{"id":559,"date":"2011-07-15T13:43:59","date_gmt":"2011-07-15T12:43:59","guid":{"rendered":"http:\/\/blog-conny-dethloff.de\/?p=559"},"modified":"2012-11-28T07:25:28","modified_gmt":"2012-11-28T06:25:28","slug":"den-wettlauf-mit-der-komplexitat-konnen-wir-nicht-gewinnen","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/blog-conny-dethloff.de\/?p=559","title":{"rendered":"Den Wettlauf mit der Komplexit\u00e4t k\u00f6nnen wir nicht gewinnen"},"content":{"rendered":"
Diese Aussage im Kommentar<\/a> meines Post Komplexit\u00e4tsmanagement \u2013 K\u00f6nnen wir Komplexit\u00e4t in Unternehmen handhaben, wenn ja wie? Welche Rolle spielt dabei Simplifizierung?<\/a> hat mich zum weiteren Nachdenken \u00fcber Komplexit\u00e4t angeregt. Die Ergebnisse dieser Gedankeng\u00e4nge, die nur vorl\u00e4ufigen Charakter haben k\u00f6nnen, wenn man dem Titel meines Posts glauben schenkt, m\u00f6chte ich hier gerne darlegen. Und ich glaube fest daran, dass wir den Wettlauf mit der Komplexit\u00e4t nicht gewinnen k\u00f6nnen. Warum? Lesen Sie gerne weiter. <\/p>\n Zur Definition von Komplexit\u00e4t m\u00f6chte ich in diesem Post nicht weiter eingehen. Da m\u00f6chte ich auf das Cynefin-Modell von Dave Snowden<\/em><\/strong> verweisen, welches ich in meinem Post Behindert unser unzureichendes Zahlenverst\u00e4ndnis unser Probleml\u00f6sen?<\/a> reflektiere.<\/p>\n Sie kennen doch sicherlich das Grimm-M\u00e4rchen Der Hase und der Igel<\/a>, in welchem Hase und Igel Wettl\u00e4ufe bestreiten und der Hase einfach nicht gewinnen kann, da der Igel trickst. \u00c4hnlich wie dem Hasen ergeht es uns mit der Komplexit\u00e4t. Immer wieder versuchen wir die Komplexit\u00e4t einzuholen, m\u00fcssen aber immer wieder leidlich erfahren, dass wir das nicht schaffen. Immer wieder trickst diese “stachlige” Komplexit\u00e4t uns aus. Nur mit welchen Tricks? Das m\u00f6chte ich im Folgenden beleuchten.<\/p>\n <\/a><\/p>\n Trick 1: Emergenz<\/strong><\/p>\n Aus der Systemtheorie kennen wir das Ph\u00e4nomen der Emergenz, welche besagt, dass das Ganze stets mehr ist als die Summe der Teile des Ganzen. Um also eine Sachlage oder eine Problematik zu verstehen, m\u00fcssen wir Sie im Ganzen betrachten. Bereits ein Herausnehmen von Teilen f\u00fchrt zu einer Verf\u00e4lschung der Sachlage oder der Problematik. In den allermeisten F\u00e4llen besteht ein Problem aus einer Reihe von Einflussfaktoren, die wir gar nicht alle auf einmal wahrnehmen und betrachten k\u00f6nnen. Daf\u00fcr ist unser Aufmerksamkeitsfenster viel zu klein. Ein gleichzeitiges Erfassen einer Gesamtsituation geht also rein anatomisch und kognitiv nicht. Auf der anderen Seite sichert uns aber diese Vereinfachung \u00fcberhaupt erst das \u00dcberleben in einer dynamischen Umwelt. Daf\u00fcr m\u00f6chte ich jeweils ein Beispiel anf\u00fchren, eines welches die Sinnhaftigkeit von Trivialisierung untermauert und eines welches die Gefahren offenlegt. Fahren Sie mit dem Auto beispielsweise von Rostock nach M\u00fcnchen, bringt Ihnen eine Karte, in welcher auf der Strecke zwischen Rostock und M\u00fcnchen jede kleine Nebenstra\u00dfe eingezeichnet ist, relativ wenig, im Gegenteil diese Information wird Sie wahrscheinlich verwirren. Den \u00fcberwiegenden Teil der Strecke verbringen Sie auf der Autobahn. Hier hilft also Vereinfachung absolut weiter. Wenn Sie Wasser in seine Einzelteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen und aus den Eigenschaften dieser auf die Eigenschaft von Wasser schlussfolgern wollen, w\u00fcrden Sie wahrscheinlich niemals auf die Idee kommen, Wasser zum L\u00f6schen von Feuer einzusetzen.<\/p>\n Grunds\u00e4tzlich ben\u00f6tigen wir Paradigmen, die nicht st\u00e4ndig hinterfragt werden, sondern als gegeben angesehen werden. Diese geben uns Halt und spiegeln den Fakt wider, dass Menschen in der Regel energieeffizient agieren. Hier kommen wir an ein Paradoxon nicht vorbei. Das Bewusstsein f\u00fcr Komplexit\u00e4t wird nur dann ausgebildet, wenn diese das Bewusstsein \u00fcberfordern. Das Bewusstsein hinkt st\u00e4ndig hinterher. Und wenn wir uns etwas nicht bewusst sind, reagieren wir auch nicht darauf. Selbst beim Denken fokussieren wir, nehmen also Teile heraus und ver\u00e4ndern damit ein Problem, was wir durch das Denken und dem anschlie\u00dfend darauf aufbauenden Handeln l\u00f6sen wollen. Also d\u00fcrften wir eigentlich nicht denken, w\u00fcrden dann aber auch nicht rational handeln k\u00f6nnen. Intuitiv k\u00f6nnten wir schon handeln, was aber nicht ausreichend ist, genauso wie rein rationales Handeln nicht ausreichend ist, komplexe Probleme zu l\u00f6sen. Des Weiteren lassen sich unsere Wahrnehmungen einzig und allein durch Kommunikation mit unseren Mitmenschen teilen. Aber auch die Sprache ist wieder eine Trivialisierung. Wir setzen Objekte und Subjekte, die wir wahrnehmen, mit Buchstaben und W\u00f6rtern gleich und erzeugen damit eine Statik, die der Welt nicht unterliegt. Schon Heraklit meinte, das alles flie\u00dft und sich ver\u00e4ndert. Auf Grund des linearen Aufbaus unserer Sprachen k\u00f6nnen wir diese Dynamik aber nicht ausdr\u00fccken. <\/p>\n Trick 2: Black Box<\/strong><\/p>\n Aus der Kybernetik kennen wir den Begriff der Black Box. Heinz von F\u00f6rster<\/em><\/strong> leitete daraus die nichttriviale Maschine ab. Die nichttrivialen Maschinen haben keine Fenster, was hei\u00dfen soll, dass man nicht in sie hineingucken kann. Es lassen sich aber auch nicht aus der Analyse und Gegen\u00fcberstellung von Input- zu Outputdaten, Verhaltensmuster dieser Maschinen entlarven. Der Mensch ist eine solche nichttriviale Maschine oder Black Box. Die Gedankeng\u00e4nge eines Menschen sind von au\u00dfen unsichtbar und werden es auch immer bleiben. Ganz egal was uns die Vertreter der K\u00fcnstlichen Intelligenz auch weis machen wollen. Das Einzige was sichtbar ist, da messbar, sind Gehirnstr\u00f6me. Aber aus diesen lassen sich niemals Gedankeninhalte ableiten. Ein Mensch kann sich beispielsweise in scheinbar gleichen Situationen komplett unterschiedlich verhalten. Ich sage hier scheinbar, da es keine zwei Situationen geben kann, die absolut identisch sind. Wir trivialisieren im Rahmen unserer Wahrnehmung Situationen als identisch. Aber das hatten wir ja schon im Trick 1. Des Weiteren k\u00f6nnen wir auch an scheinbar gleichen Gestiken und Mimiken eines Menschen seinen Gem\u00fctszustand nicht ansatzweise ablesen. Das Wort scheinbar f\u00fcge ich hier wieder mit der gleichen Begr\u00fcndung wie ein. Wir haben es also mit Subjektivit\u00e4ten zu tun, die im Rahmen der menschlichen Kognition nicht formalisierbar sind. Alle Probleme, die wir als komplex wahrnehmen, haben mit Subjektivit\u00e4ten zu tun. Oder kennen Sie ein Problem wo dies nicht der Fall ist?<\/p>\n Ich m\u00f6chte nicht vers\u00e4umen in diesem Zusammenhang Gottfried Wilhelm Leibniz<\/em><\/strong> zu erw\u00e4hnen, der mit seiner Monadologie ebenfalls einen Beitrag geliefert hat, Subjektivit\u00e4ten zu akzeptieren. Gotthard G\u00fcnther<\/em><\/strong> hat mich in seiner Vorlesung zur Naturphilosophie<\/a>, die er in Hamburg im Wintersemster 1981 gelesen hat, auf die Monadologie aufmerksam gemacht. Monadologie stammt vom Begriff Monade und kommt aus dem Griechischen, wo Monas gleich Einheit bedeutet. Eine Monade ist die letzte, unteilbare, nicht zusammengesetze Einheit. Leibniz st\u00fctzt sich in seiner Monadologie auf eben genau diese Vorstellung. Monaden sind f\u00fcr ihn die letzten, einfachen, unteilbaren, individuellen und in sich abgeschlossenen Einheiten oder Substanzen. Sie sind selbst\u00e4ndig, haben keinen k\u00f6rperlichen, sondern einen seelisch-geistigen Charakter. Leibniz hat 92 Paragraphen<\/a> seiner Monadologie aufgestellt. So wie ich diese verstehe, kann man Monaden gut und gerne mit Black Boxes vergleichen. <\/p>\n Trick 3: Problem-L\u00f6sungs-Spirale<\/strong><\/p>\n Je mehr wir wissen, desto mehr wissen wir nicht. Oder anders. Je gr\u00f6\u00dfer unser Wissen ist, desto gr\u00f6\u00dfer ist auch unser bekanntes Nichtwissen. Das bedeutet, wir kennen dann mehr Themen, die wir nicht wissen. Die Komplexit\u00e4t wird also dann gr\u00f6\u00dfer empfunden. Komplexit\u00e4t ist immer subjektiv, wird also von jedem Individuum anders empfunden und wahrgenommen. Unser Wissen hat also unmittelbar etwas mit der subjektiv wahr genommenen Komplexit\u00e4t zu tun. Bez\u00fcglich der Komplexit\u00e4t bestehen zwei Sichtweisen. Die eine Sichtweise postuliert, dass wir Menschen Komplexit\u00e4ten selber erzeugen, die andere, dass Komplexit\u00e4ten schon immer da waren, wir sie nur jetzt auf Grund unseres gesteigerten Wissens erst wahrnehmen k\u00f6nnen. Ich tendiere zu der ersten Sichtweise. Wir erzeugen Probleme, die wir versuchen zu l\u00f6sen, oft auch l\u00f6sen, und erzeugen damit weitere Probleme. Hier hat sich die Komplexit\u00e4t einen ganz gewieften Trick ausgedacht. Wir befinden uns in einer Spirale, der wir nicht entfliehen k\u00f6nnen.<\/p>\n Bleibt die Frage, ob diese Spirale irgendwann endet oder nicht, sprich ob wir es mit einer Singularit\u00e4t, die sinnbildlich f\u00fcr ein unbegrenztes Wachstum der Komplexit\u00e4t steht, oder ob wir es mit einem Fixpunkt, der sinnbildlich f\u00fcr ein begrenztes Wachstum der Komplexit\u00e4t steht, zu tun haben. An dieser Stelle streiten sich die Gelehrten und Futuristen noch. Mathematisch ist beides m\u00f6glich, denn Beides beruht auf Rekursion. Aus der Finanzwirtschaft kennen wir leidlich das Prinzip der Singularit\u00e4t. Durch den Zinseszins wird Geld zu Geld und immer mehr Geld, und das unbegrenzt. Von der menschlichen Kognition her kennen wir das Prinzip des Fixpunktes, was uns erlaubt unsere Umwelt \u00fcberhaupt erst wahrzunehmen. Wenn sich die Problem-L\u00f6sungs-Spirale in Richtung Fixpunkt dreht, hat sich dieser Trick irgendwann ausgetrickst. Dann w\u00fcrden wir diesbez\u00fcglich der Komplexit\u00e4t nicht mehr nur hinterher hinken, sondern irgendwann einholen. Aber Vorsicht, wir haben ja noch die beiden anderen Tricks. Allerdings bleibt noch zu \u00fcberlegen, ob wir in einem Fixpunkt nicht doch eine Verst\u00e4rkung der Komplexit\u00e4t wahrnehmen, die real nicht da ist. Dieser Fakt ist weitere \u00dcberlegungen wert. <\/p>\n