Überholt die Maschine den Menschen?

Diese Frage wurde in einer Radiosendung des SWR2 namens Das digitale Superhirn thematisiert. In dieser Sendung, die am 31.05.2012 ausgestrahlt wurde, diskutieren Prof. Dr. Michael Decker (Physiker, Lehrstuhl für Technikfolgenabschätzung am Institut für Philosophie des KIT, Karlsruhe), Prof. Dr. Gerald Hüther (Hirnforscher, Universität Göttingen) und Frank Rieger (Informatiker und IT-Unternehmer, Berlin). Mehr oder weniger, so höre ich jedenfalls heraus, meinen alle 3, dass dieses Szenario nicht wirklich vorstellbar ist. Ich möchte einen anderen Blickwinkel auf die Thematik wagen.

Ich habe des Öfteren die Gedanken und Ideen zur Entwicklung der Menschheit von Gotthard Günther dargestellt. Er unterteilte die Entwicklung der Menschheit in 3 Epochen.

  1. Die primitive Epoche
  2. Die Epoche der regionalen Hochkulturen
  3. Die Epoche der universellen planetaren Kultur

Details zu den 3 Epochen können Sie im Post Wie wirken sich Werte-Welten auf das Führen von Unternehmen aus? nachlesen.

Wir haben beim Übergang von der ersten zur zweiten Epoche eine Sicherheit durch Abstraktion erzeugt. Menschen wollten Naturvorgänge verstehen, um so Sicherheit aufzubauen. Die Beobachtungen, die Menschen getätigt haben, wurden durch Schrift und Sprache zu einem Kommunikationsmedium abstrahiert. Menschen haben Objekte eingeführt, die Dinge der Natur widerspiegeln sollten, aber nicht die wahren Dinge der Natur sein können. Denn wie Kant schon formulierte, “das Ding an sich” ist für Menschen nicht erkennbar. Auf diesen abstrahierten Objekten wurde das Wissen der Menschen begründet und dabei so getan als wenn die Objekte, die man in Theorien behandelt, die “wirklichen” Objekte der Natur sind. Das ist aber eben nicht der Fall. Deshalb ist die Sicherheit, in denen die Menschen der 2. Epoche sich sonnen, nur eine Scheinsicherheit.

Die folgende Frage stellt sich also für uns. Was wissen wir wirklich von der Natur? Wissen wir beispielsweise ganz exakt, was Gravitation eigentlich ist? Menschen haben beobachtet, dass sich Massen gegenseitig anziehen und haben dies dann Gravitation genannt. Werfen Sie beispielsweise einen Ball in die Luft wird er irgendwann wieder auf die Erde fallen. Was aber “wirklich” dazu führt, dass der Ball fällt, wissen wir nicht. Fragt man danach, bekommt man als Antwort “wegen der Gravitation”. Und dann tun Menschen so als wüssten Sie Bescheid. Gravitation ist ein Modell, das wir verwenden, um das Herunterfallen eines Balles zu erklären. Was aber hinter dem Modell steckt, wissen wir nicht. Wir wollen es auch gar nicht wissen.

Wir befinden uns derzeit in der zweiten Epoche und wissen nicht viel mehr von der Natur als die Menschen in der ersten Epoche. Wir haben Modelle entwickelt, die Geschehnisse in der Natur erklären sollen. Diese Modelle sind aber unsere Erfindung und sind auf Basis unserer Beobachtungen abgeleitet. An diese Modelle halten wir fest, da unsere Beobachtungen diese immer wieder bestätigen. Wir können unsere Umwelt sowieso nur durch Modelle verstehen. Das hat Peter Addor, ein Wegbegleiter auf meiner Reise des Verstehens, sehr schön in seinem Post Effiziente Steuerung verlangt nach Modellen dargelegt. Damit gaukeln wir uns dann dieses Wissen von der Natur nur vor, da dieses Wissen ja auf diesen Modellen beruht. Hier möchte ich wieder auf Peter Addor verweisen. Er hat nämlich diese Tatsache sehr schön in seinem Post Es gibt keine absolute Gewissheit – auch nicht in exakten Wissenschaften ausgeführt.

Ebenfalls bestärkt in der Denkweise, dass wir nicht mehr von unserer Umwelt wissen als Menschen in der ersten Epoche, hat mich Armin Rütten, ein langjähriger Wegbegleiter meiner Reise des Verstehens. Ich würde fast sagen, er hat den Startschuss zu meiner Reise gegeben. Gedanken und Ideen von Herrn Rütten können Sie auf seiner Homepage erkunden. Herr Rütten hat zusammen mit einem seiner Schüler ein Buch über Wissensaktivierung geschrieben, in welchem die Wahrnehmungs- und Denkvorgänge der Menschen messerscharf unter die Lupe genommen werden. Ich durfte das Manuskript vor Veröffentlichung lesen. Unglaublich guter Lesestoff.

Ich habe bislang Folgendes thematisiert. Wir Menschen abstrahieren unsere Umwelt mit der Intension diese zu verstehen und uns darüber auszutauschen. Wir müssen also abstrahieren. Diese Abstraktionen sind aber nicht gleich der “Umwelt an sich”, sonst wären Sie keine Abstraktionen. Wir wissen also nichts von der “Umwelt an sich”. Der Gipfel der Abstraktion wurde mit dem Einzug der digitalen Maschinen erreicht. Denn hier wurde auf genau 2 Werte abstrahiert, nämlich auf NULL und EINS. Nehmen Sie die analogen Fernsehprogramme, wo es noch möglich ist, Streifen auf den Fernsehbildern zu produzieren. Oder nehmen Sie die analogen Radioprogramme, wo es noch möglich ist Rauschen im Ton zu erzeugen. Im digitalen Übertragungsmodus gibt es nur noch “Empfang | Kein Empfang”, nichts dazwischen, also auch kein Rauschen. Das ist aber nicht das was in der Natur vor sich geht. Es gibt nicht immer nur zwei Werte für eine bestimmte Situation in der Natur. Die Umwelt der Menschen ist vielfältiger, die wir aber auf eine Einfältigkeit reduzieren.

Wir Menschen sind aber in der Lage, uns aus dieser Umklammerung der Abstraktion wieder zu befreien, nicht komplett aber ein Stück weit. Denn wir benötigen Abstraktion für unsere Wahrnehmung und für die Kommunikation untereinander, da wir dafür Modelle benötigen. Die digitale Abstraktion, die wir benötigt haben, um Computer zu bauen, und die mehr und mehr auch unser Denken infiltriert hat, ist nicht notwendig. Wenn wir also den Eindruck haben sollten, dass Maschinen uns überholen könnten, ist das nicht dem Fakt geschuldet, dass die Maschinen immer “schneller” werden, sondern dass wir immer “langsamer” werden. Wir sollten also wieder anfangen zu denken. Der Startpunkt dafür muss in den Schulen gesetzt werden. Missachten wir diesen Fakt, wird der Abstand zwischen Mensch und Maschine immer geringer. Daran glaube ich. Überholen können uns die Maschinen trotzdem nicht. Das möchte ich jetzt noch zum Thema machen.

Menschen bauen Maschinen. Das bedeutet, dass diese Maschinen nicht mächtiger sein können als Menschen. In einem Regelraum, der immer abgeschlossen ist, muss es immer etwas geben, was wir als Axiom voraussetzen müssen, was also nicht durch anderes aus dem Regelraum bewiesen werden kann, da man sonst in einem Zirkelschluss feststeckt. Kurt Friedrich Gödel, österreichisch –amerikanischer Mathematiker, hat diesen Fakt in seinem Unvollständigkeitstheorem aufgezeigt. Der Anfang ist immer der Glaube, nicht das Wissen. Ähnliches erkennen wir am Gehirn. Wir nutzen unser Gehirn um unser Gehirn zu verstehen. Da wird es immer einen blinden Fleck geben müssen, der für uns nicht erkennbar ist. Ich möchte dies an einem praktischen Beispiel, der automatischen Einparkhilfe im Auto, illustrieren.

Die automatische Einparkhilfe im Auto besteht aus einem Programm und Daten. Daten werden über Sensoren am Auto erfasst. Die Daten spiegeln die Position des Autos in Bezug auf die Parklücke vollständig wieder. Das könnten sein: Abstände der Räder vom Bordstein, Länge der Parklücke, Einschlagwinkel des Lenkrads, Winkel des Autos in Bezug auf den Bordstein. Das Programm nutzt die Daten um einen Algorithmus auszuführen, der eine Motorik an der Lenkstange betreibt, die das Auto automatisch in die Parklücke fahren lässt, in dem die Lenkvorrichtung und Gas betätigt werden. Um die automatische Einparkhilfe betriebsfähig zu haben, muss diese angelernt werden. Dazu wird das Auto aus verschiedenen Positionen vom Menschen geführt und die erfassten Daten bzgl. der Position des Autos zusammen mit den zugehörigen Aktionen an Lenkvorrichtung und am Gaspedal in einer Referenztabelle erfasst. Das nennt man dann unterwiesenes Lernen. Nach dem Anlernen, kann das Auto mithilfe der automatischen Einparkhilfe in Parklücken befördert werden, auch von Positionen, die nicht angelernt wurden. Dafür müssen die neuen Daten immer wieder in die Referenztabelle übernommen werden. Damit könnten dann auch Hindernisse auf dem Weg in die Parklücke “erkannt” und umfahren werden. Das nennt man dann nicht-unterwiesenes Lernen. Stellen wir uns aber folgende Konstellation vor. Die Parklücke ist derart blockiert, dass diese nicht befahren werden kann. Was würde passieren? Im besten Fall würde das Auto stoppen und genau diese Meldung ausgeben. Diese Technik ist heute bereits realisiert. Wenn wir aber beispielsweise möchten, dass der Gegenstand in bestimmen Fällen automatisch beiseite geräumt wird oder dass automatisch eine neue verfügbare Parklücke gesucht wird, stockt der Algorithmus. An dieser Stelle reicht es nämlich nicht aus, wie noch beim unterwiesenen oder nicht-unterwiesenen Lernen, nur die Daten zu ändern. Jetzt muss das Programm geändert werden. Das Programm muss also in Eigenleistung sich selber ändern können. Es müsste adaptiv lernen. Das ist heute noch nicht realisiert. Die automatische Einparkhilfe müsste also nicht nur Lernen können, wie in den ersten beiden Fällen, sondern es müsste Lernen können wie es lernt. Davon sind wir heute technologisch noch meilenweit entfernt, auch wenn uns die Forschungsergebnisse der Künstlichen Intelligenz manchmal etwas anderes vorgaukeln mögen. Details finden Sie in diesem meiner Posts. Dort schreibe ich unter anderem von Lernen_0, Lernen_1 und Lernen_2. Diese drei Lernprozesse stimmen mit denen aus dem Beispiel der automatischen Einparkhilfe überein: Lernen_0 ist das unterwiesene Lernen, Lernen_1 das nicht-unterwiesene Lernen und Lernen_2 ist das adaptive Lernen.

Ich bin ja noch eine Antwort auf die im Titel gestellte Frage schuldig. Nein. Die Maschinen werden uns niemals überholen, zumindest so lange nicht wie sie auf der zweiwertigen Aristotelischen Logik beruhen, was sie derzeit alle tun.

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