Die Geisteshaltung einer Führungskraft – Das positive Annehmen von Widersprüchen

Suchen Sie nach Konzepten und Vorschriften, die darlegen, wie gute Führung funktioniert? Da muss ich Sie leider enttäuschen. Die gibt es nicht. Daran glaube ich zumindest. Denn Konzepte, die wir erstellen, beruhen stets auf Zweiwertigkeit, die auf der Aristotelischen Zweiwertigen Logik aufgebaut ist. Es geht gar nicht anders. Führung hat aber mit Menschen und Lebendigkeit zu tun, die von Widersprüchen und Paradoxien durchzogen ist. Und eben genau diese Paradoxien finden in der zweiwertigen Logik keinen Platz. Sie sind verbannt.

Konzepte geben Ratschläge, in bestimmten Situationen etwas zu tun oder zu unterlassen. Beides gleichzeitig ist ausgeschlossen. Würde ein Konzept diesen Ausschluss nicht gewährleisten, würde man es als tautologisch und damit unbrauchbar abtun. Aber genau das müssten Konzepte über Führung und Zusammenarbeit beinhalten, um brauchbar zu sein. Nur dann wären sie wiederum nicht mehr klar handlungsleitend, also wieder unbrauchbar. Ein Widerspruch!!!

Ich möchte Ihnen einige Beispiele von Widersprüchlichkeiten anreichen, die im Kontext von Führung und Zusammenarbeit zu handhaben sind.

Als Führungskraft muss man sich entbehrlich machen wollen.

Eine Rolle, die man als Führungskraft in Unternehmen füllen sollte, ist die des Coaches. Eine Führungskraft muss seine Mitarbeiter fördern und fordern. Mitarbeiter sollten sich weiter entwickeln dürfen und können. Eine Weiterentwicklung der Mitarbeiter bedeutet aber automatisch eine Übernahme von Verantwortung für Themen, die noch bei der Führungskraft liegen. Die Führungskraft sollte, unabhängig davon, ob sie sich weiter entwickelt, Themen an die Mitarbeiter abgeben. Tut sie das nicht, blockiert sie sich in der Rolle des Coaches. Denn die Möglichkeit der eigenen Weiterentwicklung darf nicht der Weiterentwicklung der Mitarbeiter im Wege stehen. Sollte dann die eigene Weiterentwicklung der Führungskraft nicht eintreten, wird der Verantwortungsraum dieser gegen Null konvergieren, da ja die Mitarbeiter immer mehr Verantwortung übernehmen.

Nehme ich die Rolle des Coaches als Führungskraft ernst, muss ich so denken und agieren, dass ich in absehbarer Zeit in der bestehenden Rolle keine Daseinsberechtigung im Unternehmen mehr habe.

Als Führungskraft muss man oft Fragen stellen, obwohl die Antwort bekannt ist.

Was lernen wir von Kindesbeinen an? Wenn Du etwas nicht verstehst und es wissen möchtest, stelle Fragen. Eine Führungskraft sollte aber genau diese Haltung nicht immer und unbedingt einnehmen. Warum? Weil sie damit den Wertschöpfungszyklus im Unternehmen stört, da sie dann von den eigenen Mitarbeitern geschult wird. Eine Führungskraft sollte mit einer anderen Motivation Fragen stellen. Sie sollte Fragen stellen, um Arbeiten zu delegieren. Mit den Fragen wird der Rahmen gesetzt, in welchem die Arbeiten erledigt werden sollten. Antworten auf die Fragen finden dann die Mitarbeiter, an denen die Arbeiten delegiert wurden. Dafür benötigt eine Führungskraft eine klare Idee, man könnte auch sagen eine Vision. Eine Führungskraft sollte also keine Fragen stellen, um sich etwas erklären zu lassen, sondern um kontextabhängig zu delegieren. Damit treibt sie Inhalte voran, lässt diese aber von Experten bearbeiten. Dafür ist die Relevanz der Fragen zu einem bestimmten Thema wichtig. Für diese Relevanz in den Fragen ist Erfahrung zu dem Thema essentiell. Dediziertes Wissen ist nicht notwendig, da quasi unmöglich dieses zu haben und ständig zu aktualisieren. Mit dieser Geisteshaltung, dieses tun zu wollen, würde man den Wertschöpfungszyklus im Unternehmen, wie oben beschrieben, empfindlich stören.

Nehme ich die Rolle des Innovators als Führungskraft ernst, sollte ich keine Verständnisfragen, sondern eher richtungsweisende Fragen stellen.

Als Führungskraft muss ich Ziele ausloben, die nicht erfüllbar sind.

“Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss.” Diesen Spruch kennen wir wohl Alle, oder? Er basiert darauf, das wir Menschen evolutionsbedingt stets energieeffizient agieren. In Unternehmen werden Ziele sehr häufig aus zwei Gesichtspunkten heraus aufgestellt. Auf der einen Seite dienen sie als gemeinsame Erwartungshaltung in einem Team von miteinander agierenden Menschen. Durch Ziele wird formuliert, was erreicht werden soll. Auf der anderen Seite dienen Ziele aber auch als Bemessungsgrundlage für Prämien. Werden die Ziele erreicht, werden am Jahresende dann die dafür ausgelobten variablen Gehaltsanteile ausgezahlt. Und genau hier ist der Knackpunkt zu finden. Wer Ziele auslobt, findet sich oft im Mittelmaß wieder, bestenfalls. Werde ich gegen Ziele hart gemessen, dann möchte ich auch sicherstellen, dass ich diese Ziele erreiche. Ich setze dann also ganz bewusst die Latte herunter. Natürlich muss aber unterbunden werden, dass durch Ausloben von zu hohen Zielen, die von vornherein als illusorisch aufgefasst werden, ein Rahmen im Team geschaffen wird, der Demotivation der einzelnen Teammitglieder fördert. Denn wenn von Beginn an eine Aufgabe als unlösbar angesehen wird, wird diese erst gar nicht angegangen. Weitere Details zum Thema Ziele können Sie hier finden.

Nehme ich die Rolle des wirksamen Umsetzers als Führungskraft ernst, sollte ich Ziele so setzen, dass sie unerreichbar sind, aber trotzdem von Allen als erreichbar wahrgenommen werden.

Als Führungskraft muss ich beim Wandel Spielregeln einhalten und gleichzeitig ändern wollen.

Wie sagte Heraklit schon? “Alles fließt!” Genau. Nichts ist beständiger als der Wandel. Allerdings darf man als Unternehmenslenker diese Erkenntnis nicht ganz so wörtlich nehmen. Ein Unternehmen darf sich nicht stetig im Wandel befinden, denn dann würde man sich im Unternehmen ausschließlich mit sicher selber beschäftigen und könnte den Markt nicht bedienen und gestalten, was ja nicht Sinn und Zweck wäre. Ein Unternehmen muss also ganz bewusst zwischen stabilen und instabilen Phasen hin und her bewegt werden. In den instabilen Phasen wird der Wandel durchzogen, der notwendig ist, um sich immer wieder den veränderten Rahmenbedingungen des Marktes anzupassen. Und genau um das Einleiten des Wandels geht es mir in diesem Kontext. Denn macht man sich bewusst, was zum Einleiten eines Wandels notwendig ist, kommt wieder einmal ein Widerspruch zum Tragen. Auf der einen Seite hinterfragt man in Zeiten des Wandels die gegebenen Spielregeln eines Unternehmens. Logisch, wäre es nicht so, würde man nicht von einem Wandel reden, sondern Alles genau so machen wie vorher irgendwann einmal definiert. Auf der anderen Seite aber muss man auch die Spielregeln des Unternehmens einhalten, weil man sonst aus dem “System” Unternehmen gespült wird und den Wandel dann nicht mehr begleiten kann. Denn Wandel gelingt nur von Innen heraus.

Nehme ich die Rolle des Change Initiators als Führungskraft ernst, muss ich im Wandel Regeln gleichzeitig einhalten und zerstören.

Als Führungskraft muss ich durch Aufstellen von Regeln Freiheit der Mitarbeiter befeuern.

In Diskussionen rund um agile Projektmanagementmethoden höre ich immer wieder den Vorwurf, dass diese mit einem Laissez-Faire Führungsstil korrelieren. Führung findet quasi gar nicht statt, da in den einzelnen Teams sehr viel entschieden wird und damit die Entscheidungsfreiheit auf den “unteren” Hierarchieebenen sehr hoch ist. Hier wird aber eines vergessen. Diese Freiheit kann nur funktionieren, wenn ein sehr klar gesteckter Rahmen existiert, in welchem entschieden werden kann. Freiheit kann man also nur dann fühlen und wahrnehmen, wenn Regeln existieren. Ohne Regeln endet man in einer Anarchie, die dann wiederum die Freiheit einschränkt. Einen ähnlichen Kontext findet man bei den Diskussion über den freien Willen und ob dieser bedingt oder unbedingt sein kann. Den absolut, also unbedingten, freien Willen gibt es deshalb nicht, weil er immer bedingt ist und der freie Wille kann nicht nur bedingt sein, er muss es sogar sein. Details dazu können Sie in diesem Post nachlesen. Die Entscheidungsfreiheit der Mitarbeiter basiert aber auf einen ganz wichtigen Fakt. Sie müssen Zugang zu allen für sie relevante Informationen haben. Kommunikation darf also nicht entlang der Hierarchiestränge hoch und runter geschehen, sondern vernetzt.

Nehme ich die Rolle des Vernetzers und Kommunikators als Führungskraft ernst, betrachte ich Information und Wissen nicht als Herrschaftswissen, sondern kommuniziere und vernetze unabhängig von gesetzten Hierarchien.

Als Führungskraft muss ich genau in solchen Situationen Entscheidungen treffen, die prinzipiell unentscheidbar sind.

Das ist derzeit mein Lieblingsthema. Das Entscheiden. Haben Sie sich eigentlich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wann ein Mensch wirklich entscheiden muss? Genau, wenn keine guten Gründe für eine Entscheidung vorliegen. Oder wie es Heinz von Förster so schön ausdrückt: “Nur prinzipiell unentscheidbare Situationen kann man überhaupt entscheiden. Alle anderen sind bereits entschieden.” Würden anhand einer Entscheidungsunterlage gute Gründe für eine Entscheidung vorbereitet vorliegen, muss nicht mehr entschieden werden. Dann ist bereits mit dem Erstellen der Unterlage eine Entscheidung getroffen worden, und zwar von dem, der die Unterlage erstellt hat. Entscheidungen in Unternehmen sollten stets in Marktnähe getroffen werden, also eben nicht im Top-Management. Je weiter ein Manager vom Markt entfernt sitzt, umso weniger kompetent ist er für Entscheidungen. Manager oder Führungskräfte müssen nicht entscheiden, weil sie es nicht können. Wollen sie es aber doch, was häufig zu beobachten ist, tendieren sie dazu, Wissen aufbauen zu wollen. Das kostet Zeit und Aufwand, vor allem bei den Mitarbeitern, die beim Wissensaufbau behilflich sein müssen. Damit verliert das Unternehmen wertvolle Zeit. Hierarchien werden dann zu Mehrwertvernichtern. Details zu diesem Thema finden Sie in diesem Post.

Nehme ich die Rolle des Komplexitätshandhabers als Führungskraft ernst, muss ich in puncto Entscheidungen loslassen können, um Komplexität handhaben zu können.

Fazit

Es geht im Thema Führung und Zusammenarbeit um die “richtige” Geisteshaltung, die sich nicht durch das sture Befolgen von Rezepten einimpfen lässt. Mit der “richtigen” Geisteshaltung (im Engl. Mindset) kommen die “richtigen” Handlungen von alleine. Ohne der entsprechenden Geisteshaltung differieren Reden und Handeln von Menschen enorm. Implizit wird durch Handlungen offen gelegt, mit welcher Geisteshaltung jemand unterwegs ist.

Des Weiteren erkennen wir, dass Leben durchsetzt ist von wahrgenommenen Widersprüchen. Ohne Widerspruch gibt es keine Lebendigkeit. Diesen Widersprüchen darf man sich im Kontext von Führung und Zusammenarbeit nicht entziehen. Oft wird sich hinter diesen Widersprüchen durch Befolgen von klar definierten Prozessen und Regeln versteckt. Darunter leidet dann aber die Menschlichkeit. Die Zusammenarbeit in Unternehmen wird mechanisiert.

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3 Responses to Die Geisteshaltung einer Führungskraft – Das positive Annehmen von Widersprüchen

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  3. Nach einigen Gesprächen, die ich nach Veröffentlichung dieses Posts geführt habe, möchte ich das Thema “Sinnhaftigkeit für Konzepte für lebendige Bereiche” konkretisieren.

    Konzepte, die beschreiben sollen was man wann und wie und in welchen Situationen zu tun hat, helfen nicht im lebendigen Bereich, beispielsweise im Kontext der Führung und Zusammenarbeit oder allgemeiner im Kontext von Unternehmenskultur. Warum? Konzepte sind stets zweiwertig aufgebaut und wirken im Bereich der Lebendigkeit tautologisch, auch wenn diese auf dem ersten Blick Handlungsleitung vortäuschen. Es geht nämlich einzig und allein um die “richtige” Einstellung oder Geisteshaltung, die durch ein Konzept auf Papier niemals tangiert wird.

    Hat man die “richtige” Einstellung benötige ich kein Konzept. Die “richtigen” Handlungen kommen dann von ganz allein. Hat man die “falsche” Einstellung hilft ein Konzept auch nicht weiter, da alle dort aufgestellten Regeln im jeweiligen Kontext auf die gemachten Handlungen passgenau interpretiert werden können. Man handelt dann stets im Sinne des Konzeptes, egal was man tut.

    Das erkennen Sie beispielsweise daran, dass aufgestellte Konzepte niemals “wirklich” operationalisiert werden. Warum? Weil jeder Beteiligte von sich behauptet sowieso schon danach zu handeln. Und das ist dann von der jeweiligen Person auch ernst gemeint. Wie gesagt, wir bewegen uns im lebendigen Bereich stets in Widersprüchen. So werden dann den Konzepten kein Leben eingehaucht.

    Sind dann Konzepte im Bereich der Lebendigkeit überhaupt zu etwas gut? Ich denke, dass nicht unbedingt das Ergebnis, also das eigentliche Stück Papier entscheidend ist, sondern eher der Weg, den man zusammen gegangen ist, um dieses Stück Papier zu erstellen. Um aber wie gesagt, aus diesem Weg für sich Erkenntnisse zu ziehen und diese dann wieder auf die Gruppe zu spiegeln, ist die “richtige” Einstellung notwendig. Und Einstellungen ändern sich im Allgemeinen nicht durch Lesen eines Stück Papiers, sondern ausschließlich durch gemachte Erfahrungen beim Handeln.

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