Erkenntnisse aus der Hirnforschung für das Führen von Unternehmen nutzen

Wo und wie kann man für das Führen und Managen von Unternehmen Lehren und Erkenntnisse aus der Erforschung der Funktionsweise des menschlichen Gehirns ziehen? Mein nächstes kleines Projekt rankt sich um genau diese Fragestellung. Meine ersten Ideen dazu möchte ich jetzt schon einmal darlegen.

Die Menschen haben in der Informationsgesellschaft Systeme geschaffen, die komplex sind. Das bedeutet die Varietät und Vielfalt dieser Systeme ist ungemein hoch. Um diese Systeme zu beherrschen, muss eine ebenso große wenn nicht noch größere Eigenkomplexität der steuernden Systeme, wie Unternehmen es sind, erschaffen werden. Dieses Wissen ziehen wir aus dem Gesetz der erforderlichen Varietät von Ashby. Das bedeutet, die Aufgabe des Managements eines Unternehmens ist es, eine ausreichende Eigenkomplexität des Unternehmens zu erzeugen. Es geht also nicht immer nur um Simplifizierung. Nur wie kann das erreicht werden?

Bevor wir darauf eine Antwort finden wollen, machen wir einen kleinen Ausflug in das Innenleben eines menschlichen Gehirns. Menschen können nur überleben weil ihr Gehirn Stabilitäten aus Instabilitäten der Umwelt errechnet. Ich möchte mir garnicht vorstellen, meine Frau auf einmal nicht wieder zu erkennen, nur weil Sie beim Friseur war, oder meine Kinder nur weil Sie beim Spielen gefallen sind und sich eine Schramme im Gesicht zugezogen haben. Die gesamte Welt ist im Fluss, wie Heraklit schon gesagt hat. Die Welt ist nicht stabil, zu keiner Sekunde. Aber das menschliche Gehirn gaukelt uns eine Stabilität vor. Das ist auch notwendig für ein Überleben. Schaut man jetzt in das Innere unseres Gehirns, so erkennen wir das die Neuronen eines gesunden menschlichen Gehirns chaotisch feuern. Das Gehirn arbeitet weit weg vom thermodynamischen Gleichgewicht. Das bedeutet, das Gehirn hat eine sehr hohe Eigenkomplexität um die Komplexität aus der Umwelt zu beherrschen. Das Berechnen der Stabilitäten läuft für den Menschen unbewusst ab. Das menschliche Gehirn filtert beispielsweise Signale aus der Umwelt.

  • Das für Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich der elektromagnetischen Strahlung: 380-780 nm Wellenlänge.
  • Menschen hören Schwingungen zwischen 20 und 20000 Hz.
  • Das menschliche Auge nimmt pro Sekunde 10 Mio. Bits Daten auf; davon werden nur 40 Bits vom Gehirn für den Menschen unbewusst verarbeitet.
  • Das menschliche Ohr nimmt pro Sekunde 100 Tsd. Bits Daten auf; davon werden nur 30 Bits vom Gehirn für den Menschen unbewusst verarbeitet.

Es ist derzeit für den Menschen nicht erklärbar, wie das Gehirn diese Stabilitäten errechnet. Hier kommt die Emergenz zum Tragen (Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile). Deshalb stösst das Forschungsgebiet Künstliche Intelligenz beim Nachbau eines menschlichen Gehirns auch (noch) an seine Grenzen. Das Gehirn lässt sich nämlich nicht bloß durch die einzelnen Neuronen und deren Arbeitsweise erklären.

Die obige Abbildung zeigt die Hirnaktivitäten über 1 Sekunde (Gehirnströme gemessen mit dem EEG) eines gesunden Menschen. Man erkennt das chaotische Verhalten. Das ist gleichzusetzen mit einer hohen Varietät, die notwendig ist, um die hohe Komplexität der Umwelt zu verarbeiten. Bedeutet das jetzt, dass Unternehmen stets weit weg thermodynamischen Gleichgewicht agieren müssen, wie das menschliche Gehirn?

Zum Glück nicht, denn auch das würde im Chaos enden. Menschen haben durch Gesetze, Kulturen, Sitten, Bräuche etc. Rahmenbedingungen geschaffen, die Stabilitäten definieren. Selbst durch das Anwenden unserer Sprache generieren wir Stabilitäten. In diesen konstruierten Stabilitäten leben und agieren die Menschen. Diese Stabilitäten werden allerdings immer häufiger durch die immer höher werdende soziale Vernetzung der Menschen in der Informationsgesellschaft auf die Probe gestellt. Kurios oder? Beides wird von Menschen erzeugt: Rahmenbedingungen, die Stabilitäten erzeugen (Sitten, Bräuche, Gesetze etc.) als auch Strukturen, die diese Stabilitäten einstürzen lassen (Vernetzung im Rahmen sozialer Plattformen). Wobei die Auswirkungen des Schaffens solcher Stabilitäten und Strukturen nicht vorhersehbar sind (Die Chaostheorie kann an dieser Stelle Licht ins Dunkel bringen: Anwenden von Iterationen zur Erzeugung von Fraktalen). Deshalb müssen auch beispielsweise Kulturen, Leibilder, Visionen und Strategien von Unternehmen stetig hinterfragt werden. Hier spielt uns aber unser Gehirn einen Streich, denn aufgrund der vorhin angesprochenen Fähigkeit des menschlichen Gehirns Stabilitäten zu errechnen, ist es sehr schwierig Notwendigkeiten eines Wandels zu erkennen. Um dem zu begegnen muss also eine, wie es Prof. Peter Kruse sagt, Netzwerkintelligenz im Unternehmen geschaffen werden, die höher ist als die Summe der einzelnen Intelligenzen der Mitarbeiter des Unternehmens. Diese Netzwerkintelligenz ist aber nicht planbar und deshalb auch nicht durch Command-and-Control Aktivitäten (Steuern und Regeln) erreichbar. Oder hat Jemand den Erfolg des Internets vorhersagen oder planen können. Oder ist Jemand in der Lage eine genaue Handlungsanweisung für das Herausbilden einer kreativen Kultur in einem Unternehmen zu erstellen? In Zeiten eines Wandels, und nur dann, agieren Menschen oder auch Unternehmen, als Beispiel für soziale Systeme, weit weg vom thermodynamischen Gleichgewicht. Diesen Effekt hat Jeder von uns sicher schon einmal gespürt. Ist man sich nicht sicher beispielsweise eine neue Position innerhalb seines Arbeitsumfeldes zu bekleiden oder eine bestimmte Tätigkeit neu anzufangen, spürt man eine gewisse Unruhe. Man schläft schlecht oder man hat keinen Appetit. Hat man sich dann entschieden, ist die Unruhe verflogen.

Zurück zum Führen von Unternehmen. Gerade für die Zeiten des Wandels lassen sich Erkentnisse der Hirnforschung auf das Managen von Unternehmen übertragen. Da diese in der Informationsgesellschaft immer häufiger anzutreffen sind, wird also dieser Interlock immer bedeutender. Was muss also schlussfogernd gegeben sein?

  • Vernetzungsdichte und Standardisierung der Prozesse
  • Transparenz und ungehinderter Informationsfluss
  • Identität und gemeinsame Werte und Regeln

Prof. Dr. Fredmung Malik benennt zwei Managementformen wie folgt: konstruktivistisch-technomorph und systemisch-evolutionär. Eine Mischform aus Beiden ist optimal. Wenn beispielsweise das Ziel in einem Projekt klar formuliert wird, ist Steuern und Regeln angesagt (konstruktivistisch-technomorph). Wird dieses Ziel hinterfragt, aufgrund geänderter Rahmenbedingungen, dann ist Selbstorgansiation gefragt (systemisch-evolutionär). In der Informationsgesellschaft, wo sich die Rahmenbedingungen häufiger ändern als noch in Industriegesellschaft, müssen sich beide Managementformen auch häufiger abwechseln oder bestenfalls parallel ablaufen. Das diese Erkenntnis derzeit noch nicht in den Unternehmen etabliert ist, sieht man beispielsweise an Unternehmensorganigrammen. Diese sind geprägt durch lineare Ursache Wirkungsbeziehungen. Es existieren keine Rückkopplungen. Die konstruktivistisch-technomorphe Managementform, die geprägt ist von Steuern und Regeln, überwiegt noch immer in den meisten Unternehmen.

Es gibt also noch viel zu tun. Was mich auch dazu bewogen hat, die Erkenntnisse aus der menschlichen Hirnforschung auf verschiedene Managementdisziplinen, wie Unternehmensplanung, Unternehmensbewertung, Personalführung und Coaching oder Wissensmanagement zu beleuchten. Ergebnisse werde ich demnächst auf dieser Plattform veröffentlichen. Reflektionen auf das Change Management kann man im Buch The Race – Change Management mit dem ChangeModeler nachlesen. Viel Spass beim Lesen.

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