Folgende Beobachtungen mache ich immer wieder beim Aufsetzen und Durchführen von Projekten.
Es besteht eine Idee zu neuen Produkten, Prozessen etc. Man hat ein Ziel vor Augen, welches man erreichen möchte. Dann werden Projekte initiiert, die in dieses Ziel hinein arbeiten. In dem Moment, wo begonnen wird zu teilen, entstehen Silos und das Silodenken bekommt Nährboden.
Der Mitarbeiter, der für ein bestimmtes Projekt als Projektleiter eingeteilt wird, hat mit der Ernennung nur noch sein Projekt im Fokus. Hat man zu Beginn der Idee noch den Mehrwert im Fokus, den man mit den Projekten für sein Geschäft erringen möchte, rückt dieser Mehrwert immer mehr aus dem Blickwinkel. Der Projektleiter wird schließlich an seinem Projekt gemessen, nicht an dem Erfolg der anderen Projekte. Meist hängt daran über Auslobung von persönlichen Zielen in dem jeweiligen Geschäftsjahr eine mögliche Gehaltserhöhung für das nächste Jahr.
Es beginnen Diskussionen über den Scope einzelner Projekte. Jeder Mensch weiß, je geringer die Messlatte ist, an der er gemessen wird, desto einfacher ist es diese zu überspringen. Es wird also begonnen, knifflige Themen aus dem Projekt auszugrenzen, da diese hinderlich für den Projekterfolg und damit für den eigenen Erfolg als Projektleiter sein können. Risikominimierung.
Dieses Verhalten ist den meisten Projektleitern in Fleisch und Blut übergegangen, da sie nach genau dieser Art gesteuert werden. Sie bekommen es auch in den Schulungen und Seminaren zu Projektmanagement, egal welcher “Glaubensrichtung”, genau so ins Gebetsbuch gesungen. Nur was passiert hier?
In Summe sind dann die Projekte auf Mittelmaß ausgerichtet. Schon beim Aufsetzen der Projekte werden die lokalen Projektziele im Sinne eines Scope- und Risikomanagements nach unten korrigiert. Dann startet man. Hat man einmal Ziele nach unten korrigiert, ist man in einem Strudel gefangen und tut dies immer wieder. Dieses Verhalten ist unter dem Systemarchetyp Erodierende Ziele bekannt, den ich in meinem Post Verhaltensmuster im Projektmanagement Teil 1: Zielanpassungen detailliert beschrieben habe.
Projekte sind damit nicht nur auf Mittelmaß ausgerichtet, sie erreichen dieses auch in den meisten Fällen noch nicht einmal. Das folgende Bild zeigt die Zusammenhänge inhaltlich zusammengehöriger Projekte
An dieser Stelle ist es auch egal, ob man Projekte in Teilprojekte zerlegt und diese dann von Teilprojektleitern steuern lässt oder ob man viele Projekte zu einem Programm zusammenfasst und die Integration darüber herstellen möchte. In dem Moment wo Silos errichtet werden, die auf lokale Zielerreichung ausgerichtet sind, ist Integration nicht mehr machbar, da nur noch nachrangig.
Jetzt kommt der Integrationsmanager ins Spiel. “Die arme Sau”. Denn dass Integration wichtig ist, wird Niemand bestreiten. Deshalb wird ja auch der Integrationsmanager institutionalisiert. Nur fühlt dieser sich sehr oft wie Don Quijote bei seinem Kampf gegen die Windmühlen. Er hat einfach keine Chance Integration herzustellen, da die Projekte mit Fortschritt dieser immer weiter auseinander driften, da die Ziele dieser erodieren. Dargestellt ist diese Konstellation in der obigen Graphik anhand der roten Pfeile zwischen den Projekten.
Ein anderer Fakt, der dieses Verhaltensmuster noch verstärkt, ist der Wechsel von Ergebnis- hin zu einer Prozessorientiertheit. Denn man könnte ja fragen, warum der oben beschriebene Wirkmechanismus nicht erkannt wird oder nichts dagegen unternommen wird.
Mit dem Ausloben der Idee ist man ergebnisorientiert. Dann macht man sich Gedanken dieses Ziel zu erreichen. Man initiiert Projekte wie oben beschrieben. Man verlässt immer mehr die Ebene der Ergebnisorientiertheit in Richtung Prozessorientiertheit. Die herkömmlichen Projektmanagementmethoden kommen zum Einsatz: Risikomanagement, Scopemanagement, Issuemanagement etc. Listen, die als Template bereit stehen, werden gefüllt und und und.
Wird hier gefragt, in wie weit diese Prozesse zu einem Erfolg führen oder wie groß der Mehrwert ist, der durch Ausführen dieser Prozesse auf eine Zielerreichung einzahlt? Nein. Viel zu selten wird der Sinn und Zweck von Prozessen hinterfragt. Es muss ja einen Grund geben, warum diese in der Vergangenheit definiert wurden. Mit diesen Prozessen wurden natürlich auch Rollen in Unternehmen installiert. Hinterfragt man Sinn und Zweck der Prozesse, hinterfragt man automatisch die Daseinsberechtigung dieser Rollen und damit der Menschen im Zusammenhang mit diesen Rollen. Das macht es dann umso schwerer dieser Prozessdenke zu entfliehen.
Ich habe zwei Gründe dargelegt, warum Projekte auf Mittelmaß gebaut sind und dieses nur schwer erreichen.
- Ganzheitliche zusammenhängende Ideen werden für die Umsetzung in verschiedene Projekte/ Teilprojekte aufgeteilt, die lokal gesteuert werden (Teile und herrsche klappt nicht). Dadurch geht die Ganzheitlichkeit und damit der eigentliche Mehrwert verloren, was aber nicht wahrgenommen wird, da …
- … die Ebene der Ergebnisorientiertheit verlassen und die der Prozessorientiertheit eingenommen wurde. Man stiefelt teilweise blind Best Practice Ansätzen hinterher, ohne Hinterfragung des Sinns dieser. Erschwert wird diese Diskussion durch die Emotionalität, die durch das Hinterfragen von Rollen geführt werden müsste, weshalb es einfach unterlassen wird. Dass man den Mitarbeitern damit aber mehr schadet, wird aus dem Fokus ausgegrenzt.
Die untere Abbildung stellt den aus meiner Sicht idealen Zustand des Wirkens von thematisch zusammenhängenden Projekten dar. Es gibt Überlappungen im Wirkkreis und in der Verantwortung von Projekten (grün schraffiert). Projektleiter müssen “über ihren Tellerrand” hin zu thematisch angrenzenden Projekten schauen und dies nicht den Integrationsmanagern überlassen. Ein Projektleiter eines Projektes ist mit verantwortlich für den Erfolg angrenzender Projekte und wird auch daran gemessen, genauso wie er an dem Erfolg seines Projektes gemessen wird.
Man erkennt an der schematischen Darstellung auch sehr schön das Redundanzen erwünscht sind, gar notwendig sind. Lean ist an dieser Stelle schädlich. Projekte und Fließbandarbeit schließen sich gegenseitig aus. In Projekten wird Etwas Neuartiges geschaffen, das kann man sogar in den Definitionen der von mir oft kritisierten, da zu mechanistischen, Projektmanagementmethoden nachlesen. Verantwortlichkeiten sind doppelt und dreifach vergeben, nur so werden sie auch wirklich integrativ und ganzheitlich gelebt. Damit wird einer Abschottung und einem Auseinanderdriften der Projekte entgegengewirkt.
Den oben angerissenen Punkt 2 möchte ich in meinem nächsten Post reflektieren, in dem ich den Unterschied zwischen hierarchisch und heterarchisch geführten Unternehmensorganisationen reflektieren möchte. Die Ideen und Gedanken dazu würden den Umfang dieses Posts sprengen.
Lieber Conny,
mir will scheinen, dass die gleichen Prinzipien auch schon durch die Abteilungssilos und deren Einzelbewertung unsere Organisationen ins Mittelmaß schicken.
Ich bin schon gespannt auf Deinen Ansatz der Heterarchien 🙂
Martin
Hallo Martin,
das sehe ich genau so. Das Paradigma der Taylorisierung ist auf viele Themenbereichen übertragbar und muss auf seine Anwendbarkeit überprüft werden. Was wir immer wieder beobachten und auch betonen ist, dass die Komplexität der Umwelt von Unternehmen massiv zugenommen hat. Ein Faktor dafür ist die Varietät, die sich aus der Anzahl von Verbindungen zwischen den einzelnen Teilnehmern des Marktes ergibt. Hier existiert keine Hierarchie und auch keine Separierung. Auf diese Komplexitätszunahme müssen Unternehmen reagieren, in dem die Komplexität der Unternehmen ebenfalls erhöht wird. Die Notwendigkeit dafür kennen wir von Ashby. Genau diese Maßnahme bleibt aber aus. Im Gegenteil, sehr oft existieren in Unternehmen Bestrebungen, die Eigenkomplexität zu verringern, also genau das Gegenteil von dem was eigentlich getan werden muss. Der Drang zur Separierung und Trennung trägt genau zu solch einer Komplexitätsreduktion bei. Sie ist also schädlich.
Details dazu in meinem nächsten Post.
Beste Grüße,
Conny
Hallo Conny,
beim Studium Deines aktuellen Blogs zum Mittelmaß im Projektmanagement, regt sich in mir die Frage inwieweit dieses Mittelmaß tatsächlich die Regel ist und an welchen Kriterien du dies konkret manifestierst? Ich kann Gründe sehen, aber ich bin der Meinung, dass jene sich zu stark auf ein Thema fokussieren. Nämlich auf die vordefinierte Methodik – Stichwort Best Practices.
Ich geb Dir vollumfänglich Recht, dass die gängige Projektmanagementliteratur einen Projektleiter/Projektmanager dazu anregen kann (Konjunktiv) in Silos zu denken. Nur frage ich mich, was dazu die Alternative wäre? Ein weniger pragmatischer Ansatz an Methodik um Projektmanagement zu betreiben? Wäre dies dann aber nicht auch irgendwie kontraproduktiv, weil zu viel Flexibilität in der Methodik schnell auch zu stark individuell ausgeprägten Managementprozessen führen kann (insofern man dann noch von Management spricht)? Die dann wiederum in Quintessenz in einer „Teamschwarmintelligenz münden“, wobei man Intelligenz in diesem Fall dann sicherlich ausklammern kann?
Ich denke schon, dass mir ein Rahmenwerk mit einem nicht allzu starren Korsett die Möglichkeit gibt, Projekte in einer nachvollziehbaren, transparenten und skalierbaren Weise durchzuführen. Dass dabei dann allerdings nicht der Fokus allein auf die persönliche Zielerreichung liegen sollte, sondern die von Dir angesprochenen fehlenden integrativen Aspekte berücksichtigt – um dem Unternehmensgemeinwohl zu dienen – , ist dann jedoch weniger eine Frage der Methodik und seiner Starrheit, als der persönlichen Einstellungen an die Inhalte und Ergebnisse meines Projekts. Ich möchte nicht von Altruismus sprechen, aber jeder gute Projektmanager (wobei sich gut nicht durch eine Zertifizierung in einer Methodik zwangsläufig ergeben muss, was allzu oft noch definitiv falsch verstanden wird) sollte doch an sich selbst den Anspruch stellen, seine Zielerreichung nicht als Selbstzweck zu sehen (was sicherlich das Zielbild des Homo Economicus wäre), sondern doch schon unter dem Deckmantel eines gemeinsamen projektübergreifenden Erfolgs reflektieren.
Was mich dann zu meiner Eingangsfrage zurück führt, inwieweit diese Regel tatsächlich an den korrekten Kriterien gemessen ist? Ist es die Methodik oder ist es tatsächlich die mangelhafte, unerfahrene Einstellung der Projektmanager – weil vor allem oftmals Methodik unbekannt ist, bzw, zu individuell ausgelegt wird? Und kann man tatsächlich sagen, dass die Methodik ein dogmatisches homo ecomomicus Denken heraufbeschwört?
VG, Jens
Hallo Jens,
danke für Dein umfassendes Feedback. Ich bin bzgl. Deiner Gedanken und Ideen nah bei Dir.
Grundsätzlich würde ich Verantwortung für Ergebnisse niemals in “die Hände” von Methoden geben. Verantwortlich sind stets die Menschen, die diese definieren und anwenden.
Ich fokussiere eher auf zwei Themengebiete.
Einmal werden Methoden zu unreflektiert eingesetzt. Nach dem Motto: “Hat doch damals auch so funktioniert. Lass uns das jetzt auch so tun.” Hier vermisse ich sehr oft die Ergebnisorentierung, nicht nur am Anfang, sondern stetig. Man sollte sich stets fragen, ob das Ziel, weshalb das Projekt beispielsweise gestartet wurde, noch das Gleiche ist und ob man noch auf dem Weg ist, dieses auch zu erreichen. Das passiert zu selten bis gar nicht. Wenn man es aber doch tut und feststellt, dass man nicht mehr auf dem Weg ist, das Ziel zu erreichen, wird dieses oft nach unten korrigiert, in dem beispielsweise Scope minimiert wird.
Der zweite wichtige Punkt ist das Anreizsystem. “Gebe den Menschen Ziele und sie arbeiten genau in diese Ziele hinein.” Natürlich wird in den Schulungen zu PM den angehenden PLs nicht mit auf dem Weg gegeben, nur ihr eigenes Projekt zu betrachten und alle anderen Projekte zu ignorieren. Im Alltag werden sie aber automatisch genau das tun, da sie dagegen gemessen werden. Wenn ein PL in den Statusmeetings zu seinem Projekt “rot” melden muss, muss er sich erklären und unangenehme Fragen beantworten. Da hält ihn dann auch die innere Einstellung oft nicht davon ab, sich nur auf sein Projekt zu konzentrieren. Dabei fallen dann andere Projekte hinten über.
Da der PL so eigentlich nicht denkt und agiert, kann man oft in seinem privaten Umfeld erkennen. Bei Freizeitaktivitäten denken und agieren Menschen oft ganz anders als sie es im beruflichen Umfeld tun. Allerdings bin ich auch hier weit davon entfernt, dafür ausschließlich das berufliche Umfeld in die Verantwortung zu nehmen. Denn auch hier agiert und denkt der Mensch, ähnlich wie ich es oben bei den Methoden ausgeführt habe. Das Umfeld ist aber ein wichtiger Einflussfaktor, den man beim Verhalten der Menschen mit in Betracht ziehen muss. Denn nur das Verhalten ist es, was man von außen beobachten und beschreiben kann. Was ihn dazu angetrieben hat und wie seine Einstellung dazu ist, kann man nicht beobachten und deshalb nur mutmaßen und Hypothesen aufstellen.
Grundsätzlich ist es aber ein Fakt und in vielen Untersuchungen neu bestätigt, dass Projekte oft nicht den Mehrwert generieren, für den sie eigentlich initiiert wurden, auch wenn sich ganz oft nach Ende der Projekte die Beteiligten in den Armen liegen und sich feiern lassen. Die Ziele wurden sukzessive stetig herunter gesetzt, damit diese erreicht werden (Erodierende Ziele).
Einen Ausblick für eine mögliche Alternative aus meiner Sicht gebe ich in meinem nächsten Post.
Beste Grüße,
Conny
Hi Conny! Thx. Guter Aufmacher zum anregenden Diskutieren, jedoch halte ich mal dagegen: Ein Chief-ProductOwner pitcht mit seinem Vortrag ein paar Ideen zum Auftakt @Hackathon…dann 1-2d Entwicklung @Teams und spätere Vorstellung der PoC‘s, die dann wiederum in Richtung MVP, Sprint-Backlog, …, Sprints gehen. Bei den obigen Ideen sind es ja oftmals eher die komplizierten/komplexen(/chaotischen) Themen, weniger die einfachen!
Cheers Erik
Danke Erik. Du sprichst gute Gedanken aus.
Ich wollte allerdings auf etwas anderes hinaus, nämlich auf den Drang der Separierung von zusammenhängenden Verantwortlichkeiten, wenn erst einmal klar ist, wenn auch vielleicht nur scheinbar, was getan werden muss. Das erkenne ich auch an Rollendiskussionen, wo versucht wird, Rollen klar voneinander abzugrenzen, damit klar ist, was die Menschen in den jeweiligen Rollen zu tun haben und sich nicht gegenseitig in die Quere kommen. Ich sage dann immer, dass ich genau das möchte: Überschneidung in den Rollen. Denn sonst kann keine ECHTE Zusammenarbeit entstehen.