Assessment Center finden in Höhlen statt

Assessment Center sind ein sehr guter Beleg für das Messparadigma, welchem wir Menschen viel zu häufig erlegen sind. Menschen versuchen zwanghaft Dinge vergleichbar zu machen die nicht vergleichbar sind. Qualitäten werden in Quantitäten umgewandelt, damit wir messen und damit vergleichen können. Dabei simplifizieren und trivialisieren wir. Wenn wir Menschen einen Kriterienkatalog vorzeigen können, nach denen wir beispielsweise entschieden haben, einen Menschen einzustellen oder einen Mitarbeiter als Führungskraft zu qualifizieren, fühlen wir uns sicher. Diese Sicherheit benötigen wir, um uns nicht später rechtfertigen zu müssen, wenn sich die Auswahl doch als falsch herausstellen sollte. Man kann ja dann die Verantwortung an die Messkriterien abschieben. Man hat sich ja daran gehalten.

Ich möchte meine Argumente gegen die Verfahrensweise in herkömmlichen Assessment Centern am Höhlengleichnis von Platon spiegeln. Ich möchte die folgende Abbildung nutzen, um die Möglichkeiten, die den Beobachtern in den Assessment Centern zur Verfügung stehen, zu reflektieren.

Stufe 1
Die Beobachter sind wie die Menschen in der Höhle in Ihren künstlichen Rahmenbedingungen gefangen. Die Menschen in der Höhle sitzen mit dem Rücken zum Höhleneingang und können sich nicht umdrehen. Sie sehen auf der Höhlenwand vor sich nur die Schatten des Treibens außerhalb der Höhle und nehmen nur das Echo der Stimmen und der Klänge von draußen wahr. Sie sind sich sicher, dass dies die wirklichen Dinge sind. Die Beobachter in den Assessment Centern denken sich Spiele aus, die von den Teilnehmern durchgeführt werden müssen. Auch sie sind sich sicher, dass diese Spiele, wie Mitarbeitergespräche oder Gruppenspiele die Wirklichkeit abbilden.

Stufe 2
Ein Mensch in der Höhle wird von seinen Fesseln befreit und kann sich umdrehen, so dass er den Höhlenausgang erkennen kann. Allerdings tut er dies nur widerwillig. Er wird geblendet von dem Licht. Nach einer gewissen Zeit aber hat er sich an das Licht gewöhnt und er kann die Gegenstände erkennen, von denen er bislang nur die Schatten kannte. Er kann auch die Stimmen und Geräusche hören, von denen er bislang nur das Echo vernahm. Er macht also Erfahrungen und nimmt nun die realen Dinge wahr, von denen er bislang nur vermuten konnte. Er kann sich eine Meinung bilden. Es ist wichtig sich vor Augen zu führen, dass die Menschen, die in der Höhle sind und sich nicht umdrehen können, nicht der Meinung sind, dass sie nur vermuten, denn Ihnen fehlt ja die Erfahrung. Im Rahmen von Assessment Centern ist es also ebenfalls wichtig Erfahrung zu sammeln. Das wird sicherlich niemand abstreiten. Allerdings muss man sich dafür auch umdrehen, wa nicht getan wird. Es müssen beispielsweise die durchzuführenden Spiele validiert und gegebenenfalls angepasst werden.

Stufe 3
Der Mensch wird nun nach draußen geführt. Er wird wieder geblendet, da er bislang nur das Halbdunkel der Höhle kannte. Draußen außerhalb der Höhle orientiert er sich vorerst nur an den Spiegelungen der Gegenstände im Wasser oder am Boden. Er findet sich nachts am besten zurecht. Er verhält sich ähnlich wie schon in der Höhle, allerdings stammen die Schatten, die er nun wahrnimmt von natürlichen Dingen. Nach einer gewissen Zeit gewöhnt er sich an das Licht und kann die natürlichen Dinge direkt sehen. Der Mensch befindet sich außerhalb der Höhle nicht mehr nur im Bereich des sinnlichen Wahrnehmens sondern im Bereich des denkenden Erkennens. Spiegelt man dies auf Assessment Centern, müsste man die Verhaltensweisen der Teilnehmer, die sie außerhalb der Assessment Center gemacht haben, in die Bewertung einfließen lassen. Es wird also nicht mehr nur alleine die Beobachtung in den künstlichen Rahmenbedingungen als Maßstab herangezogen.

Stufe 4
Der Mensch gewöhnt sich immer mehr an das Licht. Er erkennt die Dinge immer mehr im Lichte der Sonne. Er macht nicht nur Erfahrungen, sondern er generiert aus diesen Erfahrungen Wissen und Einsichten. Er macht sich über die Dinge an sich Gedanken und reflektiert diese. Jetzt gibt der Mensch sich nicht mehr mit den Abbildern von Dingen oder den Abbildern von Abbildern von Dingen zufrieden, wie das noch bis zur 3. Stufe der Fall war. Er ist im Reich der Ideen angelangt. Was bedeutet dies für die Assessment Center? Nichts gutes. Sie werden abgeschafft. Man erkennt, dass man die Teilnehmer in ein künstliches Korsett zwingt, was sie teilweise so handeln lässt, wie sie es in der realen Welt niemals tun würden. Sie wissen was von Ihnen verlangt wird, also tun sie es. Sie wollen ja bestehen.

Fazit
Warum gibt es aber noch immer Assessment Center? Auch hier kann man wieder das Höhlengleichnis heranziehen. Der Mensch, der draußen Einsicht erlangt hat, ist begeistert und will den Menschen in der Höhle davon berichten. Er wird allerdings als Spinner abgestempelt, denn wie oben bereits angedeutet, sind auch die Menschen in der Höhle von ihrer Einsicht überzeugt. Der Übergang von einer Stufe zur nächsten ist mit einem Wegwerfen von Gewohnheiten verbunden. Schein und Illusionen (Abbilder) werden abgestreift. Allerdings ist dies mit Schmerzen verbunden, da dies einhergeht mit einem Negieren von Paradigmen, mit denen man sich bislang identifiziert hat.

Wenn Sie vielleicht in Zukunft zu einem Assessment Center eingeladen werden, fragen Sie gerne nach warum dieses nicht in der Höhle stattfindet. Wenn Sie eines organisieren müssen, lassen Sie es lieber bleiben. Falls die Rahmenbedingungen in Ihrem Unternehmen dies aber nicht zulassen sollten, schenken Sie dem Assessment Center wenigstens einen angemessenen Ort. Sie wissen schon welcher das ist.

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8 Responses to Assessment Center finden in Höhlen statt

  1. Jens says:

    Hallo Conny,

    vor noch rund einem Jahr hätte ich Dir in diesem Beitrag uneingeschränkt zugestimmt. Mittlerweile bin ich allerdings zu der Erkenntnis gelangt, dass ein AC im Grunde eine meßbare Aufgabe erfüllen kann. Nur ist es leider nicht die vorrangig publizierte, dass man dich als authentischen Menschen in seiner Fähigkeit des Managements und Leaderships beobachten möchte. Denn genau darin liegt die Krux.
    Authentizität in einem AC? Eher eine Wunschvorstellung, als tatsächlich ein zu erwartendes Ergebnis.
    Insofern sich die AC-Betreiber von diesem Dogmatismus lösen, werden sie auch erkennen, dass sich viel tiefgründigere Wahrnehmungen erzielen lassen.
    Vorrangig ist dies in meinen Augen die Fähigkeit eine rollensouveräne Position einzunehmen. Rollen sind immer schnell mit dem negativen Stigma der Schauspielerei verknüpft. Ich sehe eine Rolle allerdings als die gelernte (!) Fertigkeit und Qualifikation, sich in entsprechenden Situationen durch eine souveräne Wirkung sowie Handlung authentisch darzustellen und damit der Erwartungshaltung, die von der Allgemeinheit an diese Situation gestellt wird, gerecht zu werden. Dies ist unabhängig von der Authentizität, die mein Charakter ausmacht und was ich unter Charisma subsumiere.
    Da diese Zweiteilung der Authentizität jedoch vielen nicht bewußt ist, wird die mangelnde Fertigkeit der Rollenanpassung schnell auch als fehlende Charakterauthentizität gesehen. In den meisten Fällen ist es aber nichts anderes, als das die Fertigkeit einfach noch nicht diffizil genug ausgeprägt ist. Sie überstrahlt folglich den Charakter. Ich spreche ganz bewußt nicht von Fähigkeiten an dieser Stelle, sondern ganz explizit von Fertigkeiten und Qualifikationen. Warum? Jene lassen sich erlernen, ausprägen und verfeinern. Kaum eine wirksame (nicht idialisierte) FK ist geboren. Sie werden erst wirksam durch ihre Erfahrungen, Ausbildungen und Kenntnisse.

    Was heißt das nun für ein AC. Auch hier ist es notwendig, sich in die Rolle eines Beobachteten hineinzuversetzten, der mit Hilfe seines Methodenkoffers in der Lage sein muss, die „Spiele“ souverän zu bestreiten. Insofern es ihm nicht gelingt, ist dies ein Zeichen dafür, dass er ebenfalls in der Praxis in bestimmten Situationen nicht in der Lage ist, souverän und erwartungsgerecht zu agieren. Extremsituationen.
    Genau dies wird allerdings bei einem ACs von den Teilnehmern hinterfragt. Auf gut Deutsch, man sieht ein AC als ein Spiel, das man nicht auf die Praxis anwenden kann. Aber auch die Praxis ist ein Spiel und zum Glück ist es meist so, dass wir uns in einer Schönwetterpraxis befinden, bei dem der Methodenkoffer geschlossen bleiben kann. Die Frage die aber bleibt, ist die FK auch in der Lage, wenn ein Gewitter aufzieht, „seinen Mann zu stehen“.

    Genau das ist es, was in meinen Augen ein AC testet und testen soll. Nur diese Wahrnehmung teilen die AC Veranstalter wohl eher weniger.

    Liebe Grüße, Jens

    • Hallo Jens,

      danke für Dein Feedback und dafür dass Du mich motivierst konkreter zu werden: ACs finden zu oft in Höhlen statt und diese Höhlen nimmt man als Realität.

      Authentizität und ACs schließen sich aus, denn ACs sind künstlich und konstruiert. Ich gebe Dir Recht, eine Führungskraft muss in verschiedenen Situationen authentisch reagieren. Das lernt sie aber nur da, wo Authentizität auch möglich ist, nämlich in der Realität, im täglichen Arbeitsleben. Sehr häufig sollten Haltepunkte eingelegt werden, an denen die Führungskraft die Möglichkeit hat, Situationen und eigene Handlungsweisen zu reflektieren und daraus zu lernen. Dafür eignen sich Schulungen sehr gut. Gute Führungskräfte werden viel eher im täglichen Arbeitsleben erkannt als in ACs. In ACs können sie nur Rollen spielen und werden in der Regel von Menschen beurteilt, die sie nicht kennen oder im Rahmen eines ACs das erste mal sehen.

      Warum verschieben wir das Überprüfen von Fähigkeiten und Fertigkeiten also nicht auf das “wirkliche Leben”? Dort zeigt sich viel besser, ob ein Mensch Führungskraft ist oder sein kann. Ich kann Dir in Summe voll zustimmen. Ist die Konsequenz dann aber nicht, dass ACs abgeschafft gehören, da sie niemals erfüllen können, was man von ihnen erwartet?

      Beste Grüße,
      Conny

  2. Kiwi says:

    Hallo Conny,
    auch ich bin kein Freund von ACs. Allerdings finde ich diese Art der FK-Auswahl immernoch besser als die übliche Art, insbesondere in kleinen, aufstrebende Betrieben, Menschen nach ihrer Fachqualifikation zu befördern. Zu sehr habe ich unter Chefs gelitten, die aufgrund ihrer Fachkenntnis plötzlich für echte Menschen zuständig waren, und dann versagten. Gleichzeitig haben diese Chefs dann wieder die fachlich versierten Kollegen gefördert und so das System dauerhaft stabilisiert. Echte am Menschen orientierte Führung kann in so einem Umfeld nicht entstehen.
    Das AC zur Auswahl von Führungskräften bietet zumindest die Möglichkeit, einige Eigenschaften zu prüfen: Mut, Integrität, Stressresistenz, Selbstbewusstsein.
    Natürlich hätte man auch vorher und anders prüfen können, ob der Kandidat geeignet ist – nur den jeweiligen Chef als einzigen zu fragen, ist aus meiner Sicht nicht der richtige Weg.
    Viele Grüße,
    Kiwi

    • Hallo Kiwi,

      da stimme ich Dir voll zu. Ein Mensch mit guten oder sehr guten fachlichen Kenntnissen muss nicht unbedingt eine gute oder sehr gute Führungskraft sein. Die Führungsqualitäten lassen sich aus meiner Sicht am besten im täglichen “wirklichen” Leben erkennen. Hier findet man echte Situationen vor, die nicht, wie im AC, gespielt sind. Die Konsequenzen, die Entscheidungen nach sich ziehen sind in ACs nicht real. Authentizität ist für mich eines der bedeutendsten Eigenschaften, die eine Führungskraft aufweisen muss. Reden und Handeln muss im Einklang sein. Authentizität ist aber im AC nicht überprüfbar.

      Aus meiner Sicht benötigen wir keine ACs, um Führungskräfte zu selektieren. Das passiert automatisch im “wirklichen” Leben, wenn man es zulässt. Nur was machen wir dann mit den Personalabteilungen in den Unternehmen? Hier kann man ein Analogon zu den Steuergesetzen in Deutschland ziehen. Wir können die Steuergesetze gar nicht vereinfachen, weil dann viel zu viele Steuerberater ohne Job da stehen würden.

      Denkerische Grüße,
      Conny

  3. Pingback: Diversity Management schafft Einfalt statt Vielfalt « Der Mensch – das faszinierende Wesen

  4. Paddy says:

    Hallo Conny,

    dein Text liest sich so als das Du noch keine Verantwortung dafür getragen hast Personal einzustellen. Du beobachtest also nur andere.

    Woher weisst Du denn dann, das Du nicht selber diejenige bist, die die Schatten beobachtet? Diejenige die Schattenwissenschaft betreibt?

    Mal rein statistisch – von Schattenwissenschaftler zu Schattenwissenschaftler – was ist wahrscheinlicher: Du hast etwas übersehen oder Du hast es nicht verstanden?

    Viele Grüße,
    Paddy

    PS: Das war das “umdrehen zum Feuer” im Hölengleichnis :-).

    • Hi Paddy,

      doch ich war schon in Positionen und bin es immer noch, Mitarbeiter einzustellen. Diese Einstellung musste ich sowohl mit ACs als auch ohne ACs durchführen. Des Weiteren habe ich mich auch schon über beide Wege selbst beworben. Ich habe also alle 4 Dimensionen schon einmal live erlebt. Deshalb habe ich mit diesem Post auch meine Erfahrung spiegeln wollen.

      Du schreibst “Diejenige”. Ich bin männlich. Das ist nicht weiter wild. Das passiert mir des Öfteren.

      Grundsätzlich kann man bei den Menschen nur das Verhalten beobachten, niemals das Dahinterliegende, beispielsweise die Motivation für ein bestimmtes Verhalten. Wenn Du das mit “Schatten” meinst, dann ist meine Antwort ganz klar: “Ja, ich kann nur Schatten beobachten.”. Das ist aber nicht das, was ich mit Schatten meine. In ACs schaffen wir eine “künstliche” Atmosphäre, in der Bewerber sich hinein geben müssen. Dann können wir aber auch nur Verhalten bei Menschen beobachten, welches im Kontext zu dieser Künstlichkeit steht. Wollen wir das? Sind wir uns dessen stets bewusst? Ich glaube nicht.

      Des Weiteren beanspruche ich, und das kann ich gar nicht oft genug betonen, keinen Allgemeinheits- und Wahrheitsanspruch auf meine Gedanken und Ideen.

      “Sonnige” Grüße,
      Conny

  5. Pingback: Diversity Management schafft Einfalt statt Vielfalt - Lean Knowledge Base

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