Ziele sollten als unerreichbar gesetzt werden, aber als erreichbar wahrgenommen werden

Ingo Diedrich hat mit seinem Post Ziele sind nicht zum Erreichen da eine Steilvorlage für mich zum Weiterdenken meines Posts Projekte stehen in der Regel für Mittelmaß geschlagen, die ich in diesem Post gerne verarbeiten möchte.

In meinem oben aufgeführten Post Projekte stehen in der Regel für Mittelmaß habe ich bereits den Systemarchetyp der erodierenden Ziele als Muster verwendet, um den Übergang von der Ergebnis- hin zu einer Prozessorientierung und die einhergehende Abwärtsspirale der Zielauslobung darzulegen. Diese Argumentationskette möchte ich nun weiter ausführen und stoße dabei auf zwei scheinbar gegensätzliche Thesen, die ich folgend miteinander versöhnen möchte.

  1. Ziele müssen so gesetzt sein, dass sie grundsätzlich erreichbar sind.
  2. Ziele müssen so gesetzt sein, dass sie grundsätzlich nicht erreichbar sind.

Die erste These wird wahrscheinlich Jeder sofort unterscheiben. Durch ausgelobte Ziele erzeugen Teams ihre Daseinsberechtigung, quasi ihre Identität. Es wird definiert, wofür das Team steht und wofür es nicht steht. Durch Ziele wird eine Basis geschaffen, die es einem Team überhaupt erlaubt als Team zu agieren. Aus dieser Sicht gesehen ist es dann ja auch logisch, dass die Ziele dann auch als erreichbar angesehen werden müssen.

Die zweite These wird spannender und auf den ersten Blick für die meisten Leser nicht gleich hinnehmbar. Was meine ich mit dieser These?

Zielerreichung

Ziele sollten stets Mittel zum Zweck, niemals zum Selbstzweck mutieren, was sie zu oft tun. Das möchte ich an Projekten in einem Unternehmen verdeutlichen. Die Argumente könnte man aber auch relativ einfach auf einige andere Bereiche des Lebens ausdehnen.

In einem Unternehmen wird der Bedarf an der Generierung eines Mehrwertes in einem bestimmten Bereich nachgedacht (Launchen eines neuen Produktes, Erschließen einer neuen Verkaufsregion etc.) Dafür wird dann ein Projekt aufgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt ist das Projekt samt seiner Ziele noch Mittel zum Zweck. Der Zweck ist die Generierung des Mehrwertes für das Unternehmen.

Dann wird das Projekt geplant, mit Ressourcen “bestückt” etc. Es wird über den Scope und den einhergehenden Risiken gesprochen. In diesen Diskussionen wird dann häufig der Scope des Projektes reduziert, um Risiken zu mitigieren. Das Projekt an sich rückt immer mehr in den Mittelpunkt und der eigentliche Sinn des Projektes, die Generierung des Mehrwertes für das Unternehmen, in den Hintergrund, bis er ganz verschwunden ist.

Innerhalb der Durchführung des Projektes ist man dann auch noch dem Systemarchetyp der erodierenden Ziele aufgesessen. Hat man erst mal begonnen, Ziele herabzustufen, kommt man aus dieser Spirale nicht mehr heraus. Man reduziert sie fortwährend. Damit entfernt man sich mit den zu erreichen wollenden Ziele des Projektes immer von den initial gesetzten Zielen, die den Mehrwert für das Unternehmen reflektieren.

Wenn also Ziele so definiert werden, dass sie erreichbar sind, wird das gesamte Potential eines Teams nicht annähernd ausgeschöpft, denn man wird die Priorität bei der Definition der Ziele auf die Erreichbarkeit dieser setzen. Logisch, man wird ja an die Erreichung dieser Ziele gemessen. Man befindet sich dann im Mittelmaß.

Wie könnte nun eine Versöhnung aussehen und welche Voraussetzungen sind notwendig, um dieser Versöhnung Leben einzuhauchen?

Ich persönlich gehe stets mit dem folgenden Mindset an ein Projekt im beruflichen Bereich oder auch an Vorhaben im privaten Sektor.

  1. Ich setze das zu erreichende Ziel so hoch wie möglich und mache mir im ersten Moment keine Gedanken darüber, ob ich es erreichen kann. Ich lasse mich nur vom zu erreichenden Mehrwert leiten.
  2. Ich will dieses Ziel erreichen, unbedingt. Ich habe dabei aber stets im Blick, ob das Ziel bei der Abarbeitung stets relevant bleibt. Im Laufe der Zeit mag es ja sein, dass das Ziel gar nicht mehr wert ist es erreichen zu wollen.
  3. Ich lande da, wo ich lande.

Was habe ich damit erreicht? Im Sinne der Sache auf jeden Fall mehr, als wenn ich gleich am Anfang des Vorhabens das Ziel nach Grad der Erreichbarkeit gesetzt hätte.

Was muss aber gegeben sein, damit die oben beschriebene Vorgehensweise auch umgesetzt werden kann?

Die Erreichung der Ziele darf nicht mehr als Gradmesser für die Einstufung und Bewertung der Leistungen der Mitarbeiter herangezogen werden. Denn ist das der Fall, werden alle Mitarbeiter ihre ganze Energie darin legen, Ziele zu erreichen und dafür unter Umständen auch Ziele herunter schrauben, unabhängig davon, ob diese dann noch einen Mehrwert darstellen oder nicht.

Ein Projekt muss Risiken implizieren. Ein Projekt ist stets etwas Neuartiges und hat dieses keine Risiken ist es nicht wert es überhaupt zu starten. Dieser Gedankengang muss in der Definition der Ziele Berücksichtigung finden.

In diesem Sinne sollte man auch beachten, dass in der Regel die Projekte, in denen ganz offen eine Zielverfehlung thematisiert wird, einen höheren Mehrwert schaffen, als die, in denen am Ende des Projektes Zielerreichung propagiert wird. Natürlich darf das aber nicht bedeuten, dass man auf Teufel komm raus versuchen sollte, Ziele nicht erreichen zu wollen. Dann wäre man nämlich auf dem entgegengesetzten Pol zu “Ziele unbedingt erreichen wollen” angekommen.

Und wir streben ja eine Versöhnung an.

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3 Responses to Ziele sollten als unerreichbar gesetzt werden, aber als erreichbar wahrgenommen werden

  1. Auch deine Gedanken irritieren mich und fordern mein Denken. Danke dafür.

    Ein Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass es ein Stück weit aus dem Zusammenhang gelöst wird. Es ist ein besonderer und begrenzter Raum – eben nicht der dahinplätschernde Alltag. Im Projekt wird mit dem ‚Ziel‘ ein Horizont formuliert. Meine Kritik richtete sich gegen den krampfhaften Versuch, diesen Horizont zu erreichen.

    So wie ich dich verstehe kritisierst du v.a. die zu starke Binnenorientierung bzw. die zu geringe Orientierung am übergeordneten Zusammenhang. Auch der Artikel über SMART geht in diese Richtung. Deine Argumente haben mir deutlich gemacht, wie wichtig die ungenügende Integration sein kann. Letztlich verliert das Projekt so seinen Sinn.

    Dies gilt letztlich für jede Handlung. Steht sie nicht in einem Zusammenhang verliert sie die Bedeutung. Zwei Wochen Urlaub sind nur zu verstehen in Bezug auf einen Menschen mit Bedürfnissen. Er ist kein Selbstzweck. Das Projekt ‚Lebensgemeinschaft gründen‘ macht nur Sinn, wenn man die Visionen der Menschen nicht aus den Augen verliert. Ein Projekt innerhalb eines Betriebes steht im Bezug zu den übergeordneten Zielen (z.B. Mehrwert steigern).

    Wie muss ein Projekt gestaltet sein, dass die Integration im Bezugssystem (der Sinn) gegeben bleibt? Der Umgang mit evtl. Zielverfehlung ist dabei sicher sehr wichtig. Aber warum sollte es dafür sinnvoll sein, Ziele so zu formulieren, dass sie nicht erreichbar sind? Ich finde, dass Ziele innerhalb von einem Projekt erreichbar bestimmt werden sollten (ansonsten sind es Visionen), dass sie aber nicht zwangsläufig erreicht werden müssen. Dies gilt insbesondere für Projekte mit einem großen Innovationsgrad.

  2. Hallo Ingo,

    genau dass was Du darstellst, wollte ich in diesem Artikel herausheben.

    Ziele sollten auf der einen Seite so hoch gesteckt sein, dass sie nicht erreichbar sind, damit das brach liegende Potential auch wirklich ausgeschöpft wird. Auf der anderen Seite aber sollten Ziele als erreichbar wahrgenommen werden, da sonst das eintritt, was Du beschreibst.

    In unserer zweiwertigen Denkweise, die uns Aristoteles vererbt hat, ist dieses Paradoxon nicht auflösbar: Entweder-Oder. Ich möchte aber zu einer Abkehr von der Zweiwertigkeit ermutigen und motivieren: Sowohl-als-auch.

    Beste Grüße,
    Conny

  3. Pingback: Das innere Spiel – Wie Entscheidung und Veränderung spielerisch gelingt ... | Initiative Wirtschaftsdemokratie

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