieder auf Probe und müssen auf Passfähigkeit evaluiert werden. Das fällt uns Menschen schwer. Da mit Methoden auch andere Strukturen ausgebildet werden, wie beispielsweise Rollen. Wir Menschen identifizieren uns in Unternehmen so unglaublich gerne mit Rollen. Sie geben Sicherheit, auch wenn es nur zum Schein ist. Das Hinterfragen der Methoden fällt uns also schwer und das ist urmenschlich. Das Agieren nach Methoden artet in meinen Augen häufig in ein Fröhnen und Zelebrieren aus. Es ist so, als würden wir vor jeder Mahlzeit das Besteck bewundern und darüber debattieren wie schön glänzend dieses doch ist, bevor wir uns ans Essen heran machen.

Ein erweiterter Blick auf Methoden

Methoden geben vor was getan werden sollte. In komplexen Situationen ist aber hilfreich zu wissen, was nicht getan werden sollte, damit dann situativ und kontextbasiert gedacht und gehandelt werden kann. Methoden sollten einen leeren Handlungsrahmen vorgeben. Bei komplizierten Problemen hilft Wissen weiter, bei komplexen eher Nichtwissen. Warum? Komplexität hat mit Lebendigkeit zu tun und Lebendigkeit mit Widersprüchlichkeit. Würden wir Methoden widersprüchlich definieren, würden sie den Wert für uns verlieren.

Nehmen wir das Beispiel “Wandel im Unternehmen”. Wandel in Unternehmen geht nur von innen heraus. Will man also Wandel forcieren, muss man Teil des Unternehmens bleiben, also Regeln im Unternehmen beachten und befolgen. Wandel setzt aber nun gerade auch voraus, Regeln zu brechen und damit zu ändern. Was soll also nun ganz genau getan werden, um Wandel zu befeuern? Klärt uns hier eine Methode auf? Nein.

Menschen machen Unternehmen erfolgreich, nicht Methoden. Deshalb sind Methoden an sich weder “gut” noch “schlecht”. Wir Menschen entscheiden über die Passfähigkeit von Methoden, nämlich über die Auswahl und den Einsatz dieser je nach Problem. Deshalb sind auch für mich Methoden wie “Wasserfall” oder “Scrum” weder agil noch nicht agil. Eine Wertung ergibt sich erst aus der Verwendung durch Menschen in bestimmten Kontexten. Überhaupt ist die Frage “Müssen wir agil sein?” ähnlich irrelevant, wie die Fragen “Müssen wir regelmäßig Nahrung zu uns nehmen?” oder “Ist es wichtig zu atmen?”.

Wir können mit Lebendigkeit und damit mit Widersprüchen umgehen. Das beweisen wir tagtäglich beispielsweise im privaten Umfeld. Im beruflichen Kontext tun wir uns schwer. Menschen mutieren in Unternehmen oft zum Werkzeug der Methode. Es sollte eigentlich anders herum sein. Dadurch aber verhindern Methoden eine Verantwortungsübernahme für Misserfolg und stehen damit Lernen im Wege.

Ein möglicher Ausweg

Shu-Ha-Ri kommt aus der japanischen Kampfkunst. “Shu”, als erste Stufe des Lernens bezeichnet, bedeutet so viel wie “erhalten oder gehorchen”. Man lernt, indem man stur gegebenen Regeln folgt. Ich spreche hier auch gerne von einem kontextlosen Befolgen von Regeln. “Ha”, die zweite Stufe, lässt sich übersetzen mit “(auf)brechen, frei werden, abschweifen”. Hier geht es darum, die kontextlosen Regeln und Standards zu interpretieren und auf den Kontext abgestimmt zu variieren. Dazu gehört also, den Sinn und Zweck der einzusetzenden Methoden zu verstehen, um so über das reine Befolgen dieser hinaus zu kommen. “Ri”, als dritte und höchste Stufe, schließlich bedeutet “verlassen, trennen, abschneiden”. Hier wird gemeint, die gegebenen Muster hinter sich zu lassen um, von eigenen Impulsen gesteuert, eigene Wege zu gehen.

Die Erfahrung und das Beherrschen der Regeln ist dabei die Voraussetzung, um sich als Mensch im jeweiligen befindlichen Kontext unabhängig von Methoden zu machen. Methoden sind nur mit der entsprechend Geisteshaltung der anwendenden Menschen erfolgversprechend.

Im Anwenden von Methoden muss man imstande sein so zu denken wie Derjenige, der die Methode erfunden hat. Der Sinn und Zweck hinter der Methode muss verstanden und verinnerlicht sein. Hierzu gerne ein Beispiel. Warum gibt es nach Kanban WIP Limits? Viele Menschen, die Kanban verwenden, habe ich gefragt. Die meisten Menschen haben sich auf Schulungen berufen, in denen dieser Inhalt vermittelt wurde. Andere haben an die schädliche Wirkung von Multitasking gedacht. Der eigentliche Grund für WIP Limits liegt in der Notwendigkeit des Ausrichtens auf den Engpass in einer Kette von nacheinander von einander abhängigen Arbeitsschritten. Denn der Engpass bestimmt den Durchsatz dieser Kette. Details kann man in der Theory of Constraints (ToC) von Eliyahu Goldratt nachlesen.

Ich habe also genau dann die höchstmögliche Methodenkompetenz, wenn ich Methoden so gut verinnerlicht habe, das ich sie zum Lösen von Problemen nicht mehr benötige. Leider gelangen wir in der westlichen Gesellschaft über die erste Stufe “Shu” meist nie hinaus, unter anderem deshalb weil wir für Misserfolg ungerne Verantwortung übernehmen wollen. Wir suchen bei Misserfolg immer gleich nach einer neuen Methode.

Noch einmal ganz deutlich gesagt. Ich bin nicht gegen Methoden, nur für eine differenzierte Sicht auf diese. Denn nur mittels bewusstem Umgang mit Methoden, um Stärken und Schwächen wissend, lassen sich diese erfolgreich einsetzen. Methoden geben Auskunft über ein Handeln an sich. Sie inkludieren dort aber nicht den jeweiligen Kontext einer spezifischen Situation. Dieser Kontext kommt ausschließlich vom Menschen über Wahrnehmung und Reflektion. Und nun meine These zum Schluss, über die wir sicherlich im Laufe dieser Veranstaltung noch diskutieren können.

Gründe für Erfolg in komplexen Umgebungen, wie Unternehmen welche sind, kann man nicht beschreiben, lassen sich dementsprechend auch nicht in Methoden zusammen fassen. Gründe für Misserfolg lassen sich schon beschreiben, nämlich in Form von Methodik.

Beispiele dafür gibt es extrem viele.

Eine nachfolgende Diskussion

Nach dem PM Camp hat sich auf Twitter eine Diskussion rund um eine ähnliche Fragestellung entbrannt. Ich habe die folgende Hypothese in den Raum gestellt.

Das Schwierige an Komplexität? Schon wenn wir darüber reden oder schreiben, transformieren wir diese in Kompliziertheit. Unserer Sprache bedingt. Kategorienfehler! Nur haben wir derzeit keine anderen Mittel zur Verfügung. Oder?

Den kompletten Thread dazu können Sie hier nachvollziehen.

Warum passt diese Diskussion sehr gut zum Methodizismus? Methoden entstehen auf der Hypothese, wir könnten zu einem Problem eine Lösung analytisch herleiten und dann in Form von Methoden formal-logisch sauber dokumentieren. Komplexe Probleme sind aber emergent. Das bedeutet, man kann komplexe Probleme eben nicht in Teilprobleme zerlegen, diese dann lösen und dann die Teillösung zu einer Gesamtlösung zusammensetzen. Mit dieser Vorgehensweise zerstören wir die Emergenz und damit die DNA des komplexen Problems. Wir sind einem Kategorienfehler aufgesessen, da wir ein transformiertes kompliziertes Problem lösen, nicht das eigentlich komplexe.

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5 Responses to Methoden und Komplexität – eine brisante Kombination

  1. Pingback: [Reise des Verstehens] Methoden und Komplexität – eine brisante Kombination

  2. Thomas Braun says:

    Einmal mehr eine hoch interessante und für mich nachvollziehbare Darlegung. Spannend auch die japanische Kampfkunst, die Stufen entsprechen 1:1 inhaltlich auch der Reifung gemäss dem Ritus der Freimaurer. Da ja fast alle grossen Denker im deutschsprachigen Raum Freimaurer waren, ist das schon eine interessante Parallele. Zu den Methoden – ja, Methoden gibt es viele und auch viele sehr gute Methoden. Es geht aber zuerst um die geistige Haltung des Problemlösers und der Probleminhaber. Das hat schon Aristoteles gesagt. Redner muss einem Ethos haben, die Zuhörenden Klarheit haben über ihren Pathos – mit dem Logos (Argumentation / Methodik) geht es dann ans Problemlösen.
    Das alles passt sehr gut zu Ihren Überlegungen – und zum SokratesMapConcept, das zuerst eine Haltung der Aufrichtigkeit zu sich selbst und zu den anderen erzeugt, damit auch von anderen Aufrichtigkeit eingefordert werden kann, dann explizit nach Augenhöhe verlangt, als nächstes den Imperativ stellt, nach Gerechtigkeit zu streben und dann einen Plan verlangt, den es kritisch zu prüfen gilt (Kant) und dann auch umgesetzt werden muss, unter ständiger Anwendung der vor erwähnten Prinzipien – und natürlich unter Beizug geeigneter Methoden.

  3. Hallo Conny,

    danke, danke, danke! Du bringst es wunderbar auf den Punkt!

    Einen weitere Aspekt mag ich noch ergänzen. Hinter den Methoden steckt noch eine Industrie: Schulung & Beratung. Das Zertifikat gibt es für die Teilnahme und ggf. für das Wiedergeben des Wissens (Prüfung). Nicht für das Anwenden oder weiterdenken.
    Selbst wenn es den Anschein macht. Ich erinnere mich an meine ITILv2 Service Manager Prüfung: handschriftlich mit Fallbeispiel. Aus meiner Sicht zu bevorzugen gegenüber Multiple Choice. Allerdings war es zwingend wichtig die notwendigen Stichworte im Text zu verstreuen, sonst wäre es nichts geworden …

    Diese Industrie macht uns glauben, dass die Methoden alles lösen. Und wer steht nicht auf einfach Lösungen?

    Ich sage von mir immer: Als Führungskraft bin ich dann am wirksamsten, wenn ich nur wenig Ahnung davon habe, was meine Mitarbeiter den ganze Tag lang tun.

    Robert

    • Moin Moin Robert,

      danke für Dein Feedback. Da sind wir uns im Kontext Methoden ja einig. Cool.

      Und Du sprichst es richtig an. Die Pfadabhängigkeit im Wandel, wie ich es nenne. Wir haben in der Vergangenheit “Strukturen im Außen”, wie Rollen, Prozesse, Methoden etc. geschaffen, die uns einen Wandel hin zu etwas Neuem erschweren. Solche so genannten “Strukturen im Außen” sind auch Berater, die sich auf ein bestimmtes Thema spezialisiert haben. Was passiert aber, wenn dieses Thema, wie eben Methoden, wegfallen? Dazu habe ich ebenfalls einen Beitrag verfasst: https://blog-conny-dethloff.de/?p=3798

      Und den Mindset, den Du als Führungskraft inne hast und lebst, kann ich ebenfalls voll teilen. 🙂

      BG, Conny

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