{"id":425,"date":"2011-04-05T17:08:14","date_gmt":"2011-04-05T16:08:14","guid":{"rendered":"http:\/\/blog-conny-dethloff.de\/?p=425"},"modified":"2022-05-29T09:55:09","modified_gmt":"2022-05-29T08:55:09","slug":"kann-ein-freier-wille-bedingt-sein","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/blog-conny-dethloff.de\/?p=425","title":{"rendered":"Kann ein freier Wille bedingt sein?"},"content":{"rendered":"
In seinem Buch Das Handwerk der Freiheit<\/a> interpretiert Peter Bieri<\/em><\/strong> den freien Willen erfrischend neu. Er legt sehr spannend und ohne Philosophie-Kauderwelsch seine Gedanken und Ideen dar. Ich finde besonders beachtlich wie Bieri die Dinge extrem tiefgr\u00fcndig betrachtet und einfach ausformuliert.<\/p>\n <\/a><\/p>\n Im ersten Teil befasst Bieri sich mit der bedingten Freiheit. Dabei geht er auf die Themen Wunsch, Willen und Handeln ein. Z\u00e4umen wir die Kette mal von hinten auf. Der Mensch tut etwas, wenn er etwas will und das Wollen h\u00e4ngt wiederum von einem zuvor in dem Menschen entstandenen Wunsch ab. Man erkennt also die Bedingtheit, die beim Wunsch beginnt. Das Ergebnis dieser Bedingtheit wird durch das Denken der Menschen bestimmt. Bieri geht ebenfalls darauf ein, dass das Denken der Menschen beeinflusst werden kann, was dann nat\u00fcrlich letztendlich einen Einfluss auf die Handlungen hat. Denken Sie beispielsweise an Hypnotisierte, an Zwanghafte oder an Menschen, die einer Gehirnw\u00e4sche unterzogen wurden. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass man nur dann von Freiheit sprechen kann, wenn diese bedingt ist. W\u00fcrde man keine Bedingtheit zwischen Handlung und Wollen ausmachen k\u00f6nnen, w\u00fcrde die Freiheit des Willens an Sinn verlieren, denn der Wille w\u00e4re komplett zuf\u00e4llig und somit nicht dem Menschen zugeh\u00f6rig.<\/p>\n Wir Menschen ben\u00f6tigen Bedingtheit in Form von Kausalit\u00e4t, um Ph\u00e4nomene erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen. W\u00e4re allerdings unsere Welt komplett von Kausalit\u00e4t durchzogen, w\u00fcrde der freie Wille ebenfalls an Sinn verlieren, weil dann schon von Geburt an vorherbestimmt w\u00e4re, wie sich ein Mensch entwickelt. Er muss sich dann gar nicht mehr entscheiden, oder besser gesagt, er kann es gar nicht mehr. <\/p>\n Im zweiten Teil des Buches beleuchtet der Autor die Frage bzgl. der unbedingten Freiheit n\u00e4her und stellt die Begriffe Bedingtheit vs. Unbedingtheit und Freiheit gegen\u00fcber. Bedingte Freiheit bedeutet, es gibt g\u00e4nzlich keine Verantwortung f\u00fcr das Handeln. Das Denken ist quasi kein “unbewegter Beweger”. Setzt man Freiheit ausschlie\u00dflich mit bedingter Freiheit gleich, kann Niemand f\u00fcr sein Handeln zur Rechenschaft gezogen werden. Wir w\u00fcrden keine Gef\u00fchle wie Scham, Reue, Wut etc. kennen, da alle Menschen das machen, was sie machen m\u00fcssen. Es ist ja vorherbestimmt. Bedingte Freiheit bedeutet per Defintion nicht absolute Freiheit. Das dr\u00fcckt das Wort “bedingt” schon aus. Unbedingte Freiheit bedeutet, dass Menschen nicht mehr entscheiden k\u00f6nnen. Denn dann hat das Wollen und das W\u00fcnschen eines Menschen rein garnichts mehr mit dem Menschen an sich zu tun. Es ist komplett abgekoppelt, da es keine Wechselwirkung zu der Historie und auch nicht zum Denken des Menschen gibt. Das Entscheiden ist in diesem Fall ein “unbewegter Beweger”. Auch unbedingte Freiheit ist keine Freiheit im Sinne wie wir es wahrscheinlich gerne sehen w\u00fcrden. Wenn ich also nicht entscheiden kann, oder anders ausgedr\u00fcckt, meine Gedanken \u00fcberhaupt keinen Einfluss auf meine Entscheidungen haben, kann ich mich nicht als Mensch bezeichnen, der einen freien Willen besitzt und daraufhin agiert. Die Entscheidungen sind mir quasi fremd.<\/p>\n Aber was denn nun? Bedingte als auch unbedingte Freiheit sind Konstrukte, die keine absolute Freiheit ausmachen. Wir haben zwei Pole ausgelotet. Bei der absolut bedingten Freiheit sind wir f\u00fcr unser Handeln und Tun nicht zur Rechenschaft zu ziehen. Wir konnten ja nicht anders, da alles vorherbestimmt war. Bei der absolut unbedingten Freiheit nutzt \u00dcberlegen und Denken rein gar nichts, da es sowieso keinen Einfluss auf unser Handeln und Tun hat. Beides will ich mir nicht vorstellen, oder anders Beides kann es gar nicht geben. Es gibt aber einen signifikanten Unterschied zwischen absolut bedingter und absolut unbedingter Freiheit. Eine absolut unbedingte Freiheit kann niemals in Richtung Freiheit, wie wir es verstehen, wandern. Ein absolut unbedingter Wille beruht auf nichts, was wir von der Umwelt wahrnehmen. Dementsprechend kann sich dieser auch niemals aufgrund gemachter Erfahrungen \u00e4ndern. Er \u00e4ndert sich, oder auch nicht, ausschlie\u00dflich komplett losgel\u00f6st von den Menschen. Das Geflecht zwischen Unbedingtheit und Freiheit ist also ein reines Wortkonstrukt, welches es nicht gibt. Bedingtheit ist Freiheit oder Unfreiheit immer als Basis vorangestellt. <\/p>\n Bieri deckt ein Paradigma auf, welchem wir unterlegen sind, wenn wir von bedingter Freiheit im Willens- und Entscheidungsprozess reden. Es geht um die Ohnmacht unserem Willen gegen\u00fcber. Auch wenn unser Denken und Handeln von unserer Historie (Erlebnisse, Erziehung, Freunde etc.) bestimmt und damit bedingt ist, stehen wir unserem Willen nicht ohnm\u00e4chtig gegen\u00fcber. Dieser Wille passiert nicht einfach mit uns. Der Wille kann noch immer von uns beeinflussbar sein. Er spricht von “kann”, denn ein Hypnotisierter oder ein Zwanghafter kann das sicher nicht von seinem Willen behaupten. Peter Bieri zeigt damit auch eindrucksvoll, dass wir viel zu nachl\u00e4ssig und nicht tiefgr\u00fcndig genug mit unserer Sprache umgehen. Wir haben, und ich schlie\u00dfe mich da ein, Freiheit stets mit Unbedingtheit gleichgesetzt. Erst wenn mein Wollen und Handeln von nichts bedingt ist, f\u00fchle ich mich frei. Das ist aber ein Trugschluss, weil es das nicht geben kann.<\/p>\n Der Autor kommt ohne Anspielung auf Experimente aus, in denen Zeitpunkte bzgl. des Flie\u00dfens von Gehirnstr\u00f6men und des Entscheidens gegen\u00fcber gestellt werden. Das ist wichtig, denn schon durch den Experimentieraufbau verf\u00e4lscht man die zu untersuchende Situation, in dem man eine Umgebung herstellt, die hierarchisch aufgebaut ist, wo also das Transitivit\u00e4tsgesetz gilt. Dinge laufen streng nacheinander ab. Das ist aber beim Denkprozess nicht der Fall, wie ich im Artikel Ist der freie Wille Illusion<\/a> bereits ausgef\u00fchrt habe. Bieri benutzt seinen reinen Verstand und denkt das Thema tiefgr\u00fcndig zu Ende.<\/p>\n Fazit: Das Buch ist unbedingt lesenswert, weil die Freiheit bedingungslos in all ihren Facetten dargestellt und reflektiert wird. F\u00fcr Jeden, der sich bereits mit dem freien Willen besch\u00e4ftigt hat, ist dieses Buch eine absolute Pflichtlekt\u00fcre. Den absolut freien Willen gibt es deshalb nicht weil er immer bedingt ist und der freie Wille kann nicht nur bedingt sein, er muss es sogar sein.<\/p><\/blockquote>\n