2 Thesen, die die Forschungen und Ergebnisse zum „freien Willen“ in das Reich der Fabeln verweisen

Ich habe des Öfteren in meinem Logbuch meine Ideen und Gedanken zur Thematik “Freier Wille” gespiegelt. Der Post einer meiner Weggefährten, Martin Bartonitz, mit dem Titel Faszination Mensch: System oder Bewusstsein? hat mich zu einer Konsolidierung und Zusammenfassung aller meiner bislang gewonnenen Erkenntnisse inspiriert.

Entstanden sind 2 Thesen, die ich Ihnen heute anreichen möchte und mit teilweise meinen schon veröffentlichten Posts, aber auch mit Artikeln anderer Menschen unterfüttern möchte.

These 1: Die Forschungen bzgl. des “freien Willens” sind zu unreflektiert.

Denkt man tiefgründig über die Frage “Kann es einen freien Willen geben?” nach, kommt man auf Basis der Bedeutung der beiden Wörter “frei” und “Wille” relativ schnell auf die Antwort: Natürlich nicht. Ein Wille ist stets an das gebunden, was er will. Wie soll er da frei sein? Wäre das möglich, könnte man nicht mehr von einem Willen sprechen. Die beiden Begriffe “frei” und “Wille” schließen sich rein semantisch schon aus. Details zu dieser Argumentationskette habe ich in meinem Post Kann ein freier Wille bedingt sein? verfasst.

Das Buch Das Handwerk der Freiheit von Peter Bieri hat mich beim Schreiben des oben aufgeführten Posts inspiriert, was ich dort auch vermerkt habe. Es war für mich wahnsinnig beeindruckend zu erleben, wie tiefgründig das Denken sein kann und wie wahnsinnig einsichtig danach die Erkenntnisse erscheinen. Er kommt nämlich zum Schluss, dass ein Wille stets bedingt ist und deshalb niemals frei sein kann.

Jetzt stellt sich mir die Frage, warum trotzdem noch Herrscharen an Wissenschaftlern über die Existenz des freien Willens nachdenken, wo doch klar ist, dass es diesen rein schon aus der Bedeutung der Begriffe gar nicht geben kann. Das bringt mich zur zweiten These.

These 2: Die Forschungen bzgl. des “freien Willens” operieren im Gebiet des “blinden Flecks”.

Bei dieser These möchte ich mich von zwei Seiten her nähern, die darlegen sollen, dass es derzeit nur scheinbare Forschungen bzgl. des freien Willens gibt. Grundlegend fehlende Reflektionen bzgl. der Forschung und ihrer Ergebnisse, die durch These 1 belegt wird, lassen den Fleck auch weiterhin blind sein.

Auf der einen Seite verweise ich auf den Kant-Experten Prof. Dr. Wolfgang Deppert, der in seinem Artikel Die Evolution des Bewusstseins den freien Willen beleuchtet. Auf Seite 88 schreibt er

Ein Wille will etwas verwirklichen, das in der Zukunft liegt. In der Wissenschaft sagt man: Ein Wille ist final und nicht kausal bestimmt. Aber nur das kausal in Form von Ursache-Wirkungsketten Beschreibbare gilt in der heutigen Naturwissenschaft als wissenschaftlich. Ein Wille kommt in den Naturwissenschaften nicht vor, weil es gar keine naturwissenschaftliche Bestimmung des Willensbegriffes gibt. Somit kann der Wille nicht naturwissenschaftlich beschrieben werden.

Auf der anderen Seite möchte ich auf Gotthard Günther und seine Polykontexturalitätstheorie verweisen. Günther hat im Rahmen dieser Theorie aufgezeigt, dass man auf Basis der Aristotelischen Logik, die monokontextural (monothematisch) ist, nicht in der Lage sein kann, lebendige Prozesse zu beschreiben und zu erklären. Da aber unsere heutige Wissenschaft eben auf genau diese Monokontexturalität aufgebaut ist, agieren Wissenschaftler dann, wenn sie versuchen lebendige Prozesse, wie auch den freien Willen, zu untersuchen, im Bereich des blinden Flecks.

Eine komplette Ausführung zur Polykontexturalität würde diesen Post sprengen. Ich verweise dafür gerne auf die komplette Bibliographie Günthers mit einem Direktzugriff zu allen erhältlichen Artikeln.

Prof. Dr. Eberhard von Goldammer nimmt in seinem Beitrag Welches Wissen? Welche Gesellschaft? auf diese Theorie Günthers Bezug, wenn er in Fußnote 13 auf Seite 7 schreibt

Der Logik der Mathematik liegt die strikte Gültigkeit des Satzes der Identität zugrunde und daraus folgt das sequentiell aufgebaute Zahlensystem, wie wir es kennen. Dieser Sachverhalt wird in kaum einem Lehrbuch der Mathematik erwähnt, ist aber dennoch von fundamentaler Bedeutung, denn er hat das Abendland in eine Kultur geführt, die dominiert wird durch ein identitätsontologisches und damit ein statisches Denken: Etwas ist oder es ist nicht – ein Drittes ist ausgeschlossen. Es verwundert daher nicht, dass in der Physik nur Veränderungen zwischen Zuständen (im Allgemeinen zwischen einem Anfangs- und Endzustand) gemessen werden. Ein physikalischer Zustand zeichnet sich dadurch aus, dass alle physikalischen Größen, die für die Beschreibung des physikalischen Systems relevant sind, einen festen, d.h. sich zeitlich nicht verändernden Wert einnehmen – das ist aber nichts anderes als das, was man aus Sicht der Lebenswissenschaften als tote Systeme bezeichnen muss.

Eine Unterscheidung zwischen Denkinhalten und Denkprozessen ist wichtig. Denkinhalte sind die Ergebnisse von Denkprozessen. Die Denkinhalte lassen sich in physikalische Zustände, wie im obigen Zitat beschrieben, darstellen. Die Denkinhalte lassen sich daher auch zeitlich nacheinander anordnen und deshalb auch messen. Bei Denkprozessen aber ist das anders. Diese sind nebengeordnet (heterarchisch). Sie sind deshalb auch nicht messbar. Diesen Fakt führt Goldammer auf Seite 8 seines Artikels weiter aus.

In den Wissenschaften wird aber eben genau über Messergebnisse erklärt, dass ein freier Wille nicht existieren kann (siehe Benjamin Libet u.a.). Was auch immer mit diesen Messvorgängen und den –ergebnissen nachgewiesen wird, jedenfalls nicht die Nichtexistenz des freien Willens, denn der Wille ist stets etwas Prozessuales und nichts Statisches.

Fazit

Die Gehirnforscher bestätigen Ergebnisse zum freien Willen, die auch ohne diese bereits vorliegen (Es gibt keinen freien Willen, ein Wille ist stets bedingt), die sie aber gar nicht bestätigen dürften, da sie den Willen derzeit gar nicht thematisieren, dies aber nicht merken.

1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (Keine Bewertungen bislang. Geben Sie doch die erste ab.)
Loading...
This entry was posted in Hirnforschung and tagged , , . Bookmark the permalink.

5 Responses to 2 Thesen, die die Forschungen und Ergebnisse zum „freien Willen“ in das Reich der Fabeln verweisen

  1. R. Maier says:

    Ein freier Wille scheint mir nur dann widersprüchlich, wenn man nicht zwischen Sein und Sinn unterscheidet. Üner die Freiheit des Willens nachzudenken, scheint mir nicht überflüssig, wenn man die Einschränkungen der “sachgesetzlichen Logik der Gegenständlichkeit” nicht widerspruchslos akzeptiert. Siehe dazu den erwähnten Gotthard Günther:
    http://www.vordenker.de/ggphilosophy/gg_philosophieren-lebensnotwendigkeit.pdf

    • Hallo Herr Maier,

      danke für Ihr Feedback.

      Können Sie bitte den folgenden Satz

      Ein freier Wille scheint mir nur dann widersprüchlich, wenn man nicht zwischen Sein und Sinn unterscheidet.

      näher erläutern? Danke.

      Ich gebe Ihnen Recht. Es ist nicht überflüssig über den freien Willen nachzudenken. Es ist aus meiner Sicht aber ab dem Zeitpunkt überflüssig über die Existenz des freien Willens nachzudenken, wenn man die Semantik der beiden Wörter “frei” und “Wille” gegenüber gestellt hat.

      In einer bestimmten Situation spricht man von “frei”, wenn dieser Situation keinerlei Bedingungen unterliegen. Ein Wille hat aber mindestens eine Bedingung, nämlich das was er in der Zuknuft will. Wäre das nicht der Fall, würden wir an dieser Stelle nicht von einem Willen sprechen. “Frei” und “Wille” schließen sich also gegenseitig aus.

      Das ist auch der Grund, weshalb es aus meiner Sicht keinen freien, ich könnte hier auch unbedingten, Willen geben kann.

      Es gibt aber den bedingten freien Willen. Es liegen also stets Bedingungen für einen Willen vor. An dieser Stelle lohnt es sich dann nachzudenken, denn dieser bedingte freie Wille wird oft fälschlicherweise als freier Wille bezeichnet. Hier steht “frei” aber stets in einem bestimmten Kontext. Deshalb ist das Wort stets dann unangebracht, wenn der Kontext gewechselt wird, was dazu führt das das Wort “frei” grundsätzlich ersetzt werden sollte durch “bedingt frei”. Ich gebe Ihnen ein Beispiel.

      Ich gehe jetzt vor die Tür und möchte mich entscheiden, ob ich links oder rechts um mein Haus herum gehe. Man könnte an dieser Stelle meinen, dass ich an dieser Stelle frei entscheiden könnte. Dieser Wille an dieser Stelle ist aber abhängig, davon

      – dass ich überhaupt vor die Tür gegangen bin oder
      – dass ich zwar vor die Tür gegangen bin, aber nur schauen wollte, ob draußen Jemand ist und gleich wieder rein möchte oder
      – dass ich gar nicht nach links gehen kann, da links eine Mauer steht oder oder oder

      Sie finden sicherlich eine Reihe weitere Bedingungen, die die Freiheit hier bedingen.

      Beste Grüße,
      Conny Dethloff

  2. R. Maier says:

    Hallo Herr Dethloff,

    ich beziehe mich dabei auf den Tenor des von mir verlinkten Textes von Gotthard Günther, der mir spontan einfiel, als ich las, dass auch Sie sich auf Gotthard Günther beziehen. Ich meine aus diesem Text herauszulesen, dass die von Ihnen angesprochene Thematik nur dann zum Problem wird, wenn man sich auf die klassische Logik beschränkt und nicht zwischen Sein und Sinn unterscheidet. Weil mir das ganz spontan einfiel, wollte ich das nur kurz anmerken. Ansonsten habe ich mich mit der Problematik des freien Willens noch nicht sehr eingehend beschäftigt.

    Viele Grüße

    R. Maier

  3. Volker Murmann says:

    “Der Wille ist stets bedingt”: Aber ich habe die “Macht” diese Bedingung zu setzen. Günthers Kritik an dem logischen (aristotelischen) Umtauschverhältnis nähert sich ja gerade diese Frage an: Durch was oder besser durch wen wird diese Bedingung gesetzt ?

Leave a Reply to Conny Dethloff Cancel reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *