Kybernetik – die Versöhnung zwischen dem Rationalen und dem Humanen

Sehr oft habe ich über die Bedeutung der Kybernetik für meine Reise des Verstehens nachgedacht und bin dabei zu der Erkenntnis gelangt, dass die Kybernetik einen zentralen Punkt einnimmt, wenn wir die Probleme der heutigen Zeit, wie die Umweltproblematik oder die Gesellschaftskrise, in den Medien eher als Finanzkrise bezeichnet, lösen wollen.

Inspiriert wurde ich bei meiner Ideenforschung von Stephen Toulmin, der in seinem Buch Kosmopolis. Die unerkannten Aufgaben der Moderne über die historische Entwicklungen des Humanismus und des Rationalismus berichtet und Schlussfolgerungen für das menschliche Leben in der Zukunft herleitet. Das Vorwort, Kapitel 1 und Kapitel 5 des Buches können sie in diesem Dokument nachlesen.

Aber natürlich haben mich auch die Erkenntnisse und Ideen Gotthard Günthers nicht unberührt gelassen. In seiner Vorlesung über Naturphilosophie zeichnet Günther die geschichtliche Entwicklung, startend mit den Anfängen der Religion bis hin zu den ersten wissenschaftlichen Errungenschaften, die auf rationalistische Denkweisen beruhen, nach.

Die Versöhnung: Eine erste Annäherung

Norbert Wiener, einer der Pioniere der Kybernetik, gibt eine aus meiner Sicht treffende Definition von Kybernetik wieder, wenn er sagt:

Kybernetik ist die Lehre von Regelung, Steuerung und Kommunikation im Lebewesen und in der Maschine.

Die Kybernetik hat als erste Wissenschaft angefangen, auf interdisziplinare Art und Weise Natur- und Geisteswissenschaften in einen Kontext zu setzen, denn sie versucht, Erkenntnisse die bezüglich toter Materie in den Naturwissenschaften gewonnen wurden, mit den Erkenntnissen bezüglich lebender Materie aus den Geisteswissenschaften zu verheiraten.

Geboren wurde der Ansatz der Kybernetik auf den Macy-Konferenzen. Zwischen 1946 und 1951 wurden unter dem Titel “Cybernetics. Circular Causal, and Feedback Mechanisms in Biological and Social Systems” insgesamt zehn Konferenzen unter der Schirmherrschaft der Josiah Macy, Jr. Foundation veranstaltet. Auf den Konferenzen wurde interdisziplinär nach einer universalen Theorie der Regulation, Steuerung und Kontrolle zu entwickeln versucht, die für Lebewesen wie für Maschinen, für ökonomische wie für psychische Prozesse, für soziologische wie für ästhetische Phänomene gleichermaßen gilt. Da diese Dikussionen interdisziplinär waren, war es unumstößlich, dass auch Vertreter verschiedener Wissenschaftsbereiche vertreten waren, beispielsweise aus den Bereichen Mathematik, Physik, Elektrotechnik, Psychologie, Neurophysiologie, Psychiatrie, Soziologie oder Anthroplogie.

Kybernetik wird in Kybernetik erster und zweiter Ordnung unterschieden. Dazu möchte ich ein paar Worte verlieren, da diese Unterscheidung uns auf dem Weg zur Versöhnung zwischen dem Rationalen und dem Humanen voranbringt. Starten wir mit der Kybernetik erster Ordnung, stoßen wir auf die Begriffe Regelung und Steuerung, die wir schon von der Definition von Wiener her kennen. Beiden gemeinsam ist, dass ein bestimmtes System, nämlich das zu steuernde oder zu regelnde, einen bestimmten Zweck erfüllen soll, wodurch sich eine bestimmte Variable in gewünschter Weise verhalten soll. Der große Unterschied zwischen Steuerung und Regelung besteht nun darin, dass bei der Steuerung eine lineare Ursache-Wirkungsbeziehung vorliegt, was dazu führt, dass im Rahmen von Steuerung der erreichte Endzustand der zu steuernden Variable selbst bei starken Abweichungen vom gewünschten Verhalten oder Variablenwert ein endgültiger ist, also nicht mehr geändert wird. Es gibt also keinen regulierenden Mechanismus hinsichtlich der Abweichungen des Istwertes vom Sollwert. Der angesprochene regulierende Mechanismus wird auch als negative Rückkopplung bezeichnet. Die folgende Abbildung stellt diese Unterschiede graphisch dar.

Aufgrund der fehlenden Justierung auf einen Zielwert ist es ersichtlich, dass ein irgendwie funktionierendes System, das kann ein Unternehmen aber auch eine Gesellschaft sein, nicht auf negative Rückkopplungen verzichten kann. Einige Teilsysteme eines Systems können vielleicht ausschließlich gesteuert werden. Rückkopplungen in Wirkungsschleifen von Systemen sind verantwortlich für nichtlineares Verhalten dieser Systeme. Denken Sie beispielsweise an den Zinseszins, der unsere Gesellschaft in eine Krise gestürzt hat. In diesem Beispiel reden wir nicht von einer negativen, sondern von einer positiven Rückkopplung. Die positive Rückkopplung lässt uns den Schwenk hin zur Kybernetik zweiter Ordnung vollführen.

Ausgangspunkt der bisherigen Betrachtung der Kybernetik erster Ordnung ist es, ein Ziel zu haben und dieses durch Regelung und Steuerung zu erreichen. Aber wie kann man erklären, dass häufig Ziele erreicht werden, die man nicht angestrebt oder auch nicht gedacht hat, die aber trotzdem als positiv für das Unternehmen zu bewerten sind? Bei der Kybernetik erster Ordnung wird das Erreichen einer Stabilität durch eine Kontrollinstanz in den Vordergrund gestellt. In einem rein rationalistisch geprägten System, sprich einem toten System wie einer Heizungsanlage, in welchem alle Komponenten bekannt sind, gibt es weniger Überraschungen. Fast alles ist berechenbar und zum großen Teil vorhersagbar. Ein Steuern und Regeln ist anwendbar. In humanistisch geprägten Systemen aber herrscht intrinsische Unsicherheit, keine exakte Analysierbarkeit und auch keine Vorhersagbarkeit. Es muss ein Paradigmenwechsel vollzogen werden hin zur Akzeptanz einer instabilen Dynamik von Entscheidungen. Bei der Kybernetik zweiter Ordnung werden die Prinzipien der Kybernetik erster Ordnung auf den Beobachter selbst angewendet. Der Beobachter muss als Teil des Kontextes, den er beobachtet, mitkonzeptualisiert werden. Hier stehen die beobachtenden Systeme und nicht mehr nur wie in der Kybernetik erster Ordnung die beobachteten Systeme im Fokus. Es sind nicht mehr nur stabilisierende negative Rückkopplungen im Fokus der Untersuchung, sondern auch verstärkende und aufschaukelnde positive Rückkopplungsprozesse, die unter anderem in Kommunikationsprozessen zwischen Lebewesen zu beobachten sind. Dadurch werden konzeptionelle Betrachtungsweisen bezüglich des Lernens von lebenden Systemen oder des Revidierens und Korrigierens von Zielen erst möglich.

Einen Einfluss des Nichtbeachtens von positiven Rückkopplungsschleifen erkennen wir beispielsweise in Planungsprozessen der heutigen Unternehmen. Planen bedeutet in den meisten Fällen stets von nur genau einer Zukunft auszugehen. Es existieren aber ganz viele mögliche und vorstellbare Zukunften. Es muss die Möglichkeit des Phantasierens und Simulierens bestehen, um diese möglichen Zukunften einzukalkulieren. Wenn heute geplant wird, wird der Blick ausschließlich auf die Vergangenheit gerichtet. Die Zukunft kann sich aber komplett anders entwickeln als die Vergangenheit. Beim Planen gehen wir mit dem Rücken voran in die Zukunft. Negative Rückkopplungsschleifen überwiegen und damit der Rationalismus.

Damit haben wir alle Elemente obiger Definition von Wiener beleuchtet und haben einen ersten Annäherungsversuch zwischen Rationalismus und Humanismus gewagt. Einen Nachtrag habe ich noch. Detaillierter betrachte ich die Kybernetik und die Einbettung in die Unternehmensführung in meinem noch in Arbeit befindlichen Buch Business Systemics. Warum sich Business Intelligence neu erfinden muss oder Heirat von Systemtheorie, Kybernetik und Business Intelligence. Sie können auch in meinem Rucksack nachschauen, wo ich die Managementkybernetik beleuchte.

Die Versöhnung: Eine zweite Annäherung

Ich habe mein Mathematikstudium im Jahre 1999 mit dem Diplom abgeschlossen, war also zu dieser Zeit durchweg rational-mechanistisch gerägt. Mein Credo war.

Alles was man nicht messen kann, kann man nicht kontrollieren. Alle Dinge, die wir wahrnehmen, müssen auch naturwissenschaftlich erklärbar sein.

Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften beherrschten meine Denk- und Handelsweisen. Die emotional-humanistische Denkweise kam dann so im Jahre 2006 an die Oberfläche gespült, in dem Zuge nämlich da ich merkte, dass eben nicht alles naturwissenschaftlich erklärbar ist, was geschieht. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nur noch nicht, ob das daran liegt, dass wir nur noch mehr Wissen aufbauen müssen, um alle Phänomene erklären zu können oder ob diese im bekannten naturwissenschaftlichen Rahmen schlicht nicht erklärbar sind, so dass dieser erweitern werden müsste. Mir wurde dann relativ schnell klar, dass es um genau diese Erweiterung tatsächlich geht. Um das zu tun, muss man aber erst einmal nach der Linie suchen, die die rational-mechanistischen Denkweise, die aus den Naturwissenschaften stammt, von der emotional-humanistischen Denkweise, die aus den Geisteswissenschaften stammt, trennt. Hat man diese analysiert, kann die Versöhnung angegangen werden. Selbstverständlich spielte und spielt bei dem Aufsuchen dieser Trennlinie die Kybernetik eine ganz besondere Rolle.

Eine der vorherrschenden Fragestellungen der Historie, aber auch noch der heutigen Zeit, ist das Leib-Seele-Problem. Unter dem hier angeführten Link habe ich auch die nebenstehende Abbildung gefunden.

Die monoistischen Materialisten behaupten, es gäbe nur Materie, die monoistischen Idealisten behaupten, es gäbe nur den Geist. Hier haben wir wieder wie oben schon angesprochen eine ganz scharfe Trennung. Eine Versöhnung kann durch den Dualismus erfolgen, der von Beidem, Geist und Materie, ausgeht. Das Problem, welches im Rahmen des Dualismus immer noch nicht geklärt ist, ist wie Geist und Materie interagieren. Denn dass diese interagieren, wissen wir spätestens seit Werner Heisenberg, der postuliert hat, dass der isolierte Gegenstand prinzipiell keine beschreibbaren Eigenschaften besitzt. Denn beim Beschreiben von Phänomenen muss stets der Beobachter mit einbezogen werden (Kybernetik zweiter Ordnung). Denn Eigenschaften von Gegenständen sind auch im Beobachter enthalten, da es ja er ist, der beobachtet und beschreibt. Dazu möchte ich Ihnen ein Beispiel geben. Es ist mir des Öfteren vorgekommen, dass ich mir ein Fussballspiel ansehe und nach dem Spiel zu dem Schluss komme, dass die eine Mannschaft viel besser war als die andere, was dann von Freunden negiert wird. Wir haben das gleiche Spiel geschaut, kommen aber zu unterschiedlichen Meinungen. Ein Grund könnte sein, dass man für die eine Mannschaft mehr fiebert als für die andere. Das Ergebnis der Beobachtung ist also im Beobachter mit enthalten. Bei den ganzen Diskussionen bzgl. Idealismus versus Materialismus wird oft vergessen, dass beide Denkrichtungen auf dem selben Fundament gebaut sind. Es wird nämlich von Teilen ausgegangen, die nicht mehr weiter zu teilen sind und aus denen dann alles Weitere aufgebaut ist. Beim Materialismus sind es die Atome, beim Idealismus sind es die Seelen. Im Materialismus besteht alles aus toter Materie, aus Atomen, selbst die Menschen werden als aus Atomen zusammengesetzt angesehen. Alles Wissen, was also im Denkschema des Materialismus entwickelt wurde, sprich in den Naturwissenschaften, ist Wissen, welches ausschließlich toter Materie anwendbar ist.

Nur erkennt man diesen Fakt nicht, oder man will es nicht erkennen. Ganz besondere Bedeutung erlangt aber diese Erkenntnis im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Im Forschungsgebiet der KI wird davon ausgegangen, dass man das menchliche Gehirn anhand seiner Einzelteile analysen und untersuchen, diese nachbauen und dann zusammensetzen kann. Das geht aber nicht. Dazu ein passendes Zitat von Gottfried Wilhelm Leibniz aus seiner Monadologie

Man muss im übrigen eingestehen, dass die Perzeption und was davon abhängt, durch mechanische Gründe, d.h. durch Gestalten und durch Bewegungen unerklärbar ist. Wollte man vorgeben, dass es eine Maschine gäbe, deren Struktur Denken, Empfinden und Perzeptionen haben lässt, könnte man dies unter Bewahrung derselben Proportionen vergrößert begreifen, so dass man in sie wie in eine Mühle hineintreten könnte. Dies gesetzt, würde man beim Besuch im Inneren nur einander stoßende Teile finden, niemals aber etwas, was eine Perzeption erklärt.

Eine Versöhnung zwischen Materialismus und Idealismus oder auch zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften ist also notwendig, um auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz durchschlagenden Erfolg haben zu können. Dabei kann die Kybernetik vermitteln.

Selbst in der Bildung muss diese Versöhnung erfolgen, was Gerald Hüther sehr plausibel in einem Interview im Rahmen der WDR5 Tischgespräche am 28.09.2011 ausführt. Er meint, dass wir Menschen noch viel zu sehr unserer Faszination für Maschinen erlegen sind und entsprechend auch das Lernen als zu mechanistisch begreifen wollen. Lernen darf aber nicht verglichen werden mit dem Muskelaufbau auf einer Hantelbank. Das Gehirn bildet sich nur unter Freude optimal aus, also wenn wir Menschen mit Herz und Engagement bei der Sache sind. Da sind wir in unseren Bildungseinrichtungen noch weit entfernt.

Ich glaube übrigens, dass wir Menschen in den Anfangsjahren unseres Lebens mit beiden Denkrichtungen versöhnt sind. Kinder lieben beispielsweise Märchen. In diesen sind Feen, Hexen und ähnliche Wesen, die durch beispielsweise Zaubern eine Verbindung zwischen dem Jenseits und dem Diesseits herstellen, normal. Mit dem Laufe der Zeit verblasst die Freude für Märchen. Die Verbindung zwischen dem Diesseits und dem Jenseits wird ausgeknipst. Da tragen natürlich unsere Bildungseinrichtungen einen gehörigen Beitrag zu, da diese sehr naturwissenschaftlich geprägt sind. Phänomene aus dem Jenseits, die mechanistische Auswirkungen im Diesseits haben sind nicht Bestandteil der Lehrpläne. Diese gibt es aber. Nehmen Sie das Beispiel des Besprechens von Hautflechten. Sicherlich fallen Ihnen eine Reihe weiterer ein. Im Laufe der Entwicklungszeit haben die Menschen der modernen Kulturen sich also entsöhnt und haben sich entweder auf die Seite des Materialismus geschlagen, die von naturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen beherrscht wird, um rational Phänomene des Diesseits zu untersuchen oder eben auf die Seite des Idealismus, die von humanistischen Denkmodellen besetzt ist, um emotional Phänomene des Jenseits zu erklären. Nur wo ist die Brücke?

Das eine solche Versöhnung grundsätzlich nicht abwegig ist, zeigen uns die Anfänge des menschlichen Denkens, was wohl in das 6. Jh. v. Chr. zurück reicht. In dieser Zeit, die von die Milesiern geprägt war, und solche Denker wie Thales oder Anaximander prägten, gab es noch keine Unterscheidung zwischen lebender und toter Materie. Alles wurde als lebend gesehen, selbst ein Magnet, da er ja Eisen anzieht und, das ohne Zutun von Menschen.

Eine Versöhnung ist also notwendig und auch möglich. Sie kann durch die Kybernetik vorangetrieben werden. Ist sie denn schon vollzogen?

Die Versöhnung: Der Vollzug

Leider noch nicht. 2 fortschrittliche Denker bestärken mich in diesem Fazit: Gotthard Günther und Heinz von Foerster.

Gotthard Günther betonte immer wieder den Fakt, dass in den Naturwissenschaften erkannt wurde, und zwar seit Einstein und Heisenberg mit der Relativitätstheorie und der Quantenphysik, dass es nicht mehr nur ausreicht sich in den Untersuchungen und Forschungen auf die tote Materie zu stürzen. Diese Erkenntnis wurde aber nicht zu Ende gedacht. Denn, es wurde zwar die Subjektivität eingebunden, aber eben nur genau eine. Dadurch beruhen alle Untersuchungen nur auf genau eine Kontextur. Die eingebundene Subjektivität wurde also quasi objektiviert, was nicht zum Ziel führen kann. Das hat Günther erkannt, in dem er die Polykontexturalität erfunden und eingeführt hat.

Heinz von Foerster, einer der Väter und auch Teilnehmer der oben angesprochenen Macy-Konferenzen, hat stets dafür plädiert von dem Separieren von Wissenschaftsgebieten weg zu kommen hin zu einer Untersuchung der Zusammenhängen von verschiedenen Wissenschaftsgebieten. Science kommt vom griechischen Wort Ski und bedeutet so viel wie Separieren. Dieses Separieren hat früher wahrscheinlich auch Sinn gemacht, in dem man tiefer in verschiedene Gebiete einsteigen musste, um diese zu verstehen: Mathematik, Physik, Biologie, Chemie, Psychologie etc. So entstanden die Wissenschaften und Generalisten wurden zu Spezialisten. Dabei wurde aber das Verschmelzen der Erkenntnisse vergessen oder auch teilweise unmöglich, da die einzelnen Wissenschaften ihre eigenen Sprachen entwickelt haben, die eine Kommunikation erschweren. Wir benötigen wieder Generalisten, die diese Kommunikation herstellen und unterstützen. Diese Generalisten könnten Kybernetiker sein. Maria Pruckner hat in ihrem Film 90 Jahre Heinz von Foerster das Leben und das Wirken von Foersters sehr anschaulich nachgezeichnet.

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8 Responses to Kybernetik – die Versöhnung zwischen dem Rationalen und dem Humanen

  1. Als aktiver Webphilosoph möchte ich Ihnen zunächst einmal zu diesem umfangreichen Blog gratulieren.
    Für Ihren Rucksack könnte ich noch Frederic Vester empfehlen, der die gegenwärtige Umweltproblematik sehr schön aus kybernetischer Sicht analysiert hat.
    Ich danke Ihnen für den Hinweis auf Thales und Anaximander, die ich bisher – als nichtakademischer Philosoph – übersehen hatte. Die Trennung von lebender und nichtlebender Materie, die danach einsetzte, ist meines Erachtens auch von Schopenhauer schon aufgehoben worden, indem er die Welt nicht nur als Vorstellung, sondern als Wille beschrieben hat.
    In der Natur ist ja alles in Bewegung -selbst im subatomaren Bereich -, und Bewegung hat eine Ursache in Kräften, z.B. auch in magnetischer Kraft. Physikalische Objekte verändern sich nur durch Einwirkung äußewrer Kräfte (Newton), während sich lebende Systeme aufgrund innerer Kräfte bewegen aufgrund eigener Entscheidungen, die beim System Mensch, dem menschlichen Individuum, in bestimmter Hinsicht frei sind. Unfrei ist die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung eines bestimmten inneren Milieus (=Homöostase), was durch Regelkreise mit negativer Rückkopplung gewährleistet wird. Wir müssen beispielsweise essen, aber was wir essen, entscheiden wir selbst, unser ICH. In meiner Philosophie postuliere ich zwei innere Kräfte des Menschen, nämlich die Selbsterhaltung (Überleben), die durch derartige Regelkreise gewährleistet wird, und die Wachstumskraft, die ich Selbstentfaltung nenne. Unsere Selbstentfaltung wird allerdings maßgeblich von der Gesellschaft über Regelkreise mit positiver Rückkopplung gesteuert, bei der die Gesellschaft die Ziele festlegt. Und so gerät das Individuum in die missliche Lage, nicht seine angelegten Fähigkeiten entwickeln zu können, sondern sich im gesellschaftlich vorgegeben Rahmen entwickeln zu müssen, was eine Selbstentfremdung zur Folge haben kann. Das haben Erich Fromm, Arno Gruen und der kürzlich verstorbene Horst-Eberhard Richter vortrefflich in unterschieldichen Termini beschrieben. Auf meinen Internetseiten (z.B. http://www.system-erde.de) widme ich diesen humanistischen Vorbildern einige Texte, die Sie dort nachlesen können, so dass ich hiermit schließe und Ihnen weitere gute Ideen für Ihren Rucksack wünsche.

    • Hallo Herr Zimmermann,

      vielen Dank für die Blumen. Ich werde mir Ihre Internetseiten mit Genuss zu Gemüte führen und dann wieder mit Ihnen in Kontakt treten.

      Beste Grüße,
      Conny Dethloff

  2. Ingo says:

    Eine schöne Einführung in die Kybernetik.
    Neulich war ein Freund in unserem Heizungskeller und hat die komplizierte Regelung aus verschiedenen Heizquellen, Pumpen, Fühlern und Verbrauchern aufgemalt. Es war beeindruckend und ich dachte, dass hier kybernetische Modelle gut sind.
    Aber für mich endet hier auch der Sinn dieser Modelle. Wenn ich unsere Katze anschaue weiß ich, dass sie eben nicht funktioniert wie ein Heizungssystem. Um sie in dieses Modell zu pressen, müsste ich eben gerade von dem abstrahieren, was sie ausmacht: das Leben.
    Du sprichst von Versöhnung zweier Bereiche. Geht es da jetzt aber um die Bereiche Tot Leben oder Materie Geist oder Leib Seele?
    Ich finde den Gegensatz Tot Leben spannend weil ich ganz intuitiv spüre, dass die Katze was anderes ist als die Heizung. Aber um die beiden Bereiche zu versöhnen müsste ich erst einmal beiden gerecht werden. Und die Kybernetik wird dem lebendigen Bereich eben nicht gerecht
    Danke für den guten Artikel. Ich habe etwas gelernt und er hat mich etwas provoziert. Was will man mehr? 😉

    Liebe Grüße

    Ingo

    • Hallo Ingo,

      danke für Dein Feedback und die Blumen. Grundsätzlich spreche ich die Versöhnung der von Dir genannten 3 Dichotomien an.

      Aus meiner Sicht sind der Materialismus und der Idealismus auf dem gleichen Gedankenfundament aufgebaut. Beide Glaubensrichtungen gehen davon aus, dass es eine unteilbare Einheit gibt, die sich zu größeren Einheiten zusammen setzen. Im Materialismus ist es das Atom, im Idealismus die Seele. Hier ist also in beiden Lagern ein wenig mehr Demut gegenüber der anderen Seite angesagt. Das folgende Zitat von Gotthard Günther, ein deutscher Logiker und Philosoph, dessen Arbeiten und Schriften mich auf meiner Reise wohl am meisten inspirieren, passt hier sehr gut.

      Wenn ein Problem wieder und wieder auftaucht und keine Lösung gefunden werden kann, dann sollte man nicht danach fragen, was die Vertreter gegensätzlicher Standpunkte voneinander unterscheidet, sondern was sie gemeinsam haben. Das ist der Punkt, wo die Quelle des Missverständnisses liegen muss.

      Die Kybernetik leistet genau diese Versöhnungsarbeit, da in diesem Kontext das erste Mal bewusst versucht wurde, die Grenze zwischen den “toten” und den “lebenden” Welten aufzuweichen. Gestartet ist man mit der Kybernetik erster Ordnung, in welcher Abläufe, die früher in die geistige Welt verbannt wurden, da sie wissenschaftlich nicht formulierbar waren, thematisiert wurden. Hier hat Warren McCulloch Pionierarbeit geleistet, vor allem mit seinem Werk Verkörperungen des Geistes. Das war also der erste Schritt. Man hat überhaupt erst einmal den Aufwand unternommen, Abläufe aus der geistigen Welt mechanisch zu beschreiben. Das war wichtig. Es wurde aber schnell klar, dass man aus dieser Richtung kommend irgendwann in eine Sackgasse geraten wird. Dies war die Geburtsstunde der Kybernetik zweiter Ordnung. Hier sehe ich Heinz von Förster als Pionier dieser Denkrichtung an. Nennen möchte ich hier sein Werk KybernEthik Bei der Kybernetik zweiter Ordnung kam das Leben als Beobachter ins Spiel. Denn alles was beobachtet, gedacht oder gesagt wird, wird vom Menschen gesagt.

      Diese Versöhnung inspiriert mich immer wieder aufs Neue, egal ob im privaten oder im beruflichen Umfeld, und lässt mich einige Sachlagen etwas gelassener angehen.

      Beste Grüße,
      Conny

  3. Ingo says:

    Hallo Conny,
    schön, dass du gleich geantwortet hast. Ich merke, dass wir durchaus ähnliche Interessen verfolgen (Gegensätze zusammen denken usw.). Wir nehmen aber auch verschiedene Perspektiven ein. Du bist wesentlich stärker in der Kybernetik drin als ich, aber gerade das macht es für mich ja spannend.
    Eine etwas provokante Antwort:
    Soweit ich das sehe kommt die Kybernetik aus dem mechanischen (toten) Bereich. Und hier hat sie mit ihrer Perspektive auf die Steuerung/ Regelung viel geleistet.
    Bei der Übertragung auf den lebendigen Bereich wurde klar, dass es da wichtige Unterschiede gibt. So gelten soziale Systeme als nicht-linear und komplex. Die erste Ordnung wurde durch eine zweite ergänzt.
    Diese Perspektive (wie auch bei der Systemtheorie) hat sehr großes Erklärungspotential. Sie ist in sich sehr stringent und man kann sehr viel mit ihr abbilden. Aber die Grundfragen aus dem toten Bereich (die der Regelung usw.) werden einfach übernommen. Es mag sein, dass die Frage der Regelung für die Mechanik wichtig ist, aber warum sollte sie es auch für das Leben (in dieser Form) sein?
    Das was du Versöhnung nennst ist eine Okkupation des lebendigen Bereichs durch die Perspektive des toten. Alles wird nun nach dem Maßstab aus dem toten betrachtet. Dies ist heute in der gesamten Gesellschaft spürbar.
    Und noch ein Punkt:
    „Die Kybernetik leistet genau diese Versöhnungsarbeit, da das erste Mal sehr bewusst versucht wurde, die Grenze zwischen den “toten” und den “lebenden” Wissenschaften aufzuweichen.“
    Schon vor der Kybernetik gab es mehrere Versuche die Bereiche zusammen zu denken. Das ist z.B. Freud, der eben die Psyche erforscht hat, aber eben seine Kollegen aufrief, nach den chemischen Ursachen zu suchen. Explizit hat aber Wilhelm Reich in den 20er Jahren dies Thema aufgegriffen. Er fand, dass die Vitalisten (Bergson, Driesch …) ein tiefes Verständnis vom Leben hätten, aber leider keine angemessenen Methoden. Die sich mit dem toten beschäftigenden Naturwissenschaften hätten mit dem mechanistischen Materialismus zwar Methoden, aber keinen Zugang. Er formulierte daraus seinen Funktionalismus, der vielleicht ähnlich wie bei Günther, nach den zugrundeliegenden Identitäten suchte. Aber im Gegensatz zu den Kybernetikern ging er eben nicht von der Maschine aus, sondern vom Leben (vgl. http://ingo-diedrich.de/lebendige-entwicklung).
    Mich interessiert sehr, wie man ganz in diesem Sinne kybernetisches (systemisches) und in diesem Sinne funktionalistisches Denken auf eine zugrunde liegende Funktion zurückführen kann. Dazu werde ich auch noch etwas bei dir rumschauen.
    Liebe Grüße

    Ingo

    • Hallo Ingo,

      Deine Sätze

      Aber die Grundfragen aus dem toten Bereich (die der Regelung usw.) werden einfach übernommen. Es mag sein, dass die Frage der Regelung für die Mechanik wichtig ist, aber warum sollte sie es auch für das Leben (in dieser Form) sein? Das was du Versöhnung nennst ist eine Okkupation des lebendigen Bereichs durch die Perspektive des toten. Alles wird nun nach dem Maßstab aus dem toten betrachtet. Dies ist heute in der gesamten Gesellschaft spürbar.

      kann ich nur bestätigen.

      Genau diese Versöhnung ist noch lange nicht vollzogen, ja sie ist noch nicht einmal verstanden. Die Schriften von Gotthard Günther helfen hier weiter. Nur leider werden diese derzeit immer noch verschmäht. Er hat in seinen Ausarbeitungen zur Polykontexturalität gezeigt, dass unser heutiges wissenschaftliches Verständnis, welches auf der Aristotelisch-Zweiwertigen Logik beruht, nicht ausreicht, um lebendige Prozesse und Abläufe technisch abzubilden. Aufgrund dieser Zweiwertigkeit können alle heutigen technischen Apparaturen nur monothematisch arbeiten. Das bedeutet aber eben das diesen Apparaturen die Lebendigkeit genommen wird. Oder haben alle Menschen zu einem bestimmten Thema stets ein und die selbe Sicht und Meinung? Zum anderen laufen unsere Denkprozesse im Gehirn nicht hierarchisch, also sequentiell, sondern heterarchisch ab. Die Prozesse, die heute auf Parallelcomputern implementiert sind, laufen nur scheinbar parallel. In Wirklichkeit sind diese sequentiell, nur verteilt auf verschiedene Prozessoren.

      Details dazu findest Du in einigen meiner Posts: http://blog-conny-dethloff.de/index.php?s=Axiome+Logik

      Diese Themen müsste man angehen, um eine Versöhnung zu vollziehen. Nur leider sind wir hier noch sehr weit davon entfernt. Vielleicht aber auch gut, da uns dieser Fakt davon abhält “wirklich” künstliche Intelligenz technisch zu konzipieren.

      Lebendige Grüße,
      Conny

  4. Dietmar West says:

    Geehrter Herr Dethloff!

    Ohne auf Einzelheiten ihres Artikels einzugehen, möchte ich verweisen oder betonen, dass die Kybernetik (Steuerung und Regelung) die eigentliche wissenschaftliche Grundlage bietet, Leben zu verstehen und zu beschreiben. Das aus dem einfachen Grund: Die Steuerung und vor allem die Regelung ist mit dem Leben in die Welt gekommen und zwar zunächst auf biochemischer Basis (siehe die einfachsten Lebewesen). Das Leben gründet auf geregelten Vorgängen und ist anders nicht möglich. Um das zu verstehen, muss man allerdings viel von der Regelung (siehe auch Regelungstechnik) wissen und diese im Grundsätzlichen und ihren vielfältigen Formen verstehen.

    Lesen Sie dazu mehr in meiner Homepage ‘west-dietmar.de’ und ‘moderneswissen.de’.

    Was die unterschiedlichen Gesichtspunkte, Darstellungen und Trennungen in Natur- und Geisteswissenschaft anbelangt, zeigt sich, dass es bislang an grundlegendsten Ansätzen gefehlt hat, die solche Trennungen verhindern konnten. Meine Überlegungen sind grundsätzlichster Art und gehen davon aus, dass es nur Natur gibt. Und in dieser Natur gibt es auch Menschen, die einen “Geist” (was man auch immer darunter versteht) haben und dieser wiederum ist auch ein Teil der Erscheinungen in der Natur.

    Ich würde mich freuen, wenn Sie meine Homepages zumindest so interessant finden, wie ich Ihre gefunden habe.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dietmar West

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