Kundenzentrierung in Unternehmen ist unmöglich, sollte aber trotzdem ausgelobt werden

“Kundenzentrierung” ist in meinen Augen ein Marketingbegriff, wenn auch ein notwendig wichtiger. Mit dem heutigen Blogpost möchte ich belegen, dass Kundenzentrierung in Unternehmen niemals möglich ist, jedenfalls wenn man die Welt mit der Sprache und den Modellen des Radikalen Konstruktivismus betrachtet, wie ich es vollführe.

Es gibt ja so einige Konzepte und Modelle, die die Interaktion zwischen Unternehmen und Markt darstellen. Ich greife hier den OODA Loop heraus. Das folgende Bild ist von Mark Lambertz – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0.

Im Netz findet man so einige Abbildungen und dazugehörige Beschreibungen des OODA Loops. Bei all diesen fällt mir die fehlende Beachtung der operationalen Geschlossenheit von Unternehmen und Markt auf. Beim Betrachten der Abbildungen kommt man leicht zum Fehlschluss, das Menschen im Unternehmen direkt auf Geschehnisse des Marktes reagieren könnten sowie umgekehrt (in der obigen Abbildung unten rechts zwischen “Aktion (Test)” und “Sich entfaltende Interaktion mit der Umgebung”). Das geht nicht. Ein Unternehmen kann mit dem Markt niemals einen geschlossenen Regelkreislauf ausbilden.

Menschen in den Unternehmen können niemals direkt auf Basis von Handlungen von Akteuren des Marktes (Kunden, Wettbewerber, Lieferanten etc.) agieren, die ich mal als externe Referenzen bezeichne. Menschen in den Unternehmen müssen interne Referenzen aufbauen. Das sind zum Beispiel Leitbilder, Missionen, Visionen, Strategien, Kennzahlen, Rollen, Prozesse etc. Diese internen Referenzen sollten zwingend Geschehnisse des Marktes passfähig abbilden, damit die darauf basierenden Handlungen ebenfalls passfähig sein können.

Ich schreibe im obigen Bild auf der rechten Seite bewusst von Perturbation und nicht von beispielsweise Interaktion o.ä. Perturbation drückt in meinen Augen genauer aus, was die Signale der Umwelt (externe Referenzen) überhaupt im Stande sind im Unternehmen zu leisten. Sie wirken ausschließlich quantitativ. Die Qualität wird, es geht gar nicht anders, im Unternehmen, über die Transformation in interne Referenzen, konstruiert.

Kein Mensch in einem Unternehmen sollte sich heraus nehmen, Wünsche und Bedürfnisse der Kunden zu kennen. Wünsche und Bedürfnisse der Kunden werden in interne Referenzen transformiert. Bei dieser Transformation gibt es stets Informationsverluste. Der Glaube an keinen solcher Verluste sollte auf der einen Seite so stark sein, dass man auch ins Handeln kommt, da man sonst in Starre verharrt, ob des Haderns über die richtige Entscheidung. Auf der anderen Seite aber sollte der Glaube auch wieder so schwach sein, um Demut walten zu lassen, damit regelmäßig eine Validierung dieser Transformation angegangen wird.

Die Eigenzentrierung der Unternehmen ist wegen der operationalen Geschlossenheit dieser unüberwindbar, was aber kein Wettbewerbsnachteil ist, da diesem Dilemma jedes Unternehmen aufgesessen ist.

Die internen Referenzen sind den Kunden Großteils unbekannt und haben rein gar nichts mit ihnen zu tun. Die Kunden scheren sich Null um sie. Ich bin Kunde von einigen Unternehmen, kenne aber weder deren Vision, Strategie oder Kennzahlen. Diese sind mir auch vollkommen egal, so lange meine Wünsche und Bedürfnisse erfüllt werden und das nicht zu Lasten der Umwelt inkl. meiner Mitmenschen. Die internen Referenzen in den Unternehmen beeinflussen meine Entscheidungen als Kunde nicht. Sie beeinflussen aber die Entscheidungen der Menschen im Unternehmen. Dafür sind sie ja da. Die Basis, auf denen Entscheidungen getroffen werden, ist innerhalb des Unternehmens und bei den Kunden Grund verschieden. Kundenzentrierung ist unmöglich.

Warum ist die Erkenntnis der Notwendigkeit, externe in interne Referenzen zu transformieren, so wichtig? Ich höre immer wieder, Erkenntnis zu generieren, wie der Markt auf eigene Handlungen reagiert, wäre immens wichtig. Aber auf welcher Ebene will oder sollte man Erkenntnis generieren? Es ist entscheidend, ob man die Transformation von externen in interne Referenzen validiert, also die Modelle, wie der Markt betrachtet wird, oder eben die Handlungen, die auf einem bestehenden Modell beruhen. Meistens wird nur das Zweite getan, weil man sich der Notwendigkeit von Modellen (Transformation externer in interne Referenzen) gar nicht bewusst ist. Und das ist auch der Grund, warum echte Weiterentwicklung oft verpasst wird. Bei Ersterem wird der Denkrahmen, also die Art und Weise WIE man denkt, hinterfragt. Beim Zweiten wird der Denkinhalt, also WAS man denkt, hinterfragt.

Unternehmen sind also stets eigenzentriert, niemals kundenzentriert, was natürlich nicht bedeutet, dass die Kunden den Menschen im Unternehmen egal sein können. Ganz im Gegenteil. Deshalb sage ich ja auch, dass Kundenzentrierung ausgelobt werden sollte. Ich gehe sogar noch weiter. Ich möchte Unternehmen keinesfalls aus der Verantwortung lassen, Kundenzentrierung anzustreben, auch wenn sie nie erreichbar ist. Dieses Bewusstsein und die darauf aufbauende Haltung darüber ist wichtig.

Nun möchte ich noch einmal auf die oft nicht bewusst durchgeführte Transformation von externen in interne Referenzen eingehen und am Beispiel Kennzahlen belegen. Sie finden sicherlich weitere Beispiele, wo nicht passfähige interne Referenzen aufgebaut werden. Ich höre und lese häufig von Unternehmen, dass sie für einen gewissen Zeitraum Rendite-gesteuert sind, sich aber trotzdem in Richtung des Marktes und der Kunden ausrichten wollen. Das ist schwierig bis nicht möglich. Denn, nimmt man sich die Renditeformel mal zur Brust und bildet die erste Ableitung (zum Zwecke der Optimierung) erhält man in der Formel nur noch Kostenbestandteile, keine Umsatzbestandteile. Das bedeutet, bei Renditeoptimierung sollte man sich einzig und allein auf Kosten fokussieren und diese minimieren, was man auch leicht an den ausgelobten Handlungen, wie Streichen von Schulungen oder vakanten Stellen, erkennt. Diese Handlungen haben aber rein gar nichts mit den Kunden zu tun, obwohl man den Kunden doch in den Fokus seiner Handlungen stellen wollte. Umsatz wäre näher als Kosten am Kunden ausgerichtet, allerdings bewirkt auch diese Kennzahl keine Kundenzentrierung. Sie ist und bleibt eine interne Referenz. Hier finden Sie gerne mehr dazu. Das ist ein gutes Beispiel, wie ausgelobte Handlungen das eigentlich verfolgte Ziel aufgrund nicht passfähiger Transformation externer in interne Referenzen verfehlen.

Ich hoffe meine Worte werden so verstanden, wie ich es im Sinn habe. Nur weil Unternehmen niemals kundenzentriert agieren können, bedeutet es nicht automatisch, dass sie nicht im Sinne der Kunden agieren sollten. Das fordere ich persönlich sogar ein. Ist man sich der Eigenzentrierung im Unternehmen nicht gewahr, vernachlässigt man die sowieso stattfindende Transformation von externen in interne Referenzen. Dann läuft diese Transformation aber unbewusst und unreflektiert ab und kann deshalb nicht Bestandteil des Lernens im Unternehmen sein.

Noch eine kleine Randbemerkung zum Ende des Beitrages. Für Diejenigen, die sich tiefer und eingehender mit dem Phänomen der operationalen Geschlossenheit befassen möchten, verweise ich gerne auf meinen Beitrag Ist Objektivität eine Illusion? Denn, es gibt nicht nur die Notwendigkeit der Transformation von externen in interne Referenzen zwischen Markt und Unternehmen, sondern auch zwischen den einzelnen Menschen in den jeweiligen Unternehmen und denen im Markt. Jeder einzelne Mensch ist operational geschlossen und bildet daher in sich das Konzept der OODA Loops aus. Seit dem ich diesen Fakt für mich aus dem Radikalen Konstruktivismus übernommen habe, bin ich demütiger in puncto Kommunikation und Verständigung geworden.

1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (5 Bewertung(en), Durchschnitt: 5.00 von 5)
Loading...
This entry was posted in Management und Leadership, Ökonomie und Wirtschaft and tagged , . Bookmark the permalink.

5 Responses to Kundenzentrierung in Unternehmen ist unmöglich, sollte aber trotzdem ausgelobt werden

  1. Falko Wilms says:

    Hey Conny,
    soziale Systeme bestehen aus aneinander anschlussfähigen Kommunikationen (über getätigte, verbindliche Entscheidungen). Die Autopoiesis bezieht sich dann darauf, dass Kommunikationen neue Kommunikationen generieren.
    In marklichen Organisationen kommunizieren Beobachter mit anderen Beobachtern. In der Organisation benutzt man die bisherigen Kommunikationen als Referenzrahmen für die Versprachlichung von Gedanken.
    Es ist lediglich möglich, die Erwartungen der kommunizierenden Akteure derart zu irritierern, dass es zu bislang nicht getätigten Kommunikationen kommt.
    Dieser Strang aus der Theorie sozialer Systeme ist eine Facette der kommunikativen Perspektive im St.Galler Management-Modells mit dem drei rein kommunikativ verstandenen Schlüsselkategorien Management, Organisation, und Umwelt

    • Hallo Falko,

      danke. Sehr schön formuliert. Ganz besonders gefällt mir der Satz

      Es ist lediglich möglich, die Erwartungen der kommunizierenden Akteure derart zu irritierern, dass es zu bislang nicht getätigten Kommunikationen kommt.

      BG, Conny

  2. Pingback: Struktur- und Organisationsdesign von Unternehmen basieren eher auf Angebot als auf Nachfrage | Reise des Verstehens

  3. Pingback: Kundenfokussierung geht nur über Regelbruch | Reise des Verstehens

  4. Pingback: Fresh Cell Therapy Self-Organization? A common misunderstanding and its consequences – Gitta Peyn

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *