{"id":4214,"date":"2018-04-05T06:00:55","date_gmt":"2018-04-05T05:00:55","guid":{"rendered":"http:\/\/blog-conny-dethloff.de\/?p=4214"},"modified":"2018-04-04T16:34:00","modified_gmt":"2018-04-04T15:34:00","slug":"analytik-zerstort-komplexitat-zerstort-lebendigkeit","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/blog-conny-dethloff.de\/?p=4214","title":{"rendered":"Analytik zerst\u00f6rt Komplexit\u00e4t zerst\u00f6rt Lebendigkeit"},"content":{"rendered":"
In vielen Situationen, in denen Menschen komplexe Probleme l\u00f6sen sollen oder wollen, nehme ich einen zu ausgepr\u00e4gten Hang zur Analytik wahr. Warum das so ist und warum diese Vorgehensweise fatal ist, erkl\u00e4re ich aus meiner Sicht\u00a0mit den kommenden Zeilen.<\/p>\n
In vielen meiner Beitr\u00e4ge habe ich bereits erl\u00e4utert, wie ich Komplexit\u00e4t, vor allem auch im Einklang mit Kompliziertheit, definiere. Jedes Problem, in welchem ein Mensch involviert ist, und sei es nur als Beobachter, hat Anteile, die klar und reduktionsfrei beschreibbar sind, und welche, wo diese Beschreibung nicht gegeben werden kann. Dabei ist zu erw\u00e4hnen, dass in allen\u00a0Problemen, die wir\u00a0denken k\u00f6nnen,\u00a0ein Mensch\u00a0involviert ist. Denn Probleme, in denen ein Mensch weder handelt noch beobachtet, sind quasi nicht existent f\u00fcr uns. Die beschreibbaren Anteile sind kompliziert, die nicht beschreibbaren komplex. In diesem Beitrag<\/a> gehe ich auf meine Interpretation von Komplexit\u00e4t im Zusammenspiel mit Kompliziertheit\u00a0detailliert ein.<\/p>\n Jedes Thema oder Problem besitzt stets beide Anteile, komplexe (nicht beschreibbare) und komplizierte (beschreibbare). Es gibt keine Probleme, die 100% komplex oder 100% kompliziert sind. Jedes Problem l\u00e4sst sich auf dem unten abgebildeten Strahl zwischen den beiden extremen Polen platzieren.<\/p>\n <\/a><\/p>\n Und diese Einordnung ist h\u00f6chst subjektiv, da sie abh\u00e4ngig ist von der jeweiligen Verf\u00fcgbarkeit von sprachlichen Mitteln. Das folgende Beispiel, welches, wie auch die Abbildung, aus dem obigen Beitrag entnommen ist, stellt dieses klar.<\/p>\n Stellen Sie sich einen Ihnen g\u00e4nzlich unbekannten Raum vor. Dieser ist stock\ufb01nster und da dieser Raum unbekannt f\u00fcr Sie ist, wissen Sie nicht, ob und wenn ja welche M\u00f6bel wo platziert sind. Sie kennen auch die Gr\u00f6\u00dfe des Raumes nicht. Sie haben die Aufgabe, von der T\u00fcr zur gegen\u00fcberliegenden Seite des Raumes zu gelangen. Sie besitzen kein Wissen \u00fcber den Raum und damit keine M\u00f6glichkeit zur Beschreibung. Das Problem ist f\u00fcr Sie also eines mit einem hohen Anteil an Komplexit\u00e4t und Sie w\u00fcrden das Problem weit links auf dem Strahl einordnen.<\/p>\n Nun stellen Sie sich bitte einen Menschen vor, der von Geburt an blind ist, der den Raum aber ebenfalls nicht kennt. Dieser Mensch w\u00fcrde wahrscheinlich das Problem weiter rechts auf dem Strahl einordnen. Ihm stehen aufgrund seiner anders ausgebildeten Sinnesorgane andere Mittel zur Verf\u00fcgung. Dieser Mensch kann den Raum also besser beschreiben als Sie. Damit sinken die komplexen Anteile des Problems f\u00fcr diesen Menschen.<\/p>\n Stellen Sie sich bitte weiterhin vor, dass Sie diese \u00dcbung stetig wiederholen m\u00fcssen. Der Raum bleibt aber stockduster. Mit jedem Mal der Wiederholung gelangen Sie zu mehr Mitteln, um den Raum zu beschreiben. Ihre Erfahrung w\u00e4chst. Das Problem wandert also auf dem Strahl nach rechts. Vorausgesetzt nat\u00fcrlich, dass im Raum nichts ge\u00e4ndert wird, weil sonst die vorhandenen sprachlichen Mittel zur Beschreibung korrigiert werden m\u00fcssen. Das Problem wandert dann wieder ein St\u00fcck nach links. Ihre Erfahrung ist nicht mehr so viel wert.<\/p>\n Jetzt stellen Sie sich bitte zus\u00e4tzlich vor, dass mit jedem Mal der Wiederholung der \u00dcbung nach und nach der Raum immer mehr erhellt wird. Dieser Fakt f\u00fchrt dazu, dass Sie Ihre sprachlichen Mittel, um den Raum zu beschreiben, schneller ausarbeiten k\u00f6nnen. Das Problem wandert damit schneller von links nach rechts.<\/p>\n Leiten wir daraus nun weitere Attribute, zus\u00e4tzlich zur Nichtbeschreibbarkeit, von Komplexit\u00e4t ab.<\/p>\n Je komplexer ein Problem, desto emergenter ist dieses, das bedeutet, desto weniger l\u00e4sst sich dieses Problem in Einzelprobleme zerlegen, diese l\u00f6sen und die Einzell\u00f6sungen zu einer Gesamtl\u00f6sung zusammen setzen. Je komplexer also ein Problem ist, desto gr\u00f6\u00dfer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man dieses Problem durch Zerlegen zerst\u00f6rt und man es deshalb auch nicht mehr\u00a0l\u00f6sen kann. Es ist ja im Denkraum nicht mehr existent. Emergenz bedeutet in diesem Fall, dass das Ganze nicht gleich der Summe der Einzelteile entspricht. Diesen Fakt erkennt man unter anderem im Mannschaftssport sehr eindrucksvoll. Die besten Einzelspieler auf jeder Position machen noch lange nicht das beste Team aus.<\/p>\n Was machen wir Menschen aber, wenn wir analytisch vorgehen? Wir zerlegen das Problem. Aua. Aber dazu kommen wir sp\u00e4ter noch einmal zur\u00fcck.<\/p>\n Je komplexer ein Problem ist, desto weniger Wissen liegt vor dieses zu l\u00f6sen. Na klar, Wissen h\u00e4ngt von der Beschreibung ab. Und wenn wir ein Problem weniger beschreiben k\u00f6nnen, dann deshalb, weil wir weniger Wissen dar\u00fcber vorliegen haben. Wissen wird durch Beschreibung expliziert. Im Komplexen hilft eher Talent weiter. Das bedeutet, je komplexer ein Problem ist, desto weniger klar ist die L\u00f6sung VOR dem Handeln. Im Komplizierten ist diese klar. Das notwendige Wissen, um die komplexen Anteile eines Problems zu l\u00f6sen, kann nicht durch alleiniges Denken ohne Handeln inkl. des Reflektierens und Lernens der Ergebnisse der Handlungen\u00a0erworben werden. Hat man Wissen zu einer dedizierten Situation erworben, kommt genau diese Situation in der Zukunft nie wieder (Heraklit: “Alles flie\u00dft.”). Es reicht schon, dass nur einige Parameter sich \u00e4ndern und schon ist die Situation eine v\u00f6llig andere und das erworbene Wissen ist dann nicht mehr passf\u00e4hig. Hier kommt ein weiteres Attribut von Komplexit\u00e4t zum Tragen, dass n\u00e4mlich kleine Ursachen gro\u00dfe Wirkungen haben k\u00f6nnen. Dieses Ph\u00e4nomen ist auch als Schmetterlingseffekt<\/a> bekannt.<\/p>\n Daraus folgt, dass, je komplexer ein Problem ist, desto l\u00e4nger\u00a0sollte\u00a0man den L\u00f6sungsraum offen und gro\u00df halten. Denn es gibt viele verschiedene m\u00f6gliche L\u00f6sungen vor dem Handeln. Hier referenziere ich gerne auf den Ethischen Imperativ von Heinz von F\u00f6rster<\/p>\n Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlm\u00f6glichkeiten gr\u00f6\u00dfer wird!<\/p><\/blockquote>\n Je komplizierter ein Problem ist, desto eher sollte man den L\u00f6sungsraum verkleinern, denn es gibt genau eine beste L\u00f6sung, die man vor dem Handeln auch kennen sollte. Das Wissen dar\u00fcber liegt ja vor. Und das bedeutet wiederum, dass, je komplexer ein Problem ist, desto andere Fragen muss man sich als Probleml\u00f6ser stellen und beantworten, wie zum Beispiel: “Was spricht GEGEN diese L\u00f6sung”. Diese Frage kennt man aus Konsentverfahren<\/a>. Je komplizierter ein Problem ist, desto eher sollte man fragen, was F\u00dcR eine L\u00f6sung spricht. Diese\u00a0Frage kommt aus der Konsensfindung. Das Suchen nach Konsens ist also bei Problemen mit je h\u00f6her werdenden komplexen Anteilen eher kontraproduktiv und nicht passf\u00e4hig.<\/p>\n Was passiert aber, wenn man sich den Fakt, dass, je komplexer ein Problem ist, vor dem Handeln viele gute L\u00f6sungen vorliegen, durchdenkt? Eine analytische Vorgehensweise f\u00fchrt in Beliebigkeit und damit in eine Handlungsstarre. In diesen Momenten werden dann Themen “zerredet”. Warum? Man verstrickt sich in Pro-Contra Diskussionen der L\u00f6sungsoptionen. Streng analytisch sprechen viele Punkte f\u00fcr und viele gegen die vielen vorliegenden\u00a0L\u00f6sungsoptionen. Und nun? Um in je komplexer werdenden Situationen ins Handeln zu kommen, muss der L\u00f6sungsraum an bestimmten Zeitpunkten vom L\u00f6sungssuchenden klein gemacht werden, um diesen nach einigen Handlungsschritten zum Reflektieren \u00fcber die Ergebnisse aus den Handlungen wieder gro\u00df zu machen. Das ist \u00fcbrigens der ganze Zauber hinter Scrum, denn im \u00dcbergang von einem zum n\u00e4chsten Sprint inkl. der Retrospektiven (bzgl. der Strukturen) und der Reviews (bzgl. der Inhalte) passiert genau das.<\/p>\n Und f\u00fcr genau dieses Kleinmachen des L\u00f6sungsraumes ist strenge Analytik eher nicht passf\u00e4hig, da es keinen rational-logischen Nachweis geben kann. Hier hilft Glaube und Bauchgef\u00fchl eher weiter.<\/p>\n Wir erkennen schon jetzt, dass sich Probleml\u00f6sung im Komplexen und im Komplizierten grundlegend unterscheiden. Nur, so jedenfalls meine Beobachtung und Wahrnehmung, haben wir im Rahmen unserer Sozialisierung Probleml\u00f6sung ausschlie\u00dflich im Komplizierten gelernt<\/a>. Den Mythos, es gibt zu jedem Problem stets den einen besten Weg (Kompliziertheit), erkennt man als Resultat an viele Muster unserer Gesellschaft, beispielsweise daran, wie Unternehmen in der Regel aufgebaut sind (Taylorismus<\/a>), oder wie unsere Bildungsinstitute aufgebaut sind, n\u00e4mlich nach F\u00e4chern<\/a>. Dieser Mythos basiert auf unserem Denkrahmen, also der Art und Weise WIE, nicht WAS, wir denken.<\/p>\n Zu unserem Denkrahmen habe ich in der Vergangenheit bereits einige Beitr\u00e4ge verfasst, zwei m\u00f6chte ich hier exemplarisch nennen, n\u00e4mlich Vernetztes Denken ist (noch?) eine Illusion<\/a> und Unser Denkrahmen hat sich seit dem Mittelalter nicht weiter entwickelt<\/a>. Aber auch einige meiner Gef\u00e4hrten auf meiner Reise des Verstehens besch\u00e4ftigen sich mit unserem Denken, wie beispielsweise Stefan Hagen in seinem Beitrag Mechanistisches vs. ganzheitliches Denken und Handeln<\/a>. Aus diesem Beitrag habe ich auch die 4 S\u00e4ulen unseres Zweiwertigen Denkrahmens extrahiert.<\/p>\n Hier kommt unter anderem auch die Kausalit\u00e4t ins Spiel. Kausalit\u00e4t ist in meinen Augen Bestandteil der uns zur Verf\u00fcgung stehenden sprachlichen Mittel, die wir nutzen, um Dinge zu verstehen. Kausalit\u00e4t kommt in der Umwelt, die wir beschreiben wollen, nicht vor. Hier herrscht Korrelation. Wir denken um zu verstehen, also um Korrelation (WAS fand in der Umwelt statt?) in Kausalit\u00e4t (WARUM fand genau das in der Umwelt statt und nichts anderes?) zu transformieren. Mit dem Verstehen verbinden wir, dass wir von den Dingen, die wir verstehen wollen, ein mechanistisches Modell im Kopf bauen. Diese Vorgehensweise resultiert aus unserem oben aufgef\u00fchrten Denkrahmen. Gelingt es uns nicht, dieses mechanistische Abbild zu bauen, dann k\u00f6nnen wir Dinge nicht verstehen. Komplexit\u00e4t k\u00f6nnen wir also in dem oben aufgef\u00fchrten Denkrahmen nicht verstehen und damit auch nicht in diesem Rahmen\u00a0managen. Dieses Dilemma ist sehr sch\u00f6n in dem Beitrag Stephen Hawking: eine Abreibung<\/a> beschrieben.<\/p>\n Herbert Pietschmann beschreibt in faszinierenden 45 Minuten unseren Denkrahmen in diesem Podcast<\/a> und setzt ihn in Beziehung zum ostasiatischen. Denn das ist f\u00fcr mich das Faszinierende. Man kann auch anders denken. Es gibt nicht nur diese eine Art des Denkens, wie wir es kennen. Hier liegt damit auch ein Ausweg aus der Falle des Denkens, welches uns jedesmal Komplexit\u00e4t und damit Lebendigkeit zerst\u00f6ren l\u00e4sst, womit wir beim Titel dieses Beitrages w\u00e4ren.<\/p>\n Unter anderem ist das auch ein Grund, warum ich mich seit mehreren Jahren mit der Kybernetik zweiter Ordnung<\/a> besch\u00e4ftige. Denn erst dadurch konnte ich mich selbst\u00a0in die Lage versetzen, mich mehr und mehr zu hinterfragen, mir also Fragen zu stellen, wie beispielsweise “Warum denke ich so wie ich denke?” oder “Warum f\u00fchle ich so wie ich f\u00fchle?” N\u00e4heres dazu finden Sie in diesem Podcastinterview<\/a>, in dem ich mit Daniela Bessen \u00fcber Br\u00fcckenbauer, fehlende Rollenprofile in Unternehmen und das implizite Suchen von Menschen f\u00fcr Unternehmen spreche.<\/p>\n Und dann gibt es seit Ende September des letzten Jahres ja auch noch das Projekt Komplexit\u00e4t und Methoden<\/a>. In diesem diskutiere und debattiere ich mit einigen meiner Gef\u00e4hrten auf meiner Reise des Verstehens, was Komplexit\u00e4t f\u00fcr uns Menschen bedeutet und welche Hilfsmittel und Werkzeuge uns zur Verf\u00fcgung stehen, um diese zu handhaben. Denn mehr als Handhaben, wie beispielsweise Steuern oder Kontrollieren, von Komplexit\u00e4t ist nicht m\u00f6glich. Das konnte ich hoffentlich mit diesem Beitrag untermauern.<\/p>\nWeitere Attribute von Komplexit\u00e4t<\/span><\/h3>\n
Unser Denkrahmen<\/span><\/h3>\n
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\nKomplexe Probleme sind genau deshalb komplex, weil sie f\u00fcr uns nicht vollst\u00e4ndig beschreibbar sind. Und was wir nicht beschreiben k\u00f6nnen, k\u00f6nnen wir auch nicht messen. Machen wir komplexe Probleme messbar, zerst\u00f6ren wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht l\u00f6sbar. Wir l\u00f6sen stattdessen Scheinprobleme.<\/li>\n
\nKomplexe Probleme sind emergent. Das bedeutet das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelteile. Zerlegen wir komplexe Probleme zerst\u00f6ren wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht l\u00f6sbar. Wir l\u00f6sen stattdessen Scheinprobleme.<\/li>\n
\nKomplexe Probleme sind in sich widerspr\u00fcchlich und sind damit also “Sowohl-Als-Auch”, nicht “Entweder-Oder”. Trennen wir komplexe Probleme in Entweder-Oder zerst\u00f6ren wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht l\u00f6sbar. Wir l\u00f6sen stattdessen Scheinprobleme.<\/li>\n
\nUrsache und Wirkung von komplexen Problemen sind in Ort und Zeit versetzt. Dazu kommt das aufgrund von R\u00fcckkopplungen Ursache zu Wirkung und Wirkung zu Ursache wird. Trennen wir komplexe Probleme in Ursache-Wirkung zerst\u00f6ren wir sie. Und damit sind sie dann auch nicht l\u00f6sbar. Wir l\u00f6sen stattdessen Scheinprobleme.<\/li>\n<\/ol>\nEin Ausweg<\/span><\/h3>\n