Blogparade im Kontext “Komplexität”

Diesen Artikel veröffentliche ich im Kontext einer gestarteten Blogparade namens Komplexität – in Projekten und darüber hinaus …. Komplexität ist eines der spannendsten Themen überhaupt, was man sicherlich auch an der Fülle von Posts in meinem Logbuch erkennen kann. Leider wird Komplexität häufig falsch, weil als schädlich angesehen, verstanden. Ich höre oft Sätze wie “Da müssen wir die Komplexität verringern, um zum Erfolg zu kommen!” Aua. Ich glaube, genau das Gegenteil ist der Fall, was ich auch in vielen meiner Posts zur Komplexität versuche zu belegen.

Aber nun zu meinem Post im Rahmen dieser Blogparade. Ich möchte die Thematik aufgreifen, dass Komplexität häufig aus einfachen Mustern heraus entsteht, diese aber trotzdem schwer für uns Menschen zu handhaben ist. Es fällt uns oft schwer, diese einfachen Muster zu erkennen, da wir auf Basis unserer Geisteshaltung nach anderen Lösungswegen suchen. Jedoch, und das finde ich so faszinierend, gibt es einige Situationen, bei denen wir sehr einfache Lösungsmuster anwenden, und damit auch erfolgreich sind. Diese sind aber dann meistens nicht im Rahmen unserer Wirtschaft zu finden.

Ich möchte mit diesem Post ein wenig Licht in diese formulierten Hypothesen bringen und Reflexionen auf Denk- und Handlungsschemata im Umgang mit komplexen Situationen geben.

Komplexitäten entstehen aus Einfachheiten …

Wir Menschen sind der festen Überzeugung, kommend aus einer mechanistisch-technokratischen Sicht, die im 17. Jahrhundert mit dem Aufblühen der Naturwissenschaften geweckt wurde, dass komplexes Verhalten oder komplexe Zusammenhänge stets aus komplexen Verfahrensanweisungen oder komplexen Teilen bestehen muss. Das wir hier einem Irrglauben erlegen sind, möchte ich an einem Beispiel aus der Praxis belegen.

Es geht um das Fangen eines Balles, was ein sehr komplexer Vorgang ist. Würden wir als Ballfänger beginnen, diesen Vorgang in seine Einzelteile zu zerlegen, diese zu evaluieren und zu lösen und dann letzten Endes zu einem Algorithmus zu integrieren, welche das Verhalten abbildet, müssten wir nicht nur ballistische Berechnungen anstellen, sondern auch noch die aktuellen Umgebungsparameter wie Windrichtung und -geschwindigkeit, den aktuellen Luftwiderstand des Balles, die Oberflächenbeschaffenheit des Balles, die Beschaffenheit des Bodens, auf dem wir uns bewegen usw. mitberechnen. Würde diese Prozedur ausgeführt, ganz abgesehen davon die notwendigen Variablen überhaupt messen zu können, wäre der Ball längst auf dem Boden, während wir noch rechnen würden. Des Weiteren beobachten wir selbst Kinder, die von solchen Berechnungen kein Wissen haben, dass sie in der Lage sind, Bälle zu fangen. Die intuitive Regel, die wir Menschen anwenden ist jedoch sehr einfach. Sie lautet: Richte den Blick auf den Ball, beginne zu laufen und passe die Geschwindigkeit so an, dass der Blickwinkel zum Ball konstant bleibt. Prof. Dr. Gerd Gigerenzer beschreibt in seinem Buch Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition diesen Vorgang als Blickheuristik, welcher in der folgenden Abbildung dargestellt ist, die ich seinem Buch der Seite 18 entnommen habe

Wir erkennen an dem Beispiel, dass eine einfache Regel zu einem komplexen Verhalten führt, welches bewusst-rational gar nicht ausgeführt werden könnte.

Dieses Thema hat Stephen Wolfram, der Erfinder von Mathematica, einem mathematischen Softwarepaket für symbolische Berechnungen, aufgegriffen und eine neue Art der Wissenschaft, a new kind of science, wie er es nannte, zu kreieren. Das gleichnamige Buch finden Sie beispielsweise bei Amazon oder auch direkt im Netz. Nach einem kostenlosen Registrieren können Sie sein gesamtes Werk (ca. 1.000 Seiten) im Internet verinnerlichen. Was meint Wolfram mit “a new kind of science”? Er deckt genau dieses oben angesprochene Paradigma auf, welchem die Naturwissenschaften heute immer noch erlegen sind, dem Glauben, dass komplexe Sachverhalte nur durch komplexe Handlungsschemata darstellbar sind. Dieses Aufdecken macht er sehr plastisch mit Hilfe von zellulären Automaten. Er zeigt mit diesen auf, dass mit sehr einfachen Algorithmen sehr komplexe Muster erzeugt werden können. Ich habe einige seiner zellulären Automaten in MS Excel und VBA nachprogrammiert. Es ist wirklich sehr eindrucksvoll.

Eine kritische Anmerkung habe ich allerdings, obwohl ich sein Buch noch nicht final zu Ende gelesen habe. Die von mir im Netz recherchierten Rezensionen zu seinem bestärken mich aber teilweise in meiner Sicht. Denn, es ist zwar richtig, dass mit einfachen Handlungsanweisungen komplexe Muster erzeugt werden können. Wolfram spiegelt dies aber sehr pauschal auf beliebig komplexe Naturphänomene und Naturgesetze so, dass diese sich auf kleinste Skalen durch einfache, elementare Entwicklungsregeln beschreiben lassen. Ich nehme in seinen Worten eine sehr große Euphorie wahr, mit dieser Erkenntnis komplexe Phänomene abzubilden und sogar zu beherrschen. Diese Euphorie teile ich nicht komplett, denn die zu Grunde liegenden Denkprozesse sind deshalb nicht auch gleich trivial. Die Frage bleibt also wie man zu diesen einfachen Algorithmen kommt, die komplexe Phänomene abbilden können. Das möchte ich im Folgenden beleuchten.

… und sind aber trotzdem schwer zu handhaben, …

Unsere technokratische Denk- und Handelsweise, die aus den Anfängen der modernen Naturwissenschaft stammt, vermittelt uns den Irrglauben, dass komplexe Strukturen und Verhaltensweisen aus komplexen Vorgängen oder Algorithmen entstehen müssen. Diese Denkstrukturen haben ohne Zweifel einen sehr großen Beitrag zu den Erfolgen in der Physik beigetragen. Sie haben eine solide Basis geschaffen, astronomische Entdeckungen der Planeten- und Sonnenbewegungen oder auch der Mechanik in Axiome zu fassen und damit einen Einklang zwischen experimenteller Überprüfbarkeit und theoretischer Beschreibbarkeit dieser Phänomene herzustellen. Diese Vorgänge beziehen sich aber ausschließlich auf tote Materie. Im Überschwang der Euphorie des Erfolges hat man versucht diese Denkweise auf lebende Materie 1:1 zu übertragen.

Das führte dann dazu, dass mit Hilfe der Erkenntnisse der Infinitesimalrechnung von Leibniz und Newton, also mit Differential- und Integralgleichungen lebende Prozesse modelliert werden sollten. Man erkannte die Schwierigkeit dieser Approximation, was aber die Intuition der Menschen bestätigte, denn komplexe Prozesse müssen aus komplexen Teilen bestehen. Mit dem Aufkommen der Computer war hier ein weiteres Aufblühen zu erkennen. Denn nun war man in der Lage viele Rechenoperationen in geringer Zeit auszuführen. Der Erfolg war trotzdem nicht da. Die erstellten mathematischen Modelle waren nur noch von Experten zu verstehen, waren aber nicht in der Lage komplexe Phänomene zu simulieren. Das Paradigma wurde aber trotzdem nicht umgestoßen. Es war ja klar, die Modelle müssen komplex sein, wahrscheinlich noch komplexer, damit sie komplexe Phänomene abbilden können. Selbst die Erkenntnisse aus der Systemtheorie haben an dieser Stelle nicht zu einem Umdenken animiert. Hier möchte ich die Emergenz nennen. Emergenz ist die spontane Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen auf der Makroebene eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht, oder nicht offensichtlich, auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die diese isoliert aufweisen.

Stephen Wolfram hat sich diese Erkenntnis zu Herzen genommen und ist einen anderen Weg gegangen. Er hat Computer benutzt, um die Ergebnisse einfacher Algorithmen graphisch aufzubereiten und zu analysieren. Er hat damit die Emergenz bestätigt. Die erhaltenen komplexen Muster haben rein gar nichts mit den zu Grunde liegenden einfachen Algorithmen zu tun.

Francis Bacon, englischer Philosoph und Wegbereiter des Empirismus hat als erstes formuliert, dass der Sinn der Naturwissenschaften darin besteht, die Natur zu beherrschen. Rene Descartes, französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler, hat dieser Forderung Leben eingehaucht, in dem er eine Methode definierte, wie Problemstellungen wissenschaftlich untersucht werden sollen. Im Rahmen dieser Methode werden Problem- und Fragestellungen in Teile zerlegt, sprich analysiert, diese Teile werden dann untersucht und anschließend wieder zu einer Gesamtlösung zusammengesetzt, sprich synthetisiert.

Das bedeutet, komplexe Probleme müssen zerlegt werden, um sie zu erfassen. Das ist auch notwendig, da unserer kognitiven Beschränkung geschuldet. wir können Problem- und Sachlagen nicht in Gänze auf einmal erfassen. Das ist die Analyse, in welcher für Teilbereiche des Problems Teillösungen gefunden werden wollen. Bei der späteren Zusammenführung dieser Teillösungen, also in der Synthese, ist dann Vorsicht geboten. Eine Linearisierung ist nicht möglich. Wir können nicht einfach die Teillösungen zu einer Gesamtlösung synthetisieren und glauben, dass es damit getan ist. Schwerwiegender ist noch, dass wir nicht genau wissen können, ob die Teillösungen überhaupt in die richtige Richtung der Gesamtlösung führen. Sie können vielleicht rein gar nichts miteinander zu tun haben, haben sie in der Regel auch nicht, da bei der Analyse und anschließenden Synthese die Dynamik der Wechselwirkungen der Teillösungen nicht berücksichtigt werden.

Das bedingungslose unreflektierte Anwenden der Methode von Descartes, Analyse und Sytnhese, führt bei Komplexitäten also in die Sackgasse. Mit dieser Vorgehensweise wird das Auffinden von einfachen Lösungen niemals möglich sein. Diese Methode wird allerdings in unseren Bildungseinrichtungen als das Allheilmittel für das Problemlösen angepriesen. Das macht den Umgang mit komplexen Situationen damit auch so schwierig, weshalb ich auch stets vom Handhaben und niemals vom Beherrschen von komplexen Situationen spreche. Ich möchte aber noch einmal deutlich betonen, dass diese Methode für Fragestellungen nichtlebender Materie zum Erfolg führt, aber eben nicht für lebende.

… weshalb folgende Denk- und Handlungsschemata relevant werden.

Jetzt bleibt natürlich noch die Frage offen, wie wir auf diese Erkenntnisse reagieren müssen. Worauf sollten wir achten, wenn wir mit komplexen Fragestellungen umgehen, die lebende Materie betreffen. By the way. Genau diese Problemstellungen machen uns derzeit so große Kopfzerbrechen, wenn ich an die Umweltproblematik oder an die Finanzdiskussionen denke.

Wir haben gelernt, dass keine lineare Beziehung zwischen den Teillösungen und der Gesamtlösung existiert. Die Teillösungen lassen sich nicht einfach zu einer Gesamtlösung integrieren. Das bedeutet aber auch, dass es keine direkt sichtbare Beziehung zwischen den Handlungen und dem Ergebnis geben kann. An dieser Stelle erinnere ich noch einmal an die Erzeugung der komplexen Muster durch ganz einfache Anweisungen, wie Wolfram sie eingeführt hat. An dieser Stelle müssen also bestehende Methoden und Prozesse ganz genau evaluiert werden. Immer dann wenn man es mit komplexen Problemen zu tun hat, wo also Menschen involviert sind, führen ganz detailliert definierte Prozesse häufig nicht zum Erfolg. Es darf nicht vorgeschrieben sein, was genau getan werden soll, sondern was mit diesen Prozessen erreicht werden soll. Es gibt kein Rezept zum Lösen komlexer Probleme. Und auch die Fragestellung, was mit den Prozessen erreicht werden soll, muss regelmäßig evaluiert werden, da sich Ziele in komplexen Umgebungen häufig ändern. Details dazu habe ich in meinem Post Sind Ziele sinnlos? ausgeführt.

Des Weiteren erkennt man sehr schnell die absolute Bedeutung von Kommunikation beim Lösen komplexer Probleme. Kommunikation ist bei der Synthese der Teillösungen zu einer Gesamtlösung immens wichtig. Sehr häufig geht es beim Problemlösen nicht darum im Sinne einer Lösung zu diskutieren. Es geht viel zu oft einfach nur um das “Recht haben”. Man benötigt also bei den Kommunikationsprozessen zum Lösen von komplexen Problemen eine gemeinsame Bezugsbasis. Hat man diese, ist eine Voraussetzung geschaffen, die Probleme in Teams zu lösen. Dann geht es nämlich um die “Wahrheit”. Hat man diese Bezugsbasis nicht, geht es ausschließlich um Macht. Das Finden einer tragfähigen Lösung gerät dann in den Hintergrund.

Dann möchte ich zum Schluss nicht vergessen auf die oben angesprochene Wechselwirkung und die so entstehende Dynamik zwischen den Teillösungen zu verweisen. Diese Dynamik muss nämlich bei der Analyse und anschließenden Synthese beachtet werden. Dazu eignet sich System Dynamics als Methode und Handwerkszeug sehr gut. Details dazu finden Sie in meinem Post Entscheidungen: Mit System Dynamics dem BI Wirkkreis Leben einhauchen.

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7 Responses to Blogparade im Kontext “Komplexität”

  1. Pingback: [Reise des Verstehens] Blogparade im Kontext “Komplexität”

  2. Ich freue mich jedes mal über einen neuen Post von Dir, da Du die Dinge so klar auf den Punkt bringen kannst, die mich auch intensiv beschäftigen. Da kann ich noch viel lernen ;-), auch wenn mein Themenfokus in eine ganz andere Richtung geht.

    lg
    Herbert

  3. Pingback: Blogparade: "Komplexität - in Projekten und darüber hinaus ...

  4. Lieber Conny,

    danke dafür! “Handhaben” finde ich ein wunderbar passendes Wort. Wir verwenden außerdem noch “damit umgehen”, weil es uns ebenso hilft, uns unser Nicht-Wissen bewusst zu halten.

    Beste Grüße
    Holger

    • Hallo Holger,

      lieben Dank für Dein Feedback. 🙂

      Ich denke auch, hat man den Unterschied zwischen “Kompliziertheit” und “Komplexität” erst einmal verstanden, wird man niemals wieder auf die Idee kommen Komplexität beherrschen, managen oder steuern zu wollen, da man versteht, dass das schädlich ist.

      Denn!

      Kompliziertheit entsteht durch für ein dediziertes Thema unzureichend vorliegendes Wissen. Komplexität entsteht durch ein dediziertes Thema erzeugte Überraschungen. Dementsprechend findet man Kompliziertheit im Bereich des “Unlebendigen” und Komplexität im Bereich des “Lebendigen”.

      Wenn ich beispielsweise meine Armbanduhr reparieren wollte, würde ich wahrscheinlich scheitern. Warum? Mir fehlt das notwendige Wissen dafür. Für einen Uhrmacher ist das wahrscheinlich eine Leichtigkeit. Für mich kompliziert. Überraschungen sind bei der Armbanduhr auch nicht gewollt, dementsprechend auszuschließen. Denn Überraschungen sind gleichbedeutend mit einer Nichtfunktionstüchtigkeit. Heinz von Förster spricht in diesem Kontext von trivialen Maschinen, zu bestimmten Inputs sind stets zugeordnete Outputs gespiegelt und damit vorhersagbar. Kommt ein anderer Output ist die “Maschine” kaputt und muss repariert werden. Dafür wird Wissen benötigt.

      Ganz anders sieht es im Bereich des Komplexen, also der Lebendigkeit aus. Hier kann man Überraschungen nicht ausschließen, da man es mit “Leben” zu tun hat. Oder genauer. Überraschungen sind sogar gewollt, denn sonst würde man nicht mehr von Leben reden. Ein Leben ohne Überraschungen wäre nicht mehr lebenswert. Heinz von Förster spricht in diesem Kontext von nichttrivialen Maschinen, zu bestimmten Inputs sind niemals zugeordnete Outputs vorhersagbar. Deshalb ist Wissen im Kontext von Komplexität auch nicht entscheidend. hier zählt Talent und Können.

      Sollte man in diesem Kontext nicht beispielsweise unser Risikomanagement im Rahmen von Projekten überdenken? Wollen wir mit Risikomanagement Überraschungen ausschalten, auf jeden Fall. Denn dann kann man das Projekt sofort einstampfen, da es bereits “tot” ist.

      Komplexe Grüße, Conny

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