{"id":942,"date":"2011-11-18T11:31:47","date_gmt":"2011-11-18T10:31:47","guid":{"rendered":"http:\/\/blog-conny-dethloff.de\/?p=942"},"modified":"2012-11-28T07:17:54","modified_gmt":"2012-11-28T06:17:54","slug":"komplexitaten-entstehen-aus-einfachheiten-sind-aber-schwer-zu-handhaben","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/blog-conny-dethloff.de\/?p=942","title":{"rendered":"Komplexit\u00e4ten entstehen aus Einfachheiten, sind aber schwer zu handhaben"},"content":{"rendered":"
Auf dem ersten Blick h\u00f6rt sich die im Titel postulierte Aussage vielleicht paradox oder zumindest eigenartig an. Ich werde in diesem Post ein wenig Licht in diese These bringen und Reflexionen auf Denk- und Handlungsschemata im Umgang mit komplexen Situationen geben.<\/p>\n
Komplexit\u00e4ten entstehen aus Einfachheiten …<\/strong><\/p>\n Wir Menschen sind der festen \u00dcberzeugung, kommend aus einer mechanistisch-technokratischen Sicht, die im 17. Jahrhundert mit dem Aufbl\u00fchen der Naturwissenschaften geweckt wurde, dass komplexes Verhalten oder komplexe Zusammenh\u00e4nge stets aus komplexen Verfahrensanweisungen oder komplexen Teilen bestehen muss. Das wir hier einem Irrglauben erlegen sind, m\u00f6chte ich an einem Beispiel aus der Praxis belegen.<\/p>\n Es geht um das Fangen eines Balles, was ein sehr komplexer Vorgang ist. W\u00fcrden wir als Ballf\u00e4nger beginnen, diesen Vorgang in seine Einzelteile zu zerlegen, diese zu evaluieren und zu l\u00f6sen und dann letzten Endes zu einem Algorithmus zu integrieren, welche das Verhalten abbildet, m\u00fcssten wir nicht nur ballistische Berechnungen anstellen, sondern auch noch die aktuellen Umgebungsparameter wie Windrichtung und -geschwindigkeit, den aktuellen Luftwiderstand des Balles, die Oberfl\u00e4chenbeschaffenheit des Balles, die Beschaffenheit des Bodens, auf dem wir uns bewegen usw. mitberechnen. W\u00fcrde diese Prozedur ausgef\u00fchrt, ganz abgesehen davon die notwendigen Variablen \u00fcberhaupt messen zu k\u00f6nnen, w\u00e4re der Ball l\u00e4ngst auf dem Boden, w\u00e4hrend wir noch rechnen w\u00fcrden. Des Weiteren beobachten wir selbst Kinder, die von solchen Berechnungen kein Wissen haben, dass sie in der Lage sind, B\u00e4lle zu fangen. Die intuitive Regel, die wir Menschen anwenden ist jedoch sehr einfach. Sie lautet: Richte den Blick auf den Ball, beginne zu laufen und passe die Geschwindigkeit so an, dass der Blickwinkel zum Ball konstant bleibt. Prof. Dr. Gerd Gigerenzer<\/em><\/strong> beschreibt in seinem Buch Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition<\/a> diesen Vorgang als Blickheuristik, welcher in der folgenden Abbildung dargestellt ist, die ich seinem Buch der Seite 18 entnommen habe<\/p>\n <\/a><\/p>\n Wir erkennen an dem Beispiel, dass eine einfache Regel zu einem komplexen Verhalten f\u00fchrt, welches bewusst-rational gar nicht ausgef\u00fchrt werden k\u00f6nnte.<\/p>\n Dieses Thema hat Stephen Wolfram<\/em><\/strong>, der Erfinder von Mathematica<\/a>, einem mathematischen Softwarepaket f\u00fcr symbolische Berechnungen, aufgegriffen und eine neue Art der Wissenschaft, a new kind of science, wie er es nannte, zu kreieren. Das gleichnamige Buch finden Sie beispielsweise bei Amazon<\/a> oder auch direkt im Netz<\/a>. Nach einem kostenlosen Registrieren k\u00f6nnen Sie sein gesamtes Werk (ca. 1.000 Seiten) im Internet verinnerlichen. Was meint Wolfram mit “a new kind of science”? Er deckt genau dieses oben angesprochene Paradigma auf, welchem die Naturwissenschaften heute immer noch erlegen sind, dem Glauben, dass komplexe Sachverhalte nur durch komplexe Handlungsschemata darstellbar sind. Dieses Aufdecken macht er sehr plastisch mit Hilfe von zellul\u00e4ren Automaten<\/a>. Er zeigt mit diesen auf, dass mit sehr einfachen Algorithmen sehr komplexe Muster erzeugt werden k\u00f6nnen. Ich habe einige seiner zellul\u00e4ren Automaten in MS Excel und VBA<\/a> nachprogrammiert. Es ist wirklich sehr eindrucksvoll.<\/p>\n Eine kritische Anmerkung habe ich allerdings, obwohl ich sein Buch noch nicht final zu Ende gelesen habe. Die von mir im Netz recherchierten Rezensionen zu seinem best\u00e4rken mich aber teilweise in meiner Sicht. Denn, es ist zwar richtig, dass mit einfachen Handlungsanweisungen komplexe Muster erzeugt werden k\u00f6nnen. Wolfram spiegelt dies aber sehr pauschal auf beliebig komplexe Naturph\u00e4nomene und Naturgesetze so, dass diese sich auf kleinste Skalen durch einfache, elementare Entwicklungsregeln beschreiben lassen. Ich nehme in seinen Worten eine sehr gro\u00dfe Euphorie wahr, mit dieser Erkenntnis komplexe Ph\u00e4nomene abzubilden und sogar zu beherrschen. Diese Euphorie teile ich nicht komplett, denn die zu Grunde liegenden Denkprozesse sind deshalb nicht auch gleich trivial. Die Frage bleibt also wie man zu diesen einfachen Algorithmen kommt, die komplexe Ph\u00e4nomene abbilden k\u00f6nnen. Das m\u00f6chte ich im Folgenden beleuchten.<\/p>\n … und sind aber trotzdem schwer zu handhaben, …<\/strong><\/p>\n Unsere technokratische Denk- und Handelsweise, die aus den Anf\u00e4ngen der modernen Naturwissenschaft stammt, vermittelt uns den Irrglauben, dass komplexe Strukturen und Verhaltensweisen aus komplexen Vorg\u00e4ngen oder Algorithmen entstehen m\u00fcssen. Diese Denkstrukturen haben ohne Zweifel einen sehr gro\u00dfen Beitrag zu den Erfolgen in der Physik beigetragen. Sie haben eine solide Basis geschaffen, astronomische Entdeckungen der Planeten- und Sonnenbewegungen oder auch der Mechanik in Axiome zu fassen und damit einen Einklang zwischen experimenteller \u00dcberpr\u00fcfbarkeit und theoretischer Beschreibbarkeit dieser Ph\u00e4nomene herzustellen. Diese Vorg\u00e4nge beziehen sich aber ausschlie\u00dflich auf tote Materie. Im \u00dcberschwang der Euphorie des Erfolges hat man versucht diese Denkweise auf lebende Materie 1:1 zu \u00fcbertragen. <\/p>\n Das f\u00fchrte dann dazu, dass mit Hilfe der Erkenntnisse der Infinitesimalrechnung<\/a> von Leibniz<\/em><\/strong> und Newton<\/em><\/strong>, also mit Differential- und Integralgleichungen lebende Prozesse modelliert werden sollten. Man erkannte die Schwierigkeit dieser Approximation, was aber die Intuition der Menschen best\u00e4tigte, denn komplexe Prozesse m\u00fcssen aus komplexen Teilen bestehen. Mit dem Aufkommen der Computer war hier ein weiteres Aufbl\u00fchen zu erkennen. Denn nun war man in der Lage viele Rechenoperationen in geringer Zeit auszuf\u00fchren. Der Erfolg war trotzdem nicht da. Die erstellten mathematischen Modelle waren nur noch von Experten zu verstehen, waren aber nicht in der Lage komplexe Ph\u00e4nomene zu simulieren. Das Paradigma wurde aber trotzdem nicht umgesto\u00dfen. Es war ja klar, die Modelle m\u00fcssen komplex sein, wahrscheinlich noch komplexer, damit sie komplexe Ph\u00e4nomene abbilden k\u00f6nnen. Selbst die Erkenntnisse aus der Systemtheorie haben an dieser Stelle nicht zu einem Umdenken animiert. Hier m\u00f6chte ich die Emergenz<\/a> nennen. Emergenz ist die spontane Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen auf der Makroebene eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht, oder nicht offensichtlich, auf Eigenschaften der Elemente zur\u00fcckf\u00fchren, die diese isoliert aufweisen. <\/p>\n Stephen Wolfram hat sich diese Erkenntnis zu Herzen genommen und ist einen anderen Weg gegangen. Er hat Computer benutzt, um die Ergebnisse einfacher Algorithmen graphisch aufzubereiten und zu analysieren. Er hat damit die Emergenz best\u00e4tigt. Die erhaltenen komplexen Muster haben rein gar nichts mit den zu Grunde liegenden einfachen Algorithmen zu tun.<\/p>\n Francis Bacon<\/em><\/strong>, englischer Philosoph<\/a> und Wegbereiter des Empirismus<\/a> hat als erstes formuliert, dass der Sinn der Naturwissenschaften darin besteht, die Natur zu beherrschen. Rene Descartes<\/em><\/strong>, franz\u00f6sischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler<\/a>, hat dieser Forderung Leben eingehaucht, in dem er eine Methode definierte, wie Problemstellungen wissenschaftlich untersucht werden sollen. Im Rahmen dieser Methode werden Problem- und Fragestellungen in Teile zerlegt, sprich analysiert<\/strong>, diese Teile werden dann untersucht und anschlie\u00dfend wieder zu einer Gesamtl\u00f6sung zusammengesetzt, sprich synthetisiert<\/strong>. <\/p>\n Das bedeutet, komplexe Probleme m\u00fcssen zerlegt werden, um sie zu erfassen. Das ist auch notwendig, da unserer kognitiven Beschr\u00e4nkung geschuldet. wir k\u00f6nnen Problem- und Sachlagen nicht in G\u00e4nze auf einmal erfassen. Das ist die Analyse, in welcher f\u00fcr Teilbereiche des Problems Teill\u00f6sungen gefunden werden wollen. Bei der sp\u00e4teren Zusammenf\u00fchrung dieser Teill\u00f6sungen, also in der Synthese, ist dann Vorsicht geboten. Eine Linearisierung ist nicht m\u00f6glich. Wir k\u00f6nnen nicht einfach die Teill\u00f6sungen zu einer Gesamtl\u00f6sung synthetisieren und glauben, dass es damit getan ist. Schwerwiegender ist noch, dass wir nicht genau wissen k\u00f6nnen, ob die Teill\u00f6sungen \u00fcberhaupt in die richtige Richtung der Gesamtl\u00f6sung f\u00fchren. Sie k\u00f6nnen vielleicht rein gar nichts miteinander zu tun haben, haben sie in der Regel auch nicht, da bei der Analyse und anschlie\u00dfenden Synthese die Dynamik der Wechselwirkungen der Teill\u00f6sungen nicht ber\u00fccksichtigt werden.<\/p>\n Das bedingungslose unreflektierte Anwenden der Methode von Descartes, Analyse und Sytnhese, f\u00fchrt bei Komplexit\u00e4ten also in die Sackgasse. Mit dieser Vorgehensweise wird das Auffinden von einfachen L\u00f6sungen niemals m\u00f6glich sein. Diese Methode wird allerdings in unseren Bildungseinrichtungen als das Allheilmittel f\u00fcr das Probleml\u00f6sen angepriesen. Das macht den Umgang mit komplexen Situationen damit auch so schwierig, weshalb ich auch stets vom Handhaben und niemals vom Beherrschen von komplexen Situationen spreche. Ich m\u00f6chte aber noch einmal deutlich betonen, dass diese Methode f\u00fcr Fragestellungen nichtlebender Materie zum Erfolg f\u00fchrt, aber eben nicht f\u00fcr lebende.<\/p>\n … weshalb folgende Denk- und Handlungsschemata relevant werden.<\/strong><\/p>\n Jetzt bleibt nat\u00fcrlich noch die Frage offen, wie wir auf diese Erkenntnisse reagieren m\u00fcssen. Worauf sollten wir achten, wenn wir mit komplexen Fragestellungen umgehen, die lebende Materie betreffen. By the way. Genau diese Problemstellungen machen uns derzeit so gro\u00dfe Kopfzerbrechen, wenn ich an die Umweltproblematik oder an die Finanzdiskussionen denke.<\/p>\n Wir haben gelernt, dass keine lineare Beziehung zwischen den Teill\u00f6sungen und der Gesamtl\u00f6sung existiert. Die Teill\u00f6sungen lassen sich nicht einfach zu einer Gesamtl\u00f6sung integrieren. Das bedeutet aber auch, dass es keine direkt sichtbare Beziehung zwischen den Handlungen und dem Ergebnis geben kann. An dieser Stelle erinnere ich noch einmal an die Erzeugung der komplexen Muster durch ganz einfache Anweisungen, wie Wolfram sie eingef\u00fchrt hat. An dieser Stelle m\u00fcssen also bestehende Methoden und Prozesse ganz genau evaluiert werden. Immer dann wenn man es mit komplexen Problemen zu tun hat, wo also Menschen involviert sind, f\u00fchren ganz detailliert definierte Prozesse h\u00e4ufig nicht zum Erfolg. Es darf nicht vorgeschrieben sein, was genau getan werden soll, sondern was mit diesen Prozessen erreicht werden soll. Es gibt kein Rezept zum L\u00f6sen komlexer Probleme. Und auch die Fragestellung, was mit den Prozessen erreicht werden soll, muss regelm\u00e4\u00dfig evaluiert werden, da sich Ziele in komplexen Umgebungen h\u00e4ufig \u00e4ndern. Details dazu habe ich in meinem Post Sind Ziele sinnlos?<\/a> ausgef\u00fchrt.<\/p>\n Des Weiteren erkennt man sehr schnell die absolute Bedeutung von Kommunikation beim L\u00f6sen komplexer Probleme. Kommunikation ist bei der Synthese der Teill\u00f6sungen zu einer Gesamtl\u00f6sung immens wichtig. Sehr h\u00e4ufig geht es beim Probleml\u00f6sen nicht darum im Sinne einer L\u00f6sung zu diskutieren. Es geht viel zu oft einfach nur um das “Recht haben”. Man ben\u00f6tigt also bei den Kommunikationsprozessen zum L\u00f6sen von komplexen Problemen eine gemeinsame Bezugsbasis<\/a>. Hat man diese, ist eine Voraussetzung geschaffen, die Probleme in Teams zu l\u00f6sen. Dann geht es n\u00e4mlich um die “Wahrheit”. Hat man diese Bezugsbasis nicht, geht es ausschlie\u00dflich um Macht. Das Finden einer tragf\u00e4higen L\u00f6sung ger\u00e4t dann in den Hintergrund.<\/p>\n Dann m\u00f6chte ich zum Schluss nicht vergessen auf die oben angesprochene Wechselwirkung und die so entstehende Dynamik zwischen den Teill\u00f6sungen zu verweisen. Diese Dynamik muss n\u00e4mlich bei der Analyse und anschlie\u00dfenden Synthese beachtet werden. Dazu eignet sich System Dynamics als Methode und Handwerkszeug sehr gut. Details dazu finden Sie in meinem Post Entscheidungen: Mit System Dynamics dem BI Wirkkreis Leben einhauchen<\/a>.<\/p>\n